Kaffeesatz

Ja, ich habe einen Platz gefunden in Freiburg.

Das vorläufige Endergebnis der Suche nach meinem Lieblingscafé ist gefallen. Die einfrauige Jury wählte das Eiscafé „Eis Sensazioni“, zu finden in der Elsässer Straße 60 in 79110 Freiburg, zu ihrem favorisierten Kaffeezubereiter aus einer vermutlich niedrigen zweistelligen Auswahl zufällig gewählter Konkurrenzanbieter. Getestet wurde jeweils ein Cappuccino sowie eine einkugelige Portion Eis der Geschmacksrichtung Haselnuss. Die Lage und Ausstattung der Lokalität, sowie der Service spielten eine untergeordnete Rolle in der Bewertung, flossen aber bei der Entscheidungsfindung ebenfalls mit ein, ebenso der Geschmack und die Konsistenz der Waffel, wohingegen „Sahne“ durchwegs nicht gewählt wurde und somit keine Berücksichtigung fand.

Dort also steht eine chromglänzende Siebkaffeemaschine, die Handgriffe der Zubereiter wirken völlig automatisiert, die Bewegungen fließend und die Menschen sich ihrer Sache sicher. Der Kaffee kommt umgehend, heiß und kräftig aromatisch daher. Man spricht italienisch. Viel und schnell, hat sich ständig was mitzuteilen. Die Stimmung wird gelassen, auch heiter. Die Kundschaft wird bedient. Flott, geschmeidig, freundlich, aber bar jeglicher Übertreibung. Ja, ich glaube, das, was mir besonders gefällt ist der Eindruck „schnörkelloser Bodenständigkeit“: Kein Schnickschnack. Keine Phantasiepreise. Einfach nur gute Qualität in allen für mich beurteilbaren Kriterien.

Dieser Krümel ist also gesunken und hat sich gesetzt. Alle anderen meiner so zahlreichen Eindrücke nach fast/schon/erst 14 Tagen in Freiburg (sch)weben noch das Aufgewühltsein.

… und gleich nebenan gibt es da noch die „Mooswaldbäckerei“ Ortlieb. Neulich schon habe ich ihren Werbebanner gelesen: „Hier wird traditionelles Bäckerhandwerk betrieben – vorgefertigte Teiglinge werden bei Ortlieb nicht aufgebacken.“

Eine weitere Filiale gibt es wohl nicht. Homepage? Fehlanzeige.

Soeben, am frühen Morgen, war der Verkaufsraum gut besucht. Auch die wenigen Plätze im Freien waren belegt. Menschen in Arbeitskleidung, Menschen in Bürokleidung und Schulkinder füllten den Verkaufsraum.

Eine gesonderte Vitrine mit belegten Waren ist gut gefüllt. Man ist also auf reichlichen Absatz vorbereitet.

Klingt nach einem weiteren, sinkenden Kaffeekrümel…

 

Mitglied

Sehr geehrte Frau Nies,

wir bedanken uns für folgende Bestellung:

Bestellnummer: 44839189

SC Freiburg – Cagliari Calcio, 3. August 2019, 14:30 Uhr:
Sparkassen-Tribüne Stehplatz Süd – Stehplatz Süd – erm. 4,00 EUR
Sparkassen-Tribüne Stehplatz Süd – Stehplatz Süd – erm. 4,00 EUR

Versandkosten: 3,00 EUR
——————————————————————–
Gesamtpreis inkl. aller Gebühren und USt: 11,00 EUR

[…]

Sportliche Grüße,

Ihr SC Freiburg
Ticketing


Ich freu‘ mich!!! Ich geh‘ ins Stadion!!! Wie früher im Waldstadion: Ein Stehplatz muss es sein. Erstmal in die Südkurve (früher in Frankfurt: F-Block…). Die Nordkurve ist den „echten“ Fans vorbehalten, denke ich mal. Ich schau‘ mir das erstmal an.

Es gibt ja noch weitere Testspiele… aber der Vorverkauf ist immer zunächst nur Mitgliedern möglich. Und die Eintracht wird ja auch kommen… Man kommt hier, so oder so, einfach nicht so leicht an Heimspielkarten, so viel habe ich schon mitbekommen.

Kurz und gut:

Seit heute bin ich Mitglied im Fußballclub 1.FC Freiburg.

Und das macht – jetzt schon – Spaß.

