Ein Gedanke

 

Es tun. Einfach tun.

Was sich richtig anfühlt.

Jetzt.

Mehr ist nicht zu tun.

Jetzt.

Ein Gedanke

Ja zum Ja sagen suchen.

Du weißt nicht, was sich richtig anfühlt?

 

Ja.

 


Praktisches Beispiel…

Ich nehme meine innere Unruhe wahr. Spüre den Druck der unterdrückten Angst.

Nein,

ich weiß ( – noch immer – ) nicht, wo ich sein und was ich tun werde. Nein, ich weiß noch immer nicht, was ich will. Und was ich nicht will.

Ich höre Scham und Schuld, Zorn und Wut, Angst und Zweifel.

Ich höre.

Ja,

ich lasse die Petersilie aus den Ohren… ich lasse und höre zu, bleibe und lasse sein, was da ist.

Jetzt.

Zulassen. Mich freuen, dass ich hören kann. Auch wenn ich ihnen nicht helfen kann, ich lasse sie singen.

…und habe jetzt „einfach“ diesen Antrag ausgefüllt, gefaxt, eingetütet, frankiert. Dann noch zwei Weitere solcher liegengebliebener Art.

Habe mich nicht versteckt, sondern Maja angerufen und abgesagt. Wegen des blöden Gefühls, das jetzt deutlich besser ist. Habe mich mit ihr zum Aglio Olio kochen heute Abend verabredet. Und ich darf wahrnehmen und ich darf sagen, wenn es mir zu viel wird. Sie versteht das.

Jetzt.

..kann ich mich sogar darauf – und auf sie (Dich, Maja) – freuen!

 

Brava, maestra!

 

Petersilie verrücken

Um sie besser einschätzen zu können, mich von ihnen distanzieren zu können, auf dem Weg mit mir besser umgehen zu lernen, habe ich bestimmten meiner Gefühls-. Verhaltens- bzw. Denkmustern Namen gegeben und umschreibe sie als Persönlichkeiten, als „Stimmen in meinem Chor“. Und ich bin ihr Dirigent, ob ich will, oder nicht.

Manchmal habe ich Lust, mich dieser Aufgabe zu stellen. Möchte lernen, die Stimmen zu ermutigen, das zu tun, was dem Chor dient, statt das zu tun, was sie schon immer getan haben und was sich oft schlimm angelebt hat.

Sie alle wollen mir dienen oder haben das in vergangen Zeiten getan. Alle haben wundervolle Eigenschaften, die ich für mich nutzen könnte. Nur singen sie alle durcheinander, drängen sich vor oder sind zu träge, halten sich für zu wichtig oder gerade nicht, stören oder schweigen. Sind eigensinnig oder verschüchtert, singen zu laut oder sind heiser. Manche verstecken sich. Andere sollten ich besser zum Schweigen und Zuhören (einfach auf andere Stimmen vertrauen, loslassen) oder zum Instrumentenwechsel (z.B. Musiktheorie, Raumpflege, Summen) ermutigen.

Aber ich verstecke mich noch oft im Zuschauerraum. Habe mir Petersilie in die Ohren gesteckt und halte mich für schwerhörig. Denke, ich sei unmusikalisch, gebe auf, statt meine Lieblingsmeldodie zu finden und mich trauen, sie zu benennen und zu ihr zu stehen.

Klingt das alles verrückt? Ja, ist es vielleicht.

Wenn man Verrücktsein als eine Abweichung dessen sieht, was unverrückbar richtig oder falsch scheint.

Somit tue ich, was ich kann, um verrückt zu sein. Auch wenn es wenig ist. Denn ich glaube, das, was unverückbar war oder manchmal noch zu sein scheint, bringt mich früher oder später um ein natürliches Sterben und/oder um einen friedlichen Tod.

Es ist mein Weg. Auf den ich manchmal sogar ein bisschen stolz bin.

Auf ihm kann ich es vielleicht versuchen, zu gehen. Andere Wege sind von meinem Nichtvertrauenkönnen – oder ist es Hochmut? – verseucht, versiegelt, verschüttet gegangen.

Und warum gerade diese Namen? Ganz sicher haben sie so gut wie oder gar nichts mit Menschen zu tun, die denselben Namen tragen. Das will ich gar nicht: Mein Gehirn spielt Puzzle.

