Willkommen, Sehnsucht,

Höllenweh.

Vater-Liebeskummer.

Wie betrauert man diesen Schmerz? Wie betrauert man den Verlust von etwas, das es nie wirklich gab?

Du warst nie da und immer.

Unsichtbar wie unübersehbar warst Du uns. Unfassbar, unnahbar und oft unerträglich hast Du Dich uns überpräsentiert.

Mein Erleben war: Wir (der Rest der Familie) verbündeten uns in der Trennung von Dir. Es gab uns Kraft und Stärke im Wirgefühl gegen Dich.

Und gleichzeitig Dir so die „Erlaubnis“, „Notwendigkeit“, weiter zu machen mit… (Deinen Urteils- und Handlungsmöglichkeiten)

Und so stärkte es „uns“, Dich nicht lieben zu können:

Deine Art zu lieben, Liebe zu zeigen.

Vaters Liebe.

Vaterliebe.

Kinder aber müssen Väter lieben. Ob sie es dürfen, können, wollen, bewusst wahrnehmen, spüren oder nicht: Das steht im Grundprogramm geschrieben.

Und so tue es auch ich:

Wo Du nicht warst, wo ich keine Liebe spüren oder fließen lassen konnte, vor diesem Loch, steht die Sehnsucht. Sie klebt ihren Schmerz vor jede Leere – und flickt den Riss zur Hoffnung. Sie streicht mit sanftem, kühlen Wind über wunde Sinne und hebt die Füße aus Zement.

So weh sie auch tut, dieses seelenreißende Leiden in den „Wehen“ der Sehnsucht: Sie selbst ist rein und ehrlich, vielleicht begleitet, aber frei von Schuld.

So geht Liebeskummer nach etwas, das es nie gab.

Was bleibt

Kurz. Beeindruckend. Gut. Vorbei.

Damit ist dieses kurze Kapitel „Freizeitbekanntschaft für gemeinsame Aktivitäten“ vorbei, wenn auch noch nicht ganz abgeschlossen.

Zwei sehr unterschiedliche Planeten, deren Krater sich so bekannt vorkamen, haben sich gestreift.

Dem letzten Akt ging voraus:

Aus scheinbar tiefer Verletzung heraus wurde ich angeschrieen. Mit gepresster, zorniger Stimme angeschrieen.

In einem Moment, in dem ich nicht darauf vorbereitet war, also mir allenfalls einer freundlich gemeinten, auf den für mich objektiv gesehen nicht korrekten Wahrheitsgehalt der vorherigen Aussage hinweisenden, Provokation bewusst war.

Zuvor – so mir weitestmöglich – entspannt am Boden liegend wurde ich angeschrieen.

Mein Gegenüber konnte nicht wissen, dass so unerwartet damit innerhalb von Sekunden mein Vater vor mir stand. Und so kann ich mich nicht mehr anschreien lassen.

Mein unterbewusstes Nervensystem reagierte schnell.

Nach einem kurzen, erstarrten Moment des verwunderten Ertragens stürmte sie, meine Verteidigungsarmee, auf die Bühne.

Sie besteht aus einem Schwall wildem, kindlichen Trotz und Zorn in der Hülle der erwachsenen körperlichen und stimmlichen Kraft.

Ich richtete mich auf. Zwar war ich vollkommen nüchtern, aber dennoch: Wie mein Vater wurde ich laut, schroff und herablassend.

(Um im Araberbild zu bleiben: Ich stieg in Sekundenschnelle auf das wild steigende Pferd und fühlte mich mit diesem in diesem Moment stark genug – wenn auch nicht wirklich gut)

Und siehe da: Meine Grenzen wurden akzeptiert.

 

Papa, was hat man Dir nur angetan,
dass Du glaubtest, Dich so verteidigen zu müssen?

Gegen "es", aber vor uns, die wir uns nicht wehren konnten.

Du gabst sie einfach uns, die Schuld für Deinen Zorn, und ich nahm sie an.

Ich habe die Verantwortung für Dein Pferd übernommen.

Du hättest uns der sein sollen,
der uns die verantwortungsvolle Pferdehaltung nahe bringt.
Und hast uns aber nur das  zeigen können, was Du kannst...

