kleinleise

Sommer 2017, Hochwasser im Harzvorland: Ich packte mein Zelt und den Schlafsack in den Dacia, fuhr zum Baumarkt, kaufte Schaufel, Straßenbesen, Eimer und Gummistiefel und machte mich auf den Weg. Ich wollte helfen, aus meinem Getriebensein eine Tugend, sie und mich irgendwie nützlich machen. Und ich fand meine Idee richtig gut.

Kurz: Es war eine Schnapsidee. Niemand brauchte einen einzelnen Menschen dort.

So passte das „Außen“ perfekt zum „Innen“: Alles überflüssig 😉

 

2021 starre ich auf die Bilder der Folgen vom Tief Bernd in der Eifel und in NRW.

Gefühle von damals tauchen auf: Die Betroffenheit. Die Fassungslosigkeit.

Dieses unsägliche, schambesetzte „puh-nochmal-davon-gekommen-Gefühl“.

Und die Lust, mich in Gesellschaft hilfreich fühlen zu wollen. Mit anpacken zu wollen. Dabei zu sein, wenn durch Gemeinsamkeit etwas Besonderes geschaffen wird… „Klar“, spottet es höhnisch in mir. „für die kleine Prinzessin Fr. N. muss es natürlich was Besonderes sein…“

2021 reichen mir zur Genugtuung der Versuch des Mitgefühls und eine winzige Überweisung.

Und, an den Spötter gerichtet: Für die „kleine Prinzessin“, wie Du sie nennst, gibt’s diesen Blogbeitrag. Denn sie will nicht das Besondere. Sie glaubt nur, es müsse immer wieder ein großes Wagnis sein, sich zumuten zu dürfen für ein Gefühl, dabei sein zu dürfen – Teil zu sein, womöglich willkommen, statt überflüssig, zu viel und Last.

Die Scham übernehme ich.

 

Pony

Ich suche schon den ganzen Morgen.

Und ich kann es nicht finden.


Mit diesen Worten beginnt der Blogbeitrag, den ich vor ein paar Tagen geschrieben habe. Ich war sehr verzweifelt in diesem Moment.

Verzweiflung ist Ausdruck der Hilflosigkeit.

Mit der Verzweiflung etwas anfangen, also darüber schreiben zu können, war demnach schon für sich ein Ausweg. Zudem hat sich mein Verstand mit dem Erleben befasst und hat, wie er glaubt, Erkenntnisse gewonnen, die mir vielleicht in Zukunft zur Mustererkennung dienen können.

Und für einen Teil in mir ist es eine glaubwürdige Befürchtung, seine Wahrheit also, dass ich mich durch die Veröffentlichung des Beitrages zu sehr zumute. Also durch zu mutiges Vertrauen eine Entfremdung riskiere, die ich lieber bei mir behalten möchte 🙂

Aber das ist schon wieder ein Thema für sich…

Worum ging es in diesem Beitrag, den ich lieber für mich behalte? Sein Titel ist „haben müssen“.

Grob gesagt ging es um das Gefühl das „man“ hat, wenn man, trotz mehrstündigem intensiven Suchens, sein Portemonnai mitsamt aller Karten vermisst. Nicht nur das. Die ganze Situation wird permanent und lautstark mit abfälligen, verletzend entwertenden Schuldzuweisungen kommentiert von einem Kritiker, von dem man eigentlich glaubt, Anerkennung zu benötigen oder zumindest von der man sie sich sehnlichst wünscht.

Vorstellbar?

Diesen Gefühlscocktail meine ich. Den hatte ich neulich. Davon habe ich geschrieben.

„Wie einfach sich diese Worte schreiben lassen“, denkt mein Verstand.

Jetzt nach ein paar Tagen kann ich tatsächlich erstaunlich distanziert darüber schreiben. „Ernüchtert“ kommt mir in den Sinn.

Denn man stelle sich vor, dieser Umstand des Verlustes trete ohne greifbares, sichtbares Objekt auf.

