Der Regen setzte ein. Das Tröpfeln blies zum Abgang. Oder zum Fortschritt?
Zuletzt herrschte innerer Krieg…
Die Freundin am anderen Ende der SMS war, einmal wieder, wie eine Sanitäterin, die Wasser und Wundsalbe auf das Schlachtfeld brachte.
Und das Tröpfeln war der Vorhang, der zwei Akte trennt. Ich konnte mich zum Gehen entschließen, stieg auf mein Rad und drehte dem Moment den Rücken zu.
Der nächste Akt: Auf dem Rückweg war das Lächeln mit dem Mann, der die Schwäne fotografierte. Die Frau mit den hängenden Mundwinkeln. Der Hund, der genüsslich auf einem Stock herumkaute. Der Blick in die Ferne auf die Schwarzwaldhänge. Die Sprinteinlage. Die volle Waschmaschine, die mir einen Auftrag schenkte. Der Blog hier ist wie eine Flagge zu hissen: Ich bin noch da. Ich bin hier. Ich weiß, dass da jemand ist, der mir wohlwollend zugetan ist.
Gefühle kommen und gehen.
Der innere Krieg hat sich gelegt, die Waffen ruhen.
Es war noch früh. Ich hatte es mir gerade auf meinem Balkon neben dem Kaffee gemütlich gemacht. Die Sonne schien mir ins Gesicht. Sie blendete mich scharf.
Soll ich mir einen Hut aus dem Schrank holen? Den Hut?
Den, den ich schon auf den Wanderungen, also dem PCT und dem Camino Frances trug…
So knüpfte sich ein Gedanke an den anderen….
Die Sonne schien mir scharf blendend ins Gesicht…
Um diese Zeit waren wir meist schon lange unterwegs. „Wir“…: Der Gedanke haftete sich an eine bestimmte Übernachtung auf dem PCT in bestimmter Gesellschaft.
„Sieben Uhr fertig zum Aufbruch“
hatten wir ausgemacht… meine Erinnerung hilft mir suchen: Ich habe den Tag nach dem Aufbruch aus Idyllwild im Sinn:
Ich erinnere mich an eine anstrengende Wanderung in guter Gesellschaft. Und an den Stress, den ich mit meinem Zelt hatte. Ein gutes Zelt… (und ich würde es gerne mal wieder aufbauen….)
Ist es zu fassen? Da war ich.
Heute erinnere ich mich noch über meine Wut.
Dieses Zelt wird zwar mit nur den Wanderstöcken (und sonst keinen Stangen) aufgebaut und ist deshalb sehr leicht, aber es benötigt für den guten Stand eben auch acht Heringe (…und viel Platz für seine große Grundfläche…). Ich war so verzweifelt, wegen des steinigen Bodens keinen geeigneten Platz für mich zu finden. Und ich war so fertig von der anstrengenden Wanderung und von all der Angst, die ich bei der Überquerung des steilen, rauschenden Baches gehabt hatte. …und dann dieses Zelt und der steinige Boden…
Trish, die gute kanadische Seele, brachte mir ganz einfach Steine zum anbinden der Zeltseile. Es ist mir noch heute peinlich, nicht selbst auf die Idee gekommen zu sein. Ich war nur wütend und verzweifelt und konnte nicht mehr klar denken.
Ich kann noch heute meine Schuld spüren. Ich hatte mich an diesem Tag oft schuldig und als Last gefühlt. Derartig unerfahren wie ich war keine unter uns. Und es war so grundlos… keiner signalisierte mir, ich sei tatsächlich lästig, es war einfach nur ein großes Hirngespinst.
Wo war der Genuss des Augenblicks? Die Faszination? Das Gefühl der Freude darüber, es gemeinsam geschafft zu haben?
Erstickt unter Stress. Wie schade.
Und dann der Morgen.
