konstruiert und kostbar

Mein Nervensystem hat da eine Macke in der Platte: Beim Gefühl, dass es sein könnte, dass ich, einfach so und irgendwie selbstverständlich „in Ordung“ sein könnte, wie andere Menschen auch, hat es einen Kratzer.

Manchmal springt es zurück in irgendwas Altes. Und manchmal hüpft es einfach hinein in etwas, das es sich nicht recht erklären kann.

Unverständlich wie unglaubwürdig – aber gerade im Spiegel einfach freundlicher Menschen so erstaunlich schön – fühlt sich beispielsweise das Gefühl für mich an, ihnen wie selbstverständlich eine willkommene Gesellschaft zu sein. Immer wieder neu. Unvertraut, irgendwie bemerkwürdig wohlig aromatisch wie vielleicht ein seltenes Gewürz aus fernen Landen auf dem Gaumen zu schmecken vermag.


 

Ich weiß, dass die Klingeltaste manchmal klemmt. Diesmal aber hebt sie sich ohne mein Nachhelfen wieder aus ihrem Rahmen – und dann summt auch schon der Türöffner. Mittlerweile kann ich mir fast an einer Hand ausrechnen, wie oft ich noch über diese schönen, alten Muster im Boden des Altbaus zum Treppenhaus gehen werde. Diesem folge ich dann Stockwerk um Stockwerk hinauf, bis die Stufen nicht mehr steinern, sondern hölzern sind. Die Türe dort oben ist angelehnt. Von drinnen erklingt ein freundliches „Halloho“ von Andrea und ich freue mich auf sie.

Und da ist er: „Mein“ Platz.

Andrea hat viele Stühle und sie weiß, wer am liebsten auf welchem sitzt. Mir passt ihr Hocker am besten und sie stellt ihn mir immer schon an die Wand, an die ich mich manchmal so gerne ganz leicht anlehne, nur um Kontakt zu spüren. Ich fühle mich an diesem Platz sicher – und nie im Weg.

„Nimm‘ Dir.“


Eines dieser wunderbaren Geschenke, die mir hier in Freiburg zuteil wurden, sind Maria, Cornelia, Susanne und Andrea, deren Einladungen zur Selbsthilfegruppe ich oft und immer wieder gerne gefolgt bin. Sie machten ihre Tür weit auf, verschenkten Raum und ihr Vertrauen. Eine Kerze brannte. Dazu gab es einen Tee, oftmals eine kleine Leckerei und immer ein „Fühl Dich willkommen, Karin, -Gefühl“ zum Probieren – Mal um Mal kostbar.

Danke, Euch.


Ich habe gefühlt ewig gebraucht, diesen Blogbeitrag abzuschließen. Er wurde einfach nicht rund, so sehr ich mich bemühte…

„Konstruiert wirkt er“, nörgelt es in mir.

Ja.

Stimmt. Ist er ja auch. Recht hat er, der Nörgler.

Passt ja auch zum Inhalt…

Und es ist einfach schön, dass mich unter anderem auch diese Macke in der Platte und die Lust auf dieses Gefühl mit diesen lieben Menschen in Verbindung gebracht hat.

Sich völlig unverhohlen dankbar zu fühlen schmeckt übrigens auch sehr lecker.

 

 

Abschied aus Freiburg – Fülle

Und nun nehme ich Abschied von Freiburg.

Noch steht der Entlassungstermin nicht fest. Aber das Abschied – nehmen steht an.

Und es fällt mir schwer.

„Erstmal Ausmisten“… ist immer ein guter Anfang, weil ich weiß, wie sehr es mir gefällt, auf übersichtliche Ablagen und Schrankfächer schauen und zugreifen zu können. Damit es leichter werde…

…so habe ich also meine Kalender vom letzten Jahr gefunden.

