Bilder entstehen und dürfen vergehen

WatteElefantBlindheitNebel –  Probieren statt VerlierenAufbruchZeit

Watte

Das scharfkantige Gerüst besteht aus Selbstentwertung, Selbsterniedrigung und Angst. Es ist alt wie mein Leben, stabil, verlässlich und der Glaube daran hat mir lange Halt und Richtung gegeben. Damit es nicht so weh tut, das Gerüst zu spüren, habe ich es mit Watte abgepolstert. Zwanghaftes Essen, Arbeit, Fernsehen. Und die beste aller Watten bist Du, Klaus. Du tust mir so gut.

Aber ich habe Luft gespürt. Erahne das es noch etwas anderes gibt. Die Ahnung von einem Leben außerhalb von Enge und Watte. Es ist weit und bunt. Es kann gefährlich und kalt sein. Und auch das ist mein Leben. Ich kann es mir nehmen.

Ich muss aus dem Gerüst raus. Habe schon viel Watte weggerissen, um mehr Luft und Ahnung zu bekommen. Nun spüre ich die Schmerzen des Gerüstes. Und wie sehr es mich einengt. Nein, die Möglichkeiten, die Landschaft sehe ich noch nicht wirklich. Aber manchmal auch die Lust auf das Draußensein. Und manchmal bin ich draußen. Das sind die Momente, in denen ich Vertrauen malen oder haben darf.

Vertrauen, dass ich, Karin, ohne das scharfkantige Gerüst der Selbstablehnung leben könnte.

Dass es auch dann Schönes für mich geben kann, das mir gut tut. Und ganz bestimmt genug davon!!! Vielleicht auch Teile der alten Watte, aber ohne an scharfe Kanten gebunden zu sein. Dass Vertrauen – genau so wie Mut und Angst haben, wie Freude und Liebe empfinden und wie mich eingeengt und manchmal auch so schmerzhaft haltlos zu fühlen – zum Leben gehören dürfen, weil das Vertrauen in die Welt und das Vertrauen in mich eben nicht trennbar sind.


Elefant

Ihr kennt sicher die Geschichte… es gibt sie hundertfach im Internet zu lesen.

Ein ausgewachsener Elefant lässt sich halten an einem verhältnismäßig klitzekleinen Pflock. Dieser hat ihn als junger Elefant gehalten. Sich zu befreien, bedeutet Schmerzen zu haben und letztendlich immer zu scheitern. Deshalb lässt er irgendwann alle Versuche.

Auch dann, als er ausgewachsen ist.

 


Blindheit

Die Augen müssen sich erst an das Sehen gewöhnen, wenn sie aus dem Dunkeln kommen.

Ich darf mir eng, dumpf, stumpf, desinteressiert vorkommen. Ich darf es sogar sein. Ich lerne. Bin geblendet vom wattelosen Licht.

 


Nebel

Du, Du gute, alte Freundin schriebst mir:

„Mir kommt es so vor als ob ich im Nebel stehe, wenn ich versuche, mich ‚auf Dich zu verstehen‘.

Da könnte ich erst einmal nichts machen ausser ausharren, bis sich der Nebel lichtet. Jede unnötige Bewegung kostet Kraft. – Vielleicht hast und bist Du schon alles, was Du Dir wünschst?“

In mir schreit noch immer alles auf. Ich muss doch irgendetwas tun!

Aber nein: Die Welt steht mir offen. Ich darf auch stillhalten und abwarten.

Kann man überhaupt „Nichtstun“?

Letztendlich lässt man immer irgendetwas – los.

Starre Vorstellungen zum Beispiel.

 


 

…und auf gar keinen Fall habe und bin ich schon alles, was ich mir wünsche!!!

Das geht doch gar nicht… !!!

Oder eben gerade doch?

 

Ich wolle einen guten Kaffee trinken? Dann solle ich ins 10 km entfernte Lauterbach fahren.

