Monat: Oktober 2018
Muscheln in Nürnberg
Lektion: „Respekt“
„Irren ist menschlich“ heißt ein Standardwerk in der Fachliteratur für Menschen, die mit psychiatrisch Erkrankten arbeiten. Damals, in meiner Vorbereitung zu meinem Krankenpflegeexamen (1989), machte mich Brigitte darauf aufmerksam und weckte meine Neugierde mit der Aussage, Erkrankungen seien darin als ‚Landschaft‘ beschrieben. In meiner Fachkrankenpflegeausbildung Anfang der Neunziger galt es als „Die Bibel“ und wurde im stundenintensiven Fach „Psychiatrische Krankenpflege“ intensiv genutzt. Leider hatte ich nie den Eindruck, den Autoren in ihrer Tiefe der Bilder wirklich folgen zu können. Vermutlich saß ich selbst zu tief drin oder war zu nah dran – wie man es sehen will – und verstand es es deshalb nicht wirklich, weil ich hätte erstmal auftauchen müssen, bevor ich mich dem Inhalt mit klarer Sicht annähern kann. Vielleicht aber hatte ich einfach zu wenig Erfahrung. Egal.
„Ich verstehe Dich sowieso nicht und die Erinnerung daran tut mir weh.“ waren wohl die Gedanken, mit der ich schon vor einigen Jahren leichten Herzens mein Exemplar aus dem Regal geworfen habe.
„Naive Landschaftsmalerei“ könnte ich heute meinen letzten Beitrag betiteln. Erfasst mit dem Blick aus dem sicheren Korb eines schwebenden Ballons. Nicht unwahr deshalb. Beruhigend sogar. Aber vergänglich…
Zitat: „Sie (die „Leere“) darf bleiben, wie sie ist. Neben mir gehen, wie ein Schatten. Oder fern sein wie eine gewiss in und mit mir lebende, aber gerade unsichtbare Wesensart.“
Ein ungesicherter Krater in übersichtlicher Landschaft ist leicht auszumachen.
Ein Schatten folgt brav, ist gezähmt.
Ein gerade unsichtbares freilebendes Wesen ist weit weg, berührt nicht…
„Wahr-nehmen. Nicht wahr träumen, Karin.“
ja ja….
Die Landung des Ballons war sicher deutlich spürbar und ausgestiegen bin ich wohl auch. Mein Bewusstsein aber wollte nicht mit, machte sich selbständig und blieb noch ein Weilchen im Land der Träume.
Sie ist mir nach wie vor fremd, diese Landschaft. Es gibt nicht nur Weite, Leere, Sanftmut, Stille und Unberührtheit.
Wenn keine Aufführung ist, ist die Bühne überschaubar.
In einen Krater, den man aus der Ferne sieht, fällt man nicht sofort rein.
Scheint die Sonne, ist der Schatten zu sehen.
Wenn der Chor schweigt, kann der Dirigent schlafen.
Auf dem Stundenplan stand: „Respekt“.
Und vermittelt wurde der Inhalt mit einem Angriff. Mit einem Auftritt von ihr, „I.“ (Wer war das noch? ⇒ Link in weiteres Browserfenster zum Beitrag „Petersilie verrücken, Juni 2018), der Wertvernichtungsdiva, bzw. dem Hurricane, der glaubt, einen Haufen Mist wegfegen zu müssen.
Sie kam in Gestalt der „selten schöne Art Wesen“ und griff mich an wie ein in seiner Landschaft frei und sich lebendes Raubtier.
Egal, ob sie glaubt, der Misthaufen habe die Höhe des Erträglichen erreicht und kein Wesen in dieser Landschaft sorge sonst ernsthaft für den Abtrag.
Egal, ob sie einfach Hunger hat, und vielleicht gar nicht mich meint. Einfach als Wesen in dieser Landschaft lebt und ihrer Lust folgt, sich als Laune der Natur auszuleben.
