Glücksbringervorrat

Ich habe mir da was vom Balkon gepflückt…

…ein Wind hat sie mir dort hin gelegt.

Sind sie nicht schön?

Es sind  Früchte einer Linde.

Sie schrauben sich sanft in die Tiefe, lässt man sie aus der Höhe frei. Und es macht mir Freude, ihnen dabei zuzusehen.

Auch eine Schmerztablette kann Freude machen – und es ist gut zu wissen, bei Bedarf darauf Zugriff zu haben. Ähnlich ergeht es mir mit den Lindenfrüchten: Ich habe mir vier Stück Glücksbringer bevorratet. Der Winter kann kommen!

Und wenn es an der Zeit ist, lasse ich sie fliegen…

…und sie tanzen mir zum Abschied einen Gruß vom Sommer.

 

Schüümli

Schüümli-Kaffee verknüpft mein Hirn mit einer „guten Erfahrung“. Kognitiv kann ich mich leider nicht mehr genau erinnern, was und wann genau diesem Eindruck Anlass genug war, es sich in meinen Nervenbahnen so angenehm gemütlich zu machen. Aber so wichtig ist das ja auch gar nicht.
„Schüümlikaffee“ steht für einen typischen Urlaubseinkauf – also für „unvernünftig, unnötig“ – aber eben deshalb aus einer feinen Laune der leicht-sinnigen Lust heraus, die es so selten so einfach zu schnappen gibt.

Schümli Kaffee entpuppte sich damals zudem als überraschend wohlschmeckend: Aromatisch, rund und einfach als ein Genussmittel, also ein Vermittler, das Wohlsein fühlen und sich darin einlassen zu können.

Ich habe bis heute gute Erinnerungen daran. In Mittelhessen ist diese Schümli-Kaffeeröstung nur in großen Supermärkten zu finden und wegen des stolzen Preises siegte bislang immer meine Vernunft vor dem Kauf. Sie und ihr Preisbewusstsein schützen mich auch vor der Enttäuschung: Was ist, wenn da vielleicht doch kein wohliger, emotional auffrischender „Schüümligeschmack“ von damals drin ist, sondern doch nur überteuerter Kaffee…?

Hier, wohl der Nähe der Schweiz zu verdanken, gibt es ihn einfach immer im Regal und neulich blieb mein Blick an ihm haften…

Da stand er: Durchschnittlich, nicht übertrieben teuer. Keine besondere Marke… aber mit einem 5,- Euro Gutschein darauf, einzulösen bei Aral (kann man immer mal gebrauchen). Klar, Milchmädchengeschäfte… aber ich schlug zu, die Gedanken daran, ihn Klaus mitzubringen. Vielleicht kann er sich ja noch erinnern, wann und wo das war? Vielleicht freut er sich ja…

Und Klaus freute sich. So hatte ich neben meiner stillen Vorfreude auch noch die geteilte Freude…: Schümli-Plan erfüllt!

Aber der Aralgutschein war abgelaufen und ich fühlte mich veräppelt. Das wollte ich denen nicht durchgehen lassen. Den Kassenbon hatte ich noch…


Die Schlangen an den Kassen waren lang. Die Kassiererin ließ die Filialleitung durchrufen.

Eine hektische, gestresst wirkende Frau mittleren Alters kam von irgendwoher angeflattert. Ihre Schlüssel klapperten. Die kleine Tür des Kassenverschlags hämmerte ins Schloss. Sie stöhnte. Ihre Stimmlage bewertete ich als genervt-raunend.

Sollte sie damit mein Schuldgefühl bezweckt haben, war sie erfolgreich.

Vermutlich instinktiv und nur um dessen ganz sicher zu sein, frug sie mich zudem: „Und wegen dem Gutschein haben Sie also den Kaffee gekauft?“

Was bin ich doch für ein armer Teufel, läppische fünf Euro (laut Adam Riese Karin Kleinhirn gerundet 30% des Ursprungspreises) als Kaufentscheidung zu benötigen und sie, Frau Ganzwichtig-Dauergenervt mit so einer Lächerlichkeit zu belästigen?

„Damit ist der Kaffee fünf Euro billiger. Das ist doch was?“

Ein stöhnenseufzendes „Pfff“ entwich ihr. Sie verstaute den Bon im unteren Schubfach der Kasse und griff ins Geldfach.

Ob ich 20 Cent hätte?

Freudig bejahend gab ich ihr das Geldstück.

Sie drückte mir einen 10 Euro Schein in die Hand, den ich dankend annahm.