Im Lichte des Abschiedes ergeht es mir bei diesem Blick zurück manchmal schlecht. Ich hätte so viel verpasst, miesepetert es in mir. Ich hätte so viel mehr machen müssen und habe meine Zeit nicht ausreichend genutzt…

Jetzt aber fühle ich mich wohl. Ich spüre Freude. Und ich bin einfach so richtig gründlich dankbar.

Wie wohl in jeder größeren Stadt gibt es auch hier verschiedene Zeitschriften, die über alle Arten von Veranstaltungen informieren. Diese hatte ich mir zu Beginn meiner Zeit in Freiburg regelmäßig vorgenommen und, damit mir möglichst wenig entgehe, alles notiert, was mein Interesse weckte.

Nahezu täglich hatte ich, zusätzlich zu meinem Rehaprogramm, irgendetwas vor: Vorträge, VHS Kurse, Konzerte, Selbsthilfegruppe, Museumsführung… Freiburg bietet eine derartige Fülle an Angeboten für die Sinne, die Neugierde und die Lust, dass ich auf Dauer die doppelte Kraft, die dreifache Zeit und die Extraportion finanzielle Mittel gebraucht hätte – wenn nicht… wir wissen, dass es anders kam: Ab Frühjahr letzten Jahres jedenfalls ging es mit meinen kulturellen Exkursen schlagartig bergab. Zudem fehlte mir neben den Praktika während der berufliche Reha einfach oft auch die Kraft, um abends nochmal mein Rad zu satteln und die Stadt zu erkunden.

Ich war mutig. Habe Dinge ausprobiert, die mir „früher“ niemals in den Sinn gekommen wären.

Zum Beispiel fällt mir da mein Kurs im „intuitiven Singen“ ein. Da durfte ich mich in dieser Wiehrevilla willkommen fühlen und mich mitmachend ausprobieren – trotz meiner Stimme und meinen Hemmungen, zu singen. Und dann war da noch der Kurs über die kreativen Annäherung an die inneren Anteile. Ganz verrückt war das Tagesseminar, in dem ich beim „Haka“ – Ritual mitgemacht habe. Beim entsprechenden Wochenendkennenlernkurs habe ich bei „Tamalpa“ reingeschnuppert… und so meine hiesige Logopädin kennengelernt. Das in Freiburg und Umgebung sehr bekannte, alljährliche „ZMF“ (Zelt-Musik-Festival), im Tierpark Mundenhof habe ich 2019 mehrere Male besucht. Will man sich die Eintrittspreise sparen, setzt man sich unter die anderen Menschen in die warme Sommernacht und hört dem Treiben in den Zelten einfach mit Sicht auf den Sternenhimmel zu. Im Konzerthaus war ich auch zwei Mal… habe die Matthäuspassion von Bach und den Messias von Händel gehört – wobei ich bei der Erinnerung daran schmunzeln muss…. kann sich jemand vorstellen, dass ich, fast zentral hinter dem Dirigenten sitzend, beim Höhepunkt der Veranstaltung, dem stimmgewaltigen „Halleluja“ – Chor, eingeschlafen bin…?! Sowas kann man nur mit Humor nehmen!

Ich bin den Veranstaltern ins Konzerthaus des Freiburger Barockorchesters gefolgt, ins Münster und in viele andere Gotteshäuser, wobei mir dabei die Christuskirche in besonders lieber Erinnerung ist. Nicht wegen ihrer Architektur. Auch kann ich die Akkustik nicht wirklich beurteilen. Aber das Angebot der kleinen Kirche lockte mich einfach und die Kosten waren erschwinglich. Zum dortigen Bach Cello Solo Konzert auf Spendenbasis konnte ich sogar einige Mitrehabilitanden motivieren – und eine von ihnen blieb sogar noch nach der Pause :-).