„Sieben Uhr fertig zum Aufbruch“
Vermutlich hatte ich nicht gut geschlafen. Ich begann schon extrem früh mit dem Einpacken… wollte dabei die anderen nicht wecken… und doch war ich wieder die Letzte, die fertig wurde. Ich weiß noch, wie ich mich fühlte… schuldig und gestresst.
Aber an den Weg danach erinnere ich mich nicht.
Wie schade, liebes Nervensystem.
Was könnte ich heute für Dich tun?
Liebes Nervensystem,
Du kannst es nicht fassen. Es ist zu viel für Dich. Früher waren all diese Gefühle hübsch unterdrückt. Und nun sind es so viele… So viele unterdrückte Gefühle, so viele neue, unbekannte Eindrücke. Du kannst das alles nicht fassen, wo Du gerade bist und wie Du Dich sortieren sollst.
Ein Teil in Dir ist sehr, sehr klein. Er möchte irgendwelchen Großen, bei denen Du Dich sicher UND willkommen UND geborgen UND zugehörig fühlst, von Deinem unglaublichen, unvorstellbaren, unfassbaren Tag berichten und das Gefühl haben, dass alles in Ordnung so ist, wie Du bist und was Du geschafft hast. Du möchtest in den Arm genommen werden, darin verschwinden, Nestwärme spüren und mit guten Wünschen, dem Wissen um Vertrauen und Zuversicht wieder aufbrechen dürfen.
Ein anderer Teil in Dir treibt Dich ständig an und kritisiert Dich unentwegt. Er ist scharf streng, abfällig und spöttisch-schroff. Er macht sich lächerlich über Dich und hat alles schon vorher gewusst.
Er wusste, dass die Strafe kommen werde.
Die Strafe sind extreme Schuldgefühle, Scham, sich nicht nur überflüssig zu fühlen, sondern lästig, allenfalls wohlwollend – weil ja so unterwürfig bemüht, freundlich, angepasst, unterwürfig, „nett“.
Nervensystem, all das ist das Programm, das Dir leicht fällt. Alte Urteile. Bitte schau‘ doch auf das Hier und Jetzt. Was siehst Du wirklich, tatsächlich? Glaube den Menschen, die da sind und vertraue. Übe Dich im Vertrauen. Gehe weiter, Schritt für Schritt.
Liebes Nervensystem, komm runter. Du bist nicht mehr im Überlebenskampf eines Kleinkindes. Wir sind erwachsen.
Ich weiß nicht, wie ich heute reagieren würde. Ich glaube, all die Erfahrungen und das viele neue Wissen über meine Diagnosen haben mir geholfen.
Ich sitze hier und suche Halt in meinen Worten. In meinem Blog. Bei „meinen“ Menschen.
Der Körper signalisiert Angst, das Gefühl des Verlassenseins, der diffusen Bedrohung. Der Kopf macht sich seine Geschichte dazu. Greift zu seinen altbekannten Märchen. Die Sorte, in denen am Ende die Stiefmutter lacht.
Neben mir stehen eine Sammlung Bilder und Skizzen. Worte, Gekritzel, Striche, Symbole. Das Blatt, zufällig vorneauf, ist in grün gehalten. Und in grün, schnell niedergeschrieben, sehe ich immer wieder auf:
Teilen = Teilsein
Ich setzte dem Tag und keine Grenzen. Er bot zu viel für mich – und ich will es nicht wahrhaben. Weil es sowas von lächerlich ist.
Mein Nervensystem glaubt, es brenne. Schlägt Alarm und ich fühle mich feuerwehrlos.
Das ist nur ein Gefühl.
Es ist nur ein Gedanke.
Der Gedanke, ich teile zu viel meiner Schwehrlichkeit – ich sollte sie (für mich be-) halten – , bläst dazu wie in die Segel eines Jammers namens Angst. Treibt mich ins graue Meer des Verlassensseingefühls.
Jetzt, mit diesen Fingerbewegungen des Teilens bei und trotz alledem, nehme ich das Steuer in die Hand. Die See beruhigt sich.