So ist Charlotte meine Scham, Friedrich mein Ermutiger. Es gibt bisher noch zwei weitere Namensträger:


Stefan kenne ich schon sehr, sehr lange. Er ist mir ein vertrauter Begleiter und spendet mir mit Treue und Verlässlichkeit Trost.

Er sagt sowas wie: „Ich weiß, wie es Dir geht. Ich weiß, wie Du leidest. Und Du weißt, ich bin immer für dich da.“

Er ist sanftmütig, obwohl er der Selbstmordgedanke ist.

Und obwohl es vielleicht danach klingt – mit „I.“ hat er gar nicht so viel zu tun.


„I.“

Ihr wird kein Name gerecht. Und ihr ist das auch sowas von egal. Sie braucht keinen Namen. Sie ist.

Wie soll ich das in Worte fassen?

Was geschieht, wenn sie…

Erscheint? Lächerlicher Ausdruck. Sie kommt nicht einfach an, dringt nicht ein, taucht nicht auf, tritt nicht be.

Sie ist eine Diva, eine Furie, ein Hurrican.

Sie nimmt ein.

Sie ist berauschend, faszinierend, schön. Fern von jeder Gewöhnlichkeit.

Wild. Unzähmbar. Voller Kraft. Strahlend vor Energie. Und gleichzeitig eiskalt.

Sie ermächtigt sich meiner nicht. Sie ist Macht.

Sie fesselt nicht. Ich erliege ihr.

Alles erstarrt an ihrem Wesen, zerfällt zu feinem Staub, wird im Druck ihres Seins zur Flucht verweht.

Nichts anderes mehr hat Bestand, nur sie ist da.

Ich höre und sehe Leben, bewege mich, finde für andere statt. Nehme alles wahr, sehe und höre aber nur noch sie.

Meine Wahrheit ist in ihrem Besitz.

Sie ist Gesetz. Und ich glaube ihr jedes Wort.

Sie besteht aus purer Verachtung und ihr Urteil ist vernichtend.

In ihrer Wahrheit kann es für mich nur eine Lösung geben.

Und der bin ich gefolgt.


„I.“ ist in meiner Wahrnehmung recht neu. Sie hatte geschlafen und ich habe sie geweckt. Ich kann mich noch an die enge, links am Hang verlaufende Kurve des PCT’S erinnern. Die Einsamkeit, die ich spürte, war die aus meiner Kindheit. Untröstlich, unlösbar. Die Kleine hatte Angst, brauchte verdammt nötig dringend Halt und Vertrauen und ich dachte, da muss doch irgendwo in meinem Chor eine Stimme sein, die stark genug ist, sie zu sichern. Ja, I. ist stark, aber…

Vielleicht hat sie einfach weiter schlafen wollen? Wähnte sich im sicheren Fürimmerwinterschlaf? Egal: Ich bin der Dirigent und ich glaube, es war an der Zeit. Ich brauche ihre Kraft.

Nun aber ist sie wach, die Wilde, und richtet ihre Wut auf mich.

Ja, sie kommt mit jedem Mal näher. Aber das ist vielleicht auch notwendig.

Um sie zu spüren zu lernen. Um sie einzuladen….

Denn ihre Kraft, ihre Energie, ihre Entschlossenheit und vor allem die Faszination, den Zauber, den sie in mir auslöst, könnte ich wahrlich für etwas anderes im Leben gebrauchen als für die Selbsterniedrigung.

So will ich Freundschaft schließen mit dieser wilden Wut. Zähmen kann und will ich sie gar nicht, sie soll so bleiben. Denn sie ist auch schön und ihre Stimme wird gebraucht. Nur soll sie für den Chor singen lernen, statt ihn zu verhöhnen, zerstampfen, in Angst zerstreuen.

Wie kann ich mich ihr nähern?


Vor ein paar Tagen hatte sie wieder Besitz von mir genommen und ich versuchte die erlebte Ehr-Furcht mithilfe von Worten zu fassen.

Atemraubend.

