Angst und Lust

 

Angst vor dem Loslassen.

Lust auf das Fliegen.

Angst zu verlieren.

Lust zu finden.

Vielleicht bin ich schon weg. Ich will es nur nicht wissen.

 

 

Vielleicht will ich nicht weg. Und will es nur nicht wissen.

Lust zu finden.

Angst vor dem Vermissen.

Lust zu bleiben.

Angst anzunehmen, was ist.

 

 

Vielleicht weiß ich es schon lange.

Und habe nur Angst vor dem Sprung.

Ob meine Flügel mich tragen

Kann ich doch nur beim Fliegen lernen.

 

 

Vielleicht weiß ich es schon lange.

Und habe nur Angst vor dem Ja?

Ob meine Wurzeln mich halten

Kann ich doch nur beim Bleiben lernen.

 

 

Bis heute habe ich keine Wurzeln im Vertrauen.

Mein Halt sind meine Freunde.

Und die fliegen mit.

 

 

Friedrich

Er hat am 27. März 2018 Geburtstag.

Er reiht sich ein bei Charlotte, I. und Stefan. Mein innerer Chor, der sich mir langsam persönlich vorstellt. Mal sehen, wie viele es noch werden 😉

Jetzt ist sie völlig abgedreht? Ja. So ist es wohl.

Aber Friedrich meint: „Lass‘ nur. Es ist Dein Weg. Und er ist gut für Dich. Wirst schon sehen. Du machst das schon. Trau‘ Dich, Kleine. Ist schon in Ordnung.“

Friedrich ist nicht aus der Ruhe zu kriegen. Hat Nerven wie Drahtseile. Ein Kerl wie ein Baum. Ruht in sich und „er ist“. Einfach. Tief verwurzelt in Mutter Erde. Hat Zugang zur Quelle alter Weisheit. Er hat ein tiefes Verständnis und kann weit in die Ferne sehen. Zudem hat er einen einfach netten Humor. Er zwinkert mir vielsagend zu. Er glaubt an mich.

Er weiß.

Und ich kann ihm vertrauen.

Er ist nicht der schnellste. Ein bisschen eingerostet. Aber wir trainieren.

Leben jetzt

> Gesendet: Donnerstag, 29. März 2018 um 12:48 Uhr
> Von: „Karin“ <xxx>
> An: „xxx“ <xxx>
> Betreff: Leben jetzt
>
> Hi xxx!
>
> Ja. Schön von Dir zu lesen: Dito 🙂
>
> Zu lesen, dass Du auch auf Asphalt wieder Boden gefunden hast.
>
> Wo soll die nächste Reise hingehen?
>
> Ich bin noch unterwegs. Nein, nicht auf einem Wanderweg. In der Zwischenwelt.
>
> Bin krank geschrieben und werde wohl nicht mehr wieder zurück auf die Station gehen. Auch nicht mehr zurück in das Krankenhaus, in dem ich über 30 Jahre lang gearbeitet habe.
>
> Wie die Krankheit heißt? Vielleicht ungestillte Sehnsucht oder Suche nach dem Ankommen?
>
> Noch bekomme ich Krankengeld bis Februar. Wohin der Weg mich führt?
>
> Ich habe noch keine Vorstellung.
>
> Bin gerüttelt. Wach oder durch? Zer?
>
> Freue mich, wieder von Dir zu lesen oder hören. Oder, irgendwann, zu sehen.
>
> Vielleicht bei einem gutem, würzigen, herbem Bier.
>
> Solltest Du mal in der Gegend sein, melde Dich. Ich freu‘ mich drauf.
>
> Herzliche Grüße
>
> Karin

Sehnsucht

Beim Denken an Dich, für uns, liebe „Duweißtschonwer“!

 

Der Blick ist starr
gliedertiefer Hoffnungsschock
wie im Tunnel scheint nur eine Richtung möglich

So unmöglich scheint die Existenz des Lichtes
dass ein Blinzeln
es vernichten könnte

Nur nicht loslassen

Wohlwissend der öligen Schwäche
und der scheinbar wahren Lebrigkeit

wir kennen sie gut

Starren ist enge Angst
Vernichtung der Hoffnung

nicht Dunkelheit, aber
Blindheit schafft Vertrauen

Liebe macht blind

Blinzel

 


 

Die alte Sehnsucht steht mir im Lebensweg.