Verzweifelte Suche nach etwas, ohne zu wissen, was es ist.

Es war das Gefühl, etwas nicht finden zu können, weil man nicht weiß, was es ist, zudem davon bedroht, weil man zu wissen glaubt, es haben zu müssen.

Mir fehlte ein Gefühl. Ich glaubte, mit aller Not und Verzweiflung, ich müsse etwas fühlen können, von dem ich gar nicht richtig weiß, was es ist.

Mit dem Schreiben von dem Druck, den dieses Erleben machte, fand ich Distanz.

Verknüpfte einen möglichen Auslöser (Familienbesuch), den Ursprung (unerfüllte Sehnsucht) und eine theoretische Lösung (Einverstandensein durch Anerkennung der Unlösbarkeit des Problems).

Das Gefühl, es haben zu müssen, war wahr. Und das Gefühl, es nicht haben zu können auch.

So wie damals…


Als Kind glaubte mein Nervensystem mit derselben Verzweiflung mal, ein Pony haben zu müssen. Ein eigenes Pony war für mich allen Ernstes (!) die Lösung aller meiner Probleme.

Weit gefehlt.

Und Trost für heute.

 

Geburtstagsgeschenk

Ich wusste, sie kommt später noch zum Kaffeetrinken. Es war klar, sie kommt nicht zu mir, ich würde aber mit am Tisch sitzen. Und ich wusste, sie hat Geburtstag.

So deckte ich den Tisch mit einer Tischdecke ein, erfand Gründe, warum bestimmte Tassen vielleicht doch zu den Mustern oder Farben eigentlich völlig unpassender Teller passen könnten, suchte Servietten aus. Fand eine kleine Kerze in Blütenform und ein passendes Gefäß dafür. Freute mich darüber, dass sogar das Feuerzeug so schon bunt war. Füllte die Kaffeemaschine auf…

Alles war rechtzeitig fertig.

So hatte ich Zeit genug, um eine gemütliche Radfahrt zum Bahnhof zu machen. Rein zufällig hatte ich tags zuvor die Blütenpracht auf den ungemähten, wild bewachsenen Parkplatzrändern entdeckt und die Idee gehabt, ihr dort ja einen Geburtstagsstrauß pflücken zu können.

„Mit zunehmenden Alter werde ich immer komischer…“, kommt mir jetzt der Gedanke. Denn ich habe in diesem Jahr, soweit ich mich erinnere, noch keine Blume gepflückt. „Sie gehören in die Natur“, lautet mein Argument. Und dass es zu eigensinnig sei, sie nur für mich da raus zu holen.

Und was hatte ich eine Freude dabei, diesen Strauß zu sammeln!

Herauszufinden, welche Farbe noch fehlt und welche der vielen Blüten denn die Richtige für den Strauß sei… schauen, dass ich die weniger vertretenen Sorten schone usw.

Ich konnte mir die Freude gönnen, weil ich ihr eine machen wollte.

Anschließend fuhr ich dann auch noch in eine ganz andere Ecke Wetzlars, weil ich wusste, dass da ein Feld mit hunderten von echten Kornblumen war…

Ich war einfach einverstanden und zufrieden mit dem, was ich tat. Und stellte keine übertriebenen Ansprüche an mich.

Mein Geschenk zu ihrem Geburtstag.

Pfannkuchengeschichten

Gerne wie gewöhnlich gibt es bei mir zum Frühstück warmen Haferflockenschlonz mit einer Portion Obst. Zur Abwechslung spiele ich mit verschiedenen Gewürzen oder raspele Zucchini hinein, wenn der Glaube, sonst nicht genug zu bekommen, mal wieder übermächtig ist. Aber neulich hatte ich Lust und Muße, mich zu verwöhnen. Mir fiel ein Rezept ein, das ich vor kurzem in einem Kochbuch entdeckt hatte.

Ja, es durfte etwas Besonderes sein: „Pancakes“.

