Schuhe

Es ist Zeit, ein Hohelied auf meine Schuhe zu singen. Es handelt sich um das Modell Meindl Nebraska mit Goretex Ausrüstung. Sie waren vor ca. 600 Meilen noch recht neu. Jetzt sehen sie so aus:

Innen sind sie noch prima erhalten und die Oberfläche ist auch intakt. Aber die Sohlen sind schon recht abgenutzt und es wird deshalb langsam Zeit, mich von ihnen zu verabschieden.

Die wenigen Blasen, die ich hier hatte, habe ich meiner fehlenden Achsamkeit mir selbst gegenüber zu verdanken, nicht ihnen.

Ein Ersatzpaar habe ich in meiner Bouncebox.

Ob ich überhaupt noch ein weiteres Paar brauchen werde?

 

Bishop

Ich bin gestern Morgen dort am Rande des PCT aufgewacht und wusste, dass ich nicht nach Kennedy Meadows wollte. Ich wollte umkehren und tat das auch.

Meine Idee war, mit Matthias zu reden, der einen Teil der High Sierra durchquert hat und sich nach diesen Erfahrungen dort auch mit Abbruchgedanken trug. Er hatte nichts dagegen, also habe ich mich auf den Weg gemacht. SEHR viel Glück beim Trampen ermöglichten es mir, die ca. 160 (!) Meilen nördlich entfernte Stadt um ca. 10 Uhr erreicht zu haben.

Bishop ist ein Touristenziel. Was genau hier diese Stadt den Reisenden bietet, ist unklar, aber es könnte mit der Lage zu tun haben:

Nun bin ich also hier und habe ein bisschen Abstand von der Schwere der zu treffenden Entscheidungen.

Aber ich weiß, die holt mich schnell wieder ein.

heyhouwayougoin?

„1,9 miles behind Walker-Pass“, sagt die App. So weit bin ich gekommen. Auf einem Stein hier an kleinen Bergkamm mit überwältigender Aussicht saß ‚Double‘ und frug mich das übliche „heyhouwayougoin?“. Es klang so gar nicht desinteressiert wie üblich, also sagte ich ihm, dass ich mich gerade vom PCT verabschiede. Nach paar Sätzen bekam ich eine warme Umarmung geschenkt. Ich ging weiter, fühlte aber deutlich, eigentlich nicht alleine sein zu wollen, und kehrte um. Ob ich bleiben dürfe? Klar! So schauten wir gemeinsam den Sonnenuntergang an und teilten uns Musik über einen Splitter am Kopfhörer. Nun liegen wir ca. 5 Meter voneinander entfernt, machen Cowboycamping bei Vollmond und sternenklarem Himmel. Der Wind bläst. Es ist kühl. „All right…“ sagt John, 27 Jahre alt, und wünscht mir auch eine gute Nacht. Und dass ich einen Weg finden möge, mit meiner Einsamkeit klar zu kommen.

Danke.

…und ich hör‘ noch ein bisschen Musik vom Wind in den Bäumen.

Auf Wiedersehen?

Es ist ca. 15 Uhr Ortszeit. Meine beiden Freunde haben sich noch nicht mal verabschiedet. Ich bin alleine unter Vielen.

Bei der Entscheidung zum PCT spielte eine Rolle, dass ich dachte, hier sei ich nie so richtig alleine. Das stimmt zwar, leider fühle ich mich hier so schrecklich einsam, das es trotz dieses wunderbaren Weges mehr und mehr zur Qual für mich ausartet. Ich bin alleine und das ist hier, kurz vor Kennedy Meadows, wo alle in Paaren oder Gruppen ankommen und gehen, besonders schmerzvoll für mich. Will nicht ‚Hiker‘ sein, sondern ‚Karin‘. Will willkommen sein, nicht geduldet. Ich will all diese Entscheidungen, die jetzt getroffen werden müssen, nicht alleine treffen. Wohin springen, in welche Richtung gehen, was mitnehmen, was kaufen, was wohin schicken? Ich habe mich und meine Ratlosigkeit satt, halte es nur mit Telefonaten nach Hause noch mit mir aus.

Ich werde wohl heute wieder auf den Trail gehen. Um ihn nochmal zu spüren. Um mich zu bedanken. Um mir vielleicht noch eine Chance zu geben. Wahrscheinlich, um mich zu verabschieden.

Damit die Qual ein Ende hat.

Und mich die Leichtigkeit wieder besuchen will.

Guter Tag – Donnerstag, der 8. Juni

Es ist 21:52 Uhr. Ich liege im Cowboycampingbett, die Grillen zirpen.

