Dornenhecke, selbst sein

Ich brauche und bekomme es manchmal sehr deutlich präsentiert.

Ich glaube es, zu spüren, dass es eigentlich nur nötig wäre, menschliche Hülle zu sein: Zuhören und schweigen, allenfalls wiedergeben oder nachfragen – also Dasein und, vor alledem: Dableiben.

Das nehme und nahm ich als meine Wahrheit wahr und an.

Und

Ich konnte es nicht.

Ich kann es nicht.

So weiß mein Urteil doch – sie ist mit mir durch dick und dünn gegangen. Sie war immer da. Sie hat mir, im Koma liegend, mit ihren Händen die eiskalten Füße gewärmt.

Und ich schaffe es nicht, einfach eine Weile für sie da und still zu sein?

Ich erschaffe es, mein Weglaufenwollen zu registrieren, mein verhohlenes Plappern zu hören, Ohnmacht nicht haben zu wollkönnen, statt sie zu fühlen.

Ich schaffe es nicht, zu bleiben. Offen zu sein. Mich ihr zuzuwenden (also mein Ego eingehen zu lassen). Ich schaffe es nicht, die Grenzen des Respektes zu halten. Sie einfach nur in ihrer menschlichen Wesenheit „auszuhalten“, eine Runde bedingungslose Liebe zu bestellen, durch mich durch fließen zu lassen – auszugeben.

Hülle zu sein, setzt Halt voraus.

Ich rutsche ab in mich ich ich

und

 

 

 

Beeren am Weg, Freude

Auf dem Camino habe ich sie geliebt: Wilde Brombeerhecken am Wegesrand versprachen eine Hoffnung darauf, ein paar reife Früchte zu finden. Eine Überraschung, vielverspechende Erwartung, eine umwerfend verführerische Einladung zu einer kleinen Pause – und das sogar mit Belohnung!

Ein annehmbares Geschenk.

Ich erinnere mich nicht mehr genau an den Ort auf dem Weg oder die Hartnäckigkeit, mit der sich ihre Dornen in meine Haut kratzten. Ich erinnere mich auch nicht mehr genau an den Geschmack jeder einzelnen Beere – es sind ja immer auch Saure dabei… aber ich kann, hier und heute, Jahre später, noch Kontakt aufnehmen zu der Freude, die diese Szenerie für mich bereitet hat.

Ich habe sie mir also nicht nur im Wortsinne einverleibt: Ich habe sie mir zu eigen gemacht.

Wohlwissend, dieses kleine Glück vielleicht mit vielen anderen zu teilen, ist es auch meines, ganz alleine.

Beeren am Weg, egal

Eine Brombeere ist Ausdruck dieses Wesens „Brombeerhecke“ und nicht dazu gedacht von mir einverleibt zu werden. Diese hat Dornen und will nicht meine „Freude“ sein. Sie will weder entdeckt, „gesehen“, gewertschätzt oder gar geerntet werden, sondern einfach Brombeerhecke sein.

Wenn ich eine Beere esse, ist sie, sozusagen (nicht nur für den Früchteesser, der nach mir kommt), „verloren“…

Ja – ich fühle wirklich Schuld (kann ich echt gut 😉 ). Sie, die Schuld ist irgendwie immer da und vermutlich folgt nicht sie dem Urteil, sondern das Urteil ihr…

Ich weiß nicht, ob ich dieser Pflanze geschadet habe, wenn ich durch sie Freude empfunden habe – ich denke, nicht.

Und ich fühle Dankbarkeit und Wertschätzung für ihr Sein an meinem Wegesrand. Auch das sind gute Gefühle für mich. Stehen mir diese zu? Nutze ich die Pflanze deshalb aus? Wohl kaum.

Wenn es mir gelingt, mich bis heute an das Wohlgefühl zu erinnern, das ich durch sie gefühlt habe, heißt das, ich halte sie, also die Hecke, fest? Sicher nicht.

Gut, dass ich mir vorstellen kann, ich sei der Hecke einfach egal. Ich als Mensch war völlig uninteressant. Ihr Bestreben ist das Überleben und das hat sie sicher auch trotz meines Besuches geschafft.

Und ich kann an ihr üben…

Mich zu erlauben heißt auch, zu erlauben, mehr und mehr den Schmerz zuzulassen, den mir der, mein, Gedanke immer mal wieder anklingen lässt, möglicherweise auch (vertrauten oder beelternden) Säugetierartgenossen unwillkommen und widerlich, nicht erwünscht, zu viel, uninteressant, unannehmbar, einfach nicht so wichtig wie sie mir oder (vermutlich schlimmstenfalls) schlicht egal (gewesen) zu sein.

Denn „schlimm“ war es damals. Heute kann ich oder ich könnte…

Brombeerhecke, Leben

Ich kann mich echt berühren lassen von dieser Lebenskraft! Was für ein Wirrwarr an Streben, Halten, Erobern, Wachsen, Durchsetzen, Verteidigen. Es grünt und greift überall. Sogar die abgestorbenen Krieger beißen noch kräftig zu. Und sie blüht sogar und trägt Früchte. Es gibt Ranken so dick wie Pflaumen. Ihre Ausläufer haben sich über Kirschbäume gewunden…

Und: Ich, Mensch, nehme ein Stück Werkzeug, mache „schnipp“ und sage, weil ich es gerade mal so will:

„Schluss damit! Wunder?! Bist Du gewesen!“

Ja, auch das gehört wohl dazu.

Ich habe eine Entscheidung gefällt.

Verdrängung hilft. Würdigung hilft.

Was hilft noch?

