Zum Verständnis: Schneeverhältnisse

Wir sind hier in Bishop ca. in Höhe von PCT Meile 850.  Hier geht es bis über 11000 Fuß hoch.

Zwischen Meile 1400 und 1500 gibt es ein Stück unter 6000 Fuß Höhe. Oregon ab Meile ca. 1700 wäre auch meist bei ca. 6000 Fuß, ist aber weiter nördlich.

Der Treffpunkt mit Susi und Tine wäre bei Meile 2100, Grenze zwischen Oregon und Washington.

Zurzeit gilt noch: Ab 5000 Fuß: Schneefelder,  ab 6000 Fuß Schneedecke. Es schmilzt aber.

So versteht Ihr besser, dass es so schwer ist, zu entscheiden, wohin

Warten ist teuer und macht rammdösig. Mache ich schon viel zu lange.

Kein Teil sein.

Ich bin hier in einem Ort, an dem Wanderer zurück von ihrer Erfahrung in der High Sierra kommen.

Es gibt Geschundene und Gestählte.

Ich fühle mich auch geschunden, wenngleich nicht körperlich, und dachte hier, mich teilen zu können, Teil sein zu können.

Aber ich bin es nicht.

Matthias meint, das sei letztlich die Folge meiner Flüchte, der ständigen Sprünge. Recht hat er. Aber die hatten doch ihren Grund. Warum flieht man? Warum springt man? Aus Angst und Hoffnung.

Und morgen springe ich wieder zurück vom kurzen Urlaub – in meine Welt.

Matthias,  ich freu‘ mich, Dich unter den Gestählten zu wissen.

Gestählt wäre ich, könnte ich durch das gehen, was mich fliehen lässt. Das, was geschieht in meinem Gehirn, was ich ‚Verlorensein‘ nenne. Dazu müsste ich mich nur der Einsamkeit stellen. Auch, um mich den Menschen, denen ich dort begegne, trotz meiner Angst, zumuten zu lernen.

Das ist hier kein Problem. Auf, Karin, los: Internetlose Strecken gibt es hier überall. Nervige, wenngleich vermutlich harmlose, Schneefelder unvermeidbar.

Ihr, Freunde, singt mir Eure Lieder…. Sagt mir, die Ihr mich kennt: Rein in die befürchtete Qual, ein weiteres Mal? Ein letzter Versuch, zu lernen, sie in Stärke zu verwandeln?

Oder geht es um Annahme der Unfähigkeit?

Ja, ich weiß… die Antwort muss ich selbst finden.

Respekt

Dafür, dass es diese Menschen, von denen ich jetzt spreche, gibt in meinem Leben, empfinde ich große Dankbarkeit. Und auch wenn ich (noch) nicht gelernt habe, mich auf meinen Boden zuverlässig verlassen zu können, kann ich doch sagen: Ich kann mich selbst verlassen, aber sie bleiben sich und gleichzeitig unserer gegenseitigen respektvollen Art, uns zu begegnen, treu. So kann ich mich auf sie verlassen.

In dieser respektvollen Art würde ich gerne mir selbst begegnen können.

Aber ich höre diese Stimme nicht, die mir sagt, wohin, wie es weitergehen soll für mich. Was richtig ist.

Z.B. mich der Angst aussetzen oder endlich annehmen und akzeptieren, dass ich eben nicht alleine sein kann.

Auch für diese Ratlosigkeit könnte ich jetzt versuchen, Respekt und Geduld aufzubringen: Wir müssen uns doch erst einstimmen.

Aber das, was in der Zwischenzeit passiert, ist manchmal schmerzhaft schlechte Musik.

Davor habe ich Angst.

Mein Handy

Ich hatte damals kurz nach meinem Sturz schon darüber nachgedacht, wie es wäre, die Internetverbindung aus zu stellen. Zu oft hahe ich danals schon auf das Verbindungssymbol geschaut und ob ich vielleicht eine Nachricht bekommen oder einen Anruf verpasst habe.