Und ich erinnere mich auch gerne an die Lieder Schuberts, die ich dort gehört habe, sowie an den ersten Teils des Weihnachtsoratoriums von Bach für eine kleine Besetzung. Das war damals mein Trost, weil ich mir die „großen“ Aufführungen im Konzerthaus nicht leisten wollte. Ja… und da war da noch Mozarts Requiem. Was war ich glücklich, eine Karte ergattert zu haben! Und ich erinnere mich an die Tränen, die mir während der Aufführung vor lauter Berührtsein ob der schönen Musik über die Wangen kullerten….

Ich denke auch gerade an die Rückfahrten… Meistens nahm ich den Radschnellweg entlang der Dreisam und oft erwischte ich mich beim Nachsummen oder -singen gehörter Melodien. Es hörte mich ja niemand… 🙂

Ich lächele. Jetzt. Geschenke Freiburgs…

Vorstellungskraft

von der Macht der Vorstellungskraft in Zeiten des Umbruchs

Frühdienst. Die Kleidung von gestern geht nochmal. Arbeitsklamotten, staubig, aber bequem. Unten stehen die Gummistiefel. Ich stelle noch die Kaffeemaschine an, bevor ich rüber in den Stall gehe. Träge wedelnd begleitet mich der Hofhund.

Die Pferde schnauben aus tiefer Kehle – mir zu: Willkommen, Mensch!

Was für ein Gefühl… Willkommen, Gänsehaut!

Unruhe kommt auf. Routiniert öffnen meine Hände die Scharniere der Futtertruhe. Die Kelle verschwindet im Hafer. Eins, zwei, drei… Der Eimer leert sich in den Trog… gierig verschwindet der große Kopf des Kaltblüters darin, während sein Nachbar genervt mit seinen Hufen scharrt. Nichts dämpft mehr das Geräusch das erklingt, wenn schwerer Beschlag auf blank geriebenen Steinboden trifft.

Und dann das Malmen… wie sehr ich dieses Geräusch mag. Nein, ich bin nicht in Hektik – nur ist morgens einfach keine Zeit zum Lauschen. Das sanfte Rascheln des Heus entgeht meiner Wahrnehmung, wie so oft, fast gänzlich, aber sein Duft ist überwältigend. Schnell verstecke ich meine Nase im matt gewordenen Grün des letzten Sommers und atme tief ein, bevor die Morgenration mit einem Wurf in der Box verschwindet. Wenn das so gut schmeckt, wie es riecht… mmmh…

Die Ersten sitzen schon über ihren dampfenden Kaffeetassen. Der Chef weiß, was heute zu tun ist und verteilt die Arbeit. „Wir brauchen 30 Bund Radieschen – machst Du das?“

Mir wird schnell klar, dass ich schon wieder die eiernde Schubkarre genommen habe. Auf dem Weg zum Feld gehe ich in Gedanken durch den Werkzeugkeller…. vielleicht ist die Pumpe dort in dem rechten Stahlschrank?

Klar, das erste Bücken des Tages tut einfach weh. Ich weiß, dass es irgendwann besser wird. Die im Boden verbliebene Frische der Nacht leistet als Radieschenschmiermittel zuverlässig ihren Dienst. Und in den löcherigen Hinterlassenschaften der kleinen Rübchen wimmelt es von Leben: Regenwürmer, Larven, Käfer…

…wann hatte ich eingentlich zum letzten Mal saubere Fingernägel?… nur wegen seiner Belanglosigkeit verwundert registriere ich diesen vorbeiziehenden Gedanken.

Jetzt noch schauen, welcher Salat groß genug und noch nicht geschossen ist. Ein paar Gurken aus dem Gewächshaus sind auch reif für die Kiste. Viel Wasser fließt, bis die heutige Ernte im Lieferbus verschwindet.

Zeit zum zweiten Frühstück.

Die Pferde sind schon bei der Arbeit auf dem Acker. Das Misten geht mir leicht von der Hand. Ich schrubbe die Tröge und hole frisches Stroh vom Dach. Wie immer sehe ich Mäuse flitzen. Der alte Kater schaut ihnen unbeeindruckt hinterher. Er weiß, dass die nächste Gelegenheit kommt.