Licht öffnet die Schleusen. Alt und neu vermischen sich.

Die Kleine in mir sehnt sich so unsagbar, unfühlbar groß

Ich habe Angst vor Dir.

Du drückst mit voller Wucht ins Leben

Kleine, ich weiß. Du kannst nicht so laut schreien wie der Schmerz, die Wut, Deine Traurigkeit.

Ich bin kein guter Ersatz. Aber ich will und kann vielleicht doch ein bisschen besser werden. Dich einlassen in mein Leben und mich einlassen auf Dich.

Es bleibt mir keine Wahl.

Nur Hoffnung.

 

Das Leben könnte schöner sein…

Vertrauen heilt Schmerz

Vertrauen ins Leben oder Gott weiß wer an ihn glaubt

 

Ich will es so

Gerade ist Ruhe. Innen wie außen.

Es könnte – innen wie außen – vielleicht ein bisschen wärmer sein.

Aber gerade ist es gut so, wie es ist.

Der Zuschauerraum ist dunkel. Vielleicht bin ich alleine, aber ich fühle mich nicht so. Ich fühle mich mit Euch verbunden.

Ich scheine gerade ein bisschen über der Szene zu stehen. Schaue wie aus einer Loge auf das verlassene Bühnenbild, das ich schon im letzten Beitrag skizziert habe: Ich sehe das Gerüst, die Watte und die vermutete Weite drumherum, die im dämmrigen Morgennebel liegt.

Vielleicht beginnt das Stück „derzeitiges Erleben“ in ein paar Minuten wieder und ich bin mittendrin. Aber jetzt möchte ich den Moment genießen, Betrachter zu sein.

Ich weiß nicht, aus wie viel Akten dieses Theaterstück besteht und von welcher Gattung es ist: Nein, ein Märchen ist es wohl nicht. Hoffentlich wird es eine kleine, einfache Erzählung, die gut ausgeht, allen Beteiligten Mut macht und Hoffnung spendet. Für mich als Darsteller der Hauptrolle fühlt es sich momentan oft als ein Drama der Verzweiflung an.

Es war lange Zeit angenehm kuschelig in der Watte. Aber sie funktioniert und trägt nur durch das dahinterliegende Gerüst. Die Stahlträger sind scharfkantig. Sie schneiden mit Glaubenssätzen der Entwertung, Verachtung, des Ekels und der Unfähigkeit zu vertrauen tief ins Fleisch. Es gibt Schutzstreben. Die tragen den Namen „Ich darf nicht / Ich muss“. Dieses ganze Gerüst habe ich selbst gebaut. Damals dachte ich, ich brauche es. Ich hatte keine Ahnung von der Landschaft drum herum, ich war einfach zu klein zum Überleben. Ich brauchte Schutz und Wärme und konnte keine anderen Baustoffe finden. Schön war es wohl nicht. Deshalb die Watte, um es auszuhalten. Sie machte es mir viele Jahre erträglich, dort zu leben: Gefühlte Aufwertung durch Arbeit, diverse Freizeitbeschäftigungen und Beziehung, Betäubung durch übermäßiges Essen und Fernsehen. Aber es wurde immer enger mit all der Watte, sie schnürte mir die Luft zu…

Zur Zeit werde ich oft mit den alten Glaubenssätzen konfrontiert. Scham, Schuld und Angst versuchen mich zu schützen. Sie legen mir ans Herz, die Watte nicht allzu sehr zu verdammen. Ich bräuchte sie noch eine Weile und könnte mir ja neue Materialien suchen? Wut, Mut, Energie, Härte, Druck fühlen sich dagegen manchmal an wie aufmerksame Wächter, die mich gefahrenwitternd an die Gerüststreben peitschen.

Kindliche Gefühle kommen auf: Ein kleines Kind, das Angst hat, verlassen und zurückgelassen zu werden. Ein Kind, das einsam und trostlos ist. Das sich nicht helfen kann. Es fühlt sich an wie pure Verzweiflung. Die unfassbare Angst reißt den Boden zu einem tiefen Krater auf und das vorsichtige Grundgerüst des Vertrauens in das Leben und die Menschen mit sich.   * siehe Anmerkung

Und das ist es, was ich mir heute selbst aus der Loge auf die Bühne zurufen möchte:

„Weiter so!