Henne oder Ei: Du warst zu besoffen.
Egal. Es ist wie es ist:

Ich bin dran, Verantwortung zu übernehmen,
Verantwortung für ein emotionales Paket ("Typ Araber"),
das jetzt meines ist.


Dumm, wirklich dumm und schade auch, dass ich die Warnzeichen nicht vorab erkannt habe und sie, diese Grenzen, nicht anders verdeutlichen konnte.

Klar, vielleicht war der andere Planet auch zu selbstbezogen, scharfkantig, mit frischen und alten Kraterwunden beschäftigt, in einer verzweifelten situativen emotionalen Verfassung unfähig zu,… egal, es kommt auf dasselbe raus:

Nun ist er weg, der, der vielleicht ein guter Gesellschaftsplanet hätte werden können.

Und ich sitze hier auf meiner weiten Wiese und betrachte den scheinbar ruhig grasenden Vierbeiner:

Was mache ich nur mit diesem Pferd… ?

 

Wie äußert sich eine Störung der Emotionsregulation?

Menschen mit einer Borderline-Störung reagieren sensibler auf gefühlsmäßige Reize und lassen sich leichter von Gefühlen anstecken. Gefühle sind stärker ausgeprägt und werden intensiver erlebt. Gerade unangenehme Emotionen werden also häufig als unerträglich intensiv erlebt.
Die Emotionen halten länger an, d.h. Menschen mit einer Borderline-Störung brauchen mehr Zeit, um zu einer neutralen emotionalen Ausgangslage zurückzukehren.
(Bohus/Wolf-Arehult, Interaktives Skillstraining, 2.Auflage, S.48)


Also: Was mache ich nun mit diesem Pferd (also mit diesem Typ „Erleben, Vorurteil und automatisierter Reaktion“)?

Berechnen lernen. Standardformeln (z.B. der Begegnung mit anderen Rössern) eintrainieren. Immer besser kennenlernen.

Und lieb haben.

Komm‘, Schöner, wir gehen uns in den Fitnessraum bewegen. Da verstehen wir uns ein Weilchen immer ganz gut. Und danach kommst Du mit Motorrad fahren…

Gütenbach be- suchen. Den Platz, an dem sich unsere Freundin so wohlgefühlt hat. Dass es ihr dort so gefallen hat, macht ihn für uns zu einem Ort der Verbundenheit.

Und dann fahren wir kurvensuchend wieder „heim“ in diese vier Wände, die uns ein sicherer Fleck sind.

 

Liebensollen

Wie „Schlimm“ lieben?

Er ist mein Produkt. Entstanden nur durch mich. Teil von mir.

Eines meiner ‚Chorkinder‘. Ich muss ihn doch lieben können, um zu…

Nur wenn ich mich lieben kann, dann… Du musst Dich selbst lieben… Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst….

Blablabla.


Die innere Kritikerin kann das nicht lieben. Wie soll das gehen? Bin gefesselt an die anderen Extreme dieses Chors. Die Dirigentin ist eine Fata Morgana, ein Nebel.

Die Kleine scheint ununterbrochen zu jammern, irgendwas zu brauchen. Ich habe keinen Bock mich zu kümmern und bin eh nicht gut genug. Alles nervt, ist zu viel und irgendwie durchdrungen von Schlimm.

Das ist nicht zum Aushalten. Da ist nichts, was uns zusammen halten könnte. Keiner will was mit dem anderen zu tun haben. Keiner weiß, was zu wollen sollen seindürfen.


„Ich bin Schlimm und werde nicht satt. Ich werde nie genug haben.“


Hunger ist Ausdruck von Lebenwollen. Schlimm ist deshalb da und deshalb so groß. Weil das Leben sich so sehr will. Und ‚Ich‘ nicht anders zu sein gelernt hat.

Und Schlimm ist einfach nicht Einfach. Schlimm ist einfach nicht zu lieben, weil er sich einfach schlimm anfühlt und immer Schlimm sein wird.


‚Ich‘

kann Mitgefühl aufbringen für ihn…

Auch für

Vater Friedel, der nicht lieben konnte. Er konnte es und sich aber egal sein und uns, seine Familie, meistens immerhin aktiv in Ruhe lassen, wenn er doch schon immer präsent und zeitgleich niemals da war. Seine Not, sein Schuldgefühl, seine Freiheitsliebe hatte er mit zuverlässiger, treuer Pflichterfüllung bei grundgestimmten Genervtsein, „für andere der liebe Friedelsein“ und Spiegeltrinken im Griff. Nur manchmal versoff er sich eben und dann brach sie aus, die Not, gekleidet in höhnischem Spott, Wut, Ekel, Gewalt.