Das Wort ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Weil es so ist. Mir stockt der Atem, wenn ich in dieser, ihrer Wahrheit stecke. Ich fühle den tief empfundenen Wunsch, aber auch den Sinn und die Logik, mit dem Atmen endlich aufhören zu wollen und zu können.

Aber der Atemreflex siegt. Der Körper siegt, siegt über ihren Einfluss. So kann mein Verstand sie nicht wirklich erreichen, aber vielleicht mein Körper Vermittler sein. Denn der Atem fließt immer weiter, ist blind und taub, lässt sich – ohne Gewalteinwirkung – nicht beirren, so sehr sie auch wütet.

Und vielleicht kann er mir helfen, uns – meine Selbstverachtung und mich – gemeinsam und gleichzeitig da sein zu lassen. Denn das ist notwenig, damit sie mich und meine anderen Anteile neben sich ertragen lernt.

Auf meinen Körper hören. Weiteratmen. Ausatmen, eineinatmen. Sie da sein lassen. Mich da sein lassen.

So glaube ich auch, er, mein Körper, nimmt sie wahr, lange bevor sie sich hinter dem Vorhang der Bühne nähert. Er kann sie erahnen, versucht, mich zu warnen. Aber alles, was ich verstehe, ist „diffuse Anspannung“ und die habe ich ja so oft…

Ich mache mir einfach nicht die Mühe, genauer hinzuhören.

So könnte ich sie in Würde und Respekt erwarten, den nötigen Abstand wahren um den wahren Grund ihres Zorns zu erfahren. Lernen, wann und warum sie begonnen hat, so zu singen. Was sie antreibt, es heute noch zu tun. Aufrechte, mutige Zuwendung, statt tatenloses Zusehen und automatisiertes Erliegen.

Lauscher schärfen, Fr. Nies!

Petersilie verrücken!!!

 


Petersilie in die Ohren? Da war doch was…?  Ja, vielleicht erinnert sich der eine oder die andere an „Asterix als Gladiator“: In diesem Comic-Klassiker schafft bei den Anwesenden gegen das unbeschreibliche Tönen des unbeirrbar selbstüberzeugt singenden Barden Troubadix nur → das zeitweise Linderung.

Und noch ein Gedankenbonbon findet sich im → Asterix-Lexikon zu Troubadix:

„Sein Name stammt vom französischen Wort Troubadour (provenzalischer Minnesänger des 12.-14.Jahrhunderts) ab. Im französischen Original trägt er den Namen Assurancetourix, was dem Ausdruck „assurance tous risque“, also einer Vollkaskoversicherung entspricht. Und tatsächlich rettet er die Gallier aus schier ausweglosen Geschichten, zum Beispiel als er im Band „Asterix und die Normannen“ Grautvornix mit seinem Gesang das Leben rettet oder in „Asterix im Morgenland“ den Kopf der Prinzessin Orandschade eine Sekunde vor der Stunde Null vor dem Henker rettet…“

Selbst der schrecklichste Ton kann zu seiner Zeit nützlich (gewesen) sein.

Gehirnpuzzle

Ich weiß es wirklich nicht wirklich.

Ich weiß nicht mehr, wo dieser Baum genau stand oder welcher Gattung er angehört. Ich erinnere mich weder daran, was für ein Tag es war, noch welche Witterung vorherrschte. Wie es mir ging, weiß ich auch nicht mehr.
Aber ganz genau erinnere ich mich daran, warum ich dieses Bild gemacht habe. Denn dieser Baumstamm hat mich ganz spontan, aber eindeutig und unweigerlich an etwas erinnert, was mich berührt und berührt hat – und das in doppelter Weise und immer wieder, noch immer.

Es könnte die Farbe sein, die Verwundungen, schlicht die vertikale Ausrichtung.

Aber es war ganz sicher mehr als das. Ein merkwürdiger Eintopf aus aktuellen und vergangenen Gefühlen, Gedanken und Erfahrungen, erfüllten und unerfüllten Bedürfnissen. Nicht wirklich sortierbar, nicht wirklich zu erklären: Und doch hat mein Hirn zwei für es passende Puzzlestücke daraus gemacht.

 

Ich nenne sie „meine PCT Hose“.

Und mittlerweile habe ich wirklich sowas wie ein zärtliches Gefühl sogar, wenn ich, wie jetzt, nur an sie denke.

