Nein, es ist nicht so, dass ich mich hineinstürzte in ein „Ehrenamt“ (ich mag dieses Wort nicht). Eher zaghaft taste ich mich vor, lasse mich fangen.
Wir haben uns letzte Woche erstmalig getroffen, mein „-“ und ich.
Es geht dabei sehr behutsam vor. Erstmalig tätig werde ich frühestens in einem Jahr sein, so lange dauert die Qualifizierung zum „Vorlesen in Familien“, organisiert durch das gleichnamige Projekt der Phantastischen Bibliothek Wetzlar.
Klingt nicht so – und es ist auch ein verantwortungsvoller Job. Und natürlich gibt es viele Anteile in mir, die meinen, ich sei nicht die Richtige dafür. Andere Menschen könnten es besser. Klar, das ist sicher wahr.
Und.
Ich lasse mich einfangen. Es hat viele Lassos. Eines davon ist die Organisatorin dieses Projektes. Wenn ich an Frau Nitschke denke, kommen mir sofort ihre Lachfältchen in den Sinn. Sie lebt uns Kursteinehmerinnen mit ihrem Umgang mit uns das Angebot des Projektes vor: Zuwendung, unvoreingenommenes Interesse, Freundlichkeit, Respekt und Ermutigung. Sie wirkt positiv, offen und neugierig. Treffe ich auf solche Menschen, bringt mich das immer zum Staunen…
So lasse ich mich gerne berühren.
Und tags drauf bin ich gleich wieder hin gegangen und habe mir zwei weitere Lassos geschnappt…
Bilderbücher, die zeichnen, was vielleicht nicht zu verstehen, aber sichtbar da ist. Texte, die verstehen helfen, was gemeint sein könnte. Beides zusammen führt in Gefühle und auch wieder hinaus. Und beides berührt mich, ohne mich zu verletzen.
Geschichten, die erfunden und wahr sind.
Muss es nicht herrlich sein, wenn da jemand ist, der vielleicht gerade nicht Vater oder Mutter ist, aber trotzdem mit mir da, um das mit mir zu leben?
Ich habe meiner Lieblingstherapeutin Claudia ein Bilderbuch mitgebracht. Ich wusste, das ihr das Spaß machen würde… es war ja auch nicht irgendeines… ich wusste, es ging um den Umgang mit Gefühlen. Ich hatte vorher aber nicht hineingeschaut und so haben wir uns beide in mehrerlei Hinsicht in Neuland begeben. Wir haben uns so nah wie noch nie vorher zusammen gesetzt, uns gemeinsam Seite um Seite vorgetastet und ich habe uns vorgelesen.
Es tut so gut, Berührtsein leben und teilen zu dürfen. Und dabei zu erleben, dass alles gleichzeitig da sein kann:
Mitzufühlen, wie sich das Wesen da im Buch fühlt. Vielleicht andere Ideen haben. Betroffensein, ohne selbst zu leiden – denn es ist ja das Wesen dort, das bin nicht ich. Zu erleben, ich fühle zwar mit, muss, brauche und kann ja auch nichts tun – denn es ist ja das Wesen dort und nur eine Geschichte. Ich muss auch nicht weg gehen und ich muss nicht bleiben. Ich darf eine Pause einlegen. Und ich habe da jemanden, der bei all dem „dabei“, bei mir, ist und bleibt (nichts „muss gleich noch“, „hätte eigentlich sollen“ und nicht daddelt) und der auf jede meiner Fragen freundlich und ehrlich antwortet.
Die Geschichte geht weiter – jedes Mal, wenn ich wieder hinein schaue. Und sie wendet sich zum Guten: Darauf kann ich mich, Buch um Buch, verlassen.
Denn ich, die Vorleserin, sucht die Bücher aus.
Benutze ich Kinder zu meinem Wohl? (Bedürfnis, Teil sein dürfen zu fühlen)
Wo fängt Missbrauch an?
Es ist erschreckend, widerlich und gut, dass ich mir diese Fragen stelle.
Frau Nitschke sagte, wir würden in diesen Familien vieles sehen können, was wir vielleicht lieber nicht sehen würden.
Die Reise dort hin ist kein Bilderbuch.
Aber wenn so viele Geschichten gut enden – warum nicht auch…?
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