Horizont

Das Telefon klingelte.

Mein Rehabegleiter teilte mir mit, es finde in diesem Moment eine Hausversammlung statt. Alle Mitarbeiter und Rehabilitanden befänden sich ab sofort in Quarantäne. Wo ich mich denn gerade aufhalte?

Genau hier…

…war es, als mich am Mittwoch, den 25. März um 16:58 Uhr dieser Anruf erreichte.

Der „Tuniberg“ ist – wie nennt man das – ein „Hubbel“ fällt mir ein… 🙂 –

aber nein, so nennt man das sicher nicht. Wikipedia sagt, es sei eine „Kalksteinerhebung“ zwischen Freiburg und Kaiserstuhl. Es wird vorrangig Wein dort angebaut und ich erinnere mich gerne an die gefühlt viel zu wenigen Stunden, die ich letzten Herbst mit meiner Holz-Ergotherapiegruppe hier grauburgunderweintraubenerntend verbracht habe.

Die Lage von Haus Landwasser erlaubt uns keinen Blick in die Weite,

so nahm ich Abschied in aller Fülle. Erlaubte mir, die Radtour bis weit nach dem Sonnenuntergang auszudehnen. Genähert habe ich mich währenddessen nur der Rückkehr und somit der Zeit in die mulmig fad bitterschmeckende Ungewissheit, die sich einer bestimmten Bedrohlichkeit nicht entziehen kann.

Nicht nur eine Zeit ohne eine Fluchtmöglichkeit in räumliche Entfernung.

Fehlen wird mir der beruhigende Blick in den Horizont.

Schmerzlos schöne Verbundenheit von Weite und Halt.

Angebot zum Kurzurlaub, möglicherweise einer Reise

von einem Punkt in einen Raum.

 

Etwas

Nach diesem Tag. Am Ende dieses Tages gestern, an dem es so viel von diesem kindlichen Gefühl der diffusen Bedrohung bis hin zum Ausgeliefertsein für mein Nervensystem zu erleben gab – und so viele völlig unerwartete wie wirkungsvolle Glückstrosthoffnungsrettungsgefühlsternschnuppen – saß ich.

Ich saß dort am Aufgang zur Messe Freiburg.

Ich hatte Äpfel bekommen, mein Lieblingsknäckebrot und noch ein paar Zutaten für das heutige Backen mit J.

Ich mag diesen Platz mit dem Blick in die Weite. Der Flugplatz verschafft noch ein bisschen Raum vor all den Baustellen. Links ruht der Schwarzwald. Dort die Gipfel der Vogesen. Bis vor kurzem waren sie noch schneebedeckt…

Und am Himmel spielten sich Sonnenuntergangsfarben sanft in die Nacht.

Nach diesem Tag fand ich dort Weite und Ruhe. Ich saß auf den steinernen Treppen. Ein paar Menschen waren da, aber angenehm weit weg um mich alleine fühlen und trotzdem ungestört sein zu können.

Kein Gedanke ans Atmen. Dabei langsam die Ruhe wahrnehmen, ja vielleicht sogar spüren, diese Ruhe, die da ist. Immer da ist.

Weite. Sanfter, ruhiger Lärm einer entfernten Stadt. Silhouetten von Gebäuden. Auf der Straße dort fuhren einspurig Fahrzeuge von rechts nach links. Ich glaube, ich dachte an nichts. Mein Verstand war eingelullt für einen Moment von ebendiesem.

Bis sich dieses große, rote Etwas in die Wahrnehmung drängte.


Etwas

drängte sich sich auf, zerschnitt den Moment…

Gefühle erklafften den dort entstandenen Raum,

Gedanken wie eine Garde gierig-eifriger Honorarsoldaten im Gefolge.

Die Waffen dieser Soldaten sind Urteile

Sie schneiden scharfe Krater ins Jetzt.


…und verschwand. Das Etwas verschwand. Es ver- zog sich aus dem Blickfeld. Langsam. Ganz langsam. Von rechts nach links.

„Es ist immer alles da“.

Auch wenn etwas den Verstand oder das Gefühl berauscht, verführt, entführt, einnimmt, besetzt, völlig beherrscht, zermartert,…

Es ist immer alles da. Der Boden, der Himmel, die Welt bleibt, wie sie ist.

Auch das Etwas existiert immer. Ich nehme es manchmal nur nicht wahr.

Etwas mag hindurchziehen.