Gerade das ist es, worum es geht. Spüren, was los ist. Immer wieder! Mit jeder Aufführung hast du die Möglichkeit, zu fühlen, was du wirklich fühlst. Klar kannst und wirst Du Dir noch eine Weile lang tiefe Wunden zufügen. Aber irgendwann wirst Du dann lernen, diese Schmerzen, also all die unangenehmen Gefühle, als gar nicht so schlimme, alte Bekannte zu erkennen, die Dich hinaus ins neue Leben mit viel mehr Vertrauen, Klarheit, Freude und Liebe begleiten werden.“

Wenn ich ja sage zur Verzweiflung, sage ich auch ja zur Leichtigkeit.

Ja, ich will es so.

 

 

 


(* Klingt nach großem Theater, ich weiß…. ein Teil in mir spottet, aber der mitfühlende Teil in mir sagt mir, dass ich selbst dieser Art Bilder zur Zeit irgendwie brauche, um mich mir selbst zu erklären… Indem ich sie hier niederschreibe, übe ich mich, mich zuzumuten. Ich probiere „Vertrauen“ und bringe es so in meine Welt) zurück

 

 

 

Bilder entstehen und dürfen vergehen

WatteElefantBlindheitNebel –  Probieren statt VerlierenAufbruchZeit

Watte

Das scharfkantige Gerüst besteht aus Selbstentwertung, Selbsterniedrigung und Angst. Es ist alt wie mein Leben, stabil, verlässlich und der Glaube daran hat mir lange Halt und Richtung gegeben. Damit es nicht so weh tut, das Gerüst zu spüren, habe ich es mit Watte abgepolstert. Zwanghaftes Essen, Arbeit, Fernsehen. Und die beste aller Watten bist Du, Klaus. Du tust mir so gut.

Aber ich habe Luft gespürt. Erahne das es noch etwas anderes gibt. Die Ahnung von einem Leben außerhalb von Enge und Watte. Es ist weit und bunt. Es kann gefährlich und kalt sein. Und auch das ist mein Leben. Ich kann es mir nehmen.

Ich muss aus dem Gerüst raus. Habe schon viel Watte weggerissen, um mehr Luft und Ahnung zu bekommen. Nun spüre ich die Schmerzen des Gerüstes. Und wie sehr es mich einengt. Nein, die Möglichkeiten, die Landschaft sehe ich noch nicht wirklich. Aber manchmal auch die Lust auf das Draußensein. Und manchmal bin ich draußen. Das sind die Momente, in denen ich Vertrauen malen oder haben darf.

Vertrauen, dass ich, Karin, ohne das scharfkantige Gerüst der Selbstablehnung leben könnte.

Dass es auch dann Schönes für mich geben kann, das mir gut tut. Und ganz bestimmt genug davon!!! Vielleicht auch Teile der alten Watte, aber ohne an scharfe Kanten gebunden zu sein. Dass Vertrauen – genau so wie Mut und Angst haben, wie Freude und Liebe empfinden und wie mich eingeengt und manchmal auch so schmerzhaft haltlos zu fühlen – zum Leben gehören dürfen, weil das Vertrauen in die Welt und das Vertrauen in mich eben nicht trennbar sind.


Elefant

Ihr kennt sicher die Geschichte… es gibt sie hundertfach im Internet zu lesen.

Ein ausgewachsener Elefant lässt sich halten an einem verhältnismäßig klitzekleinen Pflock. Dieser hat ihn als junger Elefant gehalten. Sich zu befreien, bedeutet Schmerzen zu haben und letztendlich immer zu scheitern. Deshalb lässt er irgendwann alle Versuche.

Auch dann, als er ausgewachsen ist.

 


Blindheit

Die Augen müssen sich erst an das Sehen gewöhnen, wenn sie aus dem Dunkeln kommen.

Ich darf mir eng, dumpf, stumpf, desinteressiert vorkommen. Ich darf es sogar sein. Ich lerne. Bin geblendet vom wattelosen Licht.