Wie muss es sich anfühlen, zu müssen, zu sollten und nicht zu können?

Weder einfach noch sonstwie?

Ich weiß es:

Schlimm lieben sollen.

Verantwortungsabgabe. Ichbinjadochsoklein. Opfersein. Es-einfachhaben-Verkleidung Sucht Jammerducken und Irgendwiegebrauchtfühlen statt Sich(einsam)selbstertragen hab ich hier gelernt. Kann ich gut.


Mutterich deutet an, sie würde Schlimm lieben können, aber…

sie tut Mussjaanderesweilumzu.

Verdienen von Wegseindürfen in anderer Form.

Wenn sie sich nicht sorgen müsste, funktionieren müsste, wegseinmüsste, könnte sie Lieben. Aber sie Mussja. Und

kann einfach nicht. Kann nicht Einfach.

Weil. Echt gute Gründe.

SIE hat wirklich gute Gründe.

Nachvollziehbar. Endlos bewundernswert. Für uns alle lebensnotwendig. Sie hat sich geopfert für uns. Hat sich ihn und alles gehalten für uns. Nichts war leicht und einfach für sie. Und sie hält sich und andere noch heute mit schier endlosen Willen und Kraft zusammen

Du bist so, so tapfer.

Und du bist meine.

Ich bin deine.

Ich bin aus Dir, nur durch Dich.

Aber:

Egal

– wenn es um die Ausmaße, die Fettsucht, von meinem „Schlimm“ geht. Ich habe ihn (statt Einfach) breit gemacht.

Einfach sein haben. Einfach lieben? Ist nicht.

Einfach leben dürfen konnte man auch hier nicht abschauen.

Einfach geliebt sein… Habe ich einfach nicht verstanden.

Aber das Fürimmeretwasschuldigseingefühl hab ich kapiert. Das Schwerhabensein.

Das „Ichkannjanichteinfachlebenweil“.

Arme, kleine, unfähige Karin weil.

Blablabla.


Die Kleine weiß auch, wie sie sich anfühlt, „Einfach“ nicht zu können.

Etwas einfach zu bekommen ohne es verdient haben zu müssten.

Sie sollte es ‚wenigstens‘ ‚einfach‘ vermögen, die Liebe ihrer Eltern zu wecken, zu entdecken. Und sie vermochte es nicht.

Sie lernte das Leben nicht aus Lust und Liebe einfach kennen, sondern sie wählte die Sicht, Grund zu Pflicht, Last und Sorge zu sein, also ’schlimm‘.

Und gleichzeitig ist die Wunde offen, die begierig nach „Einfachheilseingefühl“ lächzt. Das Hättedochseinmüssen… Da muss doch was sein… Auch für mich….?!

Dumm gelaufen.


Anpassung Auflösung Seinwie Irgendwieleichtsein Hauptsachedengroßengehtesgutmitmir statt

Selbstsein

Klar, dass da nichts ist, was Ichsein einfach gelernt haben könnte:

Selbersein ist ja nicht nur gefährlich, sondern bestimmt auch schlimm anstrengend! (Guck Dir nur die Großen an…)

Liebensollen ist zwecklos!

Widerstand ist zweckvoll:

Das, was war, samt Schlimm, Kleiner und Kritikerin ist nicht zusammenzulieben. Da gibt es nichts zu kitten. Da ist nichts zu kleben, stopfen oder flicken. Was zu be-, erricht(ig)en wäre oder losgelassen werden könnte.

Anpassung, Fressen, Arbeiten, Fernsehen, Festhalten…

Kaputtsein, Sport, Abnehmen, Unruhe, Suchen, Suchen, Suchen, Verstehenwollen um kontrollieren zu können…

Es ist und bleibt ein Haufen Fetzen, ein Puzzle.

Und ein Puzzle wird nicht, niemals, zur lebendigen Landschaft.

Lass die Teile liegen und öffne die verklebten Augen, Ich.

Das Leben benötigt keine Sorge, kein Leiden, keine Schuld, keinen Grund, kein Weil und Warum und auch kein Ichmussdadurch und Ichmussesschaffen, kein Ziel… Es braucht keine Liebe und keinen Schlimm mehr…

Es muss auch kein Einfach sein.