 


 

Wir wollen wieder diesen leckeren Orangengugelhupf backen und Apfel-Haferflocken-Cookies…

Und wie gerne lasse ich mich schon jetzt vom Geruch, der doch auch nur in meiner Erinnerung, in meiner Sehnsucht existiert, verführen.

Bis dort an den gedeckten Tisch.

Mit

Was auch immer Etwas ist.

Es ist immer alles da.

satt

Eine schöne, rundrum wohltuende Radtour war es, hin nach Tiengen, zu einem Ort, an dem ich noch niemals zuvor war.

Mein Rucksack und mein Fahrradkorb waren, im Gegensatz zur Hinfahrt, auf dem Rückweg gut gefüllt – und tatsächlich – mit allem Respekt, der mir zur Verfügung steht – kam mir der Vergleich mit Hamsterfahrten nach dem 2. Weltkrieg.

Meine Mehlvorräte wurden knapp. Und weil mir das Backen so viel Freude macht und zudem hier so willkommen ist, war ich von ständig leeren Regalen zunehmend genervt. Ein Mitrehabilitand brachte mich auf die Idee zu googeln, denn er haben von einer Mühle gehört…: „In Tiengen – oder so?“

Ich rief gar nicht erst an um nach den Vorräten zu fragen, ich machte mich einfach auf den Weg zur „Jenne Mühle“.  (kleine Anmerkung: Erste urkundliche Erwähnung 1357!)

Und es war nicht einfach nur die Freude über das Mehl, die schöne Tour, die ich fast selbständig fand, das Wahrnehmen des Wiederauflebens der Natur, der blaue Himmel, kreisende Störche, freundlich grüßende Menschen… das Gefühl „draußen“ zu sein… es war, alles zusammen genommen, glaube ich, bewusst erlebte…

„Selbstwirksamkeit“

Heißt: Ich habe (mindestens) ein Bedürfnis und ich stille es.

Ich mach‘ mich satt. Und nicht nur das… Es fühlt sich auch noch rundrum gut dabei an.

 

Schmutzig?

Ich schaute zum Fenster.

Nahm an den Häusern vorbei den blauen Himmel wahr.

Weiß wie Schäfchenwolken

hoben sich die Abdrücke einer kleinen Hand davon ab, die vielzählig auf der Scheibe verteilt waren.

„Die habe ich gemacht!“ poltern sie für mich heraus und ich stelle mir die hier ansässige kleine Tochter vor, wie sie stolz ihre Mutter anlacht.

„Das da ist meine Hand!“

Hier bin „ich“ und darf ich sein, darf ich bleiben, darf meinen Abdruck hinterlassen, bin willkommen. Und das ist gut und selbstverständlich so.

Ich sagte es der Mutter zum Abschied, wie schön ich das finde, was ich mit diesen Abdrücken ihrer Tochter verbinde.

Und sie freute sich.

„Ach, weißt Du, ich finde sie auch schön,“ sagte sie lachend, „aber meine Mutter sagt immer, die Scheiben seien schmutzig!“

Ich lächele noch immer über die befreiende Enge meiner beschränkten Wahrnehmung

– habe ich doch gar keinen Schmutz gesehen.

Zwanzigfünfzehn

20:15 Uhr. Bettfertig. Kontaktvorfreudig.

Die Beleuchtung im Zimmer ist schon gedämmt. Ich finde es angenehm warm. Ich kenne einige Menschen, denen es sicher zu warm wäre. Überheize ich? Verbrauche ich zu viele Ressourcen? Ich brauche die Wärme zum Ankommen, zum „Landen“ im Tagesende.

Später aber, in der Nacht, freue ich mich über den Schein des Mondes auf den Boden meines Zimmers und die frostige Luft, die sich hier verbreiten darf – genau so lange, bis es mir selbst unter der Decke zu kalt um die Nase wird.

Aber das liegt in der Zukunft.

Es ist 20 Uhr 15 und ich bin in Schlafklamotten. Muss ich mich schämen? Was soll diese Frage überhaupt? Naja, ich habe sie mir gestellt und beantworte sie mir mit einem „Nein“, möchte mir aber die Mühe geben, es mir nochmal genau zu verdeutlichen, dass ich mir Ruhe gönnen darf und froh darüber sein könnte, so ich sie mir zugehörig fühlen könnte.

