Sie, meine Zimmerkollegin

Kapitel 1:

Genügsamkeit

Sie lebt in einer WG für psychisch Kranke in einem Zweibettzimmer. Ihre schönste Zeit im Leben sei die betreute Ausbildungszeit zur Haushaltshilfenhelferin gewesen. Sie hört Radio FFH am Handy mit Ohrenstöpseln so laut, dass ich mithören kann. Zu den Therapien ist sie immer pünktlich. Bei den Hausaufgaben „weiß sie nicht, wie sie es ausdrücken soll“. Sie wiederholt dann einzelne Worte in Satzfragmenten, die kurz zuvor gefallen sind. Bei den Mahlzeiten fehlt sie nie und isst immer alles restlos auf. Anzutreffen ist sie ansonsten meist zu Bett. Nur selten wird sie von ihrer Lieblingsserie in den Fernsehraum bewegt: „In aller Freundschaft“.

Ich habe sie noch nie in einer der Therapien getroffen, die wir freiwillig wählen können. Musik, aktive Bewegung und Körpererfahrung sind ihr so fern wie mir angeleitete Gesellschaftsspielgruppen oder einfach da zu liegen und massiert zu werden.

Wir haben zwei Mal die Woche Ergotherapie in der DBT Gruppe. Sie will immer irgendwas von den Therapeuten. Anleitung, Hilfe, mit ihnen spielen: Zuwendung eben.

Wenn ich mit ihr rede, freut sie sich. Lacht über meine Scherze. Stimmt mir bei allem zu.


Kapitel 2

Unschuld

Gerade liegt sie mal wieder. Erneut, seit gestern zum zweiten Mal, am Tropf im Bett. Sie ist blass und schlapp.

Sie fragt mich, die ich nur schnell ein paar Sachen holen und dann möglichst schnell wieder fliehen will, ob ‚alles in Ordnung sei?‘

Ich bin getrieben. Hochspannung. Ich koche vor Wut unter dem Druck von Schuld, Ratlosigkeit und dem Bedürfnis nach Ruhe und Sicherheit (von Innen und Außen).

Wie kann ich ihr Mitgefühl annehmen? Ohne mich oder sie zu entwerten? Es wütend ins andere Ende des Universums zu treten?

Irgendein sehr, sehr starkes „Muss“ hält alles zusammen…


Kapitel 3

Kleiner Gefallen

„Duuuhuu?…“

„Was ist?“

„Kannst Du mir aus dem Penny (5 min Fußweg) 3in1 Kaffee mitbringen?“

„Warum gehst Du nicht selbst?“

„Mir geht es nicht so gut, ich fühle mich noch nicht so ganz wohl.“

„Kannst von mir Kaffee haben…“

„Neee. Ich hätte aber gerne den 3in1…“

(Anmerkung: 3in1 ist portioniert inclusive Zucker und Milchpulver: Noch nicht mal das muss man selber machen bzw. entscheiden, wie viel man davon will oder braucht…).

Ich sage nein, koche aber innerlich vor Wut und Selbstvorwürfen.

Kann ich ihr nicht einfach den für mich winzigen Gefallen tun?


Kapitel 4

Weg damit… ?

Ich finde, ich behandele sie oft wie Dreck.

Selbst – Mitleid? Höhnischer Spott. Ekel.

Ihr derweil ist körperlich übel. Sie kotzt.


Kapitel 5

Verzeihung

Wut tut gut, ist aber verdammt anstrengend, wenn sie nicht zielgerichtet nach außen ver-gehen darf.

Ich bat sie um Verzeihung.

Ich bat sie um Verzeihung dafür, dass ich sie des Diebstahls beschuldige, ohne wirklich konkrete Hinweise zu haben. Es hätte schließlich jeder sein können – und ich weiß, dass es MEINE Schuld ist…. Ich sagte ihr, dass es mir leid tut, derartig dem Groll anzuhängen und nicht loslassen zu können.

