Es war noch früh. Ich hatte es mir gerade auf meinem Balkon neben dem Kaffee gemütlich gemacht. Die Sonne schien mir ins Gesicht. Sie blendete mich scharf.
Soll ich mir einen Hut aus dem Schrank holen? Den Hut?
Den, den ich schon auf den Wanderungen, also dem PCT und dem Camino Frances trug…
So knüpfte sich ein Gedanke an den anderen….
Die Sonne schien mir scharf blendend ins Gesicht…
Um diese Zeit waren wir meist schon lange unterwegs. „Wir“…: Der Gedanke haftete sich an eine bestimmte Übernachtung auf dem PCT in bestimmter Gesellschaft.
„Sieben Uhr fertig zum Aufbruch“
hatten wir ausgemacht… meine Erinnerung hilft mir suchen: Ich habe den Tag nach dem Aufbruch aus Idyllwild im Sinn:
Ich erinnere mich an eine anstrengende Wanderung in guter Gesellschaft. Und an den Stress, den ich mit meinem Zelt hatte. Ein gutes Zelt… (und ich würde es gerne mal wieder aufbauen….)

Heute erinnere ich mich noch über meine Wut.
Dieses Zelt wird zwar mit nur den Wanderstöcken (und sonst keinen Stangen) aufgebaut und ist deshalb sehr leicht, aber es benötigt für den guten Stand eben auch acht Heringe (…und viel Platz für seine große Grundfläche…). Ich war so verzweifelt, wegen des steinigen Bodens keinen geeigneten Platz für mich zu finden. Und ich war so fertig von der anstrengenden Wanderung und von all der Angst, die ich bei der Überquerung des steilen, rauschenden Baches gehabt hatte. …und dann dieses Zelt und der steinige Boden…
Trish, die gute kanadische Seele, brachte mir ganz einfach Steine zum anbinden der Zeltseile. Es ist mir noch heute peinlich, nicht selbst auf die Idee gekommen zu sein. Ich war nur wütend und verzweifelt und konnte nicht mehr klar denken.
Ich kann noch heute meine Schuld spüren. Ich hatte mich an diesem Tag oft schuldig und als Last gefühlt. Derartig unerfahren wie ich war keine unter uns. Und es war so grundlos… keiner signalisierte mir, ich sei tatsächlich lästig, es war einfach nur ein großes Hirngespinst.
Wo war der Genuss des Augenblicks? Die Faszination? Das Gefühl der Freude darüber, es gemeinsam geschafft zu haben?
Erstickt unter Stress. Wie schade.
Und dann der Morgen.
„Sieben Uhr fertig zum Aufbruch“
Vermutlich hatte ich nicht gut geschlafen. Ich begann schon extrem früh mit dem Einpacken… wollte dabei die anderen nicht wecken… und doch war ich wieder die Letzte, die fertig wurde. Ich weiß noch, wie ich mich fühlte… schuldig und gestresst.
Aber an den Weg danach erinnere ich mich nicht.
Wie schade, liebes Nervensystem.
Was könnte ich heute für Dich tun?
Liebes Nervensystem,
Du kannst es nicht fassen. Es ist zu viel für Dich. Früher waren all diese Gefühle hübsch unterdrückt. Und nun sind es so viele… So viele unterdrückte Gefühle, so viele neue, unbekannte Eindrücke. Du kannst das alles nicht fassen, wo Du gerade bist und wie Du Dich sortieren sollst.
Ein Teil in Dir ist sehr, sehr klein. Er möchte irgendwelchen Großen, bei denen Du Dich sicher UND willkommen UND geborgen UND zugehörig fühlst, von Deinem unglaublichen, unvorstellbaren, unfassbaren Tag berichten und das Gefühl haben, dass alles in Ordnung so ist, wie Du bist und was Du geschafft hast. Du möchtest in den Arm genommen werden, darin verschwinden, Nestwärme spüren und mit guten Wünschen, dem Wissen um Vertrauen und Zuversicht wieder aufbrechen dürfen.
Ein anderer Teil in Dir treibt Dich ständig an und kritisiert Dich unentwegt. Er ist scharf streng, abfällig und spöttisch-schroff. Er macht sich lächerlich über Dich und hat alles schon vorher gewusst.
Er wusste, dass die Strafe kommen werde.
Die Strafe sind extreme Schuldgefühle, Scham, sich nicht nur überflüssig zu fühlen, sondern lästig, allenfalls wohlwollend – weil ja so unterwürfig bemüht, freundlich, angepasst, unterwürfig, „nett“.
Nervensystem, all das ist das Programm, das Dir leicht fällt. Alte Urteile. Bitte schau‘ doch auf das Hier und Jetzt. Was siehst Du wirklich, tatsächlich? Glaube den Menschen, die da sind und vertraue. Übe Dich im Vertrauen. Gehe weiter, Schritt für Schritt.
Liebes Nervensystem, komm runter. Du bist nicht mehr im Überlebenskampf eines Kleinkindes. Wir sind erwachsen.
Ich weiß nicht, wie ich heute reagieren würde. Ich glaube, all die Erfahrungen und das viele neue Wissen über meine Diagnosen haben mir geholfen.
Ich würde es gerne nochmal erleben dürfen.