Zwar wache ich nicht mehr automatisch um 4:30 Uhr auf, aber einen Wecker brauche ich hier nicht. Heute war es so gegen 6 Uhr und ich kann mir meine Zeit lassen, aus dem Bett zu kriechen. Ich brauchte eine gute Weile, bis die Wirkung des frisch gebrauten Instantkaffees und die gefühlt notwendigen Nachbereitungen der Nacht und Vorbereitungen für den Tag so weit gediegen waren, dass ich mich in den Fitnessraum verabschieden konnte. Jalousien runter, Musik an. Das WLAN war heute schwächelnd, so musste das Morgenmagazin als Orientierungshilfe mit Berieselungsfunktion herhalten, während ich mich in der verbleibenden halben Stunde ins Körperspüren brachte. Crosstrainer, Seilspringen, Rudergerät, Schwingstab, Hula Hoop Reifen zur „Belohnung“ :-). Alles nur ein paar Minuten… Aufrecht und bewusst gehen wird mir damit möglich.

Schnell unter die Dusche, Reisekaffee, Sachen packen, pünktlich um 8:30 Uhr war ich in der „Beruflichen Betreuung“ ein Stock tiefer.

Fr. S. frug mich mit dem Blick auf den Kopfhörer, ob meine gestrigen Methoden zur Erweiterung der Stresstoleranz gewinnbringend waren. Ja, schon. Und ich hatte mich auch schon weitestmöglich entfernt von der Mitrehabilitandin gesetzt, deren Körpergeruch mich ekelt, was widerum die innere Familie zu den immerselben Dramaserienfolgen inspiriert. Der Geruch war dennoch wahrnehmbar… ein  bewusster Schluck Kaffee. Und Minzöl habe ich notfalls auch dabei.

Eigentlich muss ich mich dringend um einen Praktikumsplatz in der Pflege bewerben, aber die Unklarheit sträubt mir das innere Klettpflanzenfell. Wenn ich nur wüsste, um welche Sorte es sich wirklich handelt! Ist es der Widerstand gegen mich im Beruf allgemein oder ist es der Widerstand gegen die Erinnerung an vergangenes Erleben, mit dem ich nun vielleicht besser klar kommen (lernen) könnte? Der Beruf an sich ist ein schöner Beruf. Vielleicht gibt es Nieschen für mich, wenn ich nur wüsste, ich dürfte sie auch für mich nutzen und könnte sie ausfüllen. Um mir darüber klarer zu werden, mache ich das Praktikum. Nicht, um mich zu etwas zu zwingen. Ob ich überhaupt zumutbar bin für die Menschen, die Betriebe? Zwei große Psychiatrien haben meine Anfrage dankend abgelehnt. Nun bleibt nicht mehr viel… „Buchenbach“, die anthroposophische Psychiatrie, treibt mir Ehrfurcht ins Erleben. Ich möchte zur Kontaktaufnahme gut vorbereitet sein.

Aber erstmal entschied ich mich an der Gruppe teilzunehmen, die sich heute mit dem Thema „Lernmethoden“ beschäftigte. Wir waren zu dritt. Ich stellte den anderen den „motorischen Lerntypen“ vor und spürte in der kurzen Vorbereitungszeit die Freude über meine Ideen, mit denen ich das vermitteln wollte. Die kindliche Aufregung bringt Verunsicherung in die Hülle der Alten bzw. die, an die Anforderungen, Erwartungen einer Erwachsenen gestellt werden. Im kleinen Rahmen konnte ich zufrieden mit mir sein.

Die Aufregung aber blieb… („Fr. Nies, Sie wissen, Sie brauchen manchmal etwas länger als die Mehrzahl der Menschen, um auf normale Stresslevel zurück zu kommen.“)

So fand ich in der Kaffeepause nur im Rückzug Sicherheit, zumal „natürlich“ der Kaffee leer war, der Nachschub unverständlicherweise unter Verschluss und die dafür Zuständigen entspannt in der Sonne sitzend. Ich wollte nicht stören und tue ich mich auch ’so‘ schon schwer genug mit selbstsicherer, angemessener Kritik. Ich hörte mir spöttisch verachtend zu.

Beruhigungstee war auch passender als Kaffee…

Dann diese Email! Der Pflegedienst „Ich und Du“, der das für das deutsche Pflegemodell revolutionäre, aber dort erfolgreiche Prinzip von „Buurtzorg“, also praktisch organisierte Nachbarschaftshilfe, aus den Niederlanden versucht, in Freiburg zu integrieren, lud mich ein kostenlos, am eigentlich 295,-€ teuren Eintagesworkshop am kommenden Montag teilzunehmen. Wie soll ich dieses Gefühl beschreiben? Ich musste es sofort den Beraterinnen erzählen und die freuten sich einfach gründlich – wobei bei mir Staunen und Zweifel mitschwingen – aber die Freude behielt ich mir und sagte dankend zu, während mich die Gedanken daran bis jetzt nicht verlassen, ob es wohl angemessen ist, zumindest ein paar Pralinen oder sowas mitzubringen – einen selbstgebackenen Kuchen? – welchen? Ich rätsele.