Es war damals auch keine Liebe auf den zweiten Blick. Sie war ein Kompromiss, weil ich einfach in keine andere Hose hinein gepasst habe. Ich war schon froh, sie gefunden zu haben, aber nicht glücklich. Ich mochte noch nicht mal die Farbe. Und weder habe ich der Strapazierfähigkeit des Materials getraut, noch habe ich es gerne gehört: Eine bei jedem Schritt laut raschelnde, dünne Kunstfaser. Und „Maier Sports“ ist nun wirklich auch nicht bekannt dafür, Weitwanderer auszurüsten, sondern bedient eher das „Kurzurlaubsmittelgebirgserkunderklientel“. Aber egal, sie hat gepasst. Und die großen, mit geschmeidig reißverschließbaren Taschen, der eingenähte Ersatzknopf, sowie der leichte, stufenlos zu kürzende Gürtel waren auch schöne Details, die mir schon bei der Anprobe gefallen haben. Aus Zweifeln an der Haltbarkeit habe ich zwei Exemplare verschiedener Größe gekauft und eine in die „Bouncebox“ gelegt, also das Paket, das auf dem PCT voraus geschickt wurde. Diese Zweithose aber kam bei mir nie zum Einsatz, sondern landete irgendwann ungenutzt als Spende in einer „Hikerbox“ und wenn sie den Finder so überzeugt hat, wie mich die Meinige, dann gibt es mindestens zwei restlos begeisterte Meier Sports Arolla Fans auf Erden!

Ich habe sie täglich auf dem PCT und auf dem Camino Frances getragen. Ich schätze mal, sie begleitete mich rund 2000 Kilometer Wanderweges. Wir haben viel geteilt. Sie war dabei. Das sieht und fühlt man ihr inzwischen an. Sie ist ausgeblichen und abgegriffen, abgewetzt und geflickt. Und auch rascheln tut sie schon lange nicht mehr.

Aber sie hält noch immer zusammen – und irgendwie ein bisschen auch mich.
Und gerade in den ersten Tagen des „Michwiederaufdenwegmachens“ nach meinem letzten Sturz und seinen Folgen habe ich mich weit mehr als bequem gekleidet gefühlt, wenn ich sie getragen habe.

Vermag eine Hose Trost zu spenden?

Ja.

Und das kann ein Baum ja auch.

 

Alex Meier Fußballgott

Gestern spielte die Eintracht in Frankfurt gegen den HSV. Gegen Ende der zweiten Halbzeit forderten die Fans im ausverkauften Stadion lautstark die Einwechslung von „Alex Meier Fußballgott“.

Dieser Beiname wird ihm schon sein Jahren zuteil und sowas fällt einem nicht einfach zu.

Alex Meier spielt seit 2004 als Stürmer bei der Eintracht. Das ist im Bundesligafußball eine sehr lange Zeit. Er stieg mit auf und ab und auf und ab und auf und war lange Zeit ein Garant für die jeweils nötigen Tore. Obwohl man sich oft des Eindrucks nicht verwehren konnte, dass die Eintracht nur mit ihm auf dem Platz gewinnen konnte, zeigte er sich in den Interviews immer bescheiden, unkompliziert, hob sich nicht hervor und reihte seine Leistung immer in die der Mannschaft ein. Sowas merken sich die Fans.

In der laufenden, fast abgelaufenen Saison hat er verletzungsbedingt nicht gespielt. Und als Fünfunddreißigjähriger wird er wohl auch nicht mehr damit rechnen, dass sein Vertrag nochmals verlängert wird. Aber gestern war er seit langem mal wieder im Kader und dann war es so weit: Alex Meier wurde in der 86. Minute beim Stand von 2:0 für die Eintracht eingewechselt. Das alleine war schon ein irgendwie ergreifender Moment.

Es war diese Freude, die ich teilen und fühlen konnte und mich zu Gänsehautschauern, ja, sogar feuchten Augen rührte. Anerkennung des Trainers für seine Arbeit und Geste für die Fans, die mit ihrem stadionbeschallenden, anhaltenden Feiergesang ihre Freude und Dankbarkeit zum Ausdruck brachten.