Der karge, kahle Boden, der sich nach meinem so schonungslosem Gewalten ebenso unverhohlen auftat, wird, wie im Fluge, nach kaum zwei Tagen von neuem Grün erobert:

Weite hilft.

Brombeerhecke, Sein

Wie lang diese Ranken werden können! Und wie behutsam sie sich in den Rasen zu schlängeln scheinen… Zunächst unaufdringlich, wie beiläufig durch Brennesseln und strohigem Gras hindurch bis hin zu weicheren Gefilden scheint sie nur darauf zu lauern, einen Raum im Boden zu finden, feste zuzupacken und für sich zu sichern.

Die Pferde lassen diese Brombeerheckeneroberungsgebiete mehr und mehr abseits ihrer bevorzugen Weideflächen liegen, Hecken nisten sich ins Gras, Sträucher in die Hecken…

So fasste ich den Entschluss, den Brombeerhecken Einhalt zu gebieten.

Ok, mein Anliegen stieß bei Rücksprache schon auf Verwunderung. „Wenn du das machen willst??? Klar, dann leg‘ los, gerne!“

Es ist nicht meine Weide, und nicht ich bin die Pächterin. Es sind nicht meine Pferde. Es hat mich niemand gebeten oder danach gefragt. Bezahlt werde ich nicht. Und Werkzeug habe ich mir auch erst zugelegt.

Warum also?

Es gibt so viele unfreundliche Worte dafür…

Ja, das alles gehört meinetwegen auch dazu. Dieses eklige Beipaket ist zu dem „trotzdem“ nötig, das mir dazu dient, diese Arbeit zu tun. Stunde um Stunde arbeite ich nun an den Hecken der Weide um fühlen zu können, dass es etwas gibt.

Etwas, das ich gerne tue. Etwas, das ich kann. In meinem Tempo.

x • (Entscheiden + Tun + Einverständnis + Weitermachen) =

Schon damals bei der Arbeit gab es Tätigkeiten, die sonst niemand gerne gemacht hat und auch freiwillig niemand tun musste. Ich fand sie und nahm sie für mich heraus. Und war gierig darauf. Ja, fast eifersüchtig, wenn irgendjemand sonst meinen „Schatz“ entdeckt hatte… Die Selbstverachtung und die Scham gehören für mich dazu.

Aber um all das geht es nicht.

Irgendwann während all dieser stundenlangen Tuns dieser Art Tätigkeit, gibt es Momente, in denen ich mich nicht mehr verunsichere, nicht mehr denke, hinterfrage, werte und: Fühle.

Um diese Momente geht es.

Alles andere ist die Zutatenliste, Beiwerk, Tätigkeitsbeschreibung, die Art, wie der Löffel gebogen ist… so entsteht der Zaubertrank für meine Momente des Seins.

Und ich versuche auch meiner Raumgeberin immer wieder zu verdeutlichen, dass mir diese Arbeit nur so vermag, mir zu dienen…

Weil ich die Schräglage (noch?) brauche, um „Sein“ zu können, bin ich ihr dankbar für ihr Halten, damit ich es fassen kann.

Nachtvorstellung

Manchmal sind die Nächte so sanft, dass der Schreck vor lauter Stille den Atem verscheucht.

Wir lauschen.

Verirrte Gedanken finden dann zu mir zurück. Sie fragen nach ihrem Platz.

Manchmal ist niemand da. Das kennen sie gut. Dann fangen sie sich selbst, beweihräuchern ihre Panzerketten, graben Runzelfurchen in die Stirn und mauern Starre in die Knochen.

Manchmal aber gehe ich an den Schrank und taste nach dem Frack. Ich nehme den Zylinder, klopfe höflich den Staub aus seinem Schlaf und trete erhobenen Hauptes in die Manege.

Die Vorstellung kann beginnen!

Es wird nach Kräften gestolpert, gestottert, gemurkst und gefirlefanzt.

Das Publikum bleibt und klatscht mir eine Torte Schmunzeln ins Gesicht.

Flatsch!

So kann ich mich berühren lassen.

Oder:

So kann ich es lassen, mich selbst (-verletzend, nach Art des Hauses) zu berühren?

So oder so: Getroffen. Ich bin.

Ich spüre es,

mich

Ich verbeuge mich tief

ins Staunen

finde da unten einen Atemzug

und tauche in Dankbarkeit auf.

Buntepollenallergie

„Nebellebensuppe…“

Klingt das trüb und fad?!

Für mich klingt es nach Versteck. Und nach etwas, das mir wohlbekannt ist. Ich weiß, ich komme in meiner Suppe im Leben unter. Sie hat früher immer Schutz geboten. Sie tut es jetzt.

Jammern? Zähneknirschen? Suppenkaspar? Trüber, schneller, doppelt essen? Egal! 

Ich nehme alles dafür in Kauf, was diese Art Suppe mit sich bringt.

Ja, ja… das Leben kann bunter schmecken. Und was ist, wenn ich eine Buntepollenallergie habe? Und die Dinger haben gerade mal wieder Saison „bis ungewiss“?

So gesehen habe ich mir mein Gericht (!) in – meiner Art – Liebe zubereitet.

…weil ich, ja, ich, Nervensystem Karin, weiß.

Ich weiß um Euch, ihr sturen Eselsanteile, tapfere, wohlwissende Wächter. Nichts kommt an Euch vorbei, das ich nicht gelernt habe, zu nehmen.

Der Verstand glaubt, er müsse doch, zumindest aber doch gemeinsam mit all unserer Erfahrung, die Macht besitzen, Euch zu bewegen.

Lachhaft.

Alles zu Eurer Zeit.