 

Wildthal

Einer Ebay Kleinanzeige habe ich heute eine ganz besonders schöne Entdeckung zu verdanken. Zu verschenken waren Stadtpläne, ein Stadtführer und eine Fahrradkarte von Freiburg.

Irgendwo in Gundelfingen? Laut Google Maps per Rad ca. 30 min entfernt von hier machte ich mich gleich auf den Weg.

Und der führte mich zunächst schnurgerade durch den hiesigen Wald in das dortige Industriegebiet, dann eine Wohngegend mit Einfamilienhäusern und unter der S-Bahntrasse hindurch ein kurzes Stück klein wenig bergan. Die Straße machte eine Kurve und ich war plötzlich nicht mehr „am Rande des“ bzw. „vor der Türe des Schwarzwaldes“, sondern: Ein Schritt weiter. Ein winziges Nest, das keine Durchgangsstraße besitzt, sondern sich in locker voneinander entfernten Gehöften verliert. Bächlein plätschern, es riecht nach Kuhmist, man warnt vor sträßchenüberquerenden Pferden und am Wegrand wächst wilder Thymian. Und es ist ruhig in Wildthal. Einfach: Ruhig!

Die Ruhe hat dort Raum gefunden und ihn bis heute tapfer verteidigt.

Darf ich vorstellen? Mein kürzlich für 30,-€ erworbener, zuverlässiger Begleiter „Stadtrad“

 

Ich nahm meinen Platz am Wegrand und war erstaunt, beeindruckt, ja glücklich:

Nur läppische 8 km und ich bin „raus“!

 

Und nur 7 oder 8 km und ich war wieder mitten drin: Pünktlich zum Orgelkonzert im Freiburger Münster.

Was für eine überraschungsreiche, spannende Gegend…


Bemerke: Freude

Ich lächele. Ich glaube nicht, dass das wirklich sichtbar ist, aber es könnte doch sein. Es ist eine zarte Anspannung im Umfeld des Mundes, genauer gesagt an den äußeren Enden der Oberlippe, für mich spürbar.

Kann sich ein Gesichtsausdruck „weicher“ anfühlen? Wenn die Beschränktheit des Wortschatzes es vorgibt: Ja.

Beim Nachspüren mit geschlossenen Augen merke ich, dass ich einen Drang habe, sie zu öffnen. Ich will es sehen. Ich will es mir ansehen und fühle mich erlaubt, eingeladen, aufgefordert, es zu tun.

In den nach außen zeigenden Hautflächen der Oberarme spüre ich etwas wie ein ein Streben, ein leichtes Ziehen. Eine bestrebte Erleichterung, die Arme zu heben, in Bewegung zu kommen.

Und jetzt gerade habe ich ein Mal tief eingeatmet.

Es ist ganz leicht, mich zu bewegen. Ein Inbewegungkommenwollen. Kein Getriebensein, ein Aufetwaszugehenwollen.

Ein Wollen! Wie schön…

So fühlt sich gerade meine Freude an.

Sie hat mich eingeladen, ich bemerke es, staunend, und: Freue mich.

 

Wetzlar, 1.Juli 2019_14:14 Uhr

La Resurrezione

Nein, ich hätte wohl im Vorhinein keine zwanzig Euro oder gar mehr gezahlt. Zu skeptisch bin ich gegenüber meinem Musikempfinden eingestellt. Zu gewiss bin ich mir der fiesen Verurteilungen meiner inneren Kritiker bei aufkommendem Getrieben- oder Unwohlsein, Nichtgefallen, Desineresse oder Unlust. Bei einem so selten gespielten, mir völlig unbekannten Werk Händels – zumal in italienischer Orginalsprache – hätte ich mich nicht getraut auf mein Wohlgefühl so viel Geld zu verwetten.

Aber es gibt diese erfreuliche Einrichtung in Wetzlar, das sogenannte „Kulturticket“. Ehrenamtlich Tätige organisieren die Verteilung kostenloser Eintrittskarten spendenfreudiger Veranstalter für Konzerte und Aufführungen aller Art. Und so wurden wir gefragt, ob wir an der Aufführung von Händels „Die Auferstehung“ im Stadttheater Gießen interessiert seien.

Ja, klar, das war ein Angebot, auf das wir spontan und freudig eingehen konnten!