…um zu werden, um sein zu dürfen. Um überleben zu können.

Es ist.

(ange) wi(e)der (t) da

Es war der Lärm, der beim Schließen der Türe verursacht wurde.

Wir kamen heute spät nach Hause. Ich schloss und hielt auf und war, vom Nachhause-, vielleicht auch vom Getrenntseinwollen, getrieben, schon auf den Stiegen, als dieses Geräusch, aus purer Ignoranz geladen, mit dem Aufeinandertreffen von Türe und Rahmen die Stille des Treppenhauses mit wuchtigem Scheppern zerplatzen ließ.

Genau so, nur lautlos, zerfurchte es mein Un-Bewusstsein.

Ich wählte ein bestimmtes Oberteil aus dem Schrank. Frisch gewaschen. Ein nur durch die Glätte kühl anmutender, weicher Baumwollstoff. Nicht zu weit, damit es ein bisschen wärmt. Ein nicht benennbarer, passender Duft wäre schön gewesen, aber schon der Gedanke daran, das er imstande wäre, etwas zum Trostcocktail der Sinne beizutragen, war genau das rechte Maß, das diesem fehlte. Das kleine Klangspiel an meinem Bett zauberte für ein Streicheln gleichsam sanfte Töne frei. Ich versuchte bewusst, aber wie so oft erfolglos, tief und ruhig zu atmen.

Entspannte Feierabendgeräusche von der Straße kommen durch durch das offene Fenster zu Besuch und erzählen noch von der vor Stunden vergangenen sonnigen Wärme des Frühlings.

Der Sonntag kommt mit Riesenschritten auf uns zu und ist gleich da – wenngleich eine Stunde kürzer.

Dieses Scheppern.

Diese Wut.

Sie ist das Urteil, das mein Gehirn gestern wie damals fällte, das ich aber erst hier und heute spreche.

Das Scheppern der Türe versetzte mich in das Haus der Wahrheit über Szenen meiner Kindheit zurück. Mit diesem Scheppern war die Erinnerung wieder da.

Rücksichtslos, unverdrängbar, präsent wie…

er an solchen Tagen nach Hause kam. War schönes Wetter, irgendeine Veranstaltung oder einfach Wochenende? Man konnte nie wirklich sicher sein wann, wusste aber, dass er irgendwann wieder, und wieder, nach Hause kommen würde. Schwankend, lallend… die Bewegungen nicht mehr steuernd können.

Wir

Wir?

Ich weiß, dass ich hier einfach von „wir“ schreibe und doch nur „ich“ bin, nicht wissen könnend, was Du oder Ihr…. Ich bitte ob dieser Respektlosigkeit um Nachsicht. Ich bemerke: Ich will nicht alleine damit sein. Und ich bin es nicht. Heute wie damals.

Wir

wussten nie, wie er drauf war. Manchmal, wenn wir Glück hatten, „ging“ er einfach ins Bett.

Manchmal hatten wir kein Glück. Dann machte er einen auf irgendeinen „Boah, was bin ich wichtig und ihr ein Dreck“, präsentierte sich ungefragt auf der Bühne dieses Theaters, in dem wir allesamt gefesselt waren – auch er. Wir schenkten ihm keine Beachtung – er ergriff sich in seiner bedrohlichen Unberechenbarkeit räuberisch. Wir kannten ihn, wussten seine Auftritte zu fürchten. Rette sich, wer kann: Der Abend war gelaufen. Hoffentlich kommt er nicht nach zu den Orten unserer Flucht, lässt uns in Ruhe. Hoffentlich geht er, wenn dann schon, zur Mutter, nicht zu uns. Sie setzt sich ihm zur Wehr. Hält sich ihn – von oder zwischen oder an oder sich oder uns. Egal: Es muss nur was dazwischen sein.

Hauptsache, das Getrenntsein ist da, hat einen Namen. Namenlos wäre „es“ – oder Sie, das Schicksal dieser generationenübergreifenden Tragödie, – nicht ____________ (auf Wunsch Wort und Satzzeichen nach eigenem Gutdünken einsetzbar).

Hoffentlich ist er so besoffen, dass nur noch sein Bett ihm als erstrebenswertes Ziel erscheint.