Es ist, wie es ist: Diese fremde Landschaft ist gefährlich und ich kenne mich in ihr noch nicht aus.
Ich bin aufgebrochen in diese Landschaft.
Zurück will und kann ich nicht.
So kann mein kommender Klinikaufenthalt ab Mitte November, in der in einem achtwöchigen Programm sämtliche Module des DBT Therapiekozeptes (Hintergründe und Fakten/Einführung in das Skillstraining/Achtsamkeit/Stresstoleranz/Umgang mit Gefühlen/Zwischenmenschliche Fähigkeiten/Selbstwert/Umgang mit Sucht) vermittelt werden sollen, vielleicht eine Art „Survivaltraining“ in dieser Landschaft sein, die und in der ich bin.
Jedenfalls bin ich gespannt auf die inzwischen 24. Auflage des Werkes „Irren ist menschlich“.
Nicht auftauchen, nicht Abstand nehmen müssen.
An meinen derzeitigen Ort liefern lassen 😉
Mal sehen, was und wie es heute ankommt. Und wer alles da ist, um es in Empfang zu nehmen.
Weit weg in Sicherheit?
Bild 1: Gefangene Leere
Immaginationsübungen sind ein mir sehr dienliches therapeutisches Mittel. Sie lassen Bilder aufsteigen, setzen sie in Verbindung mit Gefühlen und eventuell erlebten Situationen. In sicherer Distanz zum Drama der Vergangenheit können mithilfe von therapeutischer Begleitung und Anleitung neue Sichtweisen, Denkansätze, Lösungsstrategien und letztenlich Verhaltensweisen entwickelt werden.
Es ist wohl kein Geheimnis, das sich mir Bilder in vielerlei Beziehung sehr hilfreich anfühlen.
Ingrid „führte“ mich an meine Leere, ließ mich zunächst vorsichtig hineinblicken, dann hineinstürzen, holte immaginäre Helfer, die mich auffingen und mich auf meinem Weg hinaus begleiteten. Dann ließ sie mich einen stabilen Zaun drum herum bauen. Einen, der ganz sicher hält. Ich musste und konnte selbst kontrollieren, dass er verlässlich und sicher ist. Und dann sollte ich den Abstand vergrößern. Immer weiter weg, so weit, bis ich in Sicherheit sei und sich der Abstand gut und richtig anfühlt. Nachfühlen. In meiner Vorstellung war da eine Bank, auf die ich mich setzte, um in Ruhe zu atmen. Ich sah, dass es noch viel mehr gab, als das Ding da in der Ferne, vor dem ich mich sicher fühlte. Viel Raum war da, den man nicht sehen kann, wenn man auf etwas stiert.
Die Hausaufgabe bestand im Anfertigen eines Bildes.
Die Rückseite trägt eine Notiz:
„Sommer 2011 / weit weg in Sicherheit? / Gibt es auch einen anderen Blick?
Bild 2: Geschützte Weite
Zur Zeit bin ich eigentlich immer im oder in der Nähe des hiesigen Naturschutzgebietes „Am Weinberg“ unterwegs. Es handelt sich um einen ehmaligen Truppenübungsplatz der Bundeswehr. Der Boden ist von jahrzehntelangem Panzerfahren verdichtet, sodass viel wächst, was sonst nicht darf. Regelmäßiger Pflegebesuch der ansässigen Schafherde schützt die heutigen Trockenwiesen. So kann der Blick bei aller sonstigen Belassenheit in viele Richtungen weit schweifen. Einerseits trifft er immer wieder den Düns- andererseits den Feldberg. Hinter Lahn und B49 ist das Kloster Altenberg. Und dann ist da noch Wetzlar mit der Ruine Kalsmunt und dem Krankenhaus auf seinen Erhebungen thronend, dahinter der Stoppelberg. Im Herbst leuchten die bunten Hecken und Sträucher, die knallroten Hagebutten und die vertrockneten Distelblüten. Champignons brechen sich durch den harten Boden. Und oft bücke ich mich nach einem Halm violett blühenden Thymians, der dank meiner Phantasie noch würziger duftet und schmeckt, als er wild ist. Gestern gab es noch mehrere Züge Kraniche zu hören und sehnend ziehen zu lassen. Dazu der blassblaue Himmel, Bühnenbild des zur Zeit allabendlich an lodernde Glut erinnernden Sonnenuntergangs.