Um meine Antreiber und Unruhestifter schon mal vorab zu besänftigen fuhr ich mit dem Rad nach Gießen, wo Klaus mir schon, verschämt schelmisch schmunzelnd, mit zwei Karten in der Hand entgegenwinkte: „Erste Reihe!“

Gießen hat ein echt kleines Theater. Das etwa mit 25 Personen besetzte Orchester war halbhoch arrangiert. Ich traute mich nicht wirklich, meinen Fuß auszustrecken, womöglich hätte der Geruch den Geiger irritiert? Aber solcherlei Gedanken verflogen spätestens mit dem Erklingen der ersten Töne.

Der feierliche, pompöse Beginn des Werkes trieb mir Schauer der Freude über den Rücken und Tränen in die Augen. Mein Körper freute sich – ganz und gar. Er zeigte es mir deutlich und der Rest von mir stimmte sich begeistert mit ein.

Die Nähe zum Ursprung der Musik war es vielleicht, die den ablenkenden Gedanken die Luft nahm. Die Flöten waren mir so nah, dass sie mir stellenweise zu laut waren. Man konnte den Künstlern auf der Bühne auch beim Luftholen zuhören. Und immer wieder schaute ich voller Faszination auf die Hände und die unbeschreiblich schönen Bewegungen der Arme des Menschen „Dirigent“, seine Mimik und die freudvolle, begeisterte, völlig mühelos wirkende Hingabe an die Musik, die er von ganzem Wesen zu leben schien und so für mich auch auf diese Weise zum Mit-Erlebnis machte.

So, wie die Musik zur Tiefe der Trauer um den Geliebten führte, so erklang mit ihr der Weg hinaus durch Trost im Teilen der Last in Gemeinschaft, mit scheinbar gleichsam betroffen fühlenden Menschen und Hoffnung auf die, wenn auch unsichtbare, Auferstehung, von der man sich erzählt, die aber doch keiner wirklich, ehrlich glauben oder begreifen kann.

Ich will da wieder hin.

 

Angelo: Samuel Mariño, Maddalena: Francesca Lombardi Mazzulli, Giovanni: Aco Bišcevic, Cleofe: Marie Seidler, Lucifero: Grga Peroš, Corista: Kyung Jae Moon, Philharmonisches Orchester Gießen, Musikalische Leitung: Michael Hofstetter / 23.Juni 2019

 

 

Drei Begegnungen

Das, was den Moment so besonders macht, ist das Jetzt. Und genau dem bin ich gestern auf meinen Wanderungen drei Mal so eindrucksvoll begegnet, das ich jetzt noch drüber schreiben will.

Barbara

Sie kam mir auf dem Rad entgegen.

Es ist mir eine liebgewonnene, weil zwanglose, Gewohnheit geworden, Menschen bei Gelegenheit zu grüßen.

Wir lächelten.

Sie hielt spontan und sprach mich an.

Ihr Lächeln könnte in seiner Beseelheit drogenindiziert sein, so kindlich glücklich wirkte es. Dass ein Glaube das zu tun vermag, ist mir zwar bekannt aber doch immer wieder verwunderlich: Fasziniert studierend lauschte ich ihrem Gesicht.

Sie wollte ihren Glauben teilen. Ich lehnte dankend ab.

Aber wir gingen mit voneinander erfahrenen Namen…

…und ich mit ihrem Wunderlichkindsein im Sinn.

Die Rose

Die Rose ist eine Rose. Sie tut, was sie soll: Blühen und duften. Wachsen und stechen.

Ich bin ein Mensch, sehe, fühle, denke.

Bemerke, verknüpfe, hoffe, staune, erdufte.

Das Wunder ist im Hirn, nicht in der Rose

Transmitter im Hirn machen es, was es ist. Bunt oder vernichtend. Duft oder Schmerz.

Es ist alles da. Alles möglich.

Mein Reptilhirn erfasst den Duft der Angst. Bunt oder vernichtend?

Open to Ah:

Mach ein Wunder daraus.

Der Hund, der Groll und der Weg der Wunde (r)

Dieser Köter kläffte mich schon aus der Ferne an. Natürlich war er nicht angeleint und meine Hoffnung, er sei dann vielleicht doch ein gut erzogenes, weil auf sein Alphatier vertrauen könnend gebundenes Exemplar, erfüllte sich leider nicht. Er rannte leichtfüßig springend, aber deutlich verärgert erregt bellend auf mich zu.