Das Unkraut wuchert. Zuerst die Setzlinge. Knochenarbeit.

Einfach an den Tisch setzen und reinlöffeln. Was bin ich froh, dass ich mich so oft vor dem Kochen drücken kann. Gerne kümmere ich mich stattdessen um den Abwasch.

Mittagspause. Danach noch eins, zwei Stündchen. Das muss für heute reichen.

Die Dusche ist frei. Wie gut sich das warme Wasser anfühlt. Steif schrubbel ich mir den Kopf. Frisch geduscht in sauberen, weichen Klamotten zu verschwinden ist mein täglicher Wellnessmoment.

Ich kann es genießen, zu liegen. Gut, dass es nicht so heiß ist heute. Kurz höre ich noch das Summen im Gras, bevor mir die Augen zufallen.

Gerne übernehme ich am Abend die Stallschicht. Und höre den Pferden ein Weilchen beim Kauen zu.


Der Schalter gibt klackend meinem Druck nach und löscht das Licht.

Wir sitzen noch ein bisschen draußen. Morgen ist wieder ein Tag. Das, was gesagt werden wollte, ist schon lange gesprochen. Gemeinsam schweigen wir noch etwas und hören dem Herrn Amsel auf dem Dachfirst zu, bis ich mich aufraffe und allseits eine gute Nacht wünsche. So liebe Menschen hier. Langsam glaube ich ihnen, dass ich willkommen bin.

Schwer heben mich meine Beine die Treppe hoch. Das Betreten der nervig laut knarzenden Dielen weiß ich schon lange zu meiden. Klackend senkt sich die Messingklinke und gibt den Weg in mein Zimmerchen frei.

Tut es gut zu liegen… Mein müder Körper, mein zufriedener Geist und ich sind einer Meinung. Einverstanden.

Einfach ein gutes Gefühl, hier zu sein.

 

Artikel verkauft

Es hat tatsächlich jemand darauf geboten!

Mir käme es wohl nicht in den Sinn, brutto 17,70€ für ein Paar Topflappen auszugeben – schon dieser Umstand setzt mich in Erstaunen. Umso mehr rührt es mich, dass es jemand tut. Denn scheinbar teilt da eine mir völlig fremde Person zumindest meine Idee, dass diese Dinger für irgendjemanden auf der Welt zu gebrauchen und zu diesem Zwecke ihren Preis wert seien. Möglicherweise gefallen sie ihr sogar?!

Mir dienen Handarbeiten in erster Linie zur anspruchslosen Beschäftigung und Ablenkung meines Verstandes, der sonst einfach tut, was er will – und mir manchmal einfach nicht gut.

Da ich schon mit Topflappen ausgestattet bin, biete ich seit Jahren immer mal wieder ein Paar bei Ebay zum Verkauf an. Den Preis summiere ich aus Materialkosten und einem kleinen einstelligen Betrag zur persönlichen Genugtuung. Bei diesem Päärchen hier jedoch habe ich richtig zugeschlagen und etwas mehr verlangt.

Sonst freue ich mich einfach nur, wenn ich etwas verkauft habe und stürze mich förmlich auf die notwendigen Arbeitsschritte um die Ware im geeigneten Verpackungsmaterial verschwinden zu sehen. Heute aber wurde mir dabei merkwürdig und spürbar weh zu Gemüte.

Sie waren ein bislang einzigartiges Modell. Ich hatte damals also nur eine farbenfrohe Idee von ihnen und machte mich irgendwann einfach an die Umsetzung.

Fülle ist ein zwiespältiges Ding. Einerseits macht mir schon die Vorstellung, bei guter Laune in volle Farbtöpfe zu greifen, draufgängerischen Spaß. Und ich bin gespannt darauf, was da zwischen Hand und Welt entsteht. Auf der anderen Seite der Stimmung, im Kreisel der Entwertung, fühle ich mich schon bei dem Gedanken an „Fülle“ (die eigentlich immer im Leben zur Verfügung steht) wie gelähmt – oder wütend, beiderfalls in Erstarrung versetzt.

