Beeren am Weg, egal

Eine Brombeere ist Ausdruck dieses Wesens „Brombeerhecke“ und nicht dazu gedacht von mir einverleibt zu werden. Diese hat Dornen und will nicht meine „Freude“ sein. Sie will weder entdeckt, „gesehen“, gewertschätzt oder gar geerntet werden, sondern einfach Brombeerhecke sein.

Wenn ich eine Beere esse, ist sie, sozusagen (nicht nur für den Früchteesser, der nach mir kommt), „verloren“…

Ja – ich fühle wirklich Schuld (kann ich echt gut 😉 ). Sie, die Schuld ist irgendwie immer da und vermutlich folgt nicht sie dem Urteil, sondern das Urteil ihr…

Ich weiß nicht, ob ich dieser Pflanze geschadet habe, wenn ich durch sie Freude empfunden habe – ich denke, nicht.

Und ich fühle Dankbarkeit und Wertschätzung für ihr Sein an meinem Wegesrand. Auch das sind gute Gefühle für mich. Stehen mir diese zu? Nutze ich die Pflanze deshalb aus? Wohl kaum.

Wenn es mir gelingt, mich bis heute an das Wohlgefühl zu erinnern, das ich durch sie gefühlt habe, heißt das, ich halte sie, also die Hecke, fest? Sicher nicht.

Gut, dass ich mir vorstellen kann, ich sei der Hecke einfach egal. Ich als Mensch war völlig uninteressant. Ihr Bestreben ist das Überleben und das hat sie sicher auch trotz meines Besuches geschafft.

Und ich kann an ihr üben…

Mich zu erlauben heißt auch, zu erlauben, mehr und mehr den Schmerz zuzulassen, den mir der, mein, Gedanke immer mal wieder anklingen lässt, möglicherweise auch (vertrauten oder beelternden) Säugetierartgenossen unwillkommen und widerlich, nicht erwünscht, zu viel, uninteressant, unannehmbar, einfach nicht so wichtig wie sie mir oder (vermutlich schlimmstenfalls) schlicht egal (gewesen) zu sein.

Denn „schlimm“ war es damals. Heute kann ich oder ich könnte…

Brombeerhecke, Leben

Ich kann mich echt berühren lassen von dieser Lebenskraft! Was für ein Wirrwarr an Streben, Halten, Erobern, Wachsen, Durchsetzen, Verteidigen. Es grünt und greift überall. Sogar die abgestorbenen Krieger beißen noch kräftig zu. Und sie blüht sogar und trägt Früchte. Es gibt Ranken so dick wie Pflaumen. Ihre Ausläufer haben sich über Kirschbäume gewunden…

Und: Ich, Mensch, nehme ein Stück Werkzeug, mache „schnipp“ und sage, weil ich es gerade mal so will:

„Schluss damit! Wunder?! Bist Du gewesen!“

Ja, auch das gehört wohl dazu.

Ich habe eine Entscheidung gefällt.

Verdrängung hilft. Würdigung hilft.

Was hilft noch?

Der karge, kahle Boden, der sich nach meinem so schonungslosem Gewalten ebenso unverhohlen auftat, wird, wie im Fluge, nach kaum zwei Tagen von neuem Grün erobert:

Weite hilft.

Brombeerhecke, Sein

Wie lang diese Ranken werden können! Und wie behutsam sie sich in den Rasen zu schlängeln scheinen… Zunächst unaufdringlich, wie beiläufig durch Brennesseln und strohigem Gras hindurch bis hin zu weicheren Gefilden scheint sie nur darauf zu lauern, einen Raum im Boden zu finden, feste zuzupacken und für sich zu sichern.

Die Pferde lassen diese Brombeerheckeneroberungsgebiete mehr und mehr abseits ihrer bevorzugen Weideflächen liegen, Hecken nisten sich ins Gras, Sträucher in die Hecken…

So fasste ich den Entschluss, den Brombeerhecken Einhalt zu gebieten.

Ok, mein Anliegen stieß bei Rücksprache schon auf Verwunderung. „Wenn du das machen willst??? Klar, dann leg‘ los, gerne!“

Es ist nicht meine Weide, und nicht ich bin die Pächterin. Es sind nicht meine Pferde. Es hat mich niemand gebeten oder danach gefragt. Bezahlt werde ich nicht. Und Werkzeug habe ich mir auch erst zugelegt.

Warum also?

Es gibt so viele unfreundliche Worte dafür…

Ja, das alles gehört meinetwegen auch dazu. Dieses eklige Beipaket ist zu dem „trotzdem“ nötig, das mir dazu dient, diese Arbeit zu tun. Stunde um Stunde arbeite ich nun an den Hecken der Weide um fühlen zu können, dass es etwas gibt.