„Würden Sie dann vielleicht noch den Flaschenpfandbon auszahlen…?“

„Ausnahmsweise!!!“ mahnte sie. Und mit dem Zusatz „Normalerweise müssten Sie sich hinten anstellen wie alle anderen auch!“ glaubte sie wohl, mein Wissensspektrum erweitern zu können.

Ich unterdrückte eine bissige Bemerkung und bedankte mich stattdessen nicht zu betont höflich: Das sei aber SEHR nett von ihr…

…als mir promt einfiel, dass ich doch ursprünglich nicht 9,80€ sondern 13,99€ für den Kaffee gezahlt hatte. Ich frug sie freundlich, ob sie nochmals auf den Zettel schauen könne?

Sie schaute, war genervt, das wisse sie jetzt auch nicht, wie soll sie denn das heraus bekommen?

Ich hatte keine Lesebrille dabei. Mist. So erkenne ich rein gar nichts normalgroß Gedrucktes mehr.

Das in Scham flüchtenwollende Kleinkind in mir siegte allesandereüberflutend.

„Sicher. Das wird schon seine Richtigkeit haben. Das wird schon stimmen, was auf dem Zettel steht. Sie können da ja auch nichts für…“

Draußen am Rad aber schaltete sich das Hirn wieder ein. Ich schaute in die Angebote der Woche. Tatsächlich: Genau diesen Kaffee gibt es zur Zeit für 9,80€ statt für 13,99€.

Kurz befragte ich mich und ging hinein…


Die Schlangen an den Kassen waren lang. Die Kassirerin ließ die Filialleitung durchrufen…

„Ich sehe, Sie haben einen stressigen Job. Dennoch glaube ich, dass mir noch ein Restbetrag meiner Rückgabe zusteht.“

4,19 € fielen in meine offene Hand. Natürlich bat sie nicht um Verzeihung oder zumindest Verständnis. Armer Mensch.

Ich aber hielt 4,19 € in Händen und mit dem „Kleingeld“ eine genau richtig dosierte, wohligschmeckende Portion Stolz.

Verdammt gutes Stöffchen, so ein Schüümli.

Sahneklecks

„Tschüss… schönes Wochenende! Bis Dienstag!“

Langsam verstaue ich meine Sachen, umschiffe die Tretminen von Rottweilerdame Bajonett während ich das Rad zur Straße schiebe, steige auf und lasse rollen. Und jedes Mal, wirklich jedes Mal erstaune ich bei diesem Blick, der sich mir nach ca. zehn Metern bietet:


Er gefällt mir so sehr.


Links die Weiden des benachbarten Reitstalls (manchmal ist eines der Pferde darauf, andermal begleitet mich stattdessen – aufgebracht und grimmig bellend – der Wachhund des Hofes ein Stück). Rechts die kräftig rot blühenden Bohnen in sattem Grün – wie der Mais des anrainenden Feldes. Der landwirtschaftliche Seitenweg führt zur Straße leicht abwärts, so kann ich jedes Mal nach getaner Arbeit völlig tretfaul in diese Weite auf die Hänge des Schwarzwaldes blicken. Manchmal waren sie schon regenverhangen, aber nicht minder bezaubernd: Das Denken wendet sich zum Wundern und das Fühlen zum Staunen bei diesem Blick. Erleichterung macht sich breit –

Was für eine Belohnung nach der „Arbeit“ – Pferde, Heu, frisches Stroh –

wie ein frisch servierter Kaiserschmarrn, buttrig duftend verbunden mit einem Hauch Puderzucker. Dazu ein paar frische Erdbeeren mit einen kleinen Sahneklecks.

 

Merk Mir: Halt finden

Neulich litt ich mal wieder gründlich. Ich hatte schon eine Ahnung, aber ich konnte sie nicht umsetzen: Körperliche Bewegung ins Freie hätte auch dem Gefühlserleben als Be-frei-ung aus der Bedrückung dienen können.


„Und wenn nicht?“

Wenn es nicht helfen würde, würde es ja noch schlimmer werden – lähmte der Gedanke, passend zum erstarrenden Gefühl der diffusen Angst.

Wenn das Hilfsmittel, dass sich schon so oft bewährt hatte, nicht mehr helfen würde… das „Notfallantibiotikum“ nicht mehr greife?

So passte sich der Gedanke dem Körpergefühl der durch Angst gebremsten Getriebenheit an.

Es müsse derartig furchtbar sein, wenn das so verlässliche Hilfsmittel „raus, Ablenkung, Bewegung“ nicht helfe, dass ich das zu erleben lieber nicht riskieren wollte und verharrte stattdessen im Leid: „Da weiß man, was man hat.“

Es war ein grausam erlebter Nachmittag.