Ich blieb stehen, senkte meinen Blick. Groll dröhnte auf: Das nun wieder…

Es gibt verschiedene Handlungsvarianten, die die menschlichen Begleiter von Hunden dieses Verhaltens ergreifen. Es gibt beispielsweise die erfolglos Befehlserteilenden, aber erfolgreich Schuldbewussten. Zu erkennen am hysterischen Herumgebrülle in den verschiendensten Tonlagen.

Die mir gestern begegnete Frauchenvariante ist mir zwar auch nicht willkommen, aber immerhin lieber: Sie machte noch nicht mal den Versuch, ihn zurückzurufen. Sie spazierte tiefenentspannt wirkend ihrem halbhohen Mischling hinterher, der in etwa vier Meter Entfernung von mir zum Stehen kam – ununterbrochen aufgebracht kläffend blieb er seiner Einschätzung der Lage treu. Sein basketballförmiger Kumpel hingegen schnaufte sich knurrbellend bis an mein Hosenbein.

Streng den Exerzitien des Ritus folgend bekannte sich Frauchen sicheren Wortes zu ihrem festen Glauben:

„Die machen nix.“

Ja klar. Logo.

Der Hund ist ja bekannerweise der Spiegel des menschlichen Begleiters und sie beißt mich ja im Moment ‚jetzt‘ nicht….

Das Hunde mich nicht tätlich angreifen, solange ich sie weiter nicht beachte bzw mich ihnen freundlich gegenüber zeige, hatte ich dem Volk der Hundeführer wirklich viele Jahre glauben können. Bis ich mehrfach eines anderen belehrt wurde.

Mein Hirn weiß, das es glauben könnte. Früher hätte es gewusst, dass diese Hunde nicht gefährlich sind.

Es weiß aber auch, das der Körper das nicht mehr weiß, im Gegenteil: Der erinnert sich an die Fehleinschätzungen des Hirns genau…

Es ist egal, ob es mein Groll ist, oder meine Angst:

Die Skepsis des Hundes jedenfalls ist geweckt.

Und aus unerwünschtem Kontakt mit Hundegebissen ist mühsam eine gute Erfahrung und wohl kaum ein Wunder zu machen.

Wohl aber aus dieser Begegnung:

Die Skepsis meines Körpers war geweckt. Schlug mir Alarm.

und

Es ist mal wieder gut gegangen, Körper. Haben wir gut gelöst, gut überstanden, gut gemacht.

Auf ein Neues, zurück.

Hin zum – angeborenen – Vertrauenkönnen.

Vertrauen

auf eine verlässliche Bindung.

And now…

…to something completely different…

Wie könnte ich den Beitrag noch nennen?

„VORSICHT! Sommer!“

„Verregelungsepidemie im Wohlstandsstaat“

„Hinterhältiger Angriff auf die öffentliche Ordnung – Beamte konnten Tatverdächtige ausfindig machen“

…Ach, ich wünschte, mir flössen die Worte eines humorig-bissigen Satirikers durchs Hirn…

….denn heute gab es eine echte Schwerglaubhaftigkeit im Briefkasten.

Lust mitzulachen?

Lauge

Ich bin sowas von gesegnet, in dieser Zeit in diesem Land leben zu dürfen, mich trotz mehr als jahreslanger Arbeitsunfähigkeit in finanzieller Sicherheit zu wähnen und physisch völlig gesund zu sein. Bin in eine Familie geboren, in der ich gelernt habe, die Regeln der Gesellschaft befolgen zu können und habe lange Jahre entsprechend den Anforderungen, die an mich gestellt wurden, funktioniert. Habe eine gute Bildung genießen dürfen und einen Beruf erlernt, dem ich lange Zeit nachgehen konnte und in dem ich mich auch in Zukunft wieder einbringen könnte, wenn ich es wollte, weil es auf Dauer so viele freie Stellen gibt und geben wird. Ich kenne wunderbare Menschen, zu denen ich mit meiner Verunsicherung Vertrauen üben gehen kann. Wieder und wieder. Manche werden sogar dafür bezahlt… Und ich habe eine vom Sozialsystem getragene Perspektive, wie es mit mir weiter geht. Ich lebe in einer günstigen Wohnung inmitten dieser Ecke Kleinstadt mit fließend sauberem Wasser, habe es warm und trocken. Es ist Frieden und Wohlstand in diesem Land.

Ich bin sowas von gesegnet.