Damals aber hatte ich Freude beim Wählen der Farben und bei der Realisierung meiner Idee. Ich brachte da was in die Welt und zustande – unbeholfen wie ein Kind, das etwas mit sich ausprobiert und es irgendwie vollbringt.

Wo steckt das Dilemma, das Nest der Wehmut?

Irgendwie gefallen sie mir schon… Und zu ihnen stehen kann ich nicht.

Sie waren nie das, in dessen Schein sie mich im Prozess ihrer Entstehung gesetzt haben… ( ja, ja… Das Ziel war nie der Weg 😉 )

Letztendlich fehlt es meinem Kritiker zudem auch an Sorgfalt in Ausführung der Arbeit, was als unverzeihliche Kopfnote zum Urteil „bloß weg damit“ führt.

Jedenfalls, nach diesen Zeilen der wertschätzenden Auseinandersetzung, gehen sie mir einfach leichter in den Briefkasten…

Ab in die Welt mich Euch – bringt Freude!

mutig

 

 

 

Nein, Danke

Es war ein eisiger Morgen.

Der verbleibende Rückweg von meinem Morgenspaziergang war auf eine kleine Distanz eingeschrumpelt. Nur noch über diese Brücke, dann entlang am Stadion, das kleine Stück zum Haus und die Treppe hinauf zum „Hinaus aus“ und „Hinein in“. Oder umgekehrt.

Ich nahm den Radfahrer wie in Zeitlupe wahr. Er kam mir auf der Rampe der Brücke entgegen. Sein Blick hatte sich gerade von seitlich hinten in Fahrtrichtung gedreht. Er schüttelte den Kopf. War es abfällig? Oder nur unverständlich rätselnd? Jedenfalls war mein Blick neugierig auf das, von dem der seinige scheinbar gerade abgelassen hatte.

Es war der Fuß der Brücke. Dinge lagen dort, die wild weggeworfener Müll zu sein schienen. Und…

…ja, tatsächlich: Da saß jemand! Aufrecht – auf dem Boden. Ich erkannte die Shilouette eines Rückens. Der Kopf war von einer Kaputze bedeckt und das Gesicht der Sonne zugewandt.

Es war eisig.

Mit meinen nächsten Schritten verwandelten sich Müll zu Habseligkeiten, der Fuß der Brücke zur Herberge, die Kälte zur existentiellen Bedrohung – und die ganze Szene zu einer Aufgabe meiner sonst alltäglich berührenden Befasslichkeiten.

Ich ging die Brücke hinauf. Wandte mich um. Ging ein paar Schritte zurück. Entschied mich wieder anders. Ging die Brücke wieder hinauf. Ein Stück weiter. Drehte mich um.

Fasste meine Entscheidung. Ließ die Mehrheit der Zweifel verniedlichend beiseite. Nahm stattdessen die Entschlossenheit, die mir, von irgendwoher kommend, zur Seite stand.
Hinab nahm ich die Stufen und erweiterte den Radius der Kehrtwende zum Fuß der Brücke ein wenig, sodass ich mehr mit der Freundlichkeit der Sonne, statt aus der Kühle des Schattens auf dieses still sitzende Wesen zugehen konnte.

Ja, ich hatte Angst. Nicht vor meiner Frage. Sondern von der Antwort.

Was ist, wenn…?

Wenn: „Ja“?

Was ist, wenn „Ja“ auf mein „das hast Du nun davon“ – also mein eigentliches „oh, NEIN! Nicht das…“ – meinen Geiz, meinen Kleinglauben, meine Verletzlichkeit – trifft?