Ein guter Tag liegt hinter mir.

Schon morgens fühlte ich mich besser beieinander. Ich hatte Lust auf Kaffee und bin früh losgezogen. Das Frühstückslokal war mit Wanderern überfüllt, sodass sie sich irgendwann sogar an meinen Tisch setzen mussten und ich zu einer kleinen Unterhaltung kam. Richtig gut war es, Hunger zu spüren: Nachdem die Lust auf ’süß‘ gestillt war, gab es noch Rührei mit Bratkartoffeln und Ketchup.

Ich war morgens ein bisschen einkaufen und dann wieder am Campingplatz, habe mittags dem leckeren Burrito genossen und bin nachmittags dann alleine mexikanisch essen gegangen. Da habe ich den Vogelkundler wiedergetroffen, der mich neulich beim Trampen mitgenommen hatte und wir haben uns eine ganze Weile lang nett unterhalten – soweit das mit meinem mangelnden Englisch möglich war.

Dann habe ich noch richtig viel Geld für meine Ernährung ausgegeben: Es gab Protein- und Ekektrolytepulver, sowie Mandelmus.

Zwischenzeitlich ein Telefonat mit zu Hause und liebe Emails…: Wellness für die Seele!

Zurück auf dem Campingplatz gab es ein völlig überraschendes Wiedersehen mit Rene und Randy: Was für eine Freude! Den Texaner Randy habe ich ganz am Anfang mit seiner Schwester in San Diego getroffen. Und Rene aus Deutschland begleitet ihn, nachdem diese Schwester verletzungsbedingt eine Pause machen musste. Habe die beiden vor einer ganzen Weile mal in Hikertown und Big Bear getroffen und mich so richtig gefreut, sie wiederzusehen. Abends sind wir noch ein Bier trinken gegangen und ich werde nicht morgen früh den Bus zum Walker Pass nehmen, sondern erst mit ihnen frühstücken gehen.

Man muss die Feste feiern, wie sie fallen!

Der erste Veganer

Ich bin gerade zu einem veganen Burrito eingeladen worden: Tacos, Kidneybohnen, Salat, Avocado, Tomate, Gewürze, Hummus, Omega 3 Mehl.

Oh, war das lecker!

Der Spender namens Austin ernährt sich seit 1-2 Jahren vegan. Es sei einfach gesünder. Er kommt prima klar auf dem Trail, hat keinerlei körperliche Probleme. Unterwegs nimmt er Tacos mit Erdnussbutter, Oreos, getrocknetes Obst und Gemüse, vegane Fertiggerichte, veganes Proteinpulver und solche Sachen mit und hat sich entsprechende Pakete voraus geschickt. Wenn er in einer Stadt ist, gibt es so leckere Sachen wie gerade eben.

Ich bin begeistert!

Eine Aussicht: 22. Juni

Von Tine, Belgierin, und Susi aus München hatte ich schon berichtet. Die beiden haben sich zu einem richtig guten Team entwickelt und machen gerade mehrere Wochen Schneeschmelzen-Urlaub auf Hawaii. Sie werden am 22.Juni nach Portland zurück fliegen und von der Stadt Cascade Locks an der Grenze zwischen Oregon und Washington südwärts den PCT fortsetzen.

Sie haben mir eine Einladung gesendet, sie ab dort wieder zu begleiten.

Das freut mich sehr.

Aber ich habe auch Angst, ihr Tempo nicht halten zu können und das fünfte Rad am Wagen zu sein. Aber was kann ich, verglichen mit meiner jetzigen Situation, schon verlieren?

Momentan liegt dort im Norden noch Schnee, auch wenn die Berge nicht so hoch sind. Und warum südwärts? Naja, wenn man dann die High Sierra erreicht, ist der Schnee auch da hoffentlich weg, die Flüsse sind wieder passierbar und man selbst ist wieder so fit, das man die Berge und das ständige Hoch und Runter schafft. Die Idee hat also ihren Reiz. Und wenn man danach noch immer nicht genug sowie Zeit übrig hat, kann man in Washington wieder nordwärts Richtung Canada einsteigen.

Die Verbindung nach Portland kenne ich dann vielleicht schon: Ab hier, Isabella Lake, nur 24 Stunden Busfahrt!

 

Mich ertragen / Gepäck tragen

Mittwoch, der 7. Juni 2017, 7:05 Uhr

Lake Isabella. Gestern habe ich fleißig gegessen, habe mich für Salat mit Surimi entschieden statt für Pizza, für Orangensaft statt Bier dazu. Ich habe das eine oder andere kurze Gespräch geführt.