 


Nebel

Du, Du gute, alte Freundin schriebst mir:

„Mir kommt es so vor als ob ich im Nebel stehe, wenn ich versuche, mich ‚auf Dich zu verstehen‘.

Da könnte ich erst einmal nichts machen ausser ausharren, bis sich der Nebel lichtet. Jede unnötige Bewegung kostet Kraft. – Vielleicht hast und bist Du schon alles, was Du Dir wünschst?“

In mir schreit noch immer alles auf. Ich muss doch irgendetwas tun!

Aber nein: Die Welt steht mir offen. Ich darf auch stillhalten und abwarten.

Kann man überhaupt „Nichtstun“?

Letztendlich lässt man immer irgendetwas – los.

Starre Vorstellungen zum Beispiel.

 


 

…und auf gar keinen Fall habe und bin ich schon alles, was ich mir wünsche!!!

Das geht doch gar nicht… !!!

Oder eben gerade doch?

 

Ich wolle einen guten Kaffee trinken? Dann solle ich ins 10 km entfernte Lauterbach fahren.

Und da saß ich nun in der „Geniesserzeit“ am Marktplatz. Es war nicht viel los. Den Takt gab das völlig unrhythmische, aber nicht aufdringliche, unaufgeregte Kaffeetassengeklapper. Das entspannte Stimmengemurmel aus dem Hintergrund erzählte von Wein und Gläsern… und das tiefe, ruhige Atmen des Tischgenossen erinnerte mich an sich erdig anfühlende Gesellschaftsschlaferfahrungen.

Der Cappuchino war sehr, sehr gut. Er besaß das genau richige Maß an Bitterkeit und Milde. Die Zuckerkörnchen im Mund ließen ihre Form und meine Muskeln die Anspannung los. Ich konnte schmecken und fühlen, dass ich woanders bin. Dort, wo ich noch nie vormals war. Ein neuer Platz, der sich gut anfühlte. Ich stellte fest, dass ich gerne unterwegs bin.

Dieser Momente willen.

Aber ein Cappuchino ist nur ein kurzer Moment lang ein Cappuchino. Der Genuss entsteht im Vergehen.

 

Probieren statt Verlieren

Aus der Starre, Enge und Blindheit kommend, die Schmerzen des Gerüstes fühlend, wissend und im Nebel stehend:

Was will ich?

Ich lasse mich schnell verunsichern. Traue mir nicht und weiß nichts von der Welt außerhalb von Gerüst und Watte.

Versuche ich herauszufinden, wonach mir der Sinn steht, zweifle ich daran, ob es doch nur wieder die Sehnsucht nach „prima Watte“ ist. Sicher falle ich gerne auf ein Lammfell herein. Oder ein Biodaunenfutter.

Ja, ich möchte es leicht und warm haben…

…und weiß doch, dass es das nicht ohne Schwere gibt.

Was also will ich?

Die Genervte in mir: Du wirst niemals wissen, was das Richtige für Dich ist. Also entscheide Dich und tu was. Mach endlich hin.

Die Ängstliche: Und wenn Du Dich für das Falsche entscheidest? Du niemals das findest, was Du suchst? Du niemals zufrieden bist? Ruhe hast und in Dir ruhen kannst? Niemals „Das Richtige“ findest, weil das, was Du suchst, auf Erden für Dich nicht mehr zu finden ist? Alles aufgibst, irgendwas anfängst und wieder abbrichst / scheiterst / verlierst?

Irgendjemand in mir hört die freundlichen Stimmen von außen, und versucht, leise mitzusingen. Hört es sich doch so richtig und befreiend an.

„Du darfst ausprobieren. So lange, bis Du gefunden hast, was sich für Dich richtig anfühlt…

…und wenn es sich nicht mehr richtig anfühlt, darfst Du weiter ausprobieren.“

Vielleicht habe ich keine Angst vor der Suche und dem „Nichtfindenkönnen“, sondern vor dem Ankommen. Das „falsch“ ist, was richtig sein sollte. Das ich mich „falsch“ fühle, weil das vermutete, lang erkämpfte Ziel nicht das Richtige für mich ist.