Aber meine Entscheidung und die Entschlossenheit waren noch bei mir. Die Zweifel, flüchtig überdacht und schnell verworfen, oben auf der Brücke verblieben.

„Guten Morgen!“

„Guten Morgen!“ antwortete der bärtige Mann – fast erschrocken.

„Kann ich irgendetwas für Sie tun? Brauchen sie etwas?“

„Nein, Danke!“ die höfliche, ruhige Antwort wirkte sich sicher.

Aber mein Verstand zweifelte: Kann das möglich sein?

„Es ist so kalt. Ich wohne nicht weit weg. Kann ich ihnen etwas Warmes bringen? Eine Suppe? Ein Getränk vielleicht?“

„Nein, Danke!“ Einfach, freundlich  wie glaubhaft wirkten diese Worte auf mich ein.

 

Unnötig, wie ich war, ging ich wieder die Treppe hinauf und setzte meinen Weg fort.

Er brauche nichts.

Aber ich raffte – erstaunt wie gierig – alles beisammen, was ich greifen konnte.

 

 

Weilmussja

Vorgestern war es. Ich bin mit diesem Bild aufgewacht, das mich über die letzten Tage begleitet. Manches aus der Gefühlswelt lässt sich so schlecht in Worte fassen. Bilder helfen.

Und doch stimmen mehrere Dinge und etwas sehr, sehr wichtiges an diesem Bild nicht. Aber dazu später…


Das Bild war im Kern wie folgend:

Die steile, rostige Stahlwand eines Riesentankers zieht an mir vorbei und ich bleibe zurück.

Er zieht an mir vorbei und ich bin zurück gelassen worden.


Der Tanker Weilmussja

Ich war selbst lange, lange Zeit auf diesem Tanker. Und ich weiß, wie gut es tut, dort sein zu können. Der Tanker ist so sicher, hat dicke Stahlwände und vom Wellengang merkt man nicht so viel – wenn man sich nur genug anstrengt und anpassen kann an die eckigen Kanten – um so tiefer man sich in dem Tanker vergräbt, desto sicherer fühlt es sich an. Überall hat es Wände, Gänge, Richtungspfeile, Wegweiser, denen man folgen und sich unter all denen, die es genau so machen „müssen“, „richtig“ fühlen kann. Und ständig dumpft ein Nebel des beschwichtenden Mussjasoseingefühls durch die Ritze der Wände und benebelt die Sinne.

Der Tanker ist gefüllt mit sehr, sehr beschäftigten Menschen. Ihre Blicke sind gesenkt oder sie tragen Scheuklappen. Sie haben, selbst eingespannt in Kutschen, Peitschen in der Hand, die unentwegt durch die Luft zischen und mit einem schneidenden Geräusch ziellos – mal sich selbst und mal andere – treffen. Ihre Körper sind gezeichnet von der Last, die sie auf dem Tanker hin und her ziehen und nur selten finden sie einen Moment Ruhe. Dann blicken sie mit einem sehnsüchtigen Blick nach draußen. Aber ihre Sehnsucht zielt auf den stillen Horizont, nicht das Meer.

Ich war selbst auf diesem Tanker – habe den Schmerz gemerkt, den es bereitet, dort eingespannt zu sein – und ich war sehr, sehr gerne dort. Ich blieb beständig auf „Weilmussja“, weil es lange für mich gestimmt hat. Ich hatte meinen rechtmäßigen Platz – eingespannt peitschend wegweiserseiend – und füllte ihn aus. Ich durfte auf dem Tanker mitleiden – und tat es sehr gerne für das mir andernorts so schwer erlebbare „Ichgehöredazu-“ „Teilsein-“ Gefühl. All das Eingesponnensein auf „Weilmussja“ bringt so viel Sicherheit und Halt… Die Vorstellung, nicht mehr dazu zu gehören, macht gespenstische, fremde Angst – und die war größer als all die altbekannten Leiden, die das Leben auf dem Dampfer mit sich bringt.

