20:15 Uhr. Bettfertig. Kontaktvorfreudig.
Die Beleuchtung im Zimmer ist schon gedämmt. Ich finde es angenehm warm. Ich kenne einige Menschen, denen es sicher zu warm wäre. Überheize ich? Verbrauche ich zu viele Ressourcen? Ich brauche die Wärme zum Ankommen, zum „Landen“ im Tagesende.
Später aber, in der Nacht, freue ich mich über den Schein des Mondes auf den Boden meines Zimmers und die frostige Luft, die sich hier verbreiten darf – genau so lange, bis es mir selbst unter der Decke zu kalt um die Nase wird.
Aber das liegt in der Zukunft.
Es ist 20 Uhr 15 und ich bin in Schlafklamotten. Muss ich mich schämen? Was soll diese Frage überhaupt? Naja, ich habe sie mir gestellt und beantworte sie mir mit einem „Nein“, möchte mir aber die Mühe geben, es mir nochmal genau zu verdeutlichen, dass ich mir Ruhe gönnen darf und froh darüber sein könnte, so ich sie mir zugehörig fühlen könnte.
Zwar wache ich nicht mehr automatisch um 4:30 Uhr auf, aber einen Wecker brauche ich hier nicht. Heute war es so gegen 6 Uhr und ich kann mir meine Zeit lassen, aus dem Bett zu kriechen. Ich brauchte eine gute Weile, bis die Wirkung des frisch gebrauten Instantkaffees und die gefühlt notwendigen Nachbereitungen der Nacht und Vorbereitungen für den Tag so weit gediegen waren, dass ich mich in den Fitnessraum verabschieden konnte. Jalousien runter, Musik an. Das WLAN war heute schwächelnd, so musste das Morgenmagazin als Orientierungshilfe mit Berieselungsfunktion herhalten, während ich mich in der verbleibenden halben Stunde ins Körperspüren brachte. Crosstrainer, Seilspringen, Rudergerät, Schwingstab, Hula Hoop Reifen zur „Belohnung“ :-). Alles nur ein paar Minuten… Aufrecht und bewusst gehen wird mir damit möglich.
Schnell unter die Dusche, Reisekaffee, Sachen packen, pünktlich um 8:30 Uhr war ich in der „Beruflichen Betreuung“ ein Stock tiefer.
Fr. S. frug mich mit dem Blick auf den Kopfhörer, ob meine gestrigen Methoden zur Erweiterung der Stresstoleranz gewinnbringend waren. Ja, schon. Und ich hatte mich auch schon weitestmöglich entfernt von der Mitrehabilitandin gesetzt, deren Körpergeruch mich ekelt, was widerum die innere Familie zu den immerselben Dramaserienfolgen inspiriert. Der Geruch war dennoch wahrnehmbar… ein bewusster Schluck Kaffee. Und Minzöl habe ich notfalls auch dabei.
Eigentlich muss ich mich dringend um einen Praktikumsplatz in der Pflege bewerben, aber die Unklarheit sträubt mir das innere Klettpflanzenfell. Wenn ich nur wüsste, um welche Sorte es sich wirklich handelt! Ist es der Widerstand gegen mich im Beruf allgemein oder ist es der Widerstand gegen die Erinnerung an vergangenes Erleben, mit dem ich nun vielleicht besser klar kommen (lernen) könnte? Der Beruf an sich ist ein schöner Beruf. Vielleicht gibt es Nieschen für mich, wenn ich nur wüsste, ich dürfte sie auch für mich nutzen und könnte sie ausfüllen. Um mir darüber klarer zu werden, mache ich das Praktikum. Nicht, um mich zu etwas zu zwingen. Ob ich überhaupt zumutbar bin für die Menschen, die Betriebe? Zwei große Psychiatrien haben meine Anfrage dankend abgelehnt. Nun bleibt nicht mehr viel… „Buchenbach“, die anthroposophische Psychiatrie, treibt mir Ehrfurcht ins Erleben. Ich möchte zur Kontaktaufnahme gut vorbereitet sein.
Aber erstmal entschied ich mich an der Gruppe teilzunehmen, die sich heute mit dem Thema „Lernmethoden“ beschäftigte. Wir waren zu dritt. Ich stellte den anderen den „motorischen Lerntypen“ vor und spürte in der kurzen Vorbereitungszeit die Freude über meine Ideen, mit denen ich das vermitteln wollte. Die kindliche Aufregung bringt Verunsicherung in die Hülle der Alten bzw. die, an die Anforderungen, Erwartungen einer Erwachsenen gestellt werden. Im kleinen Rahmen konnte ich zufrieden mit mir sein.
Die Aufregung aber blieb… („Fr. Nies, Sie wissen, Sie brauchen manchmal etwas länger als die Mehrzahl der Menschen, um auf normale Stresslevel zurück zu kommen.“)
So fand ich in der Kaffeepause nur im Rückzug Sicherheit, zumal „natürlich“ der Kaffee leer war, der Nachschub unverständlicherweise unter Verschluss und die dafür Zuständigen entspannt in der Sonne sitzend. Ich wollte nicht stören und tue ich mich auch ’so‘ schon schwer genug mit selbstsicherer, angemessener Kritik. Ich hörte mir spöttisch verachtend zu.
Beruhigungstee war auch passender als Kaffee…
Dann diese Email! Der Pflegedienst „Ich und Du“, der das für das deutsche Pflegemodell revolutionäre, aber dort erfolgreiche Prinzip von „Buurtzorg“, also praktisch organisierte Nachbarschaftshilfe, aus den Niederlanden versucht, in Freiburg zu integrieren, lud mich ein kostenlos, am eigentlich 295,-€ teuren Eintagesworkshop am kommenden Montag teilzunehmen. Wie soll ich dieses Gefühl beschreiben? Ich musste es sofort den Beraterinnen erzählen und die freuten sich einfach gründlich – wobei bei mir Staunen und Zweifel mitschwingen – aber die Freude behielt ich mir und sagte dankend zu, während mich die Gedanken daran bis jetzt nicht verlassen, ob es wohl angemessen ist, zumindest ein paar Pralinen oder sowas mitzubringen – einen selbstgebackenen Kuchen? – welchen? Ich rätsele.