Sie freut sich so sehr und so ehrlich aufrichtig wirkend, dass „es“ ankommt.

Sie stemmt sich in ihrer drallen Körperkürze von der Bettkante…

„Komm‘ lass Dich mal in den Arm nehmen…“

Reine, großzügige, schlichte, glückliche Herzlichkeit ihrerseits.

Dankbares, beschämtes, unfassbares Gerührtsein meinerseits.

Verzeihen können fühlt sich also so an…!!!???

So gut.


Zusammenfassung:

Wie kann ich bloß diesen Vater in mir lieben?

Den, der nichts mit dieser widerlichen Kleinen zu tun haben will? Dieser ständig bedürftigen, zuwendungssüchtigen, ungeschickten, hässlichen Unpersönlichkeit? Die, die er nicht auch noch haben wollte? Die so viel „sollte“ für ihn hatte, Unfähigkeit, Falschseingefühl wie Unschuld?

Die er lieben müsste, sollte, aber einfach nicht kann?

Die reine Schuld steht zwischen uns/mir/in mir wie eine Wand. Gepackt in Wut.

Sie schützen vor dem Schmerz der Leere. Die sich – theoretisch – füllen könnte mit… Leben, Rührung, Vertrauen,…

Aber die Wand…

Vergebung könnte sie entlasten…


Wie nur?

Mir selbst…? Dieser…? Diesem?

„Ja.“ sagt Friedrich.

„Indem Du es tust.

Immer, immer wieder… tust.“

Scholle

Man hatte mich für eine Nacht nach Hause gelassen.

Als notwendige, wenn auch oft nicht hinreichende Hilfsmittel, um wahrzunehmen, dass ich eine Situation verlassen habe um irgendwo anders anzukommen, dienen mir Zeit, körperliche Betätigung und äußerliche Reize der Umgebung.

So fuhr ich die jeweils gut 20 km mit dem Rad.

Gestern auf dem Rückweg von Wetzlar nach Gießen musste ich anhalten. Es war ein Gedanke, der sich, mit einem Bedürfnis und einem guten Gefühl verknüpft, – wiedermal – im Bewusstsein Raum erdrängelt hatte. Einer der Sorte, die so wertvoll sind, mich erstaunt aufatmen lassen – die in der Klarheit aber sehr selten sind, mir so gerne wieder durch die Finger rinnen und in schlüpfriger Haltlosigkeit verschwinden.

Es war genau hier an der B49 zwischen Dutenhofen und Linden:

Und der Gedanke…

Ihm/Ihr - innerer Kritiker / inneres Kind

Ich bin anders. Nicht so noch so. Noch nicht. Anders eben.

Anders als ich denke und weiß vor allem.

Und es ist nicht schlimm.

Ich bin…

Vor allem.

Diesen Moment des Ergreifenkönnens/Ergriffenseins habe ich zu sichern versucht…

Habe mir bei der Befindlichkeit von ihr ein Bild zu machen versucht…

…mittels einer Fotografie…

…habe schnell eine Notiz geschrieben…

…dieser Beitrag ist jetzt da.

Alles das, um das Gefühl zum „Ja“

einzuladen, sich wieder zu mir zu gesellen. Sich ein Weilchen niederzulassen.

Es wird gebraucht.

Gewonnen

Das Wort „Gewinn“ ist germanischen Ursprungs und war der Begriff für etwas, das ‚mit Anstrengung erlangt‘ wurde.

Ja, ich bin müde, fühle mich ausgelaugt und dringend ruhebedürftig. Möchte in diesen Raum…

…auf dessen kleinen Türschild, vielleicht nur für mich zu lesen, steht: „Das, was Du brauchst“. Dort würde ich unter die leichte, wärmende Decke kriechen, Trost und Vertrauen finden und mich sicher und willkommen sein fühlen lassen. Würde nicht darin baden, sondern Erholtsein einschlafen.