Heute bin ich geschwommen, Rad und Motorrad gefahren. Das Wetter hat gepasst, die Luft war rein, die Straßen frei. Habe von vielen Menschen Lächeln durch Anlächeln ‚geerntet‘ oder es einfach so geschenkt bekommen. Ich wurde heute mehrfach herzlich, liebevoll berührt und sogar in den Arm genommen. Man hat sich sichtlich gefreut, mich zu sehen, mit mir zu sprechen. Mir so liebe Menschen haben von sich aus, einfach so,  Kontakt zu mir aufgenommen: Was für ein Geschenk, welch eine Fülle! Ist das menschlich wirklich zu erfassen?

Jedenfalls befand ich mich so gesehen heute in einem wohlig warmen Bad der guten Gesellschaft und freundlicher Begebenheiten.

Ich könnte sowas von glücklich sein, rundlich wonnig beseelt.

Das bin ich doch – auch?

Vorrangig aber fühle ich mich gerade ausgelaugt.

Und deshalb schuldig.

Denn da ist noch mehr…

„DU SOLLTEST… sowas von glücklich sein, rundlich wonnig beseelt!“

Ich bin für sie, meine inneren Kritiker, so (einfach) wie ich bin, nicht genug. Ich soll mehr sein, besser sein…

Sie lassen mich ‚einfach‘ nicht in Ruhe.

Was ‚Schlimm‘ entzündet.

Eine Auslaugung ist definiert als die Herauslösung von Substanzen durch ein Lösungsmittel aus einem Feststoff.

Nehme ich die Schuld mal Beiseite und empfehle Schlimm solange in ihre Obhut…

…sortiere also den Lageplan der Verurteilungen neu…

…ergibt sich Neues:

Wo etwas herausgelöst wird, entsteht Raum.

Raum für andere Perspektiven und neue Blickwinkel.

So gesehen gibt es neben den ewigeifrigen Vordränglern „Schuld“ und „Schlimm“ noch weitere herausgelöste Substanzen. Schlichte Müdigkeit zum Beispiel, Erschöpfung, „Geistüberflutung“ – ob ich es will oder nicht. Verwässerte Wut bei all der Anpassung. Ratloses Achselzucken. Hoffnungslosigkeit. Ohnmacht. Das gleichzeitige Spüren, Vermissen und die Ungreifbarkeit von Vertrauen, von Bindung, von Teilsein-Fühlen. Im Feld der Wahrnehmung erscheint auch der Trost der Traurigkeit, die den Schmerz vermag zu lieben – ihn umschließt, verbirgt, versorgt.

Vielleicht braucht die Traurigkeit gar keinen Trost. Sie ist es. Wenn ich sie ganz sehe.

Und das Lösungsmittel, das mir erlaubt hat, das zu erkennen, war dieser wonnig runde, glücklich beseelte Tag mit all seinen Begegnungen.

Auslaugung ist die Herauslösung von Substanzen durch ein Lösungsmittel aus einem Feststoff.

So ist alles richtig – und schon kann mir rückblickend gelingen, was vom Feststoff (oder vom Zähen, Schweren, Klebrigen) übrig bleibt:

Das Lächeln dieses Tages einfach, dankbar schweigend seufzend zu erwidern.

Dem Wunsch der Müdigkeit nach Schlaf zu folgen, und darauf zu vertrauen, dass, wie sie, die anderen herausgelösten Substanzen vielleicht dort ebenso das finden, was sie erlöst.

Ausgelaugtsein ist eine Lösung.

unter die Haut

Im Rahmen der Behandlungsstunden mit meinen körperpsychotherapeutisch interessierten HelferInnen wurde und werde ich oft gefragt: „Und wie fühlt sich das im Körper an?“

Oft spüre ich irgendwie nichts, kann es nicht beschreiben oder ich spüre was, sage das und gleich das dazu, was meine inneren Kritiker dazu meinen. Sie finden das dann „immer“ „zu wenig“, „falsch“, „dumm“, „verlogen“. Kurz: Ich habe es schwer, meinen Körper wahrzunehmen und das einfach zu beschreiben, was er mir mitteilt. Ich will „die Kritiker“ nicht hören und die Gefühle nicht wahrnehmen, die diese Gedanken auslösen.