Ich teile mich mit und in dem Moment bin ich Teil. Durch Teilung gibt es mehr Raum. Raum und Teil berühren sich bei und trotz des Gefühls zeitgleichen Trennens: Das Erleben ändert sich – geteilt ist es anders. Ja, (Mit-)teilungen können auch Abschied bedeuten. … – wer kann/will/wird mir noch folgen?
und
Teilen ist Bewegung – und eine Bewegung ist immer auch zu etwas hin.
Ich nehme das Steuer in die Hand. Und es fühlt sich jetzt besser an.
Ich danke Euch, die Ihr in meinen Gedanken da, Teil seid.
…in Kalifornien, Oregon und Washington – also den Staaten, durch die der PCT führt.
Heute, am 11.September 2020, ca. 9:00 MESZ, ist der Weg auf 21 Streckenabschnitten wegen ‚Wildfeuern‘ gesperrt: In Washington 3, Oregon 7, Nordkalifornien 2, Mittelkalifornien 1 und Südkalifornien 8.
Schon lange bevor mit diesem Ausmaß der Vernichtung zu rechnen war, wurde der PCT Jahrgang 2020 gebeten, den Weg nicht anzutreten. Weder seien die Wanderer, noch die Helfer wegen der Grippepandemie ausreichend geschützt. Und wegen der Ansteckungsgefahr sei man auch den anrainenden Ortschaften, den Trial-Gorillas und den Trialangel, nicht wie sonst üblich willkommen.
Vermutlich werden auch die Spenden zur Erhaltung des Weges spürbar schrumpfen.
Der PCT besteht aus der Landschaft die ihn bettet, und „seinen“ Menschen: Die Helfer machen ihn zu dem, was er ist.
Wie wird er sich von diesem Jahr erholen?
Der PCT ist letztendlich völlig unwichtig, ich weiß. Und das ist wohl ziemlich pietätlos und asozial, hier vorrangig an ihn und nicht all die anderen Opfer zu denken.
Aber/und ein paar zärtliche Gedanken in leise besorgter Wehmut haben noch niemandem geschadet…
ist ein Produkt der Phantasie, also meines Gehirns. Die Neurotransmitter kredenzen mir das Erleben eines Traums im Hier und Jetzt. Der Traum wird zum womöglich, aber Wahr-sein, zumErlebnis und somit wahr.
Der Moment des puren Glücks ist also eine Art Fata Morgana aus einem bestimmten Betrachtungswinkel., unerfüllter, kindlicher Sehnsucht und „Womöglichwahrwerden“ – Gefühl.
Es beschwingt das Erleben meines Lebens (fühlt es sich gelegentlich auch noch so zerrüttet an) auf eine Weise, die mich mit dem Moment in einen mir so wohltuenden Einklang zu vereinen scheint. Einssein ohne Suchenmüssen. Verstand, Zweifel, Beweis hocken benebelt an der Wunderbar…: Ganz und wahr womöglich sein, wenn auch nicht real.
Das tatsächliche Glück ist kleiner, aber wahr und ehrlich nehmbar. Es fasziniert mich, nimmt mich zärtlich, nicht völlig, ein, lässt mich bei ihm bestehen, wirft mich nicht um, verflüchtigt sich aber schneller.
Beide Arten von Glück dienen mir.
Das pure Glück verhilft mir zu spüren, von was ich nur träumen kann. Gelingt es mir, mich zu distanzieren, kann ich zu meinen wahren Bedürfnissen finden – solcherart Bedürfnisse, an die ich mich nur träumend wage.
Gestillt sind sie dadurch jedoch nicht – im Gegenteil: Das pure Glück hinterlässt eine schmerzhafte Leere, der ich mich jetzt nur „unbeschreiblich“ nähern will.
Das wahre, kleine Glück hingegen füllt manchmal zuvor kaum wahrnehmbare Risse der Lebenslandschaft sanft auf.
Beide dienen mir?
„Beherrsch‘ Dich!“
kenne ich
So noch nicht.
Ich lerne zu verstehen, mich beherrschen zu wollen.