Respekt

Dafür, dass es diese Menschen, von denen ich jetzt spreche, gibt in meinem Leben, empfinde ich große Dankbarkeit. Und auch wenn ich (noch) nicht gelernt habe, mich auf meinen Boden zuverlässig verlassen zu können, kann ich doch sagen: Ich kann mich selbst verlassen, aber sie bleiben sich und gleichzeitig unserer gegenseitigen respektvollen Art, uns zu begegnen, treu. So kann ich mich auf sie verlassen.

In dieser respektvollen Art würde ich gerne mir selbst begegnen können.

Aber ich höre diese Stimme nicht, die mir sagt, wohin, wie es weitergehen soll für mich. Was richtig ist.

Z.B. mich der Angst aussetzen oder endlich annehmen und akzeptieren, dass ich eben nicht alleine sein kann.

Auch für diese Ratlosigkeit könnte ich jetzt versuchen, Respekt und Geduld aufzubringen: Wir müssen uns doch erst einstimmen.

Aber das, was in der Zwischenzeit passiert, ist manchmal schmerzhaft schlechte Musik.

Davor habe ich Angst.

Mein Handy

Ich hatte damals kurz nach meinem Sturz schon darüber nachgedacht, wie es wäre, die Internetverbindung aus zu stellen. Zu oft hahe ich danals schon auf das Verbindungssymbol geschaut und ob ich vielleicht eine Nachricht bekommen oder einen Anruf verpasst habe.

Mittlerweile habe ich das Gefühl, ich kann nicht mehr ohne Handy sein. Ständig ist es in Benutzung. Ich google nach Verbindungen, gehe shoppen, halte mit Euch Kontakt, schaue nach der Trailapp und versuche, Informationen zu bekommen, wie es denen ergeht, die unterwegs sind in der steilen, verschneiten Sierra, für die ich zu feige bin.

Das Handy muss 2x täglich geladen werden. Gut, es hat ein großes Display und einen schnellen Prozessor, aber trotzdem zeigt das doch, wie oft es in Benutzung ist.

Und ich habe schon ein bisschen Grummeln im Bauch, wenn ich an die Wanderung nach Kennedy Meadows denke. Da werde ich kein Internet haben. Keine Möglichkeit, mich meiner Freunde zu versichern. Keine Möglichkeit, mich mitzuteilen.

Was bedeutet dieses Ding also wirklich für mich?

Ist es eine Art Freundesersatz?

Nein. Wäre das Handy kaputt, könnte schnell ein Neues da sein und es ersetzen.

Bei meinen Freunden ist das definitiv nicht so :-))

Aber es hilft mir. Nicht nur bei der Informationsbeschaffung. Es hilft mir, indem es mich ablenkt. Es hilft mir, indem es mir bestätigt, dass ich Kontakt habe.

Mit Euch.

Auf Wiedersehen?

Es ist ca. 15 Uhr Ortszeit. Meine beiden Freunde haben sich noch nicht mal verabschiedet. Ich bin alleine unter Vielen.

Bei der Entscheidung zum PCT spielte eine Rolle, dass ich dachte, hier sei ich nie so richtig alleine. Das stimmt zwar, leider fühle ich mich hier so schrecklich einsam, das es trotz dieses wunderbaren Weges mehr und mehr zur Qual für mich ausartet. Ich bin alleine und das ist hier, kurz vor Kennedy Meadows, wo alle in Paaren oder Gruppen ankommen und gehen, besonders schmerzvoll für mich. Will nicht ‚Hiker‘ sein, sondern ‚Karin‘. Will willkommen sein, nicht geduldet. Ich will all diese Entscheidungen, die jetzt getroffen werden müssen, nicht alleine treffen. Wohin springen, in welche Richtung gehen, was mitnehmen, was kaufen, was wohin schicken? Ich habe mich und meine Ratlosigkeit satt, halte es nur mit Telefonaten nach Hause noch mit mir aus.

Ich werde wohl heute wieder auf den Trail gehen. Um ihn nochmal zu spüren. Um mich zu bedanken. Um mir vielleicht noch eine Chance zu geben. Wahrscheinlich, um mich zu verabschieden.

Damit die Qual ein Ende hat.

Und mich die Leichtigkeit wieder besuchen will.

Mich ertragen / Gepäck tragen

Mittwoch, der 7. Juni 2017, 7:05 Uhr

Lake Isabella. Gestern habe ich fleißig gegessen, habe mich für Salat mit Surimi entschieden statt für Pizza, für Orangensaft statt Bier dazu. Ich habe das eine oder andere kurze Gespräch geführt.

Soweit ist meine Bereitschaft, mich um mich selbst zu kümmern.

Wenn ich an den PCT denke, werde ich immer unsicherer, ob ich es schaffe, weiterzugehen. Ob ich den Rucksack tragen kann. Ich will mich von meinen Luxusgütern wie dem Solarpanel nicht trennen, würde gerne auch wieder den vorgeschickten Kindl Reader mitnehmen, obwohl ich ihn kaum genutzt habe. Muss einen Bärenkanister einplanen, sowie Sandalen und die Mikrospikes. Sollte vielleicht an ein Handtuch und muss an mehr Verpflegung denken.