Angst vor der Erkenntnis, dass es „richtig“ nicht gibt.

Vielleicht ist nicht das Ankommen mein Sinn.

Vielleicht ist das Suchendürfen der Sinn, den ich suche.

„Der Weg ist das Ziel“

Erlaubnis zum Aufbruch.

„Ja“ sagen zur Sucht – ausgelebt als Reise, nicht als Störung der Beziehung zu Essen, Partner, Arbeitsplatz, Fernsehen…

 


Aufbruch

Eine tiefe Wunde kann nur von innen heilen.

Das Pflaster ist ab. Das Narbengewebe aufgebrochen.

Die Wunde ist hässlich und sie schmerzt noch immer.

Ich kann Dich sehen. Dir beim Heilen zusehen.

Und ja sagen lernen zu dem, was entsteht.

 


„Du schreibst doch immer dasselbe. Du müsstest es doch echt langsam mal kapiert haben. Nu mach‘ mal hin. Auf jetzt… Du musst… Du kannst doch nicht…“

Ja. Ich kapiere noch nicht viel. Was ich endlich kapieren sollte ist:

Es braucht Zeit.

Und die darf ich mir geben.

 

 

Übungen

Es ist Freitag, der 19. Januar 2018, kurz nach 7 Uhr morgens. Leonhard Cohen säuselt mein Zimmer voll und lädt mich ein zur Hingabe, zur Sanftheit, zum Sein und Lassen, zum ruhigen, tiefen Atmen, zum Wahrnehmen und -haben, – zum Innehalten eben.

Habe als Übungsmittel eine Flasche Sekt im Eisfach.

Passt das zu diesem dampfenden Getränk in der Tasse? Brennesseltee steht für mich für „Loslassen“. Er hat einen herben, erdigen Geschmack. Aber auch für „Verinnerlichen von Unberührbarem“.

Jetzt gerade im Moment sollte ich eigentlich auf der Arbeit sein und „Patienten“ „fertig machen“.

Es gibt einige unter Euch, die genau wissen, was ich damit meine. Und ich lasse es trotzdem bewusst so stehen.

Nach meiner letzten Nachtschicht hatte ich fünf Tage frei und gestern den ersten von acht aufeinanderfolgenden Diensten.

Ich habe es geschafft bis 10:45 Uhr und ich habe es geschafft und bin gegangen.

Es passiert in mir und um mich rum, was ich gerade tue.

Ich kann es nicht besser beschreiben: Ich bin es, ich weiß, es stimmt, aber ich fasse es nicht und glauben kann ich es und daran, dass es wirklich stimmt, auch noch nicht. Dieser Satz ist nicht zu lesen. Passt zu dem Gefühl…

Ich kann diese Arbeit nicht mehr tun.

Vermutlich schon ganz lange nicht mehr.

Ich werde diese Arbeit nicht mehr tun.

Nicht mehr widerstrebend, jammernd, mich selbst bemitleidend, auf die letzte Minute losziehen um gehetzt, aber rechtzeitig anzukommen. Die Station aufschließen, lauschen, vorsichtig riechen, was mich erwartet. Im Vorbeigehen ein flüchtiger Blick auf den Pflegewagen: Alles da oder muss ich nachher an was denken? Kaffeegeruch – guten Morgen… alle da? Wer wohin?

Ich werde diese Arbeit nicht mehr tun. Meinen Platz haben, ein für fast alle angenehmer, weil immer bei sich selbst die Schuld suchender, umsichtiger, mitfühlender, mitdenkender, insgesamt eher mehr als weniger geschätzter Teil des Teams sein.

Es kann reizvoll sein, etwas zu tun, das man sowieso niemals gut genug machen kann. Es passt zu mir und meinem Grundgefühl, nicht gut genug zu sein.

Und es ist so schön, gerade von diesen Menschen ein Lächeln als Dank zu bekommen. Auch wenn sie gerade an ganz jemand anderen denken, glauben woanders zu sein – ich bin Teil, vielleicht sogar Geburtshelfer dieses Lächelns in diesem Gesicht voller Zeichen eines langen Lebens.