Und dann schoss der Kerl doch tatsächlich in der 90. Minute noch das 3:0!

Ich konnte mich – ganz einfach – mit ihm und Tausenden anderen freuen. Einfache, geteilete Rührung, Anerkennung, Freude.

Und das war – einfach – schön.

Hier sein

Gestern bin ich mit dem Zug nach Wetzlar gefahren.

Ich fahre ja nicht so oft mit dem Zug…

…und wieder war eine Erinnerung mehr da, eine von so vielen in der letzten Zeit.

Vor einem Jahr….

10. April 2017, Klaus hat mich an den Bahnhof gebracht

 

 

saftig grüne Dillaue

Wehrrauschen in Wetzlar
Was für ein phantastisches Geräusch auf dem PCT. Ich werde es hoffentlich nie vergessen.

…ich habe so viele Bilder gemacht…

…und viel zu wenig…

Es ist nur ein Jahr her. Es ist wirklich wahr. Und eine meine Sehnsüchte zieht mich wieder genau dort hin – in die trockene Wärme, das fast endlose Weitergehenkönnen. Vertrauen in den Weg, die Schilder, die Menschen.

Die Idee von Vertrauen lernen können in mich und meine Ausrüstung.

Wehmut. Und Dankbarkeit.

 

Splitter xy – Runden drehen

Gerade beim Lesen meiner letzten Beiträge kann ich mich des Gedankens nicht verwehren, das mir deren Inhalt sehr bekannt vorkommt. Mal Milde, mal vage Hoffnungsglimmer ohne Ankerplatz im Hafen Zukunft, dicht gefolgt von derben Abstürzen. Mal benutze ich dieses, mal jenes Bild zur Umschreibung, aber es bleibt sich gleich.

Wie viele Runden muss ich noch drehen?

Ich traue keiner Abfahrt.

Ich traue mich nicht.

 

Weiterkreisen.

 

Splitter 64 – Milde

Milde

Es ist ein ruhiger Morgen. Seit langer Zeit verbrachte ich die Nachtstunden mal wieder in Wetzlar, also da, wo ich meinen ersten Wohnsitz habe. Habe die Fenster weit auf gemacht. Aufgewacht bin ich milde gestimmt. Habe so viele Menschen, zu denen ich mich auf eine ganz eigene, wertschätzende Weise verbunden fühle. Von jedem von Euch fühle ich mich ein bisschen getragen. Und gerade jetzt, in diesem Moment, kann ich mir diese Passivität verzeihen, Vertrauen und Gehaltenwerden spüren und es einfach da sein lassen.

Sie sind selten, diese Momente der Milde.

Mir ihrer scheuen Flüchtigkeit sehr bewusst, will ich ihnen zumindest in diesen Zeilen haltende, liebevolle, dankbare Aufmerksamkeit schenken. Ich will diesem Moment der Milde wach, wertschätzend, respektvoll aber auch zärtlich begegnen. Innehalten und atmen.

Passenderweise ist heute ein Feiertag, der erste Mai.

Splitter 49 – Ein Plan

Ein Plan

Ich war die erste im Raum und unerwartet. Der Therapeut der Holzwerkgruppe konnte nach meiner kurzen Vorstellung seine Unkenntnis über seinen Gruppenzuwachs zwar nicht verbergen, sammelte seine erschlafften Gesichtszüge aber sehr schnell wieder ein und frug mich sogleich:

„Ja, und was wollen sie machen?“

Und dieses Gefühl, das er mit dieser harmlosen Frage in mir auslöste, kenne ich gut. Zuletzt begegnete ich ihm neulich in der Ergotherapie in sehr ähnlicher Situation.

Ich weiß es nicht.

Völlig übertriebene, abgrundtiefe Ratlosigkeit und Angst überschwemmen mich, Ärger und Weglaufenwollen, die pure Unfähigkeit, darauf eine Antwort zu finden. Alles ist nicht gut genug oder fühlt sich nicht richtig an, weder das Angebot, noch ich, weder der Therapeut, noch die Beschaffenheit des Fußbodens. Die Fülle der Möglichkeiten erschlägt mich und gleichzeitig fühle ich mich für alles zu klein, unfähig, nicht in der Lage.