Früher, bei Mutter, wie auch bei der Großmutter, gab es sie pfannenfüllend groß und flach. Ich erinnere mich gerne daran… Wenn ich mich nicht irre, gab es sie selten. Meine Mutter kochte wegen ihrer Berufstätigkeit nicht mehr so oft und wenn, dann eher etwas, was auch mein Vater mochte – was bei Pfannkuchen nicht der Fall war. So hatte es immer etwas „Besonderes“, wenn die Mutter in der Küche stand, einen Pfannkuchen nach dem anderen buk, und jedem der Kinder, reihrund, einen davon frisch aus der Pfanne, heiß und duftend, auf den großen Teller legte. Wir streuten meist Zucker darauf, rollten ihn auf und schnitten ihn wie Apfelstrudel.

Warum schreibe ich hier also „Pancakes“ und bleibe nicht bei „Pfannkuchen“?

Weil mich das Bild im Kochbuch an meine Zeit auf dem PCT erinnert hat. Auch dort habe ich mich, wenn möglich, manchmal, mit einer Portion Pancakes „verwöhnen lassen“ (- oder ist dieses Wortgebinde 1:1 mit „getröstet“ ersetzbar? – Egal).

Ich habe sie bestellt, sie standen vor mir, heiß und duftend, und ich konnte genießen. Ich erinnere mich bis heute gut daran. Sie werden dort klein gebacken und sind dicker als „Pfannkuchen“. Dazu wurde Butter und immer Ahornsirup gereicht… sämig sanft tropfend und solo, für sich alleine, viel zu süß.

Ich habe also für mich, für ein gutes Gefühl gesorgt, für etwas, das ich genießen konnte. Ich konnte etwas für mich tun. Ein Moment des Einsseins.


Daran erinnerte ich mich… neulich am Pankuchentag…

…und genau dort dazwischen… auch daran:


Es war an einem späten Vormittag Anfang letzten Jahren und es war ein sonniger Tag. Ich hatte meinen Praktikumseinsatz bei der Abfall- und Stadtreinigungsdienst Freiburg („ASF“) zu dieser Zeit beim Team in Stadtteil Littenweiler. Im wöchtentlichen Rhythmus, je nach Bedarf wurden Parks und Straßen abgefahren, geleert, gesammelt, gemäht oder gekehrt. Ein Augenmerk lag auch immer auf den Glassammelcontainern und dieser, dort hinter dem Edeka ganz am Ende der Schwarzwaldstraße, war nach kurzer Zeit selbst mir auch schon bekannt als prominente Fremdmüllablagestelle, die wir (wenn ich mich mal als zeitweilig dazugehörig betrachten darf…) zu säubern hatten. Meist handelte es sich um ausgediente Möbel oder Kleidung in löchrigen Tüten, die nicht selten durchnässt und verdammt schwer auf den Kipper zu hiefen waren.

Stand ich also vor einer Ecke mit Kartons und Müllsäcken machte ich mir allenfalls Gedanken darüber, wie ich sie am geschicktesten und unbeschadet auf die Ladefläche verfrachten könnte…

Siggi, Rudi und Fred hingegen waren zwar mit vielem in der Welt nicht einverstanden, mit sich aber immer und sie versahen damals bereits zweistellige Jahre lang ihren Dienst bei der ASF, zudem viele dieser gemeinsam. Sie kannten nicht nur einander und ihren Bezirk gut, hatten ihre Körper und Werkzeuge fest im Griff, sie hatten auch den Blick für den Abfall geschärft…

So hielt mir Rudi an diesem Tag eine große Plastiktüte unter die Nase: „Schau‘ mal, was die Leute alles wegwerfen!“ Ich tat also, wie mir geheißen – und wunderte mich sogleich, denn: Haushaltsartikel, abgestellt an Glasmüllcontainern, waren ja nicht gerade so etwas Besonderes. Auf den Grund seines Erstaunens musste ich also noch mit der Nase gestoßen werden:

„Dähsch is AMC Zeuggs“

Ich denke gerne an die Zeit bei der Abfallentsorgung Freiburgs. Danke, Ihr Lieben, deren Namen ich hier geändert habe (nicht nur, weil ich sie teilweise schon vergessen habe…). Danke für den Blick hinein, den ihr mir gestattet habt. Darunter den in diese Plastiktüte…

…aus der ich damals diese flache, schwere Henkelpfanne fischte, in der ich mir heute so leckere Pfanncakeskuchengeschichten backen kann.