Hier, im Jetzt und Heute ging ich, wie damals, schweigend ins Bett. Anstatt mit der früheren Angst mit der heutigen Wut. Beide aber unterdrückt. Beide angewidert. Ekel. Da ist er wieder, wiedert sich an.

Ekel scheint unter Druck zu entstehen.

——————————–

Das Gefühl, es zu beschreiben zu vermögen, fehlt mir.

Es war kein menschlicher Ton, kein Tönen, keine Bewegung eines Körpers zu vernehmen. Ich sah nichts von der Szenerie in der Küche nebenan. Ich hörte nur das Geräusch einer Brottüte bei Berührung durch Wind oder Wesen. Ich hörte aber nicht einmal das, ich hörte eigentlich nur das „wie“.

Ja, ich kann tatsächlich an dieser bestimmten Art des Ertönens einer Papiertüte durch verschlossene Türen hören, das Du, besoffener Vater, in meinem Gehirn unvergessen bist. Detailgenau präsent und lebendig wie damals. Du, Bilder von Dir und all die damals wieder und wieder entstandenen Gefühle – und so muss ich mit Dir leben.

Ruhe in Frieden?

Du hast es gut.

– – – lass mir die Ruhe – – –

„Ich“ ist noch in der Mache. Das Satzzeichen auch.

Sie, meine Zimmerkollegin

Kapitel 1:

Genügsamkeit

Sie lebt in einer WG für psychisch Kranke in einem Zweibettzimmer. Ihre schönste Zeit im Leben sei die betreute Ausbildungszeit zur Haushaltshilfenhelferin gewesen. Sie hört Radio FFH am Handy mit Ohrenstöpseln so laut, dass ich mithören kann. Zu den Therapien ist sie immer pünktlich. Bei den Hausaufgaben „weiß sie nicht, wie sie es ausdrücken soll“. Sie wiederholt dann einzelne Worte in Satzfragmenten, die kurz zuvor gefallen sind. Bei den Mahlzeiten fehlt sie nie und isst immer alles restlos auf. Anzutreffen ist sie ansonsten meist zu Bett. Nur selten wird sie von ihrer Lieblingsserie in den Fernsehraum bewegt: „In aller Freundschaft“.

Ich habe sie noch nie in einer der Therapien getroffen, die wir freiwillig wählen können. Musik, aktive Bewegung und Körpererfahrung sind ihr so fern wie mir angeleitete Gesellschaftsspielgruppen oder einfach da zu liegen und massiert zu werden.

Wir haben zwei Mal die Woche Ergotherapie in der DBT Gruppe. Sie will immer irgendwas von den Therapeuten. Anleitung, Hilfe, mit ihnen spielen: Zuwendung eben.

Wenn ich mit ihr rede, freut sie sich. Lacht über meine Scherze. Stimmt mir bei allem zu.


Kapitel 2

Unschuld

Gerade liegt sie mal wieder. Erneut, seit gestern zum zweiten Mal, am Tropf im Bett. Sie ist blass und schlapp.

Sie fragt mich, die ich nur schnell ein paar Sachen holen und dann möglichst schnell wieder fliehen will, ob ‚alles in Ordnung sei?‘

Ich bin getrieben. Hochspannung. Ich koche vor Wut unter dem Druck von Schuld, Ratlosigkeit und dem Bedürfnis nach Ruhe und Sicherheit (von Innen und Außen).

Wie kann ich ihr Mitgefühl annehmen? Ohne mich oder sie zu entwerten? Es wütend ins andere Ende des Universums zu treten?

Irgendein sehr, sehr starkes „Muss“ hält alles zusammen…


Kapitel 3

Kleiner Gefallen

„Duuuhuu?…“

„Was ist?“

„Kannst Du mir aus dem Penny (5 min Fußweg) 3in1 Kaffee mitbringen?“

„Warum gehst Du nicht selbst?“

„Mir geht es nicht so gut, ich fühle mich noch nicht so ganz wohl.“

„Kannst von mir Kaffee haben…“

„Neee. Ich hätte aber gerne den 3in1…“

(Anmerkung: 3in1 ist portioniert inclusive Zucker und Milchpulver: Noch nicht mal das muss man selber machen bzw. entscheiden, wie viel man davon will oder braucht…).

Ich sage nein, koche aber innerlich vor Wut und Selbstvorwürfen.

