Dornenhecke, verlassen

Verließ oder Verlass?

Wahrscheinlich kennt es jeder. Plötzlich ist wieder eine Erinnerung, ein Bild aus der Vergangenheit da, mit der sich nun auch das Bewusstsein beschäftigen soll…


Kinderbett

Jeder in dieser Wohnung musste ihn hören. Er schrie. Und schrie.

Seine Eltern hatten beschlossen, er habe keinen Grund. Also solle er einfach weiter schreien, bis er damit aufhört.

Jeder von uns wusste: Er konnte schreien bis er blau wurde… (Seine deutlich sichtbare Hautfarbe machte uns die Grausamkeit der Herkunft des Sprichwortes anschaulich)

Manchmal ging ich zu ihm. Voller schlechtem Gewissen. Hintergehe ich die Absichten meiner Eltern? Richte ich ihren Zorn auf mich? Ihre Verachtung? Halte ich mich am Ende für was Besseres?

Ich machte es heimlich.

Er konnte schon stehen in seinem Gitterbett. Und schrie. Die Tränen rollten ihm über die langen Wimpern, die kleinen Wangen und liefen bis auf seinen Ganzteiler aus Frottee. Manchmal starrte er mich an. Fast erschocken verstummte er…

…um dann aus vollen Kräften weiter zu schreien: Nicht ich war das Objekt seiner Sehnsucht.

Und ich ging, beruhigt, es seiner (nichtmal einjährigen Kind-) „Entscheidung“ überlassen zu können, dass nicht ich es war, nach der er sich so sehr sehnte. Ich ging, mein Mitgefühl verleugnend, das Schuldgefühl mit seiner „Entscheidung“ beiseite schiebend.

Ich übte zu sein, wie die Erwachsenen: Der hat nix.

Der will nur was von mir, was ihm nicht zusteht, weil ich gerade nicht in der Lage bin, es ihm zu geben.

Was ist, frage ich mich heute, wenn ich damals gewusst hätte…

…dass ich zwar nicht Objekt seiner Sehnsucht gewesen bin, aber doch Zeuge, Teilhaber seiner Not hätte sein können?

Ja, Bruder, ich sehe Deine Not. Ich sehe sie und sie darf da sein. Du schreist zu Recht. Ich sehe, wie sehr Du leidest. Ich kann Deinen Schmerz erahnen. Er ist so unsagbar groß. Deine Not ist ihm angemessen. Du hast alles Recht auf der Welt, ihn dort hin zu brüllen, wo die Rettung sein müsste.

Und ich kann sehen, dass nicht ich es bin, nach dem es Dir schmerzt ohne selbst daran zu verrecken.

Ich brauche mein Mitgefühl und meine Ohnmacht nicht in Spott zu verwandeln, Achselzucken, Entwertung, Verachtung, Falschsein- oder Schuldgefühl.

Ich glaube nicht, wer anders sein können zu müssen (der/die Dich zu trösten vermag).

Ich glaube nicht, so wie die zu sein oder sein zu müssen, die Dich verlassen, weil Dein Schrei sie zu sehr schmerzt.

Ich nehme meine Ohnmacht, meinen Schmerz und bleibe.

…bis wir uns dem Gerettetsein wieder sicher sind.

 

 

Artikel verkauft

Es hat tatsächlich jemand darauf geboten!

Mir käme es wohl nicht in den Sinn, brutto 17,70€ für ein Paar Topflappen auszugeben – schon dieser Umstand setzt mich in Erstaunen. Umso mehr rührt es mich, dass es jemand tut. Denn scheinbar teilt da eine mir völlig fremde Person zumindest meine Idee, dass diese Dinger für irgendjemanden auf der Welt zu gebrauchen und zu diesem Zwecke ihren Preis wert seien. Möglicherweise gefallen sie ihr sogar?!

Mir dienen Handarbeiten in erster Linie zur anspruchslosen Beschäftigung und Ablenkung meines Verstandes, der sonst einfach tut, was er will – und mir manchmal einfach nicht gut.

Da ich schon mit Topflappen ausgestattet bin, biete ich seit Jahren immer mal wieder ein Paar bei Ebay zum Verkauf an. Den Preis summiere ich aus Materialkosten und einem kleinen einstelligen Betrag zur persönlichen Genugtuung. Bei diesem Päärchen hier jedoch habe ich richtig zugeschlagen und etwas mehr verlangt.

Sonst freue ich mich einfach nur, wenn ich etwas verkauft habe und stürze mich förmlich auf die notwendigen Arbeitsschritte um die Ware im geeigneten Verpackungsmaterial verschwinden zu sehen. Heute aber wurde mir dabei merkwürdig und spürbar weh zu Gemüte.

Sie waren ein bislang einzigartiges Modell. Ich hatte damals also nur eine farbenfrohe Idee von ihnen und machte mich irgendwann einfach an die Umsetzung.

