Bahn

Es war die ständige Vibration zusammen mit dem unrhythmischem Schaukeln, die während der Fahrt eines Zuges auf altgedientem Gleisbett entsteht und im ganzen Körper spürbar ist. Sie hilft mir eine Skizze zu zeichnen, wie es mir ergeht zur Zeit.

Unterwegs zu sein, besonders auf einer Weitwanderung, lässt mein Leben leise im Takt der verlässlichen, rhythmischen Schritte fließen. Es ist passiv in Bewegung. Entgegen der Vorstellung, es sei anstrengend, brauche ich nicht viel zu tun. Ich kann mich einfach gehen, manchmal auch spüren oder sogar sein lassen. In ständig neuem Licht zieht die Landschaft vorbei, alles kommt und geht. Es ist warm, kalt, feucht, steil oder steinig. Ich sehe mal klar, mal trüb.

Ich nehme es an.

Spüre ich auch manchmal den Schmerz der Stille und der Sehnsucht, trägt mich der Weg doch immer wieder weiter.

Ich habe Vertrauen.

Am Haltepunkt aber wird es still und was zu spüren ist, bin nur noch ich selbst. Zähe Leere. Schwarz verklebt. Es ist keine Landschaft mehr auszumachen. Der Atem stockt. Es riecht nach Vergangenem. Schräge, gezogene, meist dumpfe Töne dringen von außen in mein Ohr. Irgendwas will mich glauben lassen, ich müsse es mir zuhalten.

Alles fällt schwer.

Irgendwie in Bewegung bleiben.

Mir selbst einen Weg bahnen.

Einen ganz neuen.

Hoffen.

Auf die Lust, die Neugierde, die Farben, Wind und Sonne, das Lachen.

Auf das knirschende Geräusch, das beim Vertrauen in den nächsten Schritt entsteht.

 

Über Wasser laufen

Klamme Knochen und Grog.

Biergärten und Kastanienbäume.

Sonnenschein und blauer Himmel nach grautrübem Morgen und…

Wochenmarkt!

Dort gibt es einen Stand, der kräftige, herrlich duftende Brote und Brötchen aus Sauerteig verkauft. Leider war der Gemüsehändler mit den Kräutersträussen nicht da: Schnittlauch, Dill, manchmal Kerbel, Sauerampfer, glatte Petersilie und ganz wichtig: Borretsch… Aber ich wurde nebenan fündig:

Jetzt in die Bude? Auf gar keinen Fall! Aber etwas Hunger hatte ich doch…

Sie stand einfach nur da und blinzelte in die Sonne. Die Kleidung war schnell gewechselt. Helm auf. Schlüssel rum und los in die Nachmittagssonne. Die Kurven dieser Strecke sind so vertraut – ich bin sie schon oft gefahren. Sie führen mich an einen Platz, an dem ich willkommen bin. Völlig losgelöst von dem, was mein Gehirn mir gerade ins Leben fühlt und denkt. Die Freude war so groß!

Und einen schönen Balkon hat sie zudem: Meine Mutter.

Schnell geschnippelt und gekocht, gelacht, irgendwas erzählt, lecker gegessen. Zusammen eine genau richtig kurze, schöne Weile verbracht und wieder los…

Es ging mir heute nicht um die Landschaft, sie flog an mir vorbei. Es ging um den Reiz der Geschwindigkeit, der Beschleunigung, des möglichst flüssigen Kurvenfahrens. In den Augenwinkeln nahm ich die Schatten der flatternden Rucksackgurte wahr, die ich leise am Rücken klopfen spürte: Ich bin am Leben.

Im Nachhinein war ich auch am Leben während dieser Zeit, damals, die „Berliner Jahre“ (die eine oder der andere mag sich erinnern… 😉 ). Am Morgen hörte ich Musik, die ich mit dieser Zeit verbinde. Wenn vergangene Zeit ein Kühlschrank ist, ist diese Musik der Sekt namens Wohlgefühl. Ich machte ihn auf und konnte genießen.

Und ich fühlte mich in oder hatte Kontakt zu so vielen meiner Lieblingsmenschen und war er auch vielleicht nur klitzeklein, ein Gedanke.