Ich hielt mich krampfhaft im Leiden – verstärkte es also nur – um nur nicht den Halt zu verlieren.


 

Abends aber hatte ich einen Termin: Der Wiederbeginn unseres Tanzkurses brachte mich auf die Füße. Nicht, dass ich auch nur eine Spur von Lust verspürt hätte – das Gefühl der Verpflichtung half mir.

A. ging nicht auf meinen Wunsch ein, uns doch bitte am Veranstaltungsort zu treffen, und fing mich an der Haustüre ab, um mir einfach beim Fußweg Gesellschaft zu leisten – ob ich wolle oder nicht. Schon das alleine lockte eine kleine, vorsichtige, verlocke(r)nde Freude und ihre Freundin, die Dankbarkeit, auf die Bühne.

Und das Tanzen mit ihm brachte die beiden zum Durchbruch: Ich hatte einfach Spaß!

Ich bemerkte erstaunt das Einssein: Freude (Gefühl), Lachen, mein „Tanzen“ (Körper) – und erlaubte es (Gedanken). Welch ein ungeahntes, umfassendes, blitzartiges Wunder der Wende!

Es hat wieder geholfen, das Breitbandantibiotikum „Bewegung“ und zudem das Teilendürfen: Geteiltes Leid und geteilte Freude…

Es greift Mal um Mal zuverlässig.


Und wenn nicht?

Dann werde ich sehen, erleben, fühlen, denken. Es, etwas, wird sein (und – ob ich will, oder nicht – vorbei ziehen wie ein Wetter…). Der Horizont, die Erde, die Menschen, vielleicht das Leiden – jedenfalls: Etwas wird sein.

Die Option, mich in diesem Moment gehalten fühlen zu können, wird sein.

Und wenn ich das, was da ist (der Moment, die Freude, das Leiden, die Angst, das Verlorensein, die Verzweiflung, Ratlosigkeit,…), akzeptiere, dann werde ich sagen können:

Meine Art, mich in diesem Moment gehalten fühlen zu können, wird sein.

Es ist mein Ausdruck, mich gerade so in diesem Moment zu befinden, aufzuhalten…

Oder sogar: Ich halte mich im Jetzt.

Und das nächste „Jetzt“ (z.B. mich einzuladen, mich zu bewegen, die Entscheidung, es zu tun – oder auch nicht) wird wieder eine Option sein, mich gehalten fühlen zu können.

Vielleicht ist es nur ein seltsam verschrobenes Konstrukt, Vertrauen zu er-finden.

ja

und

 


… „veröffentlicht vor 8 Stunden“… sagt der Editor.

und die erste Bewährungsprobe stellt sich ein. Die Angst ist da und sucht sich einen Grund. Einen Halt in möglichen Ursachen und Lösungen.

Weiteratmen. Die Angst ist da und sucht sich einen Halt. Dabei braucht sie keinen. Sie ist da.

Atmen. Mehr ist nicht zu tun.

saftig sattgrün

…kerngesund, gesellig, voller Lebenskraft und SEHR vermehrungfreudig:

so ist es –

das Unkraut im Paprikahaus…

…oder im Selleriebeet…

Und es dient auch prima als Petersilienversteck.

Nach Komplettrodung des umgebenden Urwalds – per Hand im noch feuchten Boden geht das erstaunlicherweise echt gut – ist das Objekt der Begierde deutlich auszumachen:

Und so sieht ein Zwiebel- bzw. Lauchbeet nach mehrtägiger Betätigung vieler, allfeierabendlich dann doch ermüdlicher, Hände aus.

Ehrliche Arbeit.

Gefällt mir.

Antwort: Genesung

Genesung…

Es geht nicht um vollständige „Heilung“ und uneingeschränkte Souveränität im Fach Lebensführung.

Es geht um Milde, Selbststeuerung und um mehr und mehr Humor und Leichtigkeit im Leben.

Die alte Wunde wird immer wieder aufreißen: Es geht darum, „Schlimm“ da sein lassen zu können.

Und darum, aktiv „da-“ (im Jetzt) und „-bei“ (mir) zu sein.

Ich konnte gestern lesen. Nicht viel. Aber ein bisschen meiner Gefühle und Gedanken zulassen und sogar ausdrücken (ins Handeln kommen).

Und ich konnte beobachten, dass andere, leichtere, sogar freudige, sie abgelöst haben.

Und bin da-bei.

Genesung