Kein Gebäude auf beiden Bildern. Damals auf dem Bild dachte ich, wie wunderbar weit alles sei: So viel Platz zum Bauen bzw. Erschaffen. Gestern, im Naturschutzgebiet, dachte ich: Wie wunderbar es ist, dass dort kein Platz zum Bauen ist!
Bild 3: Träume vom Wahrwerden
Und wenn ich so laufe, mein Hirn sich von Sonstigem entspannt, füllt es sich sogleich von Neuem. Es webt mit irgendwelchen Spinnereien wunderschöne Netze. Sie spinnen im Schimmer des seeligen Loslassens Träume von ihrer Welt ins Land des Wohmöglichdochwahrwerdenoderseinkönnens. Netze, die sich über die doch unheilbaren Wunden legen, sie zu stillen scheinen können. Der Glaube, es könnte heilen, noch in dieser Welt. Ich versinke immer wieder darin und davon. Es federt so sanft, scheint tragen zu können. Und fühlt sich so wunderbar unwirklich wahr an, als sei ich in der und die Bar der Wunder zugleich.
Bis dort, wo ich wieder ankomme.
Die Netze des Hirns sind nicht lange haltbar. So wenig in der Wahrheit, wie in der Phantasie.
Mein Hirn versucht sich immer wieder im Unmöglichen. Kein Wunder, das ihm sonst so wenig möglich ist.
Gibt es auch einen anderen Blick?
Ja. Nicht nur den damals so wundersamen Blick in die Weite, weg vom Krater der Leere. Sondern auch den in die Nähe: Muss ich mich wirklich vor der Leere schützen? Lässt sie sich fangen wie ein Wildtier? Will ich das? Muss ich sie vielleicht noch mehr vor mir schützen als umgekehrt? So wie eine selten schöne Art Wesen?
Hirn, lass‘ ab. Ich will nichts in dieser Landschaft errichten, nichts vernichten, nichts fangen oder frei lassen. Es ist nichts dergleichen von Wert. Denn dann gäbe es auch Unwert (und der wäre automatisch ich). Will nicht drinnen, nicht draußen, nicht Käfig, nicht Weite oder Boden, nicht Kämpfer oder Opfer sein.
Meine Leere ist nicht zu füllen, nicht zu stillen, nicht zu heilen. Weder von außen, noch von innen. Ich kann nichts tun. Ich brauche nichts tun. Sie darf mich begleiten. Sie darf bleiben, wie sie ist. Neben mir gehen, wie ein Schatten. Oder fern sein wie eine gewiss in und mit mir lebende, aber gerade unsichtbare Wesensart. Gemeinsam ein Ganzes sein. Und jeder seins.
Wahr-nehmen. Nicht wahr träumen, Karin.
So viel zur Theorie.
Ich will sein lernen, nicht mehr sein zu wollen.
Wenn ich (etwas) sein will, bin ich es nicht.
Ich bin…
Ich bin. Basta.
Glocken und Quellen
Gerade war es wieder so weit:
Das Altenheim gegenüber hat einen Sicherheitsdienst beauftragt. Er fährt nachts mehrfach, aber immer zwischen 2 und 3 Uhr, mit einem PKW vor. Die Tür geht auf. Manchmal klingt das Radio bis zu mir hinauf. Der Angestellte verlässt das Auto, die Tür geht zu. Nach dem kurzen Kontrollgang öffnet und schließt sich die Türe wieder, der Motor springt an und ein paar Sekunden später sind die Geräusche des wegfahrenden Fahrzeugs aus dem Vernehmungsbereich meiner Ohren verschwunden. Alles in allem keine schöne Melodie. Schlicht eine zuverlässige, wiederkehrende, störende wie willkommene Sequenz meiner altbekannten Nachtmusik.