Es ist eben das selbe Gefühl, das sich einstellt, wenn ich an meine bisherige und die zukünftige Lebensgestaltung denke – und eben und nur deshalb so bedrohlich.

Ich stammelte herum. Ich brauche nichts. Und ich will auch nichts verschenken, was andere vermutlich weder benötigen noch haben wollen. Produktion für den Mülleimer kommt auch nicht in Frage.

Ob er etwas brauche, was er auf einem Basar gut verkaufen könne? Nein, auf einen Basar gehe er nicht.

Ich sagte ihm, dass es mir eher darum ginge, mit Holz umzugehen, als irgend etwas herzustellen. Das Material kennenlernen. Schleifen, hobeln,…

Er drückte mir ein paar Vorlagen in die Hand und zeigte mir einen recht groben Bausatz zur Herstellung eines apfelhaltenden Vogelhauses. Das machte mich neugierig: Die Teile wollten zersägt, geschliffen, zusammengefügt und mit persönlicher Note gestaltet werden… aus rechten Winkeln Rundungen machen. Aus Schnittkanten glatte Flächen.

Ein Vogelhaus? Naja, das unsrige macht keinen so stabilen Eindruck mehr. Aber Äpfel sind nicht gerade die Leibspeise unserer immerhungrigen, fliegfertigen Besucher. Mein Ergotherapeut aus dem Nachbarraum kam vorbei und zeigte mir das von Kleibern umgarnte Vogelhaus vor der Türe.

Drei Möglichkeiten und zwei Gespräche mit Menschen, die mich ein Stück weit begleiten und unterstützen werden, reichten aus: Ich gab mir die Erlaubnis, „Ja“ zu sagen und „einfach“ zu beginnen. Ich nahm Maße, bekam Ideen, machte eine Skizze, notierte den Materialbedarf, mache mir Gedanken über das Vorgehen.

Ich habe einen Plan. Vertraue auf Hilfe. Und werde sie annehmen.

Vielleicht: Üben für’s Leben.

 


Nachtrag vom 2. Juni:

Splitter 37 – Taubheit

Taubheit

Ekelerregendes wird nun nicht mehr nur von meinem Hirn produziert, sondern auch durch die Wunde am Gesäß. Und ihr dumpfer Schmerz wechselt sich mit einem Gefühl ab, das an eine – je nach dem – zunehmende oder abschwellende Lokalanästhesie erinnert.

Sensibilität ist mir auch in anderer Beziehung abhanden gekommen. Kommt man in ein Krankenhaus, gibt man noch mehr ab als die engen Grenzen des Erträglichen und einen Teil der Selbstbestimmung. Ich beispielsweise habe den Kontakt zu meinem Chor abgegeben. Er ist zerfallen. Die Stimmen sind verstreut. Ich bin taub.

Müsste ich ein Antidepressivum nehmen, gäbe ich ganz sicher ihm die Schuld für diese Entferntheit von dem, was ich in den letzten Monaten an mir entdeckt habe. Es hat mich in Bewegung, Erstaunen und Mut versetzt, aber auch in zielloses Suchen, immer wieder eingebremst von Denkblockaden aus Verunsicherung und Angst. Mein altes Leben war weg und das neue für mich nicht wirklich vorstell-, form- oder gar greifbar.

Zermürbt, zermahlen, aber in diesem höhnischem Spott über mich selbst war ich noch zu einem Entschluss in der Lage:

„Jetzt reicht es“.

Und dann machte ich mich auf den Weg, meinen langgehegten Plan, mit meinem Leben wieder verbunden zu sein, indem ich es mir nehme, in die Tat umzusetzen.

Es war eigentlich ein ganz guter Plan, aber eine dilettantische Durchführung. Verloren oder gewonnen?

Ich habe gelernt.

Und bin am Leben. Halte mich an Regeln, übe flüchtigen Kontakt und alles irgendwie richtig sein zu lassen, hülle mich in das Zeitvergehenlassen ohne wirkliches Vertrauen. Dumpf annehmen, hinnehmen, noch nicht mal warten, einfach abgeben, irgendwie zu sein versuchen, nur nicht fühlen.

Ist das Genesung?

Mein Essdruck sagt eindeutig „Nein“.