Fülle ist ein zwiespältiges Ding. Einerseits macht mir schon die Vorstellung, bei guter Laune in volle Farbtöpfe zu greifen, draufgängerischen Spaß. Und ich bin gespannt darauf, was da zwischen Hand und Welt entsteht. Auf der anderen Seite der Stimmung, im Kreisel der Entwertung, fühle ich mich schon bei dem Gedanken an „Fülle“ (die eigentlich immer im Leben zur Verfügung steht) wie gelähmt – oder wütend, beiderfalls in Erstarrung versetzt.

Damals aber hatte ich Freude beim Wählen der Farben und bei der Realisierung meiner Idee. Ich brachte da was in die Welt und zustande – unbeholfen wie ein Kind, das etwas mit sich ausprobiert und es irgendwie vollbringt.

Wo steckt das Dilemma, das Nest der Wehmut?

Irgendwie gefallen sie mir schon… Und zu ihnen stehen kann ich nicht.

Sie waren nie das, in dessen Schein sie mich im Prozess ihrer Entstehung gesetzt haben… ( ja, ja… Das Ziel war nie der Weg 😉 )

Letztendlich fehlt es meinem Kritiker zudem auch an Sorgfalt in Ausführung der Arbeit, was als unverzeihliche Kopfnote zum Urteil „bloß weg damit“ führt.

Jedenfalls, nach diesen Zeilen der wertschätzenden Auseinandersetzung, gehen sie mir einfach leichter in den Briefkasten…

Ab in die Welt mich Euch – bringt Freude!

mutig

 

 

 

Weilmussja

Vorgestern war es. Ich bin mit diesem Bild aufgewacht, das mich über die letzten Tage begleitet. Manches aus der Gefühlswelt lässt sich so schlecht in Worte fassen. Bilder helfen.

Und doch stimmen mehrere Dinge und etwas sehr, sehr wichtiges an diesem Bild nicht. Aber dazu später…


Das Bild war im Kern wie folgend:

Die steile, rostige Stahlwand eines Riesentankers zieht an mir vorbei und ich bleibe zurück.

Er zieht an mir vorbei und ich bin zurück gelassen worden.


Der Tanker Weilmussja

Ich war selbst lange, lange Zeit auf diesem Tanker. Und ich weiß, wie gut es tut, dort sein zu können. Der Tanker ist so sicher, hat dicke Stahlwände und vom Wellengang merkt man nicht so viel – wenn man sich nur genug anstrengt und anpassen kann an die eckigen Kanten – um so tiefer man sich in dem Tanker vergräbt, desto sicherer fühlt es sich an. Überall hat es Wände, Gänge, Richtungspfeile, Wegweiser, denen man folgen und sich unter all denen, die es genau so machen „müssen“, „richtig“ fühlen kann. Und ständig dumpft ein Nebel des beschwichtenden Mussjasoseingefühls durch die Ritze der Wände und benebelt die Sinne.

Der Tanker ist gefüllt mit sehr, sehr beschäftigten Menschen. Ihre Blicke sind gesenkt oder sie tragen Scheuklappen. Sie haben, selbst eingespannt in Kutschen, Peitschen in der Hand, die unentwegt durch die Luft zischen und mit einem schneidenden Geräusch ziellos – mal sich selbst und mal andere – treffen. Ihre Körper sind gezeichnet von der Last, die sie auf dem Tanker hin und her ziehen und nur selten finden sie einen Moment Ruhe. Dann blicken sie mit einem sehnsüchtigen Blick nach draußen. Aber ihre Sehnsucht zielt auf den stillen Horizont, nicht das Meer.

Ich war selbst auf diesem Tanker – habe den Schmerz gemerkt, den es bereitet, dort eingespannt zu sein – und ich war sehr, sehr gerne dort. Ich blieb beständig auf „Weilmussja“, weil es lange für mich gestimmt hat. Ich hatte meinen rechtmäßigen Platz – eingespannt peitschend wegweiserseiend – und füllte ihn aus. Ich durfte auf dem Tanker mitleiden – und tat es sehr gerne für das mir andernorts so schwer erlebbare „Ichgehöredazu-“ „Teilsein-“ Gefühl. All das Eingesponnensein auf „Weilmussja“ bringt so viel Sicherheit und Halt… Die Vorstellung, nicht mehr dazu zu gehören, macht gespenstische, fremde Angst – und die war größer als all die altbekannten Leiden, die das Leben auf dem Dampfer mit sich bringt.

Ein Teil sehnt sich schrecklich nach der Sicherheit auf „Weilmussja“ und spinnt sich zusammen, dort wieder irgendeine Nische ausfüllen zu können, nur um dabei sein zu können.

Aber ich bin abgerutscht. Ich weiß immer noch nicht genau, wie es dazu kam, aber die Stahlwand zieht an mir vorbei und ich bleibe zurück.