Soweit ist meine Bereitschaft, mich um mich selbst zu kümmern.

Wenn ich an den PCT denke, werde ich immer unsicherer, ob ich es schaffe, weiterzugehen. Ob ich den Rucksack tragen kann. Ich will mich von meinen Luxusgütern wie dem Solarpanel nicht trennen, würde gerne auch wieder den vorgeschickten Kindl Reader mitnehmen, obwohl ich ihn kaum genutzt habe. Muss einen Bärenkanister einplanen, sowie Sandalen und die Mikrospikes. Sollte vielleicht an ein Handtuch und muss an mehr Verpflegung denken.

Ich merke meine Unlust, mich Strapazen auszusetzen. Ich will es gerne leicht haben.

Auch das kenne ich von meinem Leben. Anstrengungen müssen von baldigem Erfolg gekrönt sein, durch Anerkennung in jeglicher Form. Fühle ich mich zu schwach, werfe ich das Handtuch, fliehe ins Essen, unter die Bettdecke oder jammere meinen Lieblingsmenschen die Ohren voll.

So würde ich es auch gerne mit mir leicht haben. Meine mich quälenden Gedanken ‚weghaben‘. Gut gelaunt, zuversichtlich, beschwingt sein.

All das bekomme ich hier zu spüren.

Ich kann vielleicht hunderte von Euro ausgeben und das Gewicht meines Gepäckes reduzieren. Aber meine Bereitschaft, mich Strapazen auszusetzen, mich meiner Bequemlichkeit zu stellen? Die ist nicht käuflich zu erwerben.

Zumal die körperliche Anstrengung meist auch die psychische Entwertung zur Folge hat.

Also gut: Eine Möglichkeit wäre, die Strecken zu reduzieren, mich nicht mehr so auszulaugen. Aber was fange ich mit dem Rest des Tages an? Ich werte mich über meine Leistung. Leiste ich nicht genug, fangen die Zweifel an. Laufe ich weniger Strecke, muss ich mehr tragen: Verpflegung und Freizeit, vor der ich Angst habe.

Dilemma.

Lake Isabella – was macht die da?

…naja, erstmal: Nicht schlafen können. Es ist 00:30 Uhr und mir geht so vieles durch den Kopf. Nebenan eine Straße. Der Hund ist glücklicherweise wieder eingeschlafen. Es ist warm, der Campingplatz voll.

Ich zahle 5 Dollar pro Nacht, Dusche inclusive. Es gibt freies WLAN, ein „Wohnzimmer“ mit Handylademöglichkeit und Fernseher (der rund um die Uhr läuft). Viele schattige Sitzbänke, eine Feuerstelle und zwei Waschmaschinen sowie Trockner.

Mich erwarten zwei selbst vorgeschickte Päckchen mit Dingen wie Kindl Reader, Sandalen, Pulli, usw., die ich gerne um- oder aussortieren würde. Dazu habe ich mir ein paar Sachen bei Amazon bestellt, die spätestens übermorgen da sein sollten.

Lake Isabella ist günstig gelegen. Westwärts fährt ein Bus Richtung Bakersfield und Richtung Osten über die PCT Kreuzung Walker Pass nach Ridgecrest. Rechts und links der Sierra führt ein Highway entlang. Je nachdem, wo ich einsteigen möchte, kann ich mich hier also entsprechend entscheiden.

Nordöstlich hinter Ridgecrest liegt Lone Pine. Dort gibt es einen guten Outdoorusrüster. Ich plane, mit all meinem Kram zu ihm zu gehen und ihn zu bitten, meine Ausrüstung hinsichtlich des Gewichtes und der kommenden Meilen zu optimieren. Das kann ein paar hundert Dollar kosten, aber die Steigungen werden härter und der Bedarf an notwendigen Dingen auch (Verpflegung, Gaskartuschen, mehr und andere Kleidung, wieder Minispikes, Bärenkanister).

So ist der Plan. Erstmal.

Liebe zu meinem Weg – Ja zu….

…den vielen freundlichen, hilfsbereiten Menschen, denen ich begegnet bin. Das wäre mir nicht passiert, wenn ich topfit und dabei wäre, den Thruhike-Zeitrekord zu brechen.

…dem Satz, den mir mein Bruder neulich geschickt hat: „Der Weg ist wie das Leben“. Es ist so, wie es ist. Ich bekomme es nicht anders hin. Es ist mein Weg, ob ich ihn so haben will, oder nicht.