…und zu guter letzt kam dann noch Deine Whattsapp, Leon!!!

Alles heute.

(was ich zum 21.09.2017 zähle – wo es jetzt schon lange der 22. ist)

Es kommt mir vor, als sei ich mit all diesen schönen Erlebnissen sicher über ein Wasser gelaufen – oder getragen worden? -, von dessen Tiefen ich eine Ahnung habe…. 

Nur fast unglaublich schön!

Habt Dank, von ganzen Herzen.

 

Zurück

Das war gestern erst!

Gestern noch saß ich in diesem guten Restaurant in Vigo und habe mir zum Nachtisch das Tiramisu Mousse bestellt, was sich als wahre Gaumenfreude herausstellte.

Ich habe zwei Anläufe gebraucht, wirklich ins Hotel zu kommen, wollte noch ein bisschen an der lebendigen, mir so leicht erscheinenden Abendstimmung teilhaben, aber hauptsächlich will ich wohl nicht zurück.

„Zurück“.

Umfassend gesehen.

Als ob das überhaupt ginge…

Vielleicht ist es nur die Ahnungslosigkeit, wohin.

Und der Grund, warum ich Weitwanderwege so mag…

Wunder

Tja, was nun? Angekommen in Santiago wollte ich mich nicht mit dem Gedanken beschäftigen, nach Hause zu fahren. Ich dachte daran, nach Finsterre ans Meer zu reisen und von dort die 3-4 Tage zurück nach Santiago zu laufen. Aber zu allererst wollte ich mich darum kümmern, wie ich überhaupt zurück nach Deutschland kommen kann. Dazu stand die Fahrt nach Vigo an, um mir in der dortigen Honorarbotschaft wieder einen Pass zu besorgen. Und von Vigo aus kann man ja auf dem Camino Português auch nach Santiago laufen, aber…

…die Schmerzen im linken Schienbein, die mich auf den letzten Tagen des Weges schon begleitet hatten, hatten spürbar nachgelassen oder sind einfach nur nichtig geworden im Verhältnis zu denen in der linken Hüfte, mit denen ich tags zuvor vom Barhocker gekrochen war. Die Treppen der Pension waren schon eine Aufgabe, aber schlimmer noch war es, das Bein ins Bett zu bekommen. Jede Bewegung, auch nachts, ließ mich zusammenfahren. Fiel mir etwas auf den Boden, kam das einem Drama gleich, denn ich konnte mich einfach nicht so tief bücken. Dabei waren nicht die Schmerzen das Schlimmste, sondern die erbärmliche Hilflosigkeit. Den ganzen Tag konnte ich, wenn ich es geschafft hatte, auf die Füße zu kommen, nur winzige, vorsichtige Schritte machen und für lächerliche Entfernungen nahm ich mir ein Taxi, wobei ich auch dabei den Eindruck hatte, mehr Zeit zum Ein- und Aussteigen zu benötigen, als die Fahrtzeit andauerte. Zudem kam mir der Rucksack unendlich schwer vor.

Dies alles nahm ich als Zeichen, dass mein Körper meint, er sei jetzt genug gelaufen und wolle heim. Ich buchte einen Flug, besorgte mir weitere Ibuprofen Tabletten, sowie Diclofenac Gel und schlief nachmittags und schlief abends und schlief nachts…

…und das Wunder kam. Schon nachts wunderte ich mich darüber, wie gut ich mich im Bett bewegen konnte. Und morgens war ich überglücklich, relativ leicht aus dem Bett zu kommen und darüber, dass ich mir auch noch die Schuhe einigermaßen vernünftig zubinden konnte.

Ein kleiner Morgenspaziergang bestätigte das Wohlgefühl und jetzt schon denke ich daran, den Flug umzubuchen, noch ein paar Tage hier zu verweilen, um noch etwas zu laufen…

Ich habe das Gefühl, nicht Abschied nehmen zu können oder genommen zu haben.

Kann man ohne Abschied „ankommen“, sich „zu Hause“ fühlen?

Recht gehabt:

So ein fünfzigster Geburtstag eignet sich hervorragend, Menschen, die man gerne hat, um sich zu scharen.