 


…und wer noch nicht genug davon hat:

Ich konnte mich sehr gut an folgenden Beitrag unten entsinnen, vermutlich wegen des Bildes mit dem tropfenden Ahornsirup:

aber das Suchwort „Pancakes“ führte überraschenderweise noch zu weiteren Treffern in diesem Blog – alle auf dem PCT verortet:

Essfreizeit

Nach neunzehn Tagen merkte ich beim Radfahren, dass mir mehr und mehr die Kräfte schwanden. Die Etappen waren nicht kürzer geworden, aber ich brauchte Pausen und immer öfter mied ich auch die kleinsten Steigungen oder ich musste wegen meiner zustande gebrachten Geschwindigkeit akut befürchten, von gerade erst passierten Spaziergängern in Schrittgeschwindigkeit überholt zu werden…

Ansonsten ging es mir weiterhin gut. Und ich hatte mir gesagt, dass ich dann aufhöre zu Fasten, wenn ich mich gut fühle. Wenn sich der Zeitpunkt richtig anfühlt. Und wenn ich einen klaren Plan habe, wie es mit meiner Ernährung weiter gehen soll und kann.

Als ich vor neunzehn Tagen morgens auf der Waage stand, fühlte ich mich, wie von einem harten Schlag getroffen, aus irgend einem Traum wachgerüttelt: Ich erkannte deutlich, wie hilflos ich mich wieder in meinem gestörten Essverhalten gefangen fühlte. Und weil ich schon oft im Leben viele Kilos ab- und wieder zugenommen habe, konnte ich mir denken, wohin mich dieser Strudel wieder bringen würde.

Die Zahl auf der Waage gab den Ausschlag, endlich zu dem Werkzeug „Fasten“ greifen zu können: Fasten als Strategie, vom krankhaften Essverhalten Abstand zu gewinnen. Ich wollte dem Darm und seinen Bewohnern eine Pause gönnen und dann ganz von vorne anfangen.

Die ersten Tage waren nicht einfach. Ich erinnere mich besonders an diesen einen Tag, an dem ich bis nachmittags im Bett lag. Eingepackt in Selbstverachtung. Es dauerte lange, bis ich mich überwinden konnte, um Hilfe zu bitten. Wen oder was auch immer. Einfach schweigend ins Leere.

Um etwas zu Bitten ist ein Ende der Ohnmacht.

Es brachte mich zum Aufrichten. Ich saß. Ich spürte Linderung indem ich einfach saß. Und später dann tiefe Dankbarkeit über dieses Erleben von Erleichterung.

Bei einem Telefonat am Abend hörte ich von einer Freundin, dass man beim Fasten auch seelisch entrümple. Dieser Gedanke half mir noch ein bisschen weiter, diesen Leidensmodus in anderem Licht zu sehen. Denn noch ein paar Tage zuvor hätte ich ihn nicht einfach ins Leben gelassen. Bei allem Unbill oder gar nur, weil sonst alles mühsam schien, aß ich. Eine alte Gewohnheit, die mir schon in Kindertagen geholfen hat: Essen zur Belohnung, zur Beruhigung, zur Selbstbesänftigung, zum Trost und zur Füllung jedweder Leere – bei Sehnsucht oder Langeweile, egal. Essen dämpft alles.

Und die anschließende Selbstkasteiung durch Schuldvorwürfe und Entwertung halten den Kreislauf aus Selbstverurteilung und zwanghaftem Essen in Schwung.