Die Zeit bis 12:15 Uhr verflog. Schnell was essen und rauf aufs Rad. Ich kam pünktlich um 13 Uhr zur ASF, meinem ca. neunwöchigen „Arbeitgeber“ von Dezember bis Januar. Mittwochs haben wir hier immer Bürotag, aber ansonsten war ich täglich von 6 bis max. 12 Uhr dort und arbeitete in verschiedenen Bezirken bei der Straßenreinigung mit, so gut ich konnte. Ich erhielt dafür viel Anerkennung und ein wirklich schönes Zeugnis, über das ich mich, besonders als „Kleine“, innig freuen kann. Aber auch „die Große“ kann zufrieden mit sich sein. Man wolle sich aber nochmals – zusätzlich zum Abschlussgespräch – persönlich von mir verabschieden. Ich spürte meine Verunsicherung in der Vieraugensituation mit dem Personalchef. Was ist angemessen zu erzählen? Warum erzählt er mir Dinge aus seinem Leben? Was will er wirklich von mir hören? Es ging vorbei. Ich hielt eine handgeschriebene Dankeskarte, einen Einkaufsgutschein in der Hand und eine Flasche Wein mit Logo, die ich noch im Auto verstauen muss…

Aldi. Beloh-ruhigungsgebäck. Sonne. Sonne. Sonne. Blauer Himmel. Mein Fahrrad. Richtig temperierte Klamotten…

Die Wohngruppe war schon am Freitagsputz. Ich hatte mich entschuldigen lassen und darum gebeten, den „Selbstversorgerraum“ später selbständig reinigen zu dürfen.

Diese wöchentliche  Zimmerkontrolle regt mich auf. Es fühlt sich an, als dränge man in meine Privatssphäre. Als könne man mir nicht vertrauen. Das macht mich wütend – aber die Einsicht ist ja auch da. Das Dulden aber ist ein „Müssen“ und das macht es so schwierig. Und dann zückte auch noch diese kindliche Praktikantin in Krankenpflegeausbildung, die sich mir noch nicht mal vorgestellt hat, ihren Kuli und unterschrieb mir meinen Wochenplan als „korrekt erledigt“… was für mich schon was hat von menschlichem Wertigkeitsgefälle bzw. mangelndem Einfühlungsvermögen der Beteiligten… o.k. Augen zu und durch… ich muss doch nicht alles diskutieren und ansprechen….

Ich unterhielt mich mit zwei hier tätigen Krankenschwestern meines Alters, während ich den Selbstversorgerraum putzte. Das kommt extrem selten vor, dass sich sowas ergibt. Genauer gesagt: Es kam noch nie vor. Ein eigentlich entspanntes, freundliches, fast kollegiales Gespräch. Es ging um meine berufliche Zukunft und den Workshop am Montag. Ein komisches Gefühl aber bleibt… „was stellst Du Dich so an… geh‘ einfach wieder arbeiten… alles nur Getue… Du hast keinen Grund, es ist nicht schlimm, Du stellst Dich nur was an….“ sagt diese Stimme, die ich, so eine leise Hoffnung, immer besser von mir abgrenzen kann. So ein mieses, komisches Gefühl aber bleibt.
Die Idee zum und der kurze Ausflug in die Kühle des Radschuppens zwecks Laubentfernung tat mir gut.

Schnell ein paar Emails. Kaffeetrinken. Ich war am Kuchenbacken beteiligt und einfach neugierig auf das Produkt. Schön, ein Platz neben A. war frei. Darf ich? Nerve ich nicht? Bin ich zu anhänglich? Nur weil ich meinem Gefühl folge, dass ich mich dort wohl- und willkommen sein fühlen könnte? Wir albern oft. Diesmal traf sein Scherz das Umfeld meines Marks. Ich setzte mich trotzdem. Oh, wie schön, dass J. noch dazu kam. Der Kuchen schmeckte. A. schimpfte, dass wieder ich mich um das Aufräumen kümmerte, statt Tischtennis zu spielen. Motivationskonflikt. Ich ging raus, aber die Tischtennisplatte war besetzt und ich räumte weiter, bis mir einfiel, ich muss ja dringend los, wollte ich doch an der frühen Selbsthilfegruppe „ehrliches Mitteilen nach Gopal“ teilnehmen… Leider konnte ich A. nicht mehr Bescheid sagen, warum ich mich nicht mehr blicken ließ.

