Schöne Einsamkeit

Sie kann so schön sein.

Der Camino ist zur Zeit recht leer. Die Strecke zwischen Burgos und Leon ist verrufen ob ihrer langen schattenarmen Geraden, die oft an oder auf Strassen entlang führen. Es nehmen wohl viele Wanderer den Bus.

Besonders leer war heute die Alternativroute von Calzada del Coto nach Mansilla del las Mulas. Sie führte auf einer alten Römerstrasse weit ab von befahrenen Wegen entlang, war aber auch länger als der Hauptweg. Gerade, wenn mal eine Wolke am Himmel war,  wurde es so wahrnehmbar still.

Der Moment, der mir ganz nahe ging, war kurz, aber ließ mich Dasein:

Ein Greifvogel hat mich mit seinem Schatten berührt.

 

„Brischidd“

Es war früh am Morgen. Ich hatte schon einige schöne Kurven genommen, mich am blauen Himmel gefreut und im Örtchen namens Comps-sur-Artuby auf dem Weg von Draguignan nach Castellane Lust, es den entspannt wirkenden Menschen im Strassencafe gleichzutun und mich dem Innehalten hinzugeben.

Ich freute mich auf den Kaffee und bestellte ein Baguette dazu. Es kam knusprig daher, belegt mit frischem, herbem Salat, Tomaten, Ziegenkäse aus der Region und reichlich Olivenöl: Es war ein Genuss.

Aber noch viel genüsslicher erlebte ich die Begegung mit Brigitte, die auf dem Platz neben mir saß. Es ist für mich ein besonderes Kapitel in meiner kleinen Reise, eines der für mich ganz wichtigen. In jedem von uns findet seine ganz eigene Welt statt. Ich empfinde es als ein Glück von besonderem Wert, zufällig die Türe in die Welt eines fremden Menschen geöffnet zu bekommen. Interesse und Offenheit zu leben und zu erleben, Vertrauen zu verschenken und zu teilen – ist das nicht wunderbar?

Sie wuchs in Lothringen auf, direkt an der deutschen Grenze. Ihre Eltern sprachen deutsch miteinander, deshalb verstand sie mich und konnte sich verständlich machen. Ihr Leben findet am Gardasee statt, wo auch ihre zwei Kinder aufgewachsen sind. Sie erzählte mir von sich und ihren Töchtern und ihrer aller Lebenslinien. Sie erzählte mir von ihrem Drang, sich zu bewegen. Dass sie Radfahren müsse – mindestens 80km pro Tour, besonders im Urlaub, dann auch täglich. Sonst sei sie mit sich nicht zufrieden. Dass sie jetzt Englisch lerne. Die Sprache fehle ihr so. Und ich erzählte ihr von meinem unbezahlen Urlaub und meiner Reise, dem Abbruch, der neuen Tour….

Wir nahmen uns flüchtig in den Arm beim Abschied.

Auf Nimmerwiedersehen.

In Nimmervergessen.

Schade, PCT

Dieser Bach lud mich vor ein paar Tagen ein, an seinem Bett Platz zu nehmen.

Was für ein schöner Ort. Klares, kühles Wasser gluckst und rauscht unablässig über glatte, graue Steine mit zarten, weißen Mustern.

Und natürlich habe ich an den PCT gedacht.

Immer wieder tut es weh, wenn ich Bilder der Menschen sehe, die noch dort sind. Ich wäre auch noch gerne dort.

Warum schmerzt es so?

Es geht um den Wunsch, anzukommen.

Es ist die Hoffnung auf das Ankommen, was mich treibt und vielleicht ist dieses Getriebensein auch ein Grund, warum ich so selten dort angekommen bin, wohin ich eigentlich wollte:

Im Zufriedensein. In Ruhe. In meiner Mitte.

Ein für alle Mal. Ein Ziel, so fern und unvorstellbar wie Kanada.

Mit jedem Tag hatte ich die Chance, mir den Schmerz des Verlustes zum alten Freund zu machen, der mich begleitet wie ein Schatten: Zwar da ist, aber nicht mehr so weh tut. Nein, ich habe ihn weder aushalten noch annehmen können und bin wieder vor ihm geflohen.

Dabei hätte mir der PCT mit seiner wilden Schönheit, den Hilfestellungen wie Apps, freundliche Menschen, einfache Wegführung und normalerweise recht gute Wetterbedingungen so gut als Boden, Träger, Rahmen, Inspiration und Ablenker dienen können.