Mittlerweile habe ich das Gefühl, ich kann nicht mehr ohne Handy sein. Ständig ist es in Benutzung. Ich google nach Verbindungen, gehe shoppen, halte mit Euch Kontakt, schaue nach der Trailapp und versuche, Informationen zu bekommen, wie es denen ergeht, die unterwegs sind in der steilen, verschneiten Sierra, für die ich zu feige bin.

Das Handy muss 2x täglich geladen werden. Gut, es hat ein großes Display und einen schnellen Prozessor, aber trotzdem zeigt das doch, wie oft es in Benutzung ist.

Und ich habe schon ein bisschen Grummeln im Bauch, wenn ich an die Wanderung nach Kennedy Meadows denke. Da werde ich kein Internet haben. Keine Möglichkeit, mich meiner Freunde zu versichern. Keine Möglichkeit, mich mitzuteilen.

Was bedeutet dieses Ding also wirklich für mich?

Ist es eine Art Freundesersatz?

Nein. Wäre das Handy kaputt, könnte schnell ein Neues da sein und es ersetzen.

Bei meinen Freunden ist das definitiv nicht so :-))

Aber es hilft mir. Nicht nur bei der Informationsbeschaffung. Es hilft mir, indem es mich ablenkt. Es hilft mir, indem es mir bestätigt, dass ich Kontakt habe.

Mit Euch.

Schuhe

Es ist Zeit, ein Hohelied auf meine Schuhe zu singen. Es handelt sich um das Modell Meindl Nebraska mit Goretex Ausrüstung. Sie waren vor ca. 600 Meilen noch recht neu. Jetzt sehen sie so aus:

Innen sind sie noch prima erhalten und die Oberfläche ist auch intakt. Aber die Sohlen sind schon recht abgenutzt und es wird deshalb langsam Zeit, mich von ihnen zu verabschieden.

Die wenigen Blasen, die ich hier hatte, habe ich meiner fehlenden Achsamkeit mir selbst gegenüber zu verdanken, nicht ihnen.

Ein Ersatzpaar habe ich in meiner Bouncebox.

Ob ich überhaupt noch ein weiteres Paar brauchen werde?

 

Bishop

Ich bin gestern Morgen dort am Rande des PCT aufgewacht und wusste, dass ich nicht nach Kennedy Meadows wollte. Ich wollte umkehren und tat das auch.

Meine Idee war, mit Matthias zu reden, der einen Teil der High Sierra durchquert hat und sich nach diesen Erfahrungen dort auch mit Abbruchgedanken trug. Er hatte nichts dagegen, also habe ich mich auf den Weg gemacht. SEHR viel Glück beim Trampen ermöglichten es mir, die ca. 160 (!) Meilen nördlich entfernte Stadt um ca. 10 Uhr erreicht zu haben.

Bishop ist ein Touristenziel. Was genau hier diese Stadt den Reisenden bietet, ist unklar, aber es könnte mit der Lage zu tun haben:

Nun bin ich also hier und habe ein bisschen Abstand von der Schwere der zu treffenden Entscheidungen.

Aber ich weiß, die holt mich schnell wieder ein.

heyhouwayougoin?

„1,9 miles behind Walker-Pass“, sagt die App. So weit bin ich gekommen. Auf einem Stein hier an kleinen Bergkamm mit überwältigender Aussicht saß ‚Double‘ und frug mich das übliche „heyhouwayougoin?“. Es klang so gar nicht desinteressiert wie üblich, also sagte ich ihm, dass ich mich gerade vom PCT verabschiede. Nach paar Sätzen bekam ich eine warme Umarmung geschenkt. Ich ging weiter, fühlte aber deutlich, eigentlich nicht alleine sein zu wollen, und kehrte um. Ob ich bleiben dürfe? Klar! So schauten wir gemeinsam den Sonnenuntergang an und teilten uns Musik über einen Splitter am Kopfhörer. Nun liegen wir ca. 5 Meter voneinander entfernt, machen Cowboycamping bei Vollmond und sternenklarem Himmel. Der Wind bläst. Es ist kühl. „All right…“ sagt John, 27 Jahre alt, und wünscht mir auch eine gute Nacht. Und dass ich einen Weg finden möge, mit meiner Einsamkeit klar zu kommen.

