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Er lachte. Er lachte quietschend, schallend, lachte immer wieder auf, kugelte sich fast vor Lachen. Er konnte es einfach nicht fassen und lachte sich kaputt.

Nein, ich war zwar Urheber dieses Vergnügens, hatte aber nicht etwa einen sagenhaft guten Witz gemacht, sondern lediglich versucht, die Zahl „Eins“ auf Türkisch auszusprechen. Ich versuchte es wieder und wieder, aber statt zu dem sehnlich erhofften, irgendwie erlösenden, anerkennenden Nicken führten meine Bemühungen nur zu einer weiteren, aus Verwunderung und Belustigung gespeisten, kindlich glucksenden Lachsalve.

Entstanden aus Unvermögen, aus Nicht-Können.

Nein, Danke

Es war ein eisiger Morgen.

Der verbleibende Rückweg von meinem Morgenspaziergang war auf eine kleine Distanz eingeschrumpelt. Nur noch über diese Brücke, dann entlang am Stadion, das kleine Stück zum Haus und die Treppe hinauf zum „Hinaus aus“ und „Hinein in“. Oder umgekehrt.

Ich nahm den Radfahrer wie in Zeitlupe wahr. Er kam mir auf der Rampe der Brücke entgegen. Sein Blick hatte sich gerade von seitlich hinten in Fahrtrichtung gedreht. Er schüttelte den Kopf. War es abfällig? Oder nur unverständlich rätselnd? Jedenfalls war mein Blick neugierig auf das, von dem der seinige scheinbar gerade abgelassen hatte.

Es war der Fuß der Brücke. Dinge lagen dort, die wild weggeworfener Müll zu sein schienen. Und…

…ja, tatsächlich: Da saß jemand! Aufrecht – auf dem Boden. Ich erkannte die Shilouette eines Rückens. Der Kopf war von einer Kaputze bedeckt und das Gesicht der Sonne zugewandt.

Es war eisig.

Mit meinen nächsten Schritten verwandelten sich Müll zu Habseligkeiten, der Fuß der Brücke zur Herberge, die Kälte zur existentiellen Bedrohung – und die ganze Szene zu einer Aufgabe meiner sonst alltäglich berührenden Befasslichkeiten.

Ich ging die Brücke hinauf. Wandte mich um. Ging ein paar Schritte zurück. Entschied mich wieder anders. Ging die Brücke wieder hinauf. Ein Stück weiter. Drehte mich um.

Fasste meine Entscheidung. Ließ die Mehrheit der Zweifel verniedlichend beiseite. Nahm stattdessen die Entschlossenheit, die mir, von irgendwoher kommend, zur Seite stand.
Hinab nahm ich die Stufen und erweiterte den Radius der Kehrtwende zum Fuß der Brücke ein wenig, sodass ich mehr mit der Freundlichkeit der Sonne, statt aus der Kühle des Schattens auf dieses still sitzende Wesen zugehen konnte.

Ja, ich hatte Angst. Nicht vor meiner Frage. Sondern von der Antwort.

Was ist, wenn…?

Wenn: „Ja“?

Was ist, wenn „Ja“ auf mein „das hast Du nun davon“ – also mein eigentliches „oh, NEIN! Nicht das…“ – meinen Geiz, meinen Kleinglauben, meine Verletzlichkeit – trifft?

Aber meine Entscheidung und die Entschlossenheit waren noch bei mir. Die Zweifel, flüchtig überdacht und schnell verworfen, oben auf der Brücke verblieben.

„Guten Morgen!“

„Guten Morgen!“ antwortete der bärtige Mann – fast erschrocken.

„Kann ich irgendetwas für Sie tun? Brauchen sie etwas?“

„Nein, Danke!“ die höfliche, ruhige Antwort wirkte sich sicher.

Aber mein Verstand zweifelte: Kann das möglich sein?

„Es ist so kalt. Ich wohne nicht weit weg. Kann ich ihnen etwas Warmes bringen? Eine Suppe? Ein Getränk vielleicht?“

„Nein, Danke!“ Einfach, freundlich  wie glaubhaft wirkten diese Worte auf mich ein.

 

Unnötig, wie ich war, ging ich wieder die Treppe hinauf und setzte meinen Weg fort.

Er brauche nichts.

Aber ich raffte – erstaunt wie gierig – alles beisammen, was ich greifen konnte.

 

 

Glücksbringervorrat

Ich habe mir da was vom Balkon gepflückt…

…ein Wind hat sie mir dort hin gelegt.

Sind sie nicht schön?

Es sind  Früchte einer Linde.

Sie schrauben sich sanft in die Tiefe, lässt man sie aus der Höhe frei. Und es macht mir Freude, ihnen dabei zuzusehen.

Auch eine Schmerztablette kann Freude machen – und es ist gut zu wissen, bei Bedarf darauf Zugriff zu haben. Ähnlich ergeht es mir mit den Lindenfrüchten: Ich habe mir vier Stück Glücksbringer bevorratet. Der Winter kann kommen!