Gerade jetzt fühle ich dieses Gefühl, das meistens da ist und versuche mal, es zu beschreiben. Ich nenne es mal so: Es fühlt sich an, wie eine „innere Neurodermitis“. Ich würde die Unruhe, das Aufgewühltsein als „juckloses Kribbeln unter der Haut“ beschreiben. Also nicht auf, sondern unter der Oberhaut. Es ist gerade am deutlichsten in der Schulterpartie, den Schulterblättern und den Oberarmen wahrzunehmen. Die Oberschenkel senden es aber auch. Die Zahnreihen haben übersanften Druck, der Kiefer ist also angespannt. Der Körper ist gespannt. Aber nicht freudig erregt gespannt, sondern wie in der Erwartung einer unvorhersehbaren, aber altbekannten Gefahr. Es ist nicht klar, was kommt. Glaube aber, zu wissen, es kommt eine bedrohliche Situation auf mich zu. Mein Urteil lautet: „Ich muss aufpassen“. Ich sollte „raus“.

…und gehe jetzt auch raus – in die Sonne.

Und auf den Samstags-Wochenmarkt.

Die Sonne spüren, die Wärme fühlen, Sicherheit sehen, versuchen, sie auf mich wirken zu lassen.

Sie einladen, mir unter die Haut zu gehen.


Üben, etwas mehr

damit

statt etwas dagegen zu tun.

 

 

Pinnwürdiges

Ich darf seit ein paar Monaten bei der ein Mal wöchentlich stattfindenden DBT Skillsgruppe mitmischen.

Neben uns 4-8 Teilnehmerinnen sind immer zwei therapeutische Mitarbeiter zugegen. Der Ablauf der 1,5 stündigen Gruppe folgt einer festgelegten Struktur. Zunächst gibt jeder der Anwesenden seinen momentanen Grad der Spannung an. Bei über 70 (von 100) wird nachgefragt ob eine Intervention (‚runterskillen‘) alleine oder in Begleitung außerhalb des Raumes notwendig ist. Nach einer Achtsamkeitsübung trägt jeder seine Hausaufgaben der letzten Woche vor und kann in begrenztem Rahmen eventuelle Unklarheiten oder Schwierigkeiten ansprechen. Danach folgt eine Pause von 5-10 Minuten. Inhaltlich arbeitet sich die Gruppe am ‚Manual‘ (Bohus / Wolf,
Interaktives Skillstraining) entlang. Die Hausaufgabe besteht dann meistens im Bearbeiten eines Arbeitsblattes zum neu besprochenen Thema. Abschluss der Runde ist eine weitere Anspannungsrunde und die Frage, wer die Achtsamkeitsübung für die nächste Woche vorbereitet.

Ich wurde immer kleiner in meinem Stuhl. Zwar war ich diesmal nicht gehetzt als letzte in den Raum gehuscht, musste aber feststellen, dass ich die Hausaufgaben nicht richtig verstanden und somit auch nicht gut vorbereitet hatte. Zu meiner Grundscham gesellte sich nun noch ein übertriebenes, kindliches Schuldgefühl und eine Wut darüber, sowie über die Feststellung, dass ich den Vorträgen meiner Kolleginnen nicht folgen konnte. Wie ich selbst hatte jede scheinbar etwas anderes verstanden oder sprach schüchtern verunsichert nuschelnd ohne Blickkontakt…

Allesamt mir ein Spiegel.

Ich konnte mich nicht konzentrieren, nicht zuhören…

Meine Anspannung war deutlich gestiegen: Ich war so froh über die Pause, floh in das kleine Draußenalleinesein und erkannte dort außer mir schnell ‚Schlimm‘ um Zuwendung drängeln.

Ich atmete und stand an dieser Brüstung. Nahm die Wärme der Sonne wahr und gab es für einen halben Atemzug lang auf, einatmen zu müssen.

So war es mir zu fassen:

Nur mit Schlimm bin ich ganz. Jetzt.

Ich bin nicht schlimm, aber ich habe ihn. Ohne ihn gibt es mich jetzt gerade nicht.

Diese Fassung möchte ich hiermit als Schablone an meine Pinnwand hängen.

So mies sich gerade was anfühlt, ob es schlimm ist oder nicht: Es hilft doch nicht, etwas ‚weg‘ haben zu wollen, was schon da ist.

Nur mit dem Gefühl bin ich ganz. Ich kann bestenfalls lernen zu dirigieren. Hellsehen kann ich nicht.

…durchatmen, wenisten noch ein paar Schritte ums Gebäude laufen und wieder rein zum….

Offensein üben

In jedem neuen Moment habe ich immer wieder eine Chance dazu.


Habe mir übrigens die Hausaufgabe genau notiert.

Müsste dann nur wieder den Zettel finden…