Und ich werde nicht mehr respektvolle Blicke oder Worte voller Achtung und Mitleid bekommen, wenn ich sage: „Ich bin Krankenschwester auf einer psychiatrischen Demenzstation“.

Vielleicht fühlt sich das bei anderen richtig an, wenn ich das tue.

Aber es fühlt sich bei mir nicht mehr richtig an. Und um mich „richtig“ im Sinne von „in Ordnung“ zu fühlen, muss ich aufhören das zu tun, was sich nicht richtig anfühlt.

Übung 4995:

Denke: „Ich bin nicht mehr Krankenschwester auf einer psychiatrischen Demenzstation“ und spüre dem Reiz nach, den das verursacht.

Mmmmh…..

Übung 4996:

Trete vor den Spiegel und sage voller Achtung, Respekt und Mitgefühl:

„Ich bin nicht mehr Krankenschwester auf einer psychiatrischen Demenzstation“

Fühle Dich saumäßig wohl dabei.

 

Ok. Zeit für den Sekt 😉

 

 

 

Ein Jahr

Dieses Jahr fing für mich am 14. Dezember 2016 mit dem Linksabbiegen aus dem Parkplatz vor der Klinik Uffenheim an.

Es war genau vor einem Jahr. Wir waren noch eine Abschlussrunde gelaufen. Ich wollte nicht wirklich los in diese Unvorstellbarkeit des „Lebens danach“.

Ich wollte kein zwanghaftes Essen mehr. Kein Wegmachen durch TV und kein krampfartiges Aushalten der Arbeit mehr. Ich wollte etwas anderes.

Uffenheim war ein Aufbruch. Körperlich sichtbar durch 17 kg Gewichtsabnahme nach 10 Wochen, körperlich spürbar durch einen enormen Bewegungsdrang als Ausdruck des emotionalen Aufgewühltseins, der Ziel- und Haltlosigkeit, der Desorientierung, die ich nun fühlen konnte.

Ich habe begonnen zu laufen.

Ich wusste, dass sich etwas ändern muss. Aber was?

Der Rahmen meiner Vorstellungskraft beschränkte sich zum einen darauf, dass ich zukünftig „meinen“ Urlaub machen wollte. Ich hatte mir eine Wanderung zu Brigitte nach Weitendorf vorgenommen und mit groben Planungen begonnen. Zum anderen wollte ich mir eine Musikanlage für mein Zimmer kaufen, meinen Besitz reduzieren, meine Zimmer gründlich renovieren und anschließend umgestalten, um dort „meinen Platz“ zu finden und einen für Gäste zu haben, an dem ein Willkommensein zumindest räumlich zu spüren möglich ist.

Ich bin nicht nach Weitendorf gelaufen – aber gefahren. Ich sitze in meinem Zimmer auf einem Platz, der sich jetzt, für diesen Moment, gut, aber nicht wirklich wie meiner anfühlt. Ich höre Musik aus meiner Anlage. Vertrauen zu haben, dass Gäste nicht meine Wohnung, sondern mich besuchen wollen, ist noch immer nicht leicht, aber leichter geworden. So wie mein Besitz. Teilweise ultralight… 😉

Ich bin gelaufen.

Und ich habe erfahren: Auch wenn ich ein Ziel wie Santiago de Compostela erreiche, komme ich noch lange nicht an. Aber auch wenn ich nicht wirklich ein Ziel habe, erreiche ich doch auf meinem Weg meine Grenzen.

Diese nicht als mein Ende, sondern sie in diesem Moment als Notwendigkeit, Anlass und Beginn der Richtungsänderung anzunehmen ist die Aufgabe, an der ich glaube, mich noch zu beißen zu haben (ist das nicht ein so passend wie schöner Verschreiber?).

Ich habe eine Loslösung erfahren und spüre manchmal, wie sehr mich das ängstigt. So bin ich noch auf der Suche nach Halt und Ziel, statt den Fall, die Angst, die Verunsicherung, die Unvorstellbarkeit als das zu sehen, was sie sind:

Meine Begleiter.

 

 

Noch

…ist es ruhig. Klaus duscht, bevor er sich auf den Weg macht um die letzten Kleinigkeiten zu besorgen.