Die Sonne schien noch immer. Was für ein Tag! Ich kam pünktlich. Ich mag den Raum und die Menschen dort. Die Ruhe. Es erging mir ganz gut, was nicht immer der Fall ist.

Ich muss die Schaltung einstellen… aber die verbleibenden Gänge schnurren. Lidl. Glücklich über meine Auswahl, stellte ich an der Schlange stehend fest, meinen Geldbeutel nicht dabei zu haben. Also hin und her radeln… die Zeit verrann. Ich verschob das Telefonmeeting um 15 Minuten.

20:15 Uhr. Kontaktvorfreudig und bettfertig.


 

Nein, ruhig schlafen konnte ich nicht wirklich. Auch die Bedarfspille half nicht wirklich. Nachts musste ich mehrfach raus.

Und zwei Mal freute ich mich über meinen Nasenfrost – bevor ich das Fenster wieder schloss.

gefälligst

4:30 Uhr. In der Dusche war natürlich das Fenster nicht geschlossen, die Heizung nicht aufgedreht.

In der Küche lagen überall Krümel, Zuckerreste, die Spüllappen geknäult und auf dem Boden verbrannte Backpapierreste. Geschirr auf, nicht in der Spülmaschine. Warum bloß?

Natürlich war, trotz vorheriger gegenteiliger Beschwichtungen, auf dem Bauhof die Zugangstüre zur Damenumkleide noch nicht offen und ich musste nochmal zurück, um einen Schlüssel zu besorgen.

Mal sagt M. „issschoh guhd soh“ (und ich muss Dreck liegen lassen), mal weist er mich auf ein Blättlein Laubes hin, das ich versäumt habe, zu entfernen.

Mal werde ich aufgefordert, langsam zu machen. Mal macht man mich auf Wasauchimmer (übertriebene Gründlichkeit, Ungeschicklichkeit, Tempo?) aufmerksam mit dem Satz „woischd, wiear müsse au weidah“ (wobei ich die planmäßige Freitags’arbeit‘ sehr wohl schon abschätzen kann… *grrr*)

Sylvesterdreck an Straßenecken. Haben die nicht gelernt, ihren Mist wegzuräumen? Zündschnurkäpplein für Zündschnurkäpplein. Kronkorken, Scherben, Knallerpapier. Raketenhölzer (kann man so schlecht auffegen…).

Gegenwind macht mir die Heimfahrt kraftverzehrend.

Blöd geparkte Fahrräder im Schuppen.

Kaffeeflecken im Treppenhaus. Warum machen die ihren Dreck nicht weg?

Reste vom 10 Uhr Kaffeetrinken. Ich erinnere mich (natürlich nur) daran, wie gemütlich das sein kann (nicht daran, wie oft ich diesen Rahmen verlassen musste, weil… ). Rehabilitanden versitzen in der „Beruflichen“ gesellig ihre Zeit. Abschlussrunde in der Textil- und Holzgruppe. Die ersten schwatzen schon in der Raucherecke. „DIE haben’s gut“

Brieffach: Leer.

Küche: Wie gehabt.

Speiseplan: Schlonziger Großküchenfraß wie üblich.

An der stinkenden Mitrehabilitandin muss ich auch schon wieder vorbei.

Und natürlich kann ich mein Fenster nicht aufmachen, wird doch die „Musik“ auf dem Raucherhof rücksichtslos aufgerissen…

Kurz:

Ich bin so sauer. Wütend. Grolle mit… Gottundderwelt (die genau so ist wie immer).

Und ich will mich nicht drum kümmern. Ich will nichts mit dieser Wut zu tun haben. Die sollen gefälligst anders sein damit ich diese Wut nicht haben muss.

Auf dem Weg zur Waschmaschine passiere ich die Duschen und ich weiß 100%ig, dass „die“ ganz sicher wieder nicht…

… aber nein. „Die“ haben daran gedacht und das Fenster in der Dusche geschlossen, die Heizung auf „5“ gedreht.

Dann wüte ich eben über meinen Pessimismus, über meinen kleinherzigen Groll, mein kleinfurziges Allesbesserwissertum. Über diese Enge im Erleben, diese Verschlossenheit, diese Unliebe, diese Entwertungen,… Zähneknirschend. Ja, um Zahnarzt, Bewerbungen, Bankenzugänge, Terminplanungen, etc. müsste ich mich ja auch noch kümmern.