Etwas, das ich gerne tue. Etwas, das ich kann. In meinem Tempo.

x • (Entscheiden + Tun + Einverständnis + Weitermachen) =

Schon damals bei der Arbeit gab es Tätigkeiten, die sonst niemand gerne gemacht hat und auch freiwillig niemand tun musste. Ich fand sie und nahm sie für mich heraus. Und war gierig darauf. Ja, fast eifersüchtig, wenn irgendjemand sonst meinen „Schatz“ entdeckt hatte… Die Selbstverachtung und die Scham gehören für mich dazu.

Aber um all das geht es nicht.

Irgendwann während all dieser stundenlangen Tuns dieser Art Tätigkeit, gibt es Momente, in denen ich mich nicht mehr verunsichere, nicht mehr denke, hinterfrage, werte und: Fühle.

Um diese Momente geht es.

Alles andere ist die Zutatenliste, Beiwerk, Tätigkeitsbeschreibung, die Art, wie der Löffel gebogen ist… so entsteht der Zaubertrank für meine Momente des Seins.

Und ich versuche auch meiner Raumgeberin immer wieder zu verdeutlichen, dass mir diese Arbeit nur so vermag, mir zu dienen…

Weil ich die Schräglage (noch?) brauche, um „Sein“ zu können, bin ich ihr dankbar für ihr Halten, damit ich es fassen kann.

Nachtvorstellung

Manchmal sind die Nächte so sanft, dass der Schreck vor lauter Stille den Atem verscheucht.

Wir lauschen.

Verirrte Gedanken finden dann zu mir zurück. Sie fragen nach ihrem Platz.

Manchmal ist niemand da. Das kennen sie gut. Dann fangen sie sich selbst, beweihräuchern ihre Panzerketten, graben Runzelfurchen in die Stirn und mauern Starre in die Knochen.

Manchmal aber gehe ich an den Schrank und taste nach dem Frack. Ich nehme den Zylinder, klopfe höflich den Staub aus seinem Schlaf und trete erhobenen Hauptes in die Manege.

Die Vorstellung kann beginnen!

Es wird nach Kräften gestolpert, gestottert, gemurkst und gefirlefanzt.

Das Publikum bleibt und klatscht mir eine Torte Schmunzeln ins Gesicht.

Flatsch!

So kann ich mich berühren lassen.

Oder:

So kann ich es lassen, mich selbst (-verletzend, nach Art des Hauses) zu berühren?

So oder so: Getroffen. Ich bin.

Ich spüre es,

mich

Ich verbeuge mich tief

ins Staunen

finde da unten einen Atemzug

und tauche in Dankbarkeit auf.

Buntepollenallergie

„Nebellebensuppe…“

Klingt das trüb und fad?!

Für mich klingt es nach Versteck. Und nach etwas, das mir wohlbekannt ist. Ich weiß, ich komme in meiner Suppe im Leben unter. Sie hat früher immer Schutz geboten. Sie tut es jetzt.

Jammern? Zähneknirschen? Suppenkaspar? Trüber, schneller, doppelt essen? Egal! 

Ich nehme alles dafür in Kauf, was diese Art Suppe mit sich bringt.

Ja, ja… das Leben kann bunter schmecken. Und was ist, wenn ich eine Buntepollenallergie habe? Und die Dinger haben gerade mal wieder Saison „bis ungewiss“?

So gesehen habe ich mir mein Gericht (!) in – meiner Art – Liebe zubereitet.

…weil ich, ja, ich, Nervensystem Karin, weiß.

Ich weiß um Euch, ihr sturen Eselsanteile, tapfere, wohlwissende Wächter. Nichts kommt an Euch vorbei, das ich nicht gelernt habe, zu nehmen.

Der Verstand glaubt, er müsse doch, zumindest aber doch gemeinsam mit all unserer Erfahrung, die Macht besitzen, Euch zu bewegen.

Lachhaft.

Alles zu Eurer Zeit.

…und sein Schatten

Er hat keinen Namen, aber er will genannt werden.

(Motto…Achtung, Teebeutelspruch: „Auch etwas Schönes hat einen dunklen Schatten“.)

Gestern staunte ich über den Prozeß, das Entstehen, die Verwandlung des Gefühls.

Heute stehe ich daneben. Frage mich, wer womöglich noch die Verachtung, die Lächerlichkeit, das Unverständnis fühlt, die mir sämtlich jetzt zu Teil sind.

Wie kann man seine Mitwelt nur mit sowas – einem „Dweng“ – belästigen und auch noch erhoffen, Staunen und Freude, das Sich(ver)wundern zu teilen?