Und die Sanftheit der Verärgerung darüber erinnert mich an ein anderes ihrer Bühnenauftritte in heutiger Zeit. Früher war das anders…
In den letzten Jahren meiner Arbeitstätigkeit hatte ich mich zumeist in den Nachtdienst geflüchtet. Morgens, sofort nach dem Heimkommen, meist so gegen 7:00 Uhr, fiel ich komatös ins Bett, und wachte, nach manchmal mehreren Unterbrechungen, mich gequält fühlend und unausgeschlafen, aber meist erstaunlich pünktlich um 12:30 Uhr, auf. Meine Tagesaktivitäten, welche überwiegend aus Fernsehen und Essen bestanden, versuchte ich bis 16:30 Uhr zu beschränken, um dann nochmal etwas Schlaf zu finden. Meistens kam ich dann aber nicht zur Ruhe, sondern zum Gedankenkreisen.
Und jeden Freitag um 18 Uhr erklang es. Erfolglos habe ich soeben googelnd versucht, herauszufinden, welchem Kirchturm dieses Glockengeläut eigentlich entspringt. Aber es ist auch nicht wichtig. Jedenfalls landete es zielsicher in der vordersten Front des Zentrums meiner Aufmerksamkeit. Nein, nicht wirklich ist und war es musikalisch unerträglich oder von übertriebender Lautstärke. Noch läutete es länger als 10 Minuten. Es hinderte mich dennoch ausdauernd, meist vollendet, am Einschlafen, bohrte sich, manchmal schon vor dem ersten Schlag, zielgenau in die Quelle meines Zorns. Ich regte mich zwingend, heftig, gründlich und über dieses Geräusch auf. Und gleich anschließend darüber, dass das so ist. Ich konnte einfach nicht mehr davon ab- und mich infolgedessen auf das Einschlafen einlassen.
Was lässt mich jetzt wachen, was aufhorchen, was regt zu diesem Beitrag an? Was will ich fassen, begreifen, zur weiteren Begutachtung niederlegen und, vielleicht einstweilen und immer wieder verstehen können?
Die Glocke läutet noch immer freitags um 18 Uhr. Und der Sicherheitsdienst durchquert meine Nachtmusik. Die Quelle des Zorns aber hat vom Druck abgelassen und erlaubt einen Blick tiefer.
Egal ob wütender Zorn über sinnlosen Widerstand oder Sanftmut durch verlässliches Kommen und Gehen. Nicht wichtig ob Enge durch mikroskopische Konzentration auf ein Geräusch oder gelassene Annahme durch Ausweitung des Blickes auf die Gänze der Nacht mit all ihren Gewohnheiten.
Es ist die Zuverlässlichkeit, die mich rührt. Und dabei ist es völlig egal, zu was: Zorn oder Sanftmut – völlig egal. Ich kann mich darauf verlassen, das es immer so ist. Das die Bindung hält.
Vielleicht ist es auch so mit dem Essen, der Arbeit und dem Schuldgefühl. Oder beispielsweise mit dem Körper und der Scham? Der Tiefe der Verzauberung, die der Geruch von Pferden und Heu auslöst?
Empfinden von verlässlicher Verbundenheit.
Womöglich ein Gefühlsbonbon der Geschmacksrichtung „Urvertrauen“?
Befriedigen vom Bedürfnis nach Sicherheit, dem Nenner aller Wesen, durch alle teilbar, Teilsein von allem Leben.
5:03 Uhr. Die so unwirkliche wie mir gerade willkommene Glocke der Schlafstörung schwingt leise aus. Ich versuch’s nochmal…
zur Zufriedenheit
„Was steht heute bei Dir an?“ fragt sie mich.
Keine Termine.
Strahlend blauer Himmel.
Keine körperlichen Einschränkungen.