Wäre ich nicht so grollig.

Oder einfach: Erschöpft. Ruhe- oder – schlimmer noch: – zuwendungsbedürftig…? Bedürftig nach dem Gefühl in Sicherheit, geborgen, richtig zu sein…

Und: Um was man sich, wenn man sich selbst so schön verärgern kann, noch nicht alles nicht kümmern muss – oder glaubt, nicht kümmern zu können…

Danke, Ihr Arschengel.

Also kümmer Dich. Fang‘ an. Erstmal knurren. Heulen oder Jammern. Weiteratmen. Und dann. Kümmer Dich. Eine Kleinigkeit erledigen. Etwas der Welt geben statt von ihr verlangen, fordern, vermissen.

Womit fange ich an? Na klar…

Schlonzfraß.

Mittagsschlaf?

Einer von „denen“ wird mich schon stören 🙂

Gefälligst.


18:06 Uhr:

Das Essen schmeckte natürlich ‚irgendwie’und war gar nicht so schlecht. Nein, keine Mittagsschlaf. Arbeitsklamotten waschen.

Das Gemeinschaftsputzen überlebte ich knapp. Und meine Mitmenschen mich auch.

Irgendetwas brachte ein paar meiner Tränen zum Laufen, während wir telefonierten. Danach ging es meiner Wut auch schon ein bisschen besser.

Ich ging in den Fahrradschuppen, machte Ordnung, befreite ihn vom Laub und meine Fahrradkette von schabgeräuschenverusachendem Schmutz. Ich weiß, wie sehr ich mich darüber freuen kann, wenn sie geschmiert läuft. Und darüber, Platz zu haben, wenn ich in den Schuppen komme. Und dann stelle ich mir einfach noch vor, Hr. S., der Hausmeister, den ich sehr mag, freut sich über meine dortige freiwillige und hoffentlich auch für ihn willkommene Betätigung.

Ich verschaffte mir also ein bisschen Wohlgefühl.

Und beim Kaffeetrinken saßen zu meiner Freude schon A. und J. da. Die zwei Mitrehabilitanden, bei denen ich mich momentan am sichersten fühlen kann.

A. ließ sich von mir auch noch mit Häkelzeug und einer groben Anleitung helfen.

Ich bin dankbar.

Gleich ist auch noch die Selbsthilfegruppe. Ich kann es für möglich halten, willkommen zu sein. Sie hat mich zumindest nicht ausgeladen…

Ich freue mich auf sie, ihren Raum, die anderen Willkommenen, den sicheren Rahmen der Regeln.

Und ich freue mich auf das leise, aber satt klickernde Geräusch der Fahrradkette –

mir gefälligst

Eng

Frei ist die Stadt. Lebendig. Unkompliziert. Freundlich gesinnt.

Mir zuwinkend.

Eng erlebt es nur in mir

unbeweglich eingeklemmt

be

trete fahre wege

mich

hin fort weg

von Wegen zurück

auf Wegen

ab zu ver

biegen biegen biegen

be

fassen greifen lassen

zäh dehnen

um nicht zu brechen

Nix Neues?

Gummi

Meine Grenzen des Vertrauens sind aus Gummi.

Deshalb fällt es mir so schwer, das „mich“

das „das bin ich“ zu fühlen.

Deshalb brauche ich so lange zum „ja, da kann und darf ich sein“.

Zum „So fühlt es sich richtig an.“

Zum „Bis hier hin und ganz sicher nicht weiter.“

 

Es ist nicht so, dass ich nicht da bin.

Ich bin nur manchmal nochschon woanders.

Wo ich gar nicht mehr sein wollte.

Wo ich gar nicht hin wollte.

Und kann es erst sehen, wenn ich dort bin.

 

Schlimm?

Nein. 

Nein. UND es fühlt sich immer wieder wirklich schlimm an.

Es ist schlimm UND anders, nämlich

alles in seiner Ordnung…

 

Vertrauen auf das „Material“,

der Glaube an das Verbundensein… an das Richtigsein im ungelösten Puzzlespiel ohne Bild…

im Gefühl der und trotz des Gefühls der Haltlosigkeit:

 

Der Gummi ist „Made in und by Leben“ – meinem Leben.

Es ließ sich nur so halten.

Ich darf auf das Gummi vertrauen lernen.