Deshalb tut es weh.

Spüren, was ich vermisse:

Den Trail.

Aber vor allem, das ‚Einfach sein zu können‘, Teil zu sein, meinen Platz zu haben, Aufgaben zu haben, in die ich hineinwachsen und erfüllen kann und will. Zufrieden zu sein. Mit wenig und / wie mit mir.

Es ist die Traurigkeit, darüber – mit dem PCT – wiedermal – die Hoffnung verlassen zu haben, dass mir das je gelingen könnte.

Die Route

Sa., 15. Juli: Wetzlar – Nancy (2 Nächte)
So., 16. Juli: Ecole de Nancy Museum
Mo., 17. Juli: Nancy – Avallon
Di., 18. Juli: Avallon – Chatel Montagne
M., 19. Juli: Chatel Montagne – Valreas
Do., 20. Juli: Valreas – Le Muy  (2 Nächte)
Fr., 21. Juli: Hyeres (Besuch am Meer)
Sa., 22. Juli: Le Muy – Saint Martin de Queyrieres
So., 23. Juli: Saint Martin de Queyrieres – Pontalier
Mo., 24. Juli: Pontalier – Wetzlar

 

Reiseverbindungen

Seit rund einer Woche bin ich nun auf meinem kleinem Ausbruch nach Frankreich unterwegs.

Auch wenn es äußerlich recht wenig mit dem PCT zu tun hat, kommen mir ständig Erinnerungen in den Sinn. Zum Beispiel an bestimmte Strecken. Oder Gewohnheiten. So ziehe ich die Socken morgens sehr sorgfältig an und korrigiere sofort den Sitz, wenn ich einen Druck im Schuh spüre. Auch hier wasche ich abends die Wäsche aus, so wie ich es auf dem PCT nach Möglichkeit immer getan habe, obwohl ich ja viel mehr Wäsche bei mir habe. Die Stirnlampe trage ich abends am liebsten um den Hals, dann weiß ich, wo sie ist. Nachts liegt sie neben dem Kopf, da, wo auch die Lesebrille ist. Höre ich einen Bach rauschen, stellt sich auch hier die Freude ein, wie ich sie dort erlebt habe. Wasserstellen zu erreichen, bedeutete für mich nicht nur, wieder genug Wasser zu haben, sondern auch das Erreichen eines Ziels und somit eine gewisse Zufriedenheit an sich.

Heute bin ich eine Nebenstrecke gefahren. Die kleinbäumige, strauchige Vegetation ähnelte manchen Gegenden auf dem PCT. Die einspurigen Sträßchen mit ihren engen Kurven erinnerten mich bisweilen an den Verlauf des PCTs und manche Ausblicke in die Hügel an die Weite Kaliforniens.

Ich bin so gerne im Freien. Und schlafe gerne draußen, wache mit dem Tag auf. Zumindest, wenn es trocken und warm ist 😉

Ja, und die Gefühle… Ich sehe verliebte Paare, liebevolle Eltern mit ihren Kindern oder einfach mich äußerlch ansprechende, schöne Menschen und spüre den Schmerz meiner unerfüllbaren Sehnsucht, und versuche, ihm nicht zu viel Raum zu lassen.

Aber auch die Gefühle stellen sich wieder ein, die mich letztendlich zum Abbruch getrieben haben. So kann ich die Vorstellung nicht ertragen, das das Handy leer sein könnte. Ich schreibe den Blog, auch um mich im Kontakt zu Euch zu wissen. Ich suche Mc D auf, um WLAN zu haben. Ich telefoniere. Ich brauche die Bestätigung der Anbindung.

In diesem Punkt bin ich noch nicht weiter gekommen und irgendwie ruhelos auf der Suche nach meiner Mitte.

So trete ich morgen den ca. dreitägigen Rückweg an. Ich nehme mir wichtige Termine wahr und plane, ein Navi zu besorgen. Und ich hoffe, die eine oder den anderen von Euch zu sehen und zu spüren.

Aber schon jetzt überlege ich mir, wohin die nächste Reise gehen könnte. Die Vorstellung, zu Hause zu sein und zu bleiben, ist mir noch nicht wirklich möglich.

Und das Unterwegssein hat durchaus auch seinen Reiz!

Ich habe die Stunden am Meer genießen können. Und das bisschen Sonnenbrand  hilft nur, mich daran zu erinnern.