Ich stehe das.

Und breche immer wieder ein.

Krückenworte.

fangen lassen

Nein, es ist nicht so, dass ich mich hineinstürzte in ein „Ehrenamt“ (ich mag dieses Wort nicht). Eher zaghaft taste ich mich vor, lasse mich fangen.

Wir haben uns letzte Woche erstmalig getroffen, mein „-“ und ich.

Es geht dabei sehr behutsam vor. Erstmalig tätig werde ich frühestens in einem Jahr sein, so lange dauert die Qualifizierung zum „Vorlesen in Familien“, organisiert durch das gleichnamige Projekt der Phantastischen Bibliothek Wetzlar.

Klingt nicht so – und es ist auch ein verantwortungsvoller Job. Und natürlich gibt es viele Anteile in mir, die meinen, ich sei nicht die Richtige dafür. Andere Menschen könnten es besser. Klar, das ist sicher wahr.

Und.

Ich lasse mich einfangen. Es hat viele Lassos. Eines davon ist die Organisatorin dieses Projektes. Wenn ich an Frau Nitschke denke, kommen mir sofort ihre Lachfältchen in den Sinn. Sie lebt uns Kursteinehmerinnen mit ihrem Umgang mit uns das Angebot des Projektes vor: Zuwendung, unvoreingenommenes Interesse, Freundlichkeit, Respekt und Ermutigung. Sie wirkt positiv, offen und neugierig. Treffe ich auf solche Menschen, bringt mich das immer zum Staunen…

So lasse ich mich gerne berühren.

Und tags drauf bin ich gleich wieder hin gegangen und habe mir zwei weitere Lassos geschnappt…

Bilderbücher, die zeichnen, was vielleicht nicht zu verstehen, aber sichtbar da ist. Texte, die verstehen helfen, was gemeint sein könnte. Beides zusammen führt in Gefühle und auch wieder hinaus. Und beides berührt mich, ohne mich zu verletzen.

Geschichten, die erfunden und wahr sind.

Muss es nicht herrlich sein, wenn da jemand ist, der vielleicht gerade nicht Vater oder Mutter ist, aber trotzdem mit mir da, um das mit mir zu leben?

Ich habe meiner Lieblingstherapeutin Claudia ein Bilderbuch mitgebracht. Ich wusste, das ihr das Spaß machen würde… es war ja auch nicht irgendeines… ich wusste, es ging um den Umgang mit Gefühlen. Ich hatte vorher aber nicht hineingeschaut und so haben wir uns beide in mehrerlei Hinsicht in Neuland begeben. Wir haben uns so nah wie noch nie vorher zusammen gesetzt, uns gemeinsam Seite um Seite vorgetastet und ich habe uns vorgelesen.

Es tut so gut, Berührtsein leben und teilen zu dürfen. Und dabei zu erleben, dass alles gleichzeitig da sein kann:

Mitzufühlen, wie sich das Wesen da im Buch fühlt. Vielleicht andere Ideen haben. Betroffensein, ohne selbst zu leiden – denn es ist ja das Wesen dort, das bin nicht ich. Zu erleben, ich fühle zwar mit, muss, brauche und kann ja auch nichts tun – denn es ist ja das Wesen dort und nur eine Geschichte. Ich muss auch nicht weg gehen und ich muss nicht bleiben. Ich darf eine Pause einlegen. Und ich habe da jemanden, der bei all dem „dabei“, bei mir, ist und bleibt (nichts „muss gleich noch“, „hätte eigentlich sollen“ und nicht daddelt) und der auf jede meiner Fragen freundlich und ehrlich antwortet.

Die Geschichte geht weiter – jedes Mal, wenn ich wieder hinein schaue. Und sie wendet sich zum Guten: Darauf kann ich mich, Buch um Buch, verlassen.

Denn ich, die Vorleserin, sucht die Bücher aus.

Benutze ich Kinder zu meinem Wohl? (Bedürfnis, Teil sein dürfen zu fühlen)

Wo fängt Missbrauch an?

Es ist erschreckend, widerlich und gut, dass ich mir diese Fragen stelle.

Frau Nitschke sagte, wir würden in diesen Familien vieles sehen können, was wir vielleicht lieber nicht sehen würden.

Die Reise dort hin ist kein Bilderbuch.

Aber wenn so viele Geschichten gut enden – warum nicht auch…?

 

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Guck ins Loch

Alltag in Wetzlar.

Gestern aber fühlte er sich ganz anders an.

Schon seit einer ganzen Weile wandere ich nicht mehr. Meine Gedanken gehen immer wieder mit mir durch und ich lande zu oft im Tal Miesgefühl.