Motorrad, Auto, Fahrrad vorhanden und einsatzbereit.
Ich gehe spontan in mich und stelle fest:
„Ich glaube, jammern, mich selbst bemitleiden, erniedrigen und mit dem Verzweifeltsein hingebungsvoll verschmelzen steht auf dem Plan…“
Aber auch das wird mir nicht in Vollendung gelingen.
Zuversicht.
Haftnotiz 20%
11.10.2018 8:42 Uhr
Jetzt. Sozusagen. Ist schon wieder vorbei.
Sind sie sich ähnlich? Das Jetzt, das es nicht mehr ist, und das Jetzt jetzt?
Egal.
Das Therapieprogramm DBT beinhaltet das Führen einer Spannungskurve. Gerade bin ich bei ca. 20% würde ich sagen. Das ist ein Entspannungsgrad, den ich sehr selten empfinde. Es ist ein Moment, in dem ich mich weitgehend in Ruhe lassen kann. Ein Moment, der so selten ist, das das Feststellen seiner Existenz schon zum Ansteigen der Spannungskurve, also zu seiner Vernichtung, führt.
Auch der Genuss eines Cappuccinos entsteht im Vergehen.
Wohl möglich aber bleibt eine Erinnerung. Gerade schreibe ich eine Haftnotiz für’s Hirn.
Ich sitze im Bett. Ich kann den Himmel sehen. Wolkenlos blau zeigt er sich mit Weite und Aussicht auf einen Schönwettertag.
Der Lärm der Baustelle nebenan erlaubt mir noch offene Fenster. Aber die Einfachverglasung in uralten, schön schmalen Holzfenstern kann ihm ja auch geschlossen nicht viel entgegenhalten.
Die Bedeutung dessen, was sich zugerufen wird, verstehe ich nicht. Sie gehen ihrer Arbeit nach.
Lohn gegen Arbeit. Das ist der Deal mit dem Chef. Was will er haben? Wirklich? In welches Nest setze ich mich – mehr oder weniger bewusst? Was will ich geben? Was will ich von ihm? Was soll er mir geben? Außer Geld?
Aber das ist ein anderes Thema. An das ich mich noch nicht mal vorsichtig ran tasten will. Nicht wirklich.
Ich habe heute Nachmittag Termine. Und sollte mich doch jetzt bewegen, statt gemütlich unter der warmen Federdecke zu sitzen bei Tee und Gelassenheit.
Worauf habe ich wirklich Lust? Kann ich mich lustig machen? Geht Lust ohne Unlust? Kann ich mir erlauben, jetzt Lust zu spüren und dieser, meiner Lust nachzugehen?
Nein, ich habe keine Lust auf inneres Genörgel. („Du willst nur fliehen vor uns Nörglern, Du solltest doch eigentlich… dies das besser sicher tun machen“)
Aber ich habe Lust auf’s Momente sammeln, halten und staunend betrachten.
Mal sehen, wo ich noch einen Moment des Nörglers finde – mitten im Einfachsein.
Macht er sich da etwa gerade verlustig? Ohne mich?
Ich geh‘ mal gucken. Vielleicht können wir was zusammen erleben?
Ich ihn und er mich da sein lassen. Also
Ganz und einfach sein = Ganzeinfachsein.
Rätsel
Hör auf zu suchen.
Du musst es nicht haben
finden
können oder halten
Aber
Du kannst es tun
Einfach
Schenken
Wenden
Entwicklung
Es ist vier Uhr nachts. Ich finde den Schlaf nicht mehr, aus dem ich komme. Milder Straßenlärm dringt durchs offene Fenster ein. Und Dunkelheit.
Ein Wort lässt mich seit gestern nicht mehr in Ruhe. Es ist wohl eine Frucht am Baum des – zumindest: Blogbeitrag – Werdens.
Nun ist es reif…
Was ich verstanden habe, war eine einfache Frage nach dem, wie es mir ergeht, was sich bei mir „entwickelt“.