Ich gehöre nicht mehr dazu.

„Sie wollen da nicht hoch, Frau Nies. Da oben herrscht Krieg“, sagte Hr. Sch., mein Therapeut. Ja, ich weiß.

„Weilmussja“, Tanker, ich sehne mich nach Dir.

 


Und was stimmt nicht an diesem Bild?

  • 1. Ich trage – der deutschen Tankerflotte sei Dank – einen Schwimmreifen namens „Sozialstaat“ um den Bauch. Ich gehe nicht unter. Ich kann lernen, zurecht zu kommen im Meer.

Aber dieses „ich gehöre dort nicht mehr dazu“ Gefühl weckt dummerweise immer wieder die alte, kindliche Todesangst namens „ich werde als Last erkannt und zurück gelassen“ auf. Sie verstehen sich gut und paaren sich zu einem Scheinriesen.

Und den muss ich eben immer wieder als solchen entlarven – und erlösen von seinem so, so schmerzlichen Gefühl der Einsamkeit. Denn

  • 2. Ich bin zwar nicht mehr auf dem Dampfer. Aber ich bin nicht von allen guten Geistern verlassen :-).
  • 3. Es gibt mehr als nur Schwarz und Weiß. Es gibt viel Grau, das verbindet. So habe ich das „Weilmussja-Gefühl“ z.B. in diversen Praktika genießen können, ohne das Gefühl zu haben, daran zu Grunde zu gehen. Und das wünsche ich allen von Herzen, die da oben wuseln.

nur scheinbar

Ich sehe auf das Morgenrot und der Atem stockt, die Rippen fühlen sich eingeschnürt an. Manche Schönheit ist unlassbar – nicht zu beatmen. Als habe ein tiefer, großzügiger, befreiender Atem die Macht, die Existenz des Momentes zu zerstören.

Es ist so unbeschreiblich schön, dieses Morgenrot, und es geht so schnell vorbei. Goldorange ist es gerade, blau und lila.

Tagtägliches Geschenk – weil einfach nicht zu fassen.

Ein Sonnenaufgang vergeht rastlos.

Und manchmal zieht er, wie einen Schatten, Leere hinter sich her:

Wie plötzlich scheint er einfach weg zu sein und das Wundernkönnen mit ihm verschwunden.

 


Tröpfeln

Der Regen setzte ein. Das Tröpfeln blies zum Abgang. Oder zum Fortschritt?

Zuletzt herrschte innerer Krieg…

Die Freundin am anderen Ende der SMS war, einmal wieder, wie eine Sanitäterin, die Wasser und Wundsalbe auf das Schlachtfeld brachte.

Und das Tröpfeln war der Vorhang, der zwei Akte trennt. Ich konnte mich zum Gehen entschließen, stieg auf mein Rad und drehte dem Moment den Rücken zu.

Der nächste Akt: Auf dem Rückweg war das Lächeln mit dem Mann, der die Schwäne fotografierte. Die Frau mit den hängenden Mundwinkeln. Der Hund, der genüsslich auf einem Stock herumkaute. Der Blick in die Ferne auf die Schwarzwaldhänge. Die Sprinteinlage. Die volle Waschmaschine, die mir einen Auftrag schenkte. Der Blog hier ist wie eine Flagge zu hissen: Ich bin noch da. Ich bin hier. Ich weiß, dass da jemand ist, der mir wohlwollend zugetan ist.

Gefühle kommen und gehen.

Der innere Krieg hat sich gelegt, die Waffen ruhen.

Darf man so schreiben?

Schweig still. Lass‘ ihn schlafen.

 

Merk mir 2:

Auch im Repertoire:

Ausgewogen. Beweglich. Leicht.

Einen Zauber spüren.

Es nicht fassen können,

aber halten –

momentlang

Und:

„Schwanger mit Leichtigkeit“

 

Die Leere füllen – zwei Möglichkeiten

Etwas fühlen können, wenn auch nicht begreifen.


Ich mag diese Bilder. Besonders die ersten zwei. Alle entstanden, in guter Gesellschaft, einfach mir.

Und:

Ich habe Angst. Angst, die Bilder hier zu zeigen. Sie gegebenfalls der Lächerlichkeit, dem Unverständnis preis zu geben. Sie haben direkte Verbindung zu einem sehr verletzlichen Teil von mir. Es ist meine Aufgabe, ihm klar zu machen, dass ich Zuneigung für und Wundern mit ihm spüre. Die Verbindung ist da, wenn auch schlecht… Die Verbindung bricht komplett ab, aber ich finde sie – zu meinem Erstaunen – irgendwann wieder:

„Ich komme wieder.“

Wie schön ich diesen Moment finden kann, wie sehr ich ihn mögen kann – daran erinnern mich diese Bilder.

Dass muss diesem Teil als Vertrauensbeweis genügen.