Krankenhauskaffee ist auch sicher: Bitter und lauwarm.

Er wird hier schon jetzt, lange vor dem Frühstück, angeboten, und ich habe ihn genommen. Was nicht nur kein Gewinn im Sinne der Anstrengung, sondern auch keiner des guten Geschmacks ist.

Was habe ich in den rund sieben Wochen DBT Programm neben allen bewussten und anderen Erfahrungen auch mit ebensolchen gewonnen?

Der größte Gewinn ist es, gespürt zu haben, wie weh es mir tun kann, wenn mein Vertrauen verletzt wird.

Es fällt mir schwer zu schreiben, dass ich mich besser schützen will. Denn ich will vertrauen können lernen. Dazu muss ich es tun. Aber ich durfte erfahren, dass ich mein Geld und meine Papiere hier nicht der Lust Fremder so hätte feilbieten dürfen. Ich brauchte diesen deutlichen Schmerz, um diese eine Grenze ziehen zu können. Die Kleine musste sich so deutlich machen, damit ich, die Große, in Zukunft in solcherlei Situationen bewusster handele. Für Sicherheit sorge, statt diese Verantwortung anderen zu überlassen.

In diesem Zusammenhang kann ich es also auch als ein Gewinn bezeichnen, verzeihen zu können.

Charlotte, die Scham, ist mit im Raum. Ist da und darf da sein. Ist willkommen. Darf mir vertrauen lernen um mir auch ein bisschen was abgeben zu können… Ruhe finden.

Ich habe eine Ahnung von Geschmacksvariationen gewonnen.

Nein. Krankenhauskaffee kannte ich schon.

Ich ahne was anderes…

Im Topf der Lotterie muss es sowas wie Selbstvertrauen geben.

Wütend

Bin ich. So wütend, dass ich schreien könnte. Jetzt. Ca. 20 Stunden später. Eine kraftstrotzende Radfahrt nach Wetzlar später. Bin wütend, trotzdem am Tag so wunderbar die Sonne geschienen hat. Wütend, trotz lieben Kontakt mit lieben Menschen, ein stundenlanges Telefonat später, ein tolles 3. Klavierkonzert von Beethoven im Stadttheater und ein paar Stunden in der Ruhe der Nacht später. Ich war schon draußen. Habe gerade NOCH einen Kontrollgang durch alle Mülleimer der Nähe gemacht. Und nun, morgens um 6 Uhr, bin ich noch immer wütend.

Man hat mir mein Portemonnaie geklaut. Während…

…dieser Verletzlichkeit.

Ich könnte…

…jetzt noch.

Ich richte meine Wut auf sie, meine Zimmerkollegin, die ihre Hände in Unschuld wäscht. Modell: „ich bin AN ALLEM völlig unschuldig“, alle missverstehen mich…

Sowas kommt mir natürlich gerade richtig.

Ich darf viel von ihr lernen: Nein, dieses universelle Unschuldigsein, das brauche ich nicht, will ich, weiß der Himmel, nicht haben. Aber sie bringt mir bei, meine Wut zu spüren, die ich habe auf mich und die Welt.

Ich spüre sie. Darf sie, meine Wut, sehen und spüren in neuer Deutlichkeit, voller Leben.

Wenn Gefühle im Kleinkindalter entstehen und immer wieder nach gleichen Mustern vom Hirn reproduziert werden, ist diese Wut die meiner Kleinen. MEINE Lebendigkeit.

SO habe ich sie schon ewig nicht mehr gespürt.

Nein, ich konnte nicht schreien wie mir die Kehle gewachsen ist. Konnte mich zurück nehmen trotz Aufmunterung der Plfegepersonen, meinem Instinkt doch zu folgen.

Und merke, wie sie gerade abfließt, denn in diesem Ausmaß gehört sie, die Wut, nicht hier her in den Flur der Station (zu emotional angeschlagenen Menschen), nicht zu ihr, sondern dort hin.