Ich merke meine Unlust, mich Strapazen auszusetzen. Ich will es gerne leicht haben.

Auch das kenne ich von meinem Leben. Anstrengungen müssen von baldigem Erfolg gekrönt sein, durch Anerkennung in jeglicher Form. Fühle ich mich zu schwach, werfe ich das Handtuch, fliehe ins Essen, unter die Bettdecke oder jammere meinen Lieblingsmenschen die Ohren voll.

So würde ich es auch gerne mit mir leicht haben. Meine mich quälenden Gedanken ‚weghaben‘. Gut gelaunt, zuversichtlich, beschwingt sein.

All das bekomme ich hier zu spüren.

Ich kann vielleicht hunderte von Euro ausgeben und das Gewicht meines Gepäckes reduzieren. Aber meine Bereitschaft, mich Strapazen auszusetzen, mich meiner Bequemlichkeit zu stellen? Die ist nicht käuflich zu erwerben.

Zumal die körperliche Anstrengung meist auch die psychische Entwertung zur Folge hat.

Also gut: Eine Möglichkeit wäre, die Strecken zu reduzieren, mich nicht mehr so auszulaugen. Aber was fange ich mit dem Rest des Tages an? Ich werte mich über meine Leistung. Leiste ich nicht genug, fangen die Zweifel an. Laufe ich weniger Strecke, muss ich mehr tragen: Verpflegung und Freizeit, vor der ich Angst habe.

Dilemma.

Liebe zu meinem Weg – Ja zu….

…den vielen freundlichen, hilfsbereiten Menschen, denen ich begegnet bin. Das wäre mir nicht passiert, wenn ich topfit und dabei wäre, den Thruhike-Zeitrekord zu brechen.

…dem Satz, den mir mein Bruder neulich geschickt hat: „Der Weg ist wie das Leben“. Es ist so, wie es ist. Ich bekomme es nicht anders hin. Es ist mein Weg, ob ich ihn so haben will, oder nicht.

Liebe zu meinem Weg

5. Juni.

Gestern bin ich um 5 Uhr morgens von meinem schönen Platz gestartet. Ich hatte mich tags zuvor beim Laufen so wohl gefühlt und mir rund 23 Meilen bis hinter den Silverwoodlake vorgenommen. Morgens ist einfach die beste Zeit: Die rund 12 Meilen bis zum Mittag fielen mir recht leicht.

Beim Wasserholen traf ich zwei andere Wanderer. Das ist schon was Besonderes, da der Trail um diese Zeit deutlich leerer ist. Und dann kam Shirley um die Ecke – ich verstand es erst nach einem Moment: Sie geht die Strecke anders rum, war am Walker Pass gestartet und ich hatte sie in Hikertown getroffen. Was für ein schöner Zufall!

Ihre vier Kinder sind groß. Sie wirkt ausgeglichen, in sich ruhend, zufrieden. Dabei offen, herzlich und interessiert.

Wie ich mich nach einem solchen Zustand sehne.

Vielleicht sehen wir uns wieder… das wäre schön! Sie plant, die Sierra im August anzugehen. Also Daumendrücken: Aller guten Dinge sind Drei!

Mich zog es weiter.

Ich hatte für meine sonstigen Gewohnheiten gut gegessen und getrunken, aber der kräftemäßige Einbruch kam in der brütenden Hitze trotzdem gnadenlos. Ich hatte Druckstellen nicht ernst genommen und mir Blasen gelaufen. Der ersehnte See, den ich mir so schön einsam vorgestellt hatte, hinter Wall und Hang versteckt, es zog sich ewig hin. Ein kurzes Wasserspiel an einem kleinen Strand brachte dann endlich etwas Erfrischung.

Der Weg zum angelegten, offenen Campingplatz war einfach eine Quälerei. Ich fühlte mich so kraftlos. Gegen 20 Uhr hatte ich ihn erreicht. Freute mich nur auf eine Dusche, aber die war verschlossen. Ich spürte meine Müdigkeit und Erschöpfung.

Ich habe Resumee gezogen. Die kommenden Meilen sind kein Spaß und die letzten 20 Meilen führen durchgehend bergauf nach Whrigtwood und haben keine Wasserstelle. Das würde bedeuten, mindestens 8 Liter Wasser tragen zu müssen. Nein, dazu bin ich momentan einfach nicht in der Lage – zumal ich nicht muss.

Also: Mal wieder springen….

Kurz: 250 Meilen Fahrt nach Bakersfield mit Rick, dem ich über Uber gefunden habe, für 90 Dollar.

Wir kamen an Stellen vorbei, an denen ich schon vorbei gelaufen bin. Das kann schon ein bisschen wehmütig machen…

Glücklicherweise hatte der Bus nach Lake Isabella Verspätung, so musste ich nicht drei Stunden dort verbringen, sondern konnte gleich einsteigen.