Nach diesem Tief in den ersten Tagen ging es deutlich bergauf mit meinem Befinden. Ich konnte wieder klarer denken und freute mich darüber, wie einfach das Leben während des Fastens ist: Kein Gedanke an Ladenöffnungszeiten, Kühlschrankfüllung oder Sonderangebotsjagden. Kein Rätseln über Zeitpunkt, Mengen und Inhalten von Mahlzeiten.

Mein Geschmack änderte sich: Statt mehreren Tassen Kaffee täglich gab es Tee. Statt zwei Beuteln Tee pro Kanne, teilweise mit Süßstoff, verdünnte ich mir nun die gleiche Menge ungesüßten Einbeuteltees mit reichlich Wasser. Meine ständig Lust auf „Verbotenes“ war weg. Und Hunger hatte ich nie.

Der so zwingend erlebte Gedanke „Ich MUSS jetzt was essen!!!“ löste sich in Luft auf.

Was für eine Erleichterung!

Nun esse ich schon den dritten Tag wieder. Meine Entscheidung, keinen Zucker (sowie keine Zuckerersatzstoffe) und kein Weißmehl mehr zu mir zu nehmen, Obst auf zwei handvoll täglich zu reduzieren und ab nachmittags möglichst keine Kohlenhydrate mehr zu essen, fühlt sich gerade sehr gut an. Wo ich vor ein paar Wochen noch bei jeder Bäckerei darüber nachdachte, was ich mir denn darin holen könnte, kann ich sie zur Zeit einfach an mir vorbei ziehen lassen: Sie haben nur Dinge im Angebot, mit denen ich nicht umgehen kann. Und sie haben nichts von dem, was ich wirklich möchte.

Ich möchte ein gutes Gefühl haben beim Essen.

(…und damit meine ich nicht das extrem kurzfristige Gefühl einer befriedigten Ersatzgier beim Biss in ein Sensationssüß…)

Ich bin dankbar dafür, so viel freie Zeit zu haben – und der Aufbruch in die neue Ernährungsform fühlt sich ein bisschen an wie die Reise in ein unbekanntes Land. Ich stelle es mir freundlich und einladend vor. Als Reiseführer dienen mir verschiedene Kochbücher, die ich in der – endlich wieder geöffneten – Stadtbibliothek für mich entdeckt habe. Ich bin gespannt darauf, was ich noch alles ausprobieren werde… Heute gab es eine Geschmacksexpediton in Form von frisch gemahlenen Fenchel-, Kümmel- und Anissamen, sowie mildes indisches Gewürzpulver, geschmort in Kokosöl als Basis für ein Curry aus Kokosmilch, Mandelmus, Süßkartoffel und frischen Gemüsen…

Das war echt lecker!

 

Impftermin

Ich habe einen Impftermin.

Und mein Gefühl meint, ich müsse mich dafür entschuldigen.

Meinem Verstand weiß genau, dass ich nicht das Gesetz gemacht habe, welches mich in die Gruppe der Impfberechtigten sortiert. Deshalb ist mir schon auch klar, dass die Schuld nicht berechtigt ist, mich so zu piesacken.

Wie aber werde ich sie los, die ja spürbar da ist, berechtigt oder nicht, ob ich will, oder nicht?

Ich werde sie gar nicht los. Sie will von alleine gehen dürfen und wird das auch tun… (oder auch nicht…).

Die Frage ist also: Wie mache ich mir das Leben leichter?

Ich versuche, mich von dem Gefühl zu distanzieren. Also ihr, der Schuld, zuzuhören, ohne sie zu vereinnahmen, sie zu meiner zu machen.

Vordergründig meint sie, Menschen, die arbeiten gehen, sollten zuerst geimpft werden. Sie sind schließlich diejenigen, die den Sozialstaat zusammenhalten. Wir (zumindest die körperlich fitten…) Nutznießer dessen können uns ja schließlich distanzieren, fern halten, isolieren. Wir müssen nicht raus.