Watte anfressen.

 

Bonbon gegen die Angst

In Uffenheim wurde ich zu Beginn gefragt, in welche ein Mal wöchentlich stattfindende Indikationsgruppe ich denn gehen wolle? „Depression und Lebensfreude“ oder „Angst und Mut“? Ich erinnere mich noch gut daran, dass ich mehr als erstaunt über diese Frage war: Was habe ich denn mit „Angst“ zu tun?

Heute bin ich erstaunt darüber, wie tief dieses Gefühl verbuddelt war unter der Fassade aus Essen, Fernsehen, Arbeit, Alltag – Funktionieren.

Klar, ohne Grund bin ich nicht in eine Psychosomatische Klinik gegangen. Da brodelte was und war irgendwann auch für mich nicht mehr vor mir selbst zu verstecken. Ich kann heute noch nicht mal sagen, was ich mir denn erhofft hatte, los zu werden außer ein paar Kilos. Vielleicht wollte ich gar nichts los werden, sondern es nur einfach leichter haben im Leben.

„Bevor es leichter wird, ist es schwer“

Ich habe es ziemlich schwer zur Zeit. Und ich merke, dass ich nicht weiß, was ich will. Deshalb müsste ich mich auf die Suche machen nach dem, was sich für mich besser anfühlt. Und mich dann trauen, zu diesem Gefühl zu stehen. Offen zu bleiben. Lernen, auch damit klar zu kommen, wenn es sich plötzlich nicht mehr richtig anfühlt. Nicht mich selbst deshalb zu kritisieren, sondern erneut für mich den besseren Platz suchen.

Zur Zeit zweifele ich noch erbärmlich an mir. Zwar stelle ich immer wieder aufs Neue fest, dass es mir nicht gut geht. Und ich stelle die Frage nach dem Grund und kann sie nicht beantworten. Hänge fest, komme nicht weiter, traue mich nicht wirklich, mich mutig auf die Suche zu machen.

Ich habe Angst, so viel steht fest. Irreale Ängste, die mir, einer Frau von fünfzig Jahren nicht wirklich angemessen sind. Ängste, die ins Kinderbett gehören. Dort kommen sie her. Dort habe ich sie erlebt, dort hätten sie erkannt und gesehen, beweint und getröstet werden müssen. Angst vor dem Verlassenwerden, vor dem Übrigbleiben, vor dem „nicht die Richtige“ bzw. „irgendwie  nicht richtig“ und vor dem einfach „zu viel“ bzw. einfach nur „Last“ zu sein. Und heute gesellt sich noch die Angst vor der Angst hinzu, diese Gefühle wie tiefe Trauer und Sehnsucht nun ständig, wieder und wieder durchleben zu müssen und, wie ein kleines Kind, ihnen machtlos ausgeliefert zu sein.

Vor ein paar Tagen habe ich mit Klaus im Dom (der eigentlich keiner ist 😉 ) die Johannespassion von Johann Sebastian Bach gehört. Viele kennen den Schlusschoral, nehme ich mal an. Und ich höre ihn heute wieder und wieder…

Ruhet wohl, ihr heiligen Gebeine,
die ich nun weiter nicht beweine,
ruhet wohl und bringt auch mich zur Ruh.
Das Grab, so euch bestimmet ist,
und ferner keine Not umschließt,
macht mir den Himmel auf und schließt die Hölle zu.

…weil ich ihn noch nie so gehört habe: Ich höre diese Musik, wie als ob ich einen Gefühlsgedankenbonbon mit Geschmacksrichtung „Erlösend“ in den Mund genommen hätte.

Die alten Sehnsüchte und Schmerzen ruhen lassen. Abgeben in die mitfühlenden Hände der Vergangenheit. Dort hin, wohin sie gehören. Mitfühlende, willkommenheißende Hände an offenen, weiten Armen voller Leichtigkeit und Halt, die damals für mich so wenig ins Leben gehörten wie heute diese alleslähmende Angst und die vorauseilende, ihr die Türe öffnende Selbstentwertung.

Ja, so könnte Erlösung schmecken. Es könnte auch ein Hauch Hoffnung und Trost dabei sein.

Jedenfalls: Möglicher Proviant für kommende Wege.