In bewusster, behutsamer Langsamkeit.

Beim Dehnen.

Beim Loslassen.

 

So viel zur Theorie.

Ob ich es indazwischen aushalten kann?

Training.

Oder:

Reha?


Ich darf in der Ergo (Holzwerkstatt) machen, was ich will. Ich darf fragen. Ich darf Fehler machen und werde dafür gelobt. Ich darf in mein „Positivheft“ schreiben, dass ich mir eine Extrapause genommen habe und werde dafür gelobt.

Ich darf im Wohngruppengespräch meine Wut probieren, in angemessene Worte zu fassen – und werde dafür nicht gemobbt. Ich darf meine Verunsicherung spüren, fliehen, da bleiben…. darf und kann… den Gummi ausprobieren – mal hier, mal dort.

Und kaum habe ich es annäh(e)rend verstanden, soll ich in die berufliche Ergotherapie wechseln. Raus aus der Holzgruppe, rein ins Funktionieren. In das Suchen und Finden, Erringen und Erfüllen von beruflichen Anforderungen in möglichst vielen Praktika.

Wo ist meine Grenze? Darf ich mich wehren? Macht der Aufbruch in die berufliche Starre Sinn? Jetzt ’schon‘, nach drei Monaten, wo man erst nach spätestens neun Monaten „muss“? Soll, muss ich mich zwingen?

Habe ich zu gut funktioniert? Mal wieder den Halt in der Anpassung gesucht? Meine „Kleine“, meine Bedürfnisse nicht wahrgenommen, geschweige denn, respektiert?

„Fr. Nies, das wissen Sie vermutlich selbst am besten.“

Wo, verdammt nochmal, ist diese Grenze? Wo soll ich den Gummi stoppen?

Ich bin wütend, traurig, verunsichert.

Nix Neues also?

Nix Neues.

Und drei Monate vergangen… voller ‚Neues‘.

Und alles, was kommt – was imner es sei – darf ich neugierig staunend begrüßen.

Es war noch nie da. Und ich auch nicht dort.

 

 

Und, hat’s Dir was gebracht?

Wenn ich diese Frage irgendwann gestellt bekomme (und das werde ich), weiß ich bereits jetzt, nach läppischen zwei Monaten Rehabilitation, dass ich sie mit einem lächelnden „Ja!“ beantworten werde.


Ich war schon immer hässlich, unsportlich und unmusikalisch.

Und vielleicht hätte ich das nie erfahren, wenn ich mich nie hätte mit anderen Kindern vergleichen können oder es etwa 2758 Menschen zu 32954758 Anlässen versäumt hätten, es mir zu sagen oder anderweitig zu vermitteln, dass ich schlicht und ergreifend für alles zu dick oder zu doof bin.

Ich konnte also nie richtig auf Bäume klettern, ab Hüfte geschickt Gummitwisten, konnte nie einen freien Handstand, ebenso bin ich beim jedem Versuch des „Feldaufschwungs“ gescheitert und schnell genug (weg) laufen konnte ich auch nicht.

Bei den mir so verhassten Bundesjugendspielen habe ich es nie auch nur zu einer einzigen der mindestwertigen Urkunden geschafft. (Und wir mussten immer da hin. Nicht ein Mal hatte unsere Mutter Gnade mit uns. Nicht ein Mal bekam ich einen gelben Schein…) Noch nicht mal zu einer ortstypischen Konversation in „Platt“ war ich befähigt…

Infolgedessen musste mir die Jury der eingeborenen Landkinder die Zugehörigkeit, also die Erteilung der Aufnahmebescheinigung zu der Menge der Menschen im Status der Lebensberechtigt- und des Lebenswertseins, einfach verwehren.

Die Jahre gingen ins Land. Durchgemogelt habe ich mich mit Rand- und Vertuscherdisziplinen wie: „Liebes Kind“-, „schwarzes Schaf der Familie“-, „dann halt auf christlich Anderssein“ oder auch „in Jute statt Plastik Barfußlaufen“.

Aber ehrlicherweise muss ich gestehen, dass ich den genannten Grundqualifikationen der Menschenwürde bis in diese Tage noch nicht wirklic näher gekommen bin.

Ja, richtig gelesen: Bis in diese Tage…!

Durch das Freiburger Tor geschaut erschließen sich mir ungeahnte Welten und wie durch ein Wunder vermag ich zu verkünden:

Ja, ich kann es. Ich habe es wiederholt getan und bin mir inzwischen bereits ziemlich sicher, es also auch in Öffentlichkeit Preis geben zu dürfen:

Ich vermelde hiermit stolz den Erwerb der Fähigkeit, einen Hula Hoop Reifen um meine Körpermitte kreiseln lassen zu können.