Und diese, meine Wahrheit trifft doch zu, oder nicht?

„Ja, und warum bist Du dann angemeldet?“ fragt die Schuld. „Warum hast Du den Berechtigungsschein ausstellen lassen?“

Weil ich mich auch schuldig gefühlt hätte, hätte ich es nicht getan.

Ich habe mir den Berechtigungsschein ausstellen lassen, weil ich kein potetieller Infektionsherd sein und niemanden anstecken möchte. Weil ich will, dass die Zahl der Geimpften so schnell wie möglich steigt, damit das Leben wieder normaler wird oder zumindest so aussieht. Wie jedem Menschen ist es mir wichtig, dass es den Menschen, zu denen ich Verbindung spüre, gut geht. Sie mögen frei sein von jedwedem Gefühl der Bedrohung.

„Schmarotziger Gutmensch…“ spottet es in mir: Jeder Mensch ist Teil seines sozialen Systems und genauso wichtig in diesem. Warum nimmst Du dann einem dieser Menschen – die zudem noch zur Arbeit müssen – die Impfdosis weg?

Stimmt: Jeder Mensch ist Teil seines sozialen Gefüges und nimmt eine dort irgendwie geartete Rolle ein. Und jede Rolle ist identisch in ihrem Wert, ihrer Bedeutung für das System. Warum soll also nicht ich zur Impfung gehen?

Und, ja: Ich gehe zur Impfung, weil ich meine Ruhe haben möchte.

Bei jedem Menschen, der mir ausweicht, der meine, reflexartig, hingestreckte Hand nicht nimmt, kommt mir die alte Schuld, widerlich zu sein, wieder hoch. Ich will mich nicht ständig um sie kümmern müssen.

Ich will dieses Gefühl nicht mehr haben, eine Gefahr zu sein oder als solche behandelt zu werden.

Ich habe mich entschieden. Auch wenn es sich nicht ganz richtig und gut anfühlt: Ich gehe zur Impfung.

Womit auch eindeutig widerlegt ist, ich sein ein schmarotziger Gutmensch 🙂

Wozu also das ganze Geschreibsel?

Ich habe Klarheit gewonnen. Fühle mich stabiler – der Schuld gegenüber.

Impfauffrischung der anderen Art.

anstößig

Früher hätte ich mir vermutlich eine Flasche mir wohlschmeckenden Rotweins gegönnt. Einfach, um diesem Moment den letzten Schliff Anerkennung und mir die Gelegenheit zu schenken, diese Feierwürdigkeit auch im Munde begehen zu können.

Ein Moment, um darauf anzustoßen.

Mein Kopf zeigt mir Bilder vom Tage und denkt an all die Menschen, mit denen ich in irgend einer Form Kontakt hatte. Ich fühle mich wohl dabei, dankbar und erstaunt.

„Und ich bringe es nicht zum Fließen…“

…glaubt mein Verstand. Seit Wochen.

Er bemerkt das Fehlen des Mörtels, des Kittes, der Energie, des Einverstandenseins, des „Wertgenugseins“, die es bedarf, all dieses als Gelegenheit bemerkte Jetzt des Erlebens in eine Form zu bringen und in dieser zu sehen, begreifen, zeigen oder/und zu wollen.

Fang einfach an!“ – Nicht das Ziel ist der Weg…

Meine Nähmaschine hat funktioniert… !!!

„Wie bitte?“

Ja. Ich denke an die Leinenbettwäsche. Was hatte ich mich gefreut, als ich sie bei den Verschenkartikeln der Kleinanzeigen in Freiburg entdeckt und dann auch noch den Zuschlag dafür bekommen hatte!

Ich mag es, Leinen zu fühlen.

Und dann lag sie da in ihrer Übergröße…

…monatelang…

…bis heute.