Und ich habe ein Bild gefunden, das ich vermutlich irgendwann einmal in einem Comic gesehen habe:
In meinem Kopf zieht Obelix, so wie er nunmal ist, zwar gutherzig, kindlich naiv unüberlegt neugierig, aber tölpelhaft an den Bändern, mit denen eine Mumie eingewickelt ist. Die bereits gelösten weißen Bahnen füllen das Bild, fliegen durch die Luft, bilden Haufen am Boden. Das, was da entwickelt wird, ist nicht zu erkennen. Es wird durch den Zug wild herumgewirbelt und dabei immer wieder auf den Boden geschlagen.
Entwicklung findet bei mir irgendwie gefühlt passiv statt. Ich entwickele mich wenn, dann wohl so wie Obelix es täte.
Gerade stecke ich in der Hilflosigkeit des Bildes. Was kommt da zum Vorschein, wenn die Bänder weg sind? Ich habe Angst, das da nichts ist, was es zu entwickeln gäbe. Nichts, woran ich wirklich glauben könnte. Was von Wert wäre… Und keine Spur von Vertrauen, das ich es für / gut halten könnte.
Ich erinnere mich an eine Übung in der Klinik in Uffenheim. Die Übung fand in Dreiergruppen statt. DIN A 4 Blätter am Boden markierten einen Schritt der Entwicklung. Man wechselte sich ab: Ein „Helfer“ las vorgegebene Fragen nach persönlichen Leitlinien und Werten im Leben vor. Der, der die Übung gerade durchführte beantwortete die Frage laut und durfte einen Schritt weiter voran auf das nächste Blatt schreiten. Ein weiterer Helfer machte davon Notizen.
Mindestens zehn solcher Dreiergruppen führten die Übung gleichzeitig durch. Der Raum füllte sich mit Fragen, Antworten, Emotionen.
Ich war schon einige Wochen dort und spürbar innerlich aufgebrochen auf meinem Weg, der mich heute hier her an den Computer zum tippen dieser Zeilen gebracht hat. Einige Bahnen des Stoffes von Dämpfung und Schutz waren schon weg.
Ich weiß nicht mehr genau, wie die Fragen lauteten, aber ich erinnere mich noch gut daran, wie sehr sie alles, was mich zu halten schien, durchdrangen. Ich alleine für mich hätte mich ihnen und meiner Leere vielleicht noch vorsichtiger nähern können… so aber nicht.
Etwa nach der Hälfte, genauer gesagt bei der Frage nach meinen „Fähigkeiten“, brach ich die Übung ab.
Ich weiß gar nicht mehr, ob ich äußerlich als Helfer weiter da sein konnte. Es kann gut sein, dass ich das hinbekommen habe.
Innerlich jedenfalls war ich nicht mehr da, war, und das kann ich heute erstmalig in Worten erfassen, dem Druck des Leeregefühls erlegen.
In diesem Zustand sind die Gefühle Scham, Schuld, Verzweiflung wie eine Decke des Schutzes. Die Härte der Selbstentwertung passives Mittel des Haltes, die erste Leiterstufe auf dem Weg zurück.
Genau diese Erkenntnis lässt mich ein innerliches Aufatmen wagen. Ein neuer Blick auf das, was mein Hirn manchmal produziert. Es ist noch da zum Schutz, bis ich so weit bin, mich dem mutig stellen zu wagen, was da ist.
Neulich fasste ich beim Gespräch mit meiner langjährigen Hausärztin mein Erleben in mich hineinfallend mit „Ich bin so kaputt…“ zusammen. Worauf sie meinte, sie würde es eher so sehen: „…schon SO kaputt!!!“ Ich hätte schon so viel geschafft. Unser Lachen tat mir so gut.
Und ich freue mich sehr über dieses Bild vom mumienentwurschtelnden Obelix. Und ich kann mich auch erinnern, dass es im Comic kein ekeliges, verabscheuungswürdiges, totes Etwas war, was er da entwickelte.
Es war ein lebendiger Mensch.