Heute ist der erste Freitag nach seinem Geburtstag und, wie in jedem der mindestens letzten 10 Jahren, werden seine Freunde der Einladung folgen und mit ihm feiern.

Im Büro sind die Tische für das Essen vorbereitet. Ein kleiner Tisch lädt zum Verweilen ein. Hocker, Klappsessel, Campingstühle warten auf die Gäste. Alle Kühlschränke laufen. Es wird viele, viele brennende Kerzen geben und auch ein paar Lichterketten. Für die Schachfreunde stehen in der Küche die klassischen Figuren aus Holz bereit, die sie, gedankenversunken wirkend, lautlos über das schöne, große Brett ziehen werden. Ihre Kommentare klingen in meinen Ohren wie eine Sprache aus einer anderen Welt. Ich muss schon jetzt lächeln, wenn ich daran denke, sie eine Weile heimlich zu beobachten.

Gerade bin ich noch in meinem Bett, höre die Ruhe und freue mich trotzdem auf den Klang, der später aus Klaus‘ Anlage strömen wird.

10 Jahre lang – im Prinzip immer dasselbe: Schach, Schwätzen, Kommen, Verabschieden, Essen und viel Trinken. Und dann, irgendwann, macht Klaus Platz vor seinen großen Boxen und wir trauen uns im Kerzenschein unsere Lust uns zu bewegen zu leben, sind vom vielen Sekt betrunken genug, um unsere Hemmungen freundlich zum Ausruhen zu bitten. Freuen uns einfach über die gute Musik. Schwelgen, lauschen oder tanzen sogar. Sehen, teilen, berühren uns vielleicht.

Und doch ist in diesem Jahr etwas für mich anders.

Ich spüre meine Lust schon jetzt. Da ist sogar eine Vorfreude, eine vorsichtig freudige, hoffnungsvolle Erwartung. Auf so ungewohnte wie selten schöne Begegnungen, auf das Wiedersehen und das gemeinsame Zeitverbringen. Das Willkommenheißen und Teilen.

Schade, dass…

ja, ich vermisse Euch.

Aber mal sehen, wer kommt, was er mitbringt und was er hier lässt. Aber auch was er mit sich nimmt, möge leicht sein und die kleinen Fältchen an Augen, Ohren, Mundwinkel oder haarlosem Haupt zum schmunzeln bringen.

Hineinleben

 

Man muss den Dingen die eigene,

Stille ungestörte Entwicklung lassen,

Die tief von innen kommt

Und durch nichts gedrängt 

Oder beschleunigt werden kann. 

Alles ist austragen 

Und dann gebären. 

Reifen, wie ein Baum, der seine Säfte nicht drängt

Und getrost in den Stürmen des Frühlings steht, 

Ohne Angst, 

dass dahinter kein Sommer kommen könnte. 

Er kommt doch! 

Aber er kommt nur zu den Geduldigen, 

Die da sind, als ob die Ewigkeit vor ihnen läge, 

So sorglos, still und weit….

Man muss Geduld haben 

Gegen das Ungelöste im Herzen 

Und versuchen,  die Fragen selber lieb zu haben, 

Wie verschlossene Stuben 

Und wie Bücher, 

Die in einer sehr fremden Sprache geschrieben sind. 

Es handelt sich darum, alles zu leben. 

Wenn man die Fragen lebt, 

Lebt man vielleicht allmählich, 

Ohne es zu merken eines fremden Tages 

In die Antwort hinein 

 

Rainer Maria Rilke

Briefe an einen jungen Dichter,  1908


Hallo Karin,

lieben Dank für Deine Grüße. Gerade hat mir eine Freundin ein Gedicht von Rilke geschickt und ich musste sofort an Dich denken. Es ist einfach wunderbar!

Ich hoffe wir sehen uns bald wieder!

Liebe Grüße

Rebekka


Liebe Rebekka!

Ja, wunderbar… das trifft’s.

Es öffnet das Herz, macht weit, gibt Trost und Zuversicht.

Hab‘ ganz lieben Dank für’s Weiterleiten und Teilen. Und besonders für’s an mich denken. Wir sehen uns – hoffentlich ganz bald! Und ich freu‘ mich jetzt schon sehr auf Dich.

Karin