Danke.

…und ich hör‘ noch ein bisschen Musik vom Wind in den Bäumen.

Auf Wiedersehen?

Es ist ca. 15 Uhr Ortszeit. Meine beiden Freunde haben sich noch nicht mal verabschiedet. Ich bin alleine unter Vielen.

Bei der Entscheidung zum PCT spielte eine Rolle, dass ich dachte, hier sei ich nie so richtig alleine. Das stimmt zwar, leider fühle ich mich hier so schrecklich einsam, das es trotz dieses wunderbaren Weges mehr und mehr zur Qual für mich ausartet. Ich bin alleine und das ist hier, kurz vor Kennedy Meadows, wo alle in Paaren oder Gruppen ankommen und gehen, besonders schmerzvoll für mich. Will nicht ‚Hiker‘ sein, sondern ‚Karin‘. Will willkommen sein, nicht geduldet. Ich will all diese Entscheidungen, die jetzt getroffen werden müssen, nicht alleine treffen. Wohin springen, in welche Richtung gehen, was mitnehmen, was kaufen, was wohin schicken? Ich habe mich und meine Ratlosigkeit satt, halte es nur mit Telefonaten nach Hause noch mit mir aus.

Ich werde wohl heute wieder auf den Trail gehen. Um ihn nochmal zu spüren. Um mich zu bedanken. Um mir vielleicht noch eine Chance zu geben. Wahrscheinlich, um mich zu verabschieden.

Damit die Qual ein Ende hat.

Und mich die Leichtigkeit wieder besuchen will.

Guter Tag – Donnerstag, der 8. Juni

Es ist 21:52 Uhr. Ich liege im Cowboycampingbett, die Grillen zirpen.

Ein guter Tag liegt hinter mir.

Schon morgens fühlte ich mich besser beieinander. Ich hatte Lust auf Kaffee und bin früh losgezogen. Das Frühstückslokal war mit Wanderern überfüllt, sodass sie sich irgendwann sogar an meinen Tisch setzen mussten und ich zu einer kleinen Unterhaltung kam. Richtig gut war es, Hunger zu spüren: Nachdem die Lust auf ’süß‘ gestillt war, gab es noch Rührei mit Bratkartoffeln und Ketchup.

Ich war morgens ein bisschen einkaufen und dann wieder am Campingplatz, habe mittags dem leckeren Burrito genossen und bin nachmittags dann alleine mexikanisch essen gegangen. Da habe ich den Vogelkundler wiedergetroffen, der mich neulich beim Trampen mitgenommen hatte und wir haben uns eine ganze Weile lang nett unterhalten – soweit das mit meinem mangelnden Englisch möglich war.

Dann habe ich noch richtig viel Geld für meine Ernährung ausgegeben: Es gab Protein- und Ekektrolytepulver, sowie Mandelmus.

Zwischenzeitlich ein Telefonat mit zu Hause und liebe Emails…: Wellness für die Seele!

Zurück auf dem Campingplatz gab es ein völlig überraschendes Wiedersehen mit Rene und Randy: Was für eine Freude! Den Texaner Randy habe ich ganz am Anfang mit seiner Schwester in San Diego getroffen. Und Rene aus Deutschland begleitet ihn, nachdem diese Schwester verletzungsbedingt eine Pause machen musste. Habe die beiden vor einer ganzen Weile mal in Hikertown und Big Bear getroffen und mich so richtig gefreut, sie wiederzusehen. Abends sind wir noch ein Bier trinken gegangen und ich werde nicht morgen früh den Bus zum Walker Pass nehmen, sondern erst mit ihnen frühstücken gehen.

Man muss die Feste feiern, wie sie fallen!