Und da saß ich nun in der „Geniesserzeit“ am Marktplatz. Es war nicht viel los. Den Takt gab das völlig unrhythmische, aber nicht aufdringliche, unaufgeregte Kaffeetassengeklapper. Das entspannte Stimmengemurmel aus dem Hintergrund erzählte von Wein und Gläsern… und das tiefe, ruhige Atmen des Tischgenossen erinnerte mich an sich erdig anfühlende Gesellschaftsschlaferfahrungen.

Der Cappuchino war sehr, sehr gut. Er besaß das genau richige Maß an Bitterkeit und Milde. Die Zuckerkörnchen im Mund ließen ihre Form und meine Muskeln die Anspannung los. Ich konnte schmecken und fühlen, dass ich woanders bin. Dort, wo ich noch nie vormals war. Ein neuer Platz, der sich gut anfühlte. Ich stellte fest, dass ich gerne unterwegs bin.

Dieser Momente willen.

Aber ein Cappuchino ist nur ein kurzer Moment lang ein Cappuchino. Der Genuss entsteht im Vergehen.

 

Probieren statt Verlieren

Aus der Starre, Enge und Blindheit kommend, die Schmerzen des Gerüstes fühlend, wissend und im Nebel stehend:

Was will ich?

Ich lasse mich schnell verunsichern. Traue mir nicht und weiß nichts von der Welt außerhalb von Gerüst und Watte.

Versuche ich herauszufinden, wonach mir der Sinn steht, zweifle ich daran, ob es doch nur wieder die Sehnsucht nach „prima Watte“ ist. Sicher falle ich gerne auf ein Lammfell herein. Oder ein Biodaunenfutter.

Ja, ich möchte es leicht und warm haben…

…und weiß doch, dass es das nicht ohne Schwere gibt.

Was also will ich?

Die Genervte in mir: Du wirst niemals wissen, was das Richtige für Dich ist. Also entscheide Dich und tu was. Mach endlich hin.

Die Ängstliche: Und wenn Du Dich für das Falsche entscheidest? Du niemals das findest, was Du suchst? Du niemals zufrieden bist? Ruhe hast und in Dir ruhen kannst? Niemals „Das Richtige“ findest, weil das, was Du suchst, auf Erden für Dich nicht mehr zu finden ist? Alles aufgibst, irgendwas anfängst und wieder abbrichst / scheiterst / verlierst?

Irgendjemand in mir hört die freundlichen Stimmen von außen, und versucht, leise mitzusingen. Hört es sich doch so richtig und befreiend an.

„Du darfst ausprobieren. So lange, bis Du gefunden hast, was sich für Dich richtig anfühlt…

…und wenn es sich nicht mehr richtig anfühlt, darfst Du weiter ausprobieren.“

Vielleicht habe ich keine Angst vor der Suche und dem „Nichtfindenkönnen“, sondern vor dem Ankommen. Das „falsch“ ist, was richtig sein sollte. Das ich mich „falsch“ fühle, weil das vermutete, lang erkämpfte Ziel nicht das Richtige für mich ist.

Angst vor der Erkenntnis, dass es „richtig“ nicht gibt.

Vielleicht ist nicht das Ankommen mein Sinn.

Vielleicht ist das Suchendürfen der Sinn, den ich suche.

„Der Weg ist das Ziel“

Erlaubnis zum Aufbruch.

„Ja“ sagen zur Sucht – ausgelebt als Reise, nicht als Störung der Beziehung zu Essen, Partner, Arbeitsplatz, Fernsehen…

 


Aufbruch

Eine tiefe Wunde kann nur von innen heilen.

Das Pflaster ist ab. Das Narbengewebe aufgebrochen.

Die Wunde ist hässlich und sie schmerzt noch immer.

Ich kann Dich sehen. Dir beim Heilen zusehen.

Und ja sagen lernen zu dem, was entsteht.

 


„Du schreibst doch immer dasselbe. Du müsstest es doch echt langsam mal kapiert haben. Nu mach‘ mal hin. Auf jetzt… Du musst… Du kannst doch nicht…“

Ja. Ich kapiere noch nicht viel. Was ich endlich kapieren sollte ist:

Es braucht Zeit.

Und die darf ich mir geben.

 

 

Ein Gedanke zu „Bilder entstehen und dürfen vergehen“

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