Die Zeit bis 12:15 Uhr verflog. Schnell was essen und rauf aufs Rad. Ich kam pünktlich um 13 Uhr zur ASF, meinem ca. neunwöchigen „Arbeitgeber“ von Dezember bis Januar. Mittwochs haben wir hier immer Bürotag, aber ansonsten war ich täglich von 6 bis max. 12 Uhr dort und arbeitete in verschiedenen Bezirken bei der Straßenreinigung mit, so gut ich konnte. Ich erhielt dafür viel Anerkennung und ein wirklich schönes Zeugnis, über das ich mich, besonders als „Kleine“, innig freuen kann. Aber auch „die Große“ kann zufrieden mit sich sein. Man wolle sich aber nochmals – zusätzlich zum Abschlussgespräch – persönlich von mir verabschieden. Ich spürte meine Verunsicherung in der Vieraugensituation mit dem Personalchef. Was ist angemessen zu erzählen? Warum erzählt er mir Dinge aus seinem Leben? Was will er wirklich von mir hören? Es ging vorbei. Ich hielt eine handgeschriebene Dankeskarte, einen Einkaufsgutschein in der Hand und eine Flasche Wein mit Logo, die ich noch im Auto verstauen muss…
Aldi. Beloh-ruhigungsgebäck. Sonne. Sonne. Sonne. Blauer Himmel. Mein Fahrrad. Richtig temperierte Klamotten…
Die Wohngruppe war schon am Freitagsputz. Ich hatte mich entschuldigen lassen und darum gebeten, den „Selbstversorgerraum“ später selbständig reinigen zu dürfen.
Diese wöchentliche Zimmerkontrolle regt mich auf. Es fühlt sich an, als dränge man in meine Privatssphäre. Als könne man mir nicht vertrauen. Das macht mich wütend – aber die Einsicht ist ja auch da. Das Dulden aber ist ein „Müssen“ und das macht es so schwierig. Und dann zückte auch noch diese kindliche Praktikantin in Krankenpflegeausbildung, die sich mir noch nicht mal vorgestellt hat, ihren Kuli und unterschrieb mir meinen Wochenplan als „korrekt erledigt“… was für mich schon was hat von menschlichem Wertigkeitsgefälle bzw. mangelndem Einfühlungsvermögen der Beteiligten… o.k. Augen zu und durch… ich muss doch nicht alles diskutieren und ansprechen….
Ich unterhielt mich mit zwei hier tätigen Krankenschwestern meines Alters, während ich den Selbstversorgerraum putzte. Das kommt extrem selten vor, dass sich sowas ergibt. Genauer gesagt: Es kam noch nie vor. Ein eigentlich entspanntes, freundliches, fast kollegiales Gespräch. Es ging um meine berufliche Zukunft und den Workshop am Montag. Ein komisches Gefühl aber bleibt… „was stellst Du Dich so an… geh‘ einfach wieder arbeiten… alles nur Getue… Du hast keinen Grund, es ist nicht schlimm, Du stellst Dich nur was an….“ sagt diese Stimme, die ich, so eine leise Hoffnung, immer besser von mir abgrenzen kann. So ein mieses, komisches Gefühl aber bleibt.
Die Idee zum und der kurze Ausflug in die Kühle des Radschuppens zwecks Laubentfernung tat mir gut.
Schnell ein paar Emails. Kaffeetrinken. Ich war am Kuchenbacken beteiligt und einfach neugierig auf das Produkt. Schön, ein Platz neben A. war frei. Darf ich? Nerve ich nicht? Bin ich zu anhänglich? Nur weil ich meinem Gefühl folge, dass ich mich dort wohl- und willkommen sein fühlen könnte? Wir albern oft. Diesmal traf sein Scherz das Umfeld meines Marks. Ich setzte mich trotzdem. Oh, wie schön, dass J. noch dazu kam. Der Kuchen schmeckte. A. schimpfte, dass wieder ich mich um das Aufräumen kümmerte, statt Tischtennis zu spielen. Motivationskonflikt. Ich ging raus, aber die Tischtennisplatte war besetzt und ich räumte weiter, bis mir einfiel, ich muss ja dringend los, wollte ich doch an der frühen Selbsthilfegruppe „ehrliches Mitteilen nach Gopal“ teilnehmen… Leider konnte ich A. nicht mehr Bescheid sagen, warum ich mich nicht mehr blicken ließ.
Die Sonne schien noch immer. Was für ein Tag! Ich kam pünktlich. Ich mag den Raum und die Menschen dort. Die Ruhe. Es erging mir ganz gut, was nicht immer der Fall ist.
Ich muss die Schaltung einstellen… aber die verbleibenden Gänge schnurren. Lidl. Glücklich über meine Auswahl, stellte ich an der Schlange stehend fest, meinen Geldbeutel nicht dabei zu haben. Also hin und her radeln… die Zeit verrann. Ich verschob das Telefonmeeting um 15 Minuten.
20:15 Uhr. Kontaktvorfreudig und bettfertig.
Nein, ruhig schlafen konnte ich nicht wirklich. Auch die Bedarfspille half nicht wirklich. Nachts musste ich mehrfach raus.
Und zwei Mal freute ich mich über meinen Nasenfrost – bevor ich das Fenster wieder schloss.