Kann ich ihr nicht einfach den für mich winzigen Gefallen tun?


Kapitel 4

Weg damit… ?

Ich finde, ich behandele sie oft wie Dreck.

Selbst – Mitleid? Höhnischer Spott. Ekel.

Ihr derweil ist körperlich übel. Sie kotzt.


Kapitel 5

Verzeihung

Wut tut gut, ist aber verdammt anstrengend, wenn sie nicht zielgerichtet nach außen ver-gehen darf.

Ich bat sie um Verzeihung.

Ich bat sie um Verzeihung dafür, dass ich sie des Diebstahls beschuldige, ohne wirklich konkrete Hinweise zu haben. Es hätte schließlich jeder sein können – und ich weiß, dass es MEINE Schuld ist…. Ich sagte ihr, dass es mir leid tut, derartig dem Groll anzuhängen und nicht loslassen zu können.

Sie freut sich so sehr und so ehrlich aufrichtig wirkend, dass „es“ ankommt.

Sie stemmt sich in ihrer drallen Körperkürze von der Bettkante…

„Komm‘ lass Dich mal in den Arm nehmen…“

Reine, großzügige, schlichte, glückliche Herzlichkeit ihrerseits.

Dankbares, beschämtes, unfassbares Gerührtsein meinerseits.

Verzeihen können fühlt sich also so an…!!!???

So gut.


Zusammenfassung:

Wie kann ich bloß diesen Vater in mir lieben?

Den, der nichts mit dieser widerlichen Kleinen zu tun haben will? Dieser ständig bedürftigen, zuwendungssüchtigen, ungeschickten, hässlichen Unpersönlichkeit? Die, die er nicht auch noch haben wollte? Die so viel „sollte“ für ihn hatte, Unfähigkeit, Falschseingefühl wie Unschuld?

Die er lieben müsste, sollte, aber einfach nicht kann?

Die reine Schuld steht zwischen uns/mir/in mir wie eine Wand. Gepackt in Wut.

Sie schützen vor dem Schmerz der Leere. Die sich – theoretisch – füllen könnte mit… Leben, Rührung, Vertrauen,…

Aber die Wand…

Vergebung könnte sie entlasten…


Wie nur?

Mir selbst…? Dieser…? Diesem?

„Ja.“ sagt Friedrich.

„Indem Du es tust.

Immer, immer wieder… tust.“

keine Kategorie. Verzeihung

Mein Vater ist keine Kategorie.

Es ist ein Versuch, mich mir anzunähern.

Mich selbst (aus-) halten und (er-) tragen können zu verstehen.

Leider gerate ich immer wieder in die Schuldfrage, in die Wut, den Schmerz der Sehnsucht. Will das alles von mir zu Dir schieben. Nur nicht haben, nicht sein.

Ich bitte Dich deshalb um Verzeihung.

Ich benutze Dich, um mir verzeihen zu lernen. Du bist mir Diener und Anstifter zugleich. Opferst Dich als ein Lehrer, meine Wahrnehmung zu begreifen, die mich auf meinem Weg begleiten wird und leiten helfen soll.

Komme gerade hinter Deine Lehrmethoden… ganz schön raffiniert.

Raffinesse für krumme Dinger hätte ich Dir eigentlich zutrauen können, Herr Nies.

made bei ihmmir

Dieses Wort „egal“ geht mir zur Zeit nicht aus dem Sinn.

Egal ist schlimm.

Waren wir unserem Vater echt egal? Hat er uns nur seiner Frau, oder den Wertvorstellungen seiner bäuerlichen, streng katholischen Herkunftsfamilie zuliebe oder einfach völlig gedankenlos in die Welt verholfen?

Wollte er sich „normal“ fühlen, indem er „Normalität“ lebt? Oder wollte er einfach nur irgendwas (anderes) fühlen und / oder einen Grund dazu haben? Für das eigene Tun und Erleben nicht mehr verantwortlich, die eigene Leere nicht mehr füllen zu müssen?

Kinder sind doch herrliche Gefühlsverursacher und -überdecker in jeglicher Hinsicht.

Das er uns liebt vermochte er mir zumindest nicht zu vermitteln. Deshalb war Liebe nicht da – zumindest für meine individuellen Wahrnehmungsmöglichkeiten nicht. Was nicht heißt, dass sie in Wirklichkeit nicht da war.