Ein Teil sehnt sich schrecklich nach der Sicherheit auf „Weilmussja“ und spinnt sich zusammen, dort wieder irgendeine Nische ausfüllen zu können, nur um dabei sein zu können.

Aber ich bin abgerutscht. Ich weiß immer noch nicht genau, wie es dazu kam, aber die Stahlwand zieht an mir vorbei und ich bleibe zurück.

Ich gehöre nicht mehr dazu.

„Sie wollen da nicht hoch, Frau Nies. Da oben herrscht Krieg“, sagte Hr. Sch., mein Therapeut. Ja, ich weiß.

„Weilmussja“, Tanker, ich sehne mich nach Dir.

 


Und was stimmt nicht an diesem Bild?

  • 1. Ich trage – der deutschen Tankerflotte sei Dank – einen Schwimmreifen namens „Sozialstaat“ um den Bauch. Ich gehe nicht unter. Ich kann lernen, zurecht zu kommen im Meer.

Aber dieses „ich gehöre dort nicht mehr dazu“ Gefühl weckt dummerweise immer wieder die alte, kindliche Todesangst namens „ich werde als Last erkannt und zurück gelassen“ auf. Sie verstehen sich gut und paaren sich zu einem Scheinriesen.

Und den muss ich eben immer wieder als solchen entlarven – und erlösen von seinem so, so schmerzlichen Gefühl der Einsamkeit. Denn

  • 2. Ich bin zwar nicht mehr auf dem Dampfer. Aber ich bin nicht von allen guten Geistern verlassen :-).
  • 3. Es gibt mehr als nur Schwarz und Weiß. Es gibt viel Grau, das verbindet. So habe ich das „Weilmussja-Gefühl“ z.B. in diversen Praktika genießen können, ohne das Gefühl zu haben, daran zu Grunde zu gehen. Und das wünsche ich allen von Herzen, die da oben wuseln.

Krankenhaus

Ich habe es nicht lange ausgehalten.

Was heißt ’nicht lange‘?

Ich habe es für die Dauer einer guten Woche ausgehalten.

Was ist ‚es‘?

Das, was ich in der letzten Woche in meinem Praktikum im benachbarten Krankenhaus erlebt, gewertet und empfunden habe.

Ich habe in der Bettenzentrale und einen Tag mit der Mitarbeiterin in der Gebäudereinigung gearbeitet. Ich bin ein ums andere Mal in Stress geraten. Stress, dem ich nicht adäquat begegnen konnte. Ich konnte mich von dem, was ich erlebte, nicht distanzieren, reagierte mit fahrigem Getriebensein und unangebrachter Wut. Die nahezu verzweifelte Verärgerung widerum darüber drängte sich ständig und andauernd in den Vordergrund und fraß mein ‚inneres Ausgleichvermögen‘ auf.

Besonders heftig reagierte mein Nervensystem auf Mitarbeiter, die durch ihr hektisches Gestresstsein scheinbar auf die Arbeitsgeschwindigkeit ihrer Kollegen und die Stimmung im Team Eindruck machen und Einfluss nehmen wollten.

Bin ich am Ende auch so eine Mitarbeiterin?

Will ich das sein?

Nein.

 


 

Ich habe das Praktikum heute abgebrochen.

Ich hätte durchhalten können. Hätte mich wiedermal durchbeißen, anschließend auf die Schulter klopfen und mich über ein gutes Zeugnis werten können.

Ich habe das Praktikum heute abgebrochen.

 


„Sie brauchen sich nicht mehr so zu stressen, Frau Nies. Im Gegenteil. Ihre Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass sie nicht mehr in einen solchen Stress geraten.“

Es hat den ‚Flair‘ eines Krankenhauses und so viel Zeit gebraucht, diesem Satz Zustimmung und das notwendige Federübergewicht Einwilligung zu geben.

Die Entscheidung ist getroffen. Sie fällt.