Es fühlt sich alles richtig so an: Wütend gewesen zu sein und nicht einfach hinausgeschrieen zu haben.

Ich darf weitergehen. Meine Schuld tragen, indem ich alle Karten nachbestelle, mir nun endlich die Mühe mache, meine Sachen einzuschließen und, trotz aller Gutgläubigkeit und in selbsttherapeutisch verlorener, geistiger Abwesenheit, versuche, meine im Alltag so notwendigen und schwer wiederzubeschaffenden Gegenstände mit Achtung zu behandeln.

Schon fluche ich irgendwie belustigt, selbstverhöhnepiepelnd mit der eigenen Dödeligkeit, die halt auch immer und überall mitspielen will, spaßend in mich rein.

Lernen! Und dankbar sein.

Und mein Gefühl wertschätzen: Zur Polizei gehen und anzeigen, dass mir von unbekannt Unrecht getan wurde.


…und ich habe gemerkt, dass man mir noch mehr weh getan hätte, wenn er oder sie statt des Geldes und aller Karten und Ausweise mir meine PCT Begleiter (also die zwei Halstücher, das kleine Fürallesguttuch, das Merinooberteil) oder das Häkelpferdchen meiner Schwester genommen hätte.

OK, weit weg ist sie nicht, die Wut.

Es ist Angst

Die der alten Sorte.

Ausgelöst durch irgendwas.


Wie ging ich gerade damit um?

Wahrnehmen.

Registrieren, feststellen, dass es Angst ist (alleine das ist schon erleichternd!).

Unvorstellbar, wie schwer das war. Sie hatte sich zunächst mit einer großen Portion Trotz geschützt und dann mit Ignoranz, Rat- und Rastlosigkeit, Getriebensein, Wut, Aufregung und Hass getarnt.

Sie hatte Lust zu schreien. Und drückte mir auf den Hals. Wollte sich schlingen.

Weil sie so eine schlimme Angst ist.

Und so sehr nicht da sein durfte.

Fragen

Ist das Gefühl der Situation entsprechend passend?

Nein.

Wie hoch ist die Spannung?

(-> bei über 70 runter skillen)

Skills: Habe rote Dinge im Raum gesucht und 16 gefunden, nochmal überprüft, 17 gefunden. Hatte dabei den Kopf gehoben.

Habe mit Bleistift blind geschrieben. Irgendwas. Was mir in den Sinn kommt.

Habe im Buch über Angst gelesen (mich abgelenkt)

Habe neue Tasten auf dem Handy ausprobiert.

Bin mal raus vor die Türe. Luft, atmen, feste auftreten.

Entgegengesetzt Handeln:

Bin in der Situation geblieben. Realität überprüft.

Entgegengesetztes Denken:

Habe in Gedanken Kontakt mit Friedrich aufgenommen. Mit ihm ein paar Worte gewechselt. Auch auf dem Papier. Er weiß, dass ich auf einem guten Weg bin, auch wenn es sich gerade mal wieder sehr verrückt anfühlt. Er weiß das und weiß auch, dass ich das aushalte.

Entgegengesetzte Körperhaltung:

Aufrecht hinstellen. Fäuste ballen. In den Bauch atmen. Mit den Füßen aufstampfen. Fußspitzen nach außen. Blick nach oben. Gucken, was ist. Schultern zurück. Leise grollen oder knurren.

Ich bin in der Psychiatrie und darf das mir auch hier in der Cafeteria erlauben. Echt jetzt.

Bin verrückt und gut darin.


Es ist besser jetzt.

Ich weiß, sie kommt nochmal. Bis ich eine gute Lösung gefunden habe. Einen Kontakt, der mich wieder verbunden fühlen lässt. Manchmal reicht schon ein Blick, Lächeln einer wildfremden Person. Besonders wohltuend kann ein Telefonat sein (ein Zeichen von außen, dass ich auszuhalten bin dient mir dann als Spiegel, mich darauf vertrauen zu können, das aushalten zu können). Letztendlich: Meine Einwilligung zum Sosein. Und zum Traurigseindürfen.