Mein Bügeleisen vollbringt für mich schon gedanklich einen gewaltigen Abstoß. Und einen ebensolchen Respekt flößt mir die Nähmaschine ein. Ich kenne sie schon lange. Sie ist wohl eine ehrliche Haut – aber ich spreche ihre Sprache nicht. Ihre, mir ob meines Unvermögens, mich in ihrer Bedürfnisse rechtzeitig hineindenken zu können, in der Regel völlig unvorhersehbar einsetzenden, schrill piependen Unmutsäußerungen, die sich mir wie gebutterte Gewindeschneider bis die letzten Winkel meines Hirns fräsen und in Sekundenbruchteilen Zelle für Zelle in höchsten Alarm versetzen, sind mir jedoch wohlbekannt…

An diesem Tag aber ist nicht nur sie gut gelaufen.

Der alte Herd samt Backofen ist entsorgt. Der Neue tut seinen Dienst. Und das Ebay Paket ist auf dem Weg. Ich habe die Amsel singen gehört. Und das Farbenspiel des Sonnenuntergangs gesehen.

Ich hatte – auf den verschiedensten Wegen – so viel Kontakt zu lieben Menschen – konnte Verbundensein und Dankbarkeit fühlen – und

nehme, völlig weinlos zwar, diesen Moment zum Anlass und gekünstelt holprige – anstößige – Worte zum Anklang

 

Packangst

Heute in einer Woche werde ich das letzte Mal die Türe meines Appartements hinter mir zuziehen.

„Ob ich zum Abschied mal ganz bewusst den Schlüssel darin liegen lasse?“

bringt mich ein Gedanke zum lachen.

Gestern Abend ist es mir – mal wieder – passiert und ich musste einen Mitarbeiter bitten, mir den Zugang zu meinen Gemächern zu verschaffen, die natürlich im obersten Stockwerk und ganz hinten im Flur gelegen sind…

Boah, tut dieser Selbsthumor gut. Und bei dem Gedanken atme ich tief aus.

Peinlich ist das. Aber ich habe mich in letzter Zeit wirklich dermaßen häufig selbst ausgeschlossen, dass klar ist, dass die ganze Selbstkasteiung auch keine Lösung ist.

Ich fühle Ruhe beim Tippen. Es verschafft mir Luft.

„Ausdruck schafft Raum“ denkt es  dazu. 


20 Monate war ich hier, ziemlich genau auf den Tag. Noch eine Woche…


Auch wenn mich von dieser Chemikalie innerlich, künstlich, wie von außen gehalten fühle: Manchmal habe ich doch noch Kontakt zu dem Erleben, dass sich echt, wenn auch nicht gut anfühlt.

Und dann fühl‘ ich mich plötzlich wieder.

Da bin „ich“ wieder, so da, wie in den letzten Jahren mir so oft präsent: Unter Druck, getrieben, irgendwie bedroht von etwas, das ich nicht wirklich ausmachen kann. Auch wenn es sich nicht gut anfühlt, bin ich froh, es zu fühlen.

Ich packe.

Post von Euch. Zu meinen Geburtstagen, zu den beiden letzten Weihnachten. Zu allen möglichen Alltagen, die dadurch irgendwie besonders wurden.

Ich nahm alle soeben wieder zur Hand. Dankbar.

Einige von den Karten oder Bildern, die ich von Euch geschickt bekommen habe, hängen noch an der Pinnwand. Sie haben mir immer wieder Freude bereitet.

Anpacken.

Und ich verspürte enormen inneren Druck.

Das Gefühl, dem allen…

nicht gerecht zu sein. Das Gefühl, nicht genug zu sein.

Wie soll ich das anpacken?


Ausdruck verschafft Raum. „Finde eine kreative Lösung!“ lädt es in mir ein. Da wird sich doch was finden lassen…

Die Mittagsruhe ist vorbei… vielleicht einfach mal…

Oder einfach die Türe hinter mir zu ziehen?

Genüsslich das Klacken hören – und über mich lachen können.

Und vielleicht brauche ich dazu noch nicht mal den Schlüssel drin liegen lassen 🙂