Auf der Fahrt wurde mir deutlich bewusst, was Schneeschmelze heißt: Der Fluss Kern hatte vor ein paar Tagen nicht halb so viel Wasser.

Nun bin ich wieder hier in Lake Isabella.

Was ist das für ein Weg?

Wie kann man sowas annehmen, das so zerrissen ist? Von wunderschönen, wie entmutigenden Momenten durchzogen? Kein Ziel, kein echter Wille? Zu was?

Aber noch halte ich fest an den schönen Momenten. Ich will sie wieder haben.

Herzlich umarmen…

…möchte ich Euch alle mal ganz dringend und unaufschiebbar – Knuddeln bis die Polster schwabbeln und die Schneeberge hinter den Augen schmelzen – vor Freude oder Berührtsein. Oder alles zusammen…

Es tut so gut Euch mit all Euren guten Wünschen und lieben Gedanken hinter oder neben mir zu wissen. Auch und gerade wenn ich manchmal blind und taub durch die Gegend laufe und den Kontakt zu meinem Boden verliere….

Und bitte haltet mich nicht für faul oder undankbar wenn ich Eure Kommentare, Whattsapps oder Emails meistens nicht persönlich beantworte, obwohl ich mir das immer vornehme. Ich lese sie alle und oft genug geht mir dabei die Gänsehaut in feuchte Augen über.

Bitte weitermachen!!!

Habt meinen herzlichen Dank!

…und hier noch ein kleiner Blumenstrauß für Euch:

 

Es zusammen angehen / Alleine sein

Ich sehe Paare und höre von Partnerschaften, die sich für den Schnee bilden. Ich vermisse dem Spaß, den ich haben kann, Scherze, Lachen, über sich selbst lästern, sich motivieren, gemeinsam Entscheidungen treffen. Ausrüstungsfragen klären. Es angehen. Oder andere Wege suchen.

Sowas bildet sich manchmal in Kennedy Medows.

Ich bin davor geflohen, weil ich glaube, mich nicht zumuten zu können. Zu langsam, zu gestört, zu kompliziert.

Nun stehe ich da. Ich kann einfach nicht auf Dauer mit mir alleine sein. Ich brauche die Kontakte als Bestätigung, das ich o.k. bin. Kann man sowas annehmen lernen? Das man andere benutzt? Benutzen muss? Ich finde das widerlich.

Lake Arrowhead

Gestern ging es bei mir zwar nicht auf dem Weg, aber emotional bergab. Es fühlt sich so fremd an, hier zu sein, rausgerissen aus dem geographischen Zusammenhang wie aus den wenigen, etwas näheren menschlichen Kontakten, die ich gehabt hatte. Ich stelle meine oft spontan getroffenen Entscheidungen dann immer wieder in Frage und damit mich selbst. So erging es mir gestern. Die PCT Hiker, die ich unterwegs traf, erinnerten mich an die Leichtigkeit, dem Vertrauen ins Leben, von denen ich so gerne so viel mehr im Leben hätte. Vergleiche…. Das hatten wir schon, das Thema, oder?

Ein Sitzbad im traumhaft schönen Fluss tat zwischenzeitlich gut und ich schöpfte wieder Hoffnung, zumal Paul, ein Anwohner, vorbei kam, ein paar Worte mit mir wechselte und mir Wasser schenkte. Sowas tut mir einfach gut.

Aber kaum war ich wieder auf dem Weg, ging es wieder los. So entschloss ich mich umzukehren, um einfach nach Ablenkung zu suchen. Ich fand ein Touristennest namens Lake Arrowhead und bin in einer Lodge abgestiegen. Ist alles zu teuer hier, muss also weg. Genau gesagt in 29 Minuten. Mal sehen, wohin es mich heute verschlägt.

Emotionale Abstürze

Lest besser nicht weiter….  Ich will den Scheiß auch nicht mehr hören.

Gerade jetzt erinnere ich mich an dieses Kraftsatz, den ich in der Klinik in Uffenheim in einem spirituellen Ritual erarbeitet hatte: „Ich will den Scheiß nicht nehr hören!“

Viellecht hilft er mir weiter, was immer ich heute noch mache.

Ich liege im Bett der Saddleback Lodge in Arrowhead Lake. Ich musste gestern fliehen vor meiner Einsamkeit und den Kritikern, die in mir wüteten. Im Laufe des Nachmittags fühlte ich mich immer falscher in meiner Welt und auf den Weg, mit meinen Entscheidungen, dem Wegrennen vor dem einen in den anderen Schmerz. In der Hoffnung auf Menschen, Bier, was Gutes zu essen, wendete ich die Laufrichtung, versuchte zu trampen, wobei erst das dritte Auto aus der Einöde bereit war, mich mitzunehmen. Hier sollte es live Rockmusik geben, das hatte mir am Nachmittag Paul erzählt. Die war schon vorbei. Der Ort ist ein künstlicher Touristenort. Die Lodge ist schön, hat aber sonst ganz andere Gäste. Es ist noch teurer als sonst in Kalifornien. Hier kann ich nicht bleiben. Weiß nicht, wohin.