Nein, Danke

Es war ein eisiger Morgen.

Der verbleibende Rückweg von meinem Morgenspaziergang war auf eine kleine Distanz eingeschrumpelt. Nur noch über diese Brücke, dann entlang am Stadion, das kleine Stück zum Haus und die Treppe hinauf zum „Hinaus aus“ und „Hinein in“. Oder umgekehrt.

Ich nahm den Radfahrer wie in Zeitlupe wahr. Er kam mir auf der Rampe der Brücke entgegen. Sein Blick hatte sich gerade von seitlich hinten in Fahrtrichtung gedreht. Er schüttelte den Kopf. War es abfällig? Oder nur unverständlich rätselnd? Jedenfalls war mein Blick neugierig auf das, von dem der seinige scheinbar gerade abgelassen hatte.

Es war der Fuß der Brücke. Dinge lagen dort, die wild weggeworfener Müll zu sein schienen. Und…

…ja, tatsächlich: Da saß jemand! Aufrecht – auf dem Boden. Ich erkannte die Shilouette eines Rückens. Der Kopf war von einer Kaputze bedeckt und das Gesicht der Sonne zugewandt.

Es war eisig.

Mit meinen nächsten Schritten verwandelten sich Müll zu Habseligkeiten, der Fuß der Brücke zur Herberge, die Kälte zur existentiellen Bedrohung – und die ganze Szene zu einer Aufgabe meiner sonst alltäglich berührenden Befasslichkeiten.

Ich ging die Brücke hinauf. Wandte mich um. Ging ein paar Schritte zurück. Entschied mich wieder anders. Ging die Brücke wieder hinauf. Ein Stück weiter. Drehte mich um.

Fasste meine Entscheidung. Ließ die Mehrheit der Zweifel verniedlichend beiseite. Nahm stattdessen die Entschlossenheit, die mir, von irgendwoher kommend, zur Seite stand.
Hinab nahm ich die Stufen und erweiterte den Radius der Kehrtwende zum Fuß der Brücke ein wenig, sodass ich mehr mit der Freundlichkeit der Sonne, statt aus der Kühle des Schattens auf dieses still sitzende Wesen zugehen konnte.

Ja, ich hatte Angst. Nicht vor meiner Frage. Sondern von der Antwort.

Was ist, wenn…?

Wenn: „Ja“?

Was ist, wenn „Ja“ auf mein „das hast Du nun davon“ – also mein eigentliches „oh, NEIN! Nicht das…“ – meinen Geiz, meinen Kleinglauben, meine Verletzlichkeit – trifft?

Aber meine Entscheidung und die Entschlossenheit waren noch bei mir. Die Zweifel, flüchtig überdacht und schnell verworfen, oben auf der Brücke verblieben.

„Guten Morgen!“

„Guten Morgen!“ antwortete der bärtige Mann – fast erschrocken.

„Kann ich irgendetwas für Sie tun? Brauchen sie etwas?“

„Nein, Danke!“ die höfliche, ruhige Antwort wirkte sich sicher.

Aber mein Verstand zweifelte: Kann das möglich sein?

„Es ist so kalt. Ich wohne nicht weit weg. Kann ich ihnen etwas Warmes bringen? Eine Suppe? Ein Getränk vielleicht?“

„Nein, Danke!“ Einfach, freundlich  wie glaubhaft wirkten diese Worte auf mich ein.

 

Unnötig, wie ich war, ging ich wieder die Treppe hinauf und setzte meinen Weg fort.

Er brauche nichts.

Aber ich raffte – erstaunt wie gierig – alles beisammen, was ich greifen konnte.