Einen Menschen auf die Welt zu bringen, ihm in die Welt zu verhelfen, ihm die Welt zeigen, Stütze und Halt sein, Vertrauen und Sicherheit – ich bin Theoretiker, ich weiß. Leider – Aber und sowie Gottseidank – kann ich es auch so sehen.

Mein Vater war betrunken, auf Arbeit, sauer, genervt, hysterisches HB Männchen, entwertend, peinlich. Immer da, aber nie, weil woanders oder da, benebelt, jedenfalls nicht erreichbar weit weg. Obwohl er immer da war, nie weg.

In meinem Spiegel hat er sich für mich geschämt. Ich war lästig, falsch (hätte ein Junge sein sollen, glaube ich, und habe noch nicht mal das hinbekommen), anders als er wollte, das ich bin. Ich war da. Vermutlich war das das Problem.

Irgendwann war ich Krankenschwester. DAS war was.

Was.

Was Kinder können MÜSSEN ist, bei Erwachsenen so viel Liebe zu erwecken, dass sie sich um sie kümmern. Ich vermochte es nicht. Pflichtgefühl hattest Du wohl. Und die Fluchtgedanken hast Du gegen die Leere in der Bierflasche eingetauscht.

Warum ist das so wichtig?

Weil Du lebst in mir. Meine früheren Erlebnisse, Wahrheiten, Entschlüsse haben sich in Form von Einstellungssätzen und Gedanken / Gefühlsschemata in meinem Stammhirn festgesetzt.

Aus unergründlichen Gründen funktionieren erworbene Schutzmechanismen nicht mehr und ich bin diesen alten Gefühlen nun wieder aktuell, aber in alter, schlimmer Frische ausgesetzt. Sie flammen hier und heute so auf, wie ich sie damals erlebt habe. Auslöser: Irgendwas oder -wer im Hier und Heute / Erlebnisqualität, sowie Handlungs- und Bewertungsimpuls: Kindheit.

Ich fühle mich falsch, verloren, lästig, zu viel, der Liebe unwürdig, desorientiert, verzweifelt existenzgefährdet wie damals. Ja, und wo kommt dieser Selbstekel, dieser manchmal abgrundtiefer Hass, diese Verachtung her? Ist das ein Spiegelneuronprodukt oder Reaktion?

Meine Chance ist, mein Bewusstsein zu trainieren, neue Denkwege über das alte Erleben einzutrainieren, damit ich nicht mehr so von alten Gefühlen überflutet und in alte Bewertungs- und Handlungsmuster weggerissen werden muss.

So lasse ich mein Hirn mit Bilder spielen. Bildern von früher, Bildern von heute. Memory erkennen, um trennen zu können. Aus eins mach zwei. „Schmeiß‘ weg“ und „nimm‘ an“. Dabei zu erleben, dass es nicht um um das Bleiben, Durchhalten, Trennen, Verbinden… Loswerden oder das Finden geht, sondern um Sein.

Ein Teil in mir sagt: „Du warst Dein Leben lang auf der Flucht“ und hat in gleichermaßen Tiefe Mitgefühl und Verachtung dafür.

Aber Du hast genau das gelebt, was Du wolltest: Fliehen.

Was will ich?

Under construction

Egal

Danke für Deine Wut, denn


Egal ist schlimm


Wenn ich nicht mehr Opfer Deiner Wut sein brauche

Dich nicht mehr als Täter gebrauche

Mich zum Opfer zu machen

Was macht das mit uns, Vater?

Bleibst Du stehen mit Deiner Wut, Deiner Verzweiflung, Deiner Leere, Deinem Ekel

Ohne mich

Ohne Dich

Kann ich gehen

Mich drehen

Aber wohin

egal

Ist jetzt

Manchmal

Aber auch nicht


Derzeitigkeitsgetue

Momente oder Stunden

Verstehen als

Wachstumschübe

Schmerzen von Leere und Angst

Nicht zu ändern

Durch- wachsen!

Neue Kategorie:

Ich werde eine neue Kategorie eröffnen. Eine, in dem ich die Beziehung zu meinem Vater zum Thema mache. Eine Begegnung mit dem, was von ihm in mir überlebt hat.