Bei allem Vertrauen in die langjährige Erfahrung der hier Beschäftigten – Wer hätte das in dieser kurzen Zeit für möglich gehalten?!?

Ich jedenfalls nicht.

Und stellt Euch vor: Es macht mir sogar Spaß 🙂

3 von Unzähligen

…heutigen Bemerkwürdigkeiten

Sonne suchen

Ich konnte vom Bett aus im offenen Fenster den sich dort spiegelnden, blauen Himmel sehen und erahnte die aufgehende Sonne. Genau: Vor Allem, was da komme, wollte ich heute, für einen bewussten Moment lang, an einem guten Platz direkt in ihrem Schein stehen.

Aber so einfach ist das hier gar nicht, wenn die Sonne nicht schnell genug aufgeht und die Bäume bzw Hochhäuser ihr den Weg versperren.

Zeit war aber noch – und sie kommt ja auch entgegen. Ich stellte mir also die Alarmfunktion des Telefons auf 25 min, um nach Rückweg plus 10 min Duschen pünktlich in der Holzwerkstatt erscheinen zu können. Freies Feld war zu Fuß nicht zu erreichen, also kam mir der Moosweiher, der nächstgelegene See, in den Sinn, um viel Sonne einfangen zu können. Dazu musste ich nur über die Straße und kurz durch das Mietskasernenwohngebiet laufen. Ein paar müde Gesellen standen gelangweilt an der Straßenbahnhaltestelle. Aneinandergeleinte Gassigeher in addiert sechsbeinigen Paaren querten den Weg. Von straßenbetretenden Fußgängern genervte PKW Fahrer übten grimmige Grimassen. Auffällig: Es war ‚Kinderfrei-Zeit‘, vermutlich aufgrund alleergreifender, ferienbedingter Großkampfbetthüterei.

Wo nur ist die Sonne?

Ich fand sie… z.B. hinter Hindernissen im Basketballnetz gefangen:

…Sonne suchen, dabei nasse Füße und Glitzertropfen im Gras finden: Welch ein Tagesbeginn!


„Und woran arbeiten Sie?“

frug mich die Vertretung des Holzwerkstattbetreuers.

„Ich mache Fehler.“

(um das Fehlermachenkönnen zu erlernen)


Nicht lassen können

Ich konnte es nicht lassen. Ich konnte es nicht. Ich half aus beim mittäglichen Küchendienst, weil wieder einmal irgendjemand der Diensthabenden nicht gekommen ist. Meine Teil der Aufgabe lautete: Tische abwischen, Buffet leer räumen, restliches Essen in den Kühlschrank. Den Restabfall – Mülleimerbeutel wechseln.

Ich konnte es nicht lassen, den Papiermülleimer zu entschimmeln. Ich konnte es nicht lassen, den zweiten Restabfall-Mülleimerbehälter von einer türkisklebrigen Flüssigkeit zu befreien. Ich konnte es nicht lassen, mich zu ärgern.

Hilfsbereit zu sein und sich dann gedemütigt fühlen, weil andere einfach ihren Dreck für die ihnen Nachfolgenden stehen lassen. Warum nur mache ich mich zum Deppen?

Karin, lass‘ jetzt mal das Lied vom „Zuwendungsschmarotzen“ und ewig „Liebkindseinwollen“ beiseite…

Weil ich eine andere Welt als die Ellenbogenwelt will muss ich sie leben.

Aber was mache ich mit meinem Ärger? Mit dem Gefühl, wie Dreck behandelt zu werden? Mit meinem verletzen Stolz? Das alles ist ja auch da. Da ist auch einfach ein Bedürfnis nach positiver Bestärkung, nach Zuwendung, danach, nicht „vergessen zu gehen“, nach „nicht verloren gehen“. Alle diese Bedürfnisse, ob ich sie haben will oder nicht, wollen Ausdruck finden, um Raum für innere Ruhe zu schaffen.

Du willst diese Menschen ändern, kontrollieren, manipulieren, konvertieren? Du willst es einfach einfach haben… sie sollten das gefälligst selbst kapieren, dass… wir alle in einem Boot sitzen…

Wie geht das? In Frieden zu leben und andere in ihrem Frieden leben zu lassen?

Lernen… probieren, überlegen, formulieren, ausdrücken,… Fehler machen…