Bis irgendwann Friedrich angewachsen ist.

Vertrauen in mich und die Welt – ganz oft eingeübt und dann irgendwann federleicht vorstellbar ist.

…und mein Hirn das im Automatikprogramm verschaltet.

Atmen.

Und ein bisschen stolz sein.

Drei Haufen Steine

Angesichts der Lage am Stadtrand unweit des ‚Gießener Rings‘ befürchtete ich, die wandertätigen Fluchtmöglichkeiten seien hier für mich schlichtwegs unzureichend, aber direkt an der Klinik beginnt zu meiner Freude ein für meine Zwecke wunderbar geeigneter Weg in den Wald.

Er verläuft überwiegend geradlinig, ist also weit einsehbar, durchwegs befestigt und somit auch bei Dunkelheit sicheren Schrittes zu begehen.

trostreich

Wer sich auskennt, weiß, dass der Weg auf den Schiffenberg und zum dortgelegenen Kloster führt, welches heute als Ausflugsziel und Veranstaltungsort dient.

Mein derzeitig fast täglich aufgesuchtes Ziel liegt aber nicht direkt dort, sondern ein wenig abseits, ca. 5 km entfernt von der Klinik.

Es geht zunächst ca. 4,5 km stetig leicht bergan. Nicht steil, aber die Kombination aus Streckenlänge und -steigung reicht meist aus, um meine Anspannung spürbar zu senken.

Und zur Belohnung gibt es dann einen freien Blick aufs Feld.

Neulich also stellten sich eher die grauen und blauen Töne vor,

aber an die hier vor ein paar Wochen noch zu entdeckenden Farbspielereien kann ich mich auch noch gut erinnern…

Sofort wieder bildhaft präsent ist mir beispielsweise das sich zum Boden hin verdichtende, unaufdringliche, aber doch satte Grün der im Bild nun unter dem Schnee versteckten Trockenwiese.

Bei aller Kürze des Grases stand es dennoch in einem fließend schönen Kontrast zu dem senfig bis orangefarben Farbton der Halmspitzen, die, je nach Lichteinfall, sogar gold oder kupfern zu leuchten schienen…

…aber zurück:

Entlang der auf den Bild zu sehenden Baumreihe sind es noch etwa 500m bis an das kleine Wäldchen. Und da liegen sie:

Koordinaten: 50.55529, 8.749993 Höhe: 306 m Zeit: 10.01.2019 13:11:09

Es sind einfach drei Steinhaufen.

Sie dienen mir als angestrebtes Ziel der Reise, welches ich auch gerne mit anschließender Besetzung auf beschränkte Zeit beehre.

Ich nenne sie die ‚weisen Steine‘.

Weise Steine… albern? Ja, klar. Trotzdem.

Ich nenne sie vielleicht so, weil ich hier nicht nur meinen Blick, sondern auch schon mal bereits getroffene Ansichten oder Urteile fern schweifen lassen konnte. Manchmal kommt mir, wie von dort, auch was Neues in den Sinn und ich nehme das dann stattdessen auf dem Rückweg mit.

Vermutlich ist es ihnen, den Steinen, völlig gleich, ob ich sie bemerke, vorbei gehe, hier zum Sitzen komme, oder nicht.

Mir ist ihre hiesige Liegenschaft aber gar nicht egal. Womit sie mir, bei aller Sachlichkeit von Steinen, wesentlich werden.

Und das Egalsein gelingt mir hier besonders gut.

Gerade im Moment zum Beispiel ist es mir egal, dass ich als Kind… blablabla….

Ich bin den Steinen egal. Ihre Wesentlichkeit aber erlaubt es mir, dennoch dort sowas wie Verbindung zu finden. Ich bin zeitgleich da und egal und es ist für alle Beteiligten nicht schlimm.