Auch beim Radfahren nehme ich mir manchmal in wohlbedachter Voraussicht was zur Ablenkung mit, mal ein Hörbuch, mal Musik. Um mir das lästige Fummeln ums Handy zu ersparen, habe ich mir einen Halter fürs Fahrrad gekauft – und der war noch am Mountainbike angebracht: Also nahm ich das.

Anders als mein Stadtrad hat das „gute Rad“ sauber schaltbare Berggänge sowie packende Scheibenbremsen und lässt sich somit artgerecht auch abseits des flachen Lahnradweges nutzen.

Geplant hatte ich nichts.

Ich wählte spontan den asphaltierten Weg von Nauborn hinauf Richtung Hundeplatz. Ich überholte ein spazierendes Päärchen im Zeitlupentempo… was mich zu einem selbstveräppelnden Kommentar veranlasste. Wir lachten.

Der Weg führt stetig, aber nicht mehr so steil bergan weiter zu den zwei Birken mit den schönen Aussichtsbänken, die wohl auch die Grenze zum ehemaligen Truppenübungsgelände markieren. Manchmal versuche ich mir vorzustellen, wie es hier gewesen sein muss, als die Panzer noch gerollt sind.

Wenn ich hingegen an die Geräusche der Fuhrwerke denke, die hier noch ein paar Jahrzehnte zuvor zugegen waren, wird mir altem Pferdemädchen deutlich wärmer uns Gemüt. Eine einfache Tafel erinnert an die 1877 geschlossene Grube namens Amanda, aus der Eisenerz „gewonnen“ und per Muskelkraft von Tier und Mensch nach Wetzlar in die Sophienhütte transportiert wurde, also dort hin, wo heute noch Buderus schafft.

Ja, ich weiß, mit Pferderomantik hatte das ganz sicher nichts zu tun…

Gut, jedenfalls, dass nichts an das Naturschutzgebiet erinnern muss: Es ist. Und es lässt – was weiß ich für welchen – Tieren und Pflanzen Raum – aber, auffallend, auch: Der Weite.

Nicht nur ich bin gerne dort oben.

Gestern drehte ich aber nicht einfach meine Runden, sondern fuhr geradewegs auf Laufdorf zu. Links ab führt dort die Radroute runter nach Bonbaden, die ich schon immer mal ausprobieren wollte.

Heidekraut in Mittelhessen? Hatte ich das schon mal sonst irgendwo gesehen? Naja, vielleicht im hohen Westerwald – aber hier in der Gegend echt noch nicht. Ausgebüchste Ziegen mit scheppernden Glocken kreuzten eilig den Weg – und machten damit meiner Alltagsstimmung einen deutlich spürbaren Strich durch die Existenz: Mit einem Mal war ich in Entdeckerlaune.

Dass ich in Bonbaden ankommen würde, war ja klar – aber wo? Ah, dort am Ortsausgang rechts… wenn ich meiner Fitness was zutraue, werde ich den Weg mal anders herum in Angriff nehmen.

Unten im Ort bog ich links nach Neukirchen ab. Dort war da nämlich noch dieser mir unbekannte Weg ins Nebental, den ich sonst immer „für irgendwann mal“ rechts liegen gelassen habe. Und so erfuhr ich für mich diesen still gelegenen Wirtschaftsweg zwischen Wald und Wiese, der gut erklimmbar sanft bergan nach Altenkirchen führt.

Noch nie war ich in Altenkirchen unmotorisiert! Die Landstraße aus dem Ort hinaus und in Richtung Philippstein ist ortsansässigen Motorradfahrern der netten Kurven wegen allerdings wohlbekannt. Und die hätte ich dann eben mal ganz gemütlich per Rad gesichtet, wenn mich da nicht dieses Schild gelockt hätte:

zum Aussichtspunkt Guck-ins-Loch“ ?

Noch nie was davon gehört!!!

Ich geb zu, ich musste absteigen und ein Stückchen schieben – aber es hat sich gelohnt…

Klar hab ich, ganz ergriffen von meiner schönen Tour und der erradelten Aussicht, auch Bilder gemacht. Die möchte ich Euch ob ihrer faden Qualität aber ersparen, deshalb hier ein Link zum Loch.

Quer durch den Wald ging es anschließend bergab. Kein Mensch zu sehen. Das Rauschen der Geschwindigkeit, das Knirschen des befestigten Waldweges unter den Reifen und die gefälligen Evergreens auf Antenne Bayern luden mich ein, hörbar mitzulärmen…

Ausgelassenheit und die, schon freudig am Waldrand erwartete, tolle Aussicht auf Braunfels samt Märchenschloss zur Belohnung…

Was für eine schöne Überraschung im Alltag.

Und heute…?