Und wenn es an der Zeit ist, lasse ich sie fliegen…

…und sie tanzen mir zum Abschied einen Gruß vom Sommer.

 

Wortschatz

Neulich beim Schnipseln stolperte ich über diese Zeilen zum Abschied.

Was sind das wohl für wunderbare Menschen, die diese Worte einander
gefunden haben?

Tiefe, liebevolle Verbundenheit, die keine Grenzen kennt, verleiht diesen Zeilen wohl diese Art „Schimmer“…

Einen Schimmer solcher Art, wie es ihn manchmal beim einem Blick in den Sternenhimmel zu erstaunen gibt. Unfassbar, unbegreiflich, schwerelos, rein.

Ist es nicht schön zu wissen, dass es unendlich viel davon gibt?

schön grau

Dieses Bild ist mir einfach zugefallen – hinter’m Haus, auf dem Weg von wo nach da.

Und es ist immer wieder auffindbar!

Dort mit ein paar Sonnenstrahlen zur rechten Zeit,

hier, in mir, mit ein paar gelenkten Gedanken.

Das Fundstück macht ein ‚Ah‘ ins Grau. Und wo gibt es sie nicht, diese blassen, eigentlich immergleichen, trist und langweilig anmutenden Bodenbeläge?

Arten des Glücks

Das pure Glück

ist ein Produkt der Phantasie, also meines Gehirns. Die Neurotransmitter kredenzen mir das Erleben eines Traums im Hier und Jetzt. Der Traum wird zum womöglich, aber Wahr-sein, zum Erlebnis und somit wahr.

Der Moment des puren Glücks ist also eine Art Fata Morgana aus einem bestimmten Betrachtungswinkel., unerfüllter, kindlicher Sehnsucht und „Womöglichwahrwerden“ – Gefühl.

Es beschwingt das Erleben meines Lebens (fühlt es sich gelegentlich auch noch so zerrüttet an) auf eine Weise, die mich mit dem Moment in einen mir so wohltuenden Einklang zu vereinen scheint. Einssein ohne Suchenmüssen. Verstand, Zweifel, Beweis hocken benebelt an der Wunderbar…: Ganz und wahr womöglich sein, wenn auch nicht real.

Das tatsächliche Glück ist kleiner, aber wahr und ehrlich nehmbar. Es fasziniert mich, nimmt mich zärtlich, nicht völlig, ein, lässt mich bei ihm bestehen, wirft mich nicht um, verflüchtigt sich aber schneller.

Beide Arten von Glück dienen mir.

Das pure Glück verhilft mir zu spüren, von was ich nur träumen kann. Gelingt es mir, mich zu distanzieren, kann ich zu meinen wahren Bedürfnissen finden – solcherart Bedürfnisse, an die ich mich nur träumend wage.

Gestillt sind sie dadurch jedoch nicht – im Gegenteil: Das pure Glück hinterlässt eine schmerzhafte Leere, der ich mich jetzt nur „unbeschreiblich“ nähern will.

Das wahre, kleine Glück hingegen füllt manchmal zuvor kaum wahrnehmbare Risse der Lebenslandschaft sanft auf.

Beide dienen mir?

„Beherrsch‘ Dich!“

kenne ich

So noch nicht.

Ich lerne zu verstehen, mich beherrschen zu wollen.

Ayvar

Es war kurz vor Ladenschluss.

Von vier noch vorhandenen Gläsern Ayvar nahm ich zwei.

Wirklich gebraucht habe ich – natürlich – keines. Wer braucht schon Ayvar?

Gewollt habe ich welche.

Bin ich deshalb ein Gutmensch, weil ich mich als Schlechtmensch ertappt habe?

Wohin führt diese Frage?

Noch immer in den Dreck.

Sie könnte ins Jetzt führen.

Schmutzig?

Ich schaute zum Fenster.

Nahm an den Häusern vorbei den blauen Himmel wahr.

Weiß wie Schäfchenwolken

hoben sich die Abdrücke einer kleinen Hand davon ab, die vielzählig auf der Scheibe verteilt waren.

„Die habe ich gemacht!“ poltern sie für mich heraus und ich stelle mir die hier ansässige kleine Tochter vor, wie sie stolz ihre Mutter anlacht.

„Das da ist meine Hand!“

Hier bin „ich“ und darf ich sein, darf ich bleiben, darf meinen Abdruck hinterlassen, bin willkommen. Und das ist gut und selbstverständlich so.

Ich sagte es der Mutter zum Abschied, wie schön ich das finde, was ich mit diesen Abdrücken ihrer Tochter verbinde.

Und sie freute sich.

„Ach, weißt Du, ich finde sie auch schön,“ sagte sie lachend, „aber meine Mutter sagt immer, die Scheiben seien schmutzig!“

Ich lächele noch immer über die befreiende Enge meiner beschränkten Wahrnehmung

– habe ich doch gar keinen Schmutz gesehen.