Wenn Egalsein früher sowas wie grauenhaft war, und ich dieses Grauen beizeiten heute noch in Form von irgendwie ausgelösten Gefühlen erlebe, gibt es einen Weg, es ziehen zu lassen wie mich die Steinwesen. Und einen Weg, es bemerken, achten und liegen zu lassen zu lernen, wie ich die Steine.

Egal sein können, egal zu sein und es mir egal sein lassen zu können (ohne Be- und Entwertung im Hier und Jetzt bleiben), vermögen die Steine mir also wundersam zu vermitteln.

Kreative, anschauliche Lehrer im Fach: Umgang mit Gefühlen…

Geeignet auch als immaginärer Treffpunkt mit den „Helden des Alltags“, sowie neutral genug, um als Sammel- und Pausenraum für den Gesamtchor dienen zu können.

Gar nicht so weit her geholt, das fleißtätige Verrücktsein auch ‚Spinnen‘ zu nennen, oder?

Machen lassen

Gleich 5 Uhr.

Das sanft atmende Geräusch vom anderen Ende des Zimmers lud mich vor ein paar Stunden ein, preiste sich an als ein Vorschlag, es auch mal dort hin zu probieren.

Ich bin ihm dann mal in den Schlaf gefolgt.

Es ist noch immer da…

Möge es – und sie – mir sodann ins Wachsein folgen.

Vorrüber ist die erste Nacht der zweiten vier Wochen im DBT Programm,

die tiefe Portion Schlaf verschlungen. Die Tüte hab ich noch noch in der Hand. Es war auch reichlich Reinigungstraum darin. Verband sich mit dem Restgeleide meines vorherigen Tages Erleben zu einem Wesen des Kurzzeitgedächtnisses und verschwand. Geblieben ist die Leere ihrer Lücke, flirtend mit der neugierigen, frischen Unbekümmertheit eines neuen, offenen, völlig ungelebten Tages.

Ich lass die einfach mal mit mir machen…

Auf Messers Schneide

Wie es mir geht.

„Borderliner“ sollen angeblich Gefühle intensiver erleben. Und das Abklingen der entsprechenden Hirncocktails soll länger dauern.

Nun, wie man die Intensität von Gefühlen messen und vergleichen will, weiß ich nicht.

Ich empfinde mich noch oft Gefühlen ausgeliefert.

Was soll das heißen? Gefühlen „ausgeliefert“ sein?

Beispielsweise „verzweifelt sein“ nicht als gewiss vorübergehenden emotionalen Zustand erleben zu können, der in Kontakt ist mit „irgendwas“ – mit einem „ich bin verzweifelt, weil…“ oder mit einem „es wird besser, wenn…“.

Es fühlt sich manchmal so wahr, wirklich, ehrlich „schlimm“ und alles vereinnahmend an. Ich bin dann nicht verzweifelt oder „in Verzweiflung“. Verzweiflung ist dann vollkommen wahr und sonst nichts mehr greif- oder vorstellbar. Da ist nichts mehr, das der Verzweiflung stand hält. Ich bin nicht „auch“ verzweifelt, ich bin Verzweiflung.

Worum es vielleicht geht, ist das bewusste Sein und Bleibenkönnen, das wahrnehmen, urteilen und handeln im Hier und Jetzt, in der Realität des Erlebens des Moments.

Was dann eben völlig fehlt, ist Kontakt zum Vertrauen. Wenn im Erleben von Gefühlen der Kontakt zu vergangenen, stärkenden Erfahrungen und die Zuversicht fehlt, das Vertrauen und die Glaubhaftigkeit in „es wird wieder gut“ fehlt, was bleibt dann?

„Mensch, Karin, Du bist 42, Elektroingeneur….“ …ach, nee: „Mensch, Karin, Du hast 49 Jahre lang funktioniert, bist 51 Jahre alt geworden… erzähl‘ mir nicht, da ist nix mehr…“

Ich kann es nicht anders beschreiben.