Es war so schön mit Euch, habt vielen, vielen Dank, dass Ihr trotz meiner so kurzfristigen Einladung zu mir gekommen seid (ich wäre nämlich nicht gerne alleine gewesen, wenn er ankommt, der Fünfzigste…).

Und Euer Lachen springt hoffentlich noch lange hier rum und spielt mit meinen Mundwinkeln!

So ein Fünfzigster eignet sich übrigens auch in wunderbarer Weise als Begleiter, an die Menschen liebevoll zu denken, die man gerne mal wieder bei sich gehabt hätte.

Und er taugt dazu, viele wärmende Wünsche und Gedanken in jeglicher Form geschenkt zu bekommen.

Es ist schön, Euch alle in meinem Leben zu wissen.

Mir ist ganz warm ums Herz.

Und ich hoffe, Ihr merkt das.

Schade, PCT

Dieser Bach lud mich vor ein paar Tagen ein, an seinem Bett Platz zu nehmen.

Was für ein schöner Ort. Klares, kühles Wasser gluckst und rauscht unablässig über glatte, graue Steine mit zarten, weißen Mustern.

Und natürlich habe ich an den PCT gedacht.

Immer wieder tut es weh, wenn ich Bilder der Menschen sehe, die noch dort sind. Ich wäre auch noch gerne dort.

Warum schmerzt es so?

Es geht um den Wunsch, anzukommen.

Es ist die Hoffnung auf das Ankommen, was mich treibt und vielleicht ist dieses Getriebensein auch ein Grund, warum ich so selten dort angekommen bin, wohin ich eigentlich wollte:

Im Zufriedensein. In Ruhe. In meiner Mitte.

Ein für alle Mal. Ein Ziel, so fern und unvorstellbar wie Kanada.

Mit jedem Tag hatte ich die Chance, mir den Schmerz des Verlustes zum alten Freund zu machen, der mich begleitet wie ein Schatten: Zwar da ist, aber nicht mehr so weh tut. Nein, ich habe ihn weder aushalten noch annehmen können und bin wieder vor ihm geflohen.

Dabei hätte mir der PCT mit seiner wilden Schönheit, den Hilfestellungen wie Apps, freundliche Menschen, einfache Wegführung und normalerweise recht gute Wetterbedingungen so gut als Boden, Träger, Rahmen, Inspiration und Ablenker dienen können.

Deshalb tut es weh.

Spüren, was ich vermisse:

Den Trail.

Aber vor allem, das ‚Einfach sein zu können‘, Teil zu sein, meinen Platz zu haben, Aufgaben zu haben, in die ich hineinwachsen und erfüllen kann und will. Zufrieden zu sein. Mit wenig und / wie mit mir.

Es ist die Traurigkeit, darüber – mit dem PCT – wiedermal – die Hoffnung verlassen zu haben, dass mir das je gelingen könnte.

Sucht oder (Verrückt-) Sein? Wirre Fragen.

Ist es Flucht oder Leben?

Es war eine so dermaßen verrückte Idee auf den PCT zu gehen.

Ermöglicht durch Uffenheim.

Ich habe meine Süchte verlassen. Das Essen, das Fernsehen, die Arbeit.

Was mich in Aufruhr gebracht hat. Ich spüre mein Getriebensein, meine Angst, meine Verunsicherung. Dieser Unruhe verdanke ich mein „Verrücktsein“ und somit viele Erlebnisse.

Das Verrückteste war natürlich der PCT an sich.

Auch auf dem PCT habe ich verrückte Dinge getan. Zum Beispiel, zu Ludo zu trampen. Oder nach Bishop. Oder zurück nach Big Bear zu fahren, um alleine meine Streckenlücke zu füllen. Mich dort wieder umzuentscheiden, um hunderte von Kilometern zurück zu fahren. Abzubrechen. Wieder den Rückflug absagen zu wollen, um mir noch eine allerletzte Chance zu geben. Lauter verrückte Dinge, so wie jetzt auch meine kleine Tour de France.

Ist Verrücktsein meine neue Sucht?

Laufe ich nur weg vor dem Annehmen meines kleinen Lebens? Bin ich nur verrückt, um mich nicht um meine Aufgaben im Hier und Jetzt zu kümmern?