Ich sitze hier mit Tränen in den Augen und schäme mich hier und heute, jetzt, vor Dir, der Du schon lange Asche bist. Ich weiß wirklich, ehrlich, Du hast Dein Bestes gegeben. Ich wünsche Dich in Ruhe und Frieden. Nach dort hin, wo Du bist. Noch immer nicht fühle ich mich in dieser Vorstellung dort sicher und richtig, geliebt und willkommen, wichtig und angenommen, so wie ich bin. Darum geht es. Nicht um Dich und dem, was man als Realität zu benennen suchen könnte.

Zu oft mache ich mich abhängig von diesen Gefühlen der tiefen Sehnsucht, manchmal gekleidet in Trauer oder in Wut, oft in Angst und meiner mir irgendwie verekelten Verzweiflung. Ich möchte ihnen, diesen Gefühlen, die ich mit mir trage seit unserer frühesten gemeinsamen Zeit, meine Frau stehen lernen können. Lernen, nicht darin zu versinken. Lernen, meinetwegen mit ihnen aber trotzdem leicht zu leben.

So will ich Dich benutzen. Mich Deiner bedienen. Tote lässt man ruhen. Ja, mit allem Respekt. In meinem Hirn lebst Du aber noch in Form von Neurotransmittern, Synapsen und sonstigem Allerlei. Und dieses Abbild möchte ich nutzen, um mich in Form von neuen Verknüpfungen dieser Art schützen zu lernen. So nutze ich nicht wirklich Dich, sondern Deine Spuren in meinem Hirn.

Ich glaube, es wäre Dir im Prinzip auch egal, selbst wenn Du „voll“ – im Saft – (Bier? Wut? Vergnügheit?) lebendig vor mir stündest. So gesehen muss ich mich nicht schämen.

Auf mein Wohle!

Wie soll ich diese Kategorie nennen? Vater? Papa?

…ich guck mal bei den Sonderzeichen…. ‰?

Erbsen, oder?

Es war in diesem Sommer, irgendwann und irgendwo zwischen Herborn und Nürnberg, genauer gesagt zwischen Kalsmunt und den drei Birken. Ein Landwirt hatte Erbsen angebaut und ich nahm mir großzügig…welche zum Naschen und mit nach Hause – nahm ich mir außerdem die Idee, niederzuschreiben, was ich damit verbinde, in diesem schier endlosen Feld grüner Erbsen Üppigkeit zu stehen.

Gier, Traurigkeit, nur scheinbare Unersättlichkeit als Zeichen der sinnlosen Suche, Füllstoff für Leere… späte Erkenntnis? Vielleicht.

Hinter dem Eigenheim betrieben unsere Eltern einen Kleingarten. Es waren auch ein paar blühende Pflanzen, aber hauptsächlich wurde essbare Ware angebaut. Alles landete in Gefriertruhen, Einmachgläsern oder gleich auf den Tellern.

Die einzigste Ausnahme waren die Erbsen. In jeden Frühjahr ging unser Vater in den nahegelegenen Wald und holte Reisig. Ich habe es nie beobachtet, wie er diese Äste in den Boden verbrachte. Sorgfältigkeit ist eine Eigenschaft, die mir niemals in den Sinn käme, ihm zuzuschreiben, mir aber dennoch gerade nicht aus ebendiesem kommt, wenn ich nun an die Erbsen denke. Vielleicht vermochte er es doch mit Plan, überlegt, bedacht und in Ruhe zumindest seine Hände zu nutzen, um den werdenden Pflänzchen eine sichere Umgebung zu erschaffen?

Auch drückte er wohl jedes kleine Erbsenkörnchen im rechten Abstand einzeln in den zuvor gelockert Boden, scharrte etwas Erde darüber und goss mit sanfter Tülle an…

Erbsen waren nur zum Naschen da. Von ihm für uns. Wortlos. Auch ohne jede Aufforderung zu Dank oder Schuld.

Zuneigung auf Vaterart?

Wir suchten das Stückchen Erbsen Feld täglich ab. Unreife Schoten waren verboten, aber oft genug gut genug. Fand man eine reife, aber noch saftige Frucht, war das eine stille, heimliche Riesenfreude. Hastig wurde sie verschlungen. Keiner hatte sie zuvor entdeckt. Keiner soll sie nehmen können.

Vielleicht doch Liebesperlen?

Jedenfalls Erbsenzählerei.