Die Abstürze fühlen sich dann eben völlig haltlos an. Ich stürze z.B. tief in die Verzweiflung, die Hoffnungslosigkeit, die Leere des Verlorenseins. Angst als Puffer.

Darüber liegt die Traurigkeit. Sie ist auch schlimm, aber sanftmütig.

Spöttisch zornig bitterscharfe Selbstkritik (Aura von „I.“), Scham und Schuld kann ich in guten Momenten, wie jetzt, als Helfer, mich bewahren zu wollen, sehen: Sie werfen sich vor das vermutet schlimmere Erleben, schützen mich vor dem Absturz. Wirklich Willkommen heißen kann ich diese Truppe aber auch nicht, denn auch sie fühlen sich wahr an und ich bin dann mit ihnen, unterwerfe mich, fühle mich schuldig und „muss mich schämen“, verurteile mich zertretend, erwürgend, vernichtend als hysterisch, völlig unannehmbar, schmarotzend, der Existenz nicht berechtigt, bin „ein Leben schuldig“ – lasse mich also aus ihren Bewertungen heraus leiten bzw. leiden.

Ja, und gerade merke ich wieder: Es hat was mit Balancierkünsten zu tun, im Hier und Jetzt zu bleiben. Auch jetzt muss ich mich schützen mit „Du übertreibst, Du spinnst, Du nimmst Dich zu wichtig, Du hast sie nicht mehr alle, Wie kann man denn sowas schreiben und das dann auch noch seinen Mitmenschen zumuten?“

Es ist die Schutztruppe, die weiß, dass ich mich gerade wieder ins Wanken bringe mit diesen Zeilen.

Zurück zum Balancieren… : Das mag – vielleicht – ein Unterschied von ‚Borderlinern‘ zu der Überzahl der Mitmenschen sein: Dass diese Linie des „normalen Bewertens und Erlebens“ schmal ist. Und dass es sich fremd und unwirklich anfühlt, aufrecht zu stehen und klar zu sehen.

Zudem bedarf es einigen Balancierkünsten, dort oben zu bleiben. Stürze sind vorprogrammiert. Und es braucht nicht nur einige Übung, wieder hinaufzuklettern, sondern es auch Erfahrungswerte, dass es sich lohnt, den alten, wohlbekannten Sumpf der Selbsterniedrigung, der kuscheligen Wärme der kleinkindlichen Hilflosigkeit und der bequemen Verantwortungsabgabe wieder und wieder zu verlassen.

Dazu geht es ja nicht nur nach unten…

Manchmal schwebe ich ein bisschen über der schmerzhaften Linie in das versponnene Verträumtsein des kindlichen Insicherheitfühlens / Allesinordnungseins, des kindlichen „IchbininOrdnung/Richtigseins“ oder des Wohlmöglichwahrwerdenkönnens. Das Hoffen aus dem Gefühl der reinen Unschuld heraus auf eine heile oder heilende Welt.

Das unvermeidliche Zurückkommen auf der Linie der Klarheit ist nicht nur betrauernswert ernüchternd, sondern auch schwer auszubalancieren: Die Folge ist ein gefühlter Sturz vom ersten Stock direkt in den Keller….

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…und ich weiß, nur mein Hirn spielt verrückt. Da ist was aus der Bahn geworfen. Da ist was, was wieder heilen kann. Es ruckelt halt noch…

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…Fortsetzung folgt.

Danke fürs Lesen bis hier hin!

Ich werde mich wieder finden. Messers Schneide platt treten. Mein Erleben balancieren lernen. Und das geschwinde Hinaufklettern auch.

Jetzt brauch‘ ich ’ne Pause. Und es ist Samstag, Zeit für den Markt und den Kaffee in der Rösterei… im Hier und Jetzt.