Mit dem Tun von verrückten Dingen erringe ich Aufmerksamkeit, Anerkennung, Bestätigung. Ist Verrücktsein also nur die Suche nach Gehaltenwerden von Außen? Das „Seht mich!“ – damit ich mich nicht selbst sehen muss?

Etwas Besonderes sein wollen, um Aufmerksamkeit zu bekommen und zu „verdienen“. Weil es ja gar nicht sein kann, einfach sein zu dürfen. Das kann nicht genug sein, es muss verdient werden.

Und wer bin ich denn überhaupt, wer will ich sein? Und will ich das tun, was ich gut und richtig finden könnte? Darf ich das dann überhaupt?

Verrücktsein hilft mir alles in Frage zu stellen. Es gibt mir die Erlaubnis.

Verrücktsein ist aber auch ein Neinsagen zu meinem bisherigen Leben. Dabei war da bestimmt auch nicht alles schlecht.

Zudem klage ich darüber, meine Mitte nicht zu finden, gebe mit dem Verrücktsein der Unruhe aber immer wieder selbst Antrieb.

Ist es eine neue Sucht, einfach eine neue Art von Weglaufen aus dem Schmerz der Leere? Also ist Verrücktsein nur eine neue Süßigkeit, die den Schmerz überdeckt?

Oder ist es das Tor ins Leben? Lebendig sein. Neues denken, hoffen, wünschen, wagen, erleben zu können?

Muss ich Verrücktsein leben um mich selbst annehmen zu können? Um nicht wieder in Selbstzweifel zu verfallen, weil ich Nein gesagt habe? Zu bequem war?

Wenn ich also Nein sage zu einer verrückten Idee – sage ich dann Nein oder Ja zum Leben?

Ich, ich, ich….

Ist das vielleicht alles nur Getue um Aufmerksamkeit zu bekommen?

Puh.

Ich musste das mal aufschreiben, in der Hoffnung, es irgendwann einsortieren zu können. Ich weiß, dass es auf viele dieser Fragen keine eindeutige Antwort gibt, kein Schwarz-Weiß, sondern eher ein hübsches Grau.

Ich muss Verrücksein nicht leben.

Ich darf den Geschmack der Vorstellung von Verrücktseins spüren, die es mir bereitet, wenn ich daran schnuppere. Die Hoffnung erforschen, die darin innewohnt. Auch ohne verrückt zu sein.

Aber ich darf es auch leben.

Es hat was von Weite.

Raum

Vor ein paar Tagen habe ich mich aktiv gegen meine aktuellen Essgewohnheiten gestemmt und mir es zum Frühstück schön gemacht.

So ein Esstisch wird bei uns schnell mal als Ablage missbraucht. Davon habe ich den Unseren heute entbunden, ihn frei geräumt, gewischt und mit einem Tuch geschützt. Von der naheliegenden Grünanlage habe ich ein Röschen geklaut. Und Bärtram, unser salzstreuender Daueroptimist, leistete mir beim Frühstück mit Mandelmus-Frischkornbrei und Apfelstücken Gesellschaft.

Ich spüre, wie gut mir das tut. Ich hatte auch plötzlich Zeit und Raum für die Zeitung und konnte etwas darin stöbern. Entdecken, was mich interessiert, also Offenheit spüren und zulassen, statt mich komplett zu verschließen.

Raum schafft Raum.

Dinge

Zitat von mir selbst, ein paar Beiträge zuvor:

„Ich (…) spüre die Last, die in Dingen lagert. Dinge haben in der Vergangenheit Lebenszeit gekostet. Und sie fordern dieselbe in der Zukunft.“

Gestern habe ich angefangen, die Kammer neben der Küche zu räumen. Ich möchte Platz, Sauberkeit und neue Ordnung schaffen. Es gelingt mir nur zum Teil. Ich stelle fest, dass ich mich nur schwer trennen kann.

Dinge wie Kuchenformen. Unmengen von Tupperschüsseln. Kerzenständer. Die verschiedensten Reinigungsmittel. Und unglaublich viele Lebensmittel.

Ich fasse es selbst nicht, welche Mengen an Dingen da lagern.

Aber morgens ist meine beste Zeit…