Baumarkt

Neulich 1

Getriebensein in Unzufriedenheit brachte mich dazu, mich zu ermutigen, ein Ding zurückgeben zu wollen, das ich vor Wochen zwar mit der Idee von Sinnhaftigkeit und Verstand gekauft, aber nie wirklich gebraucht hatte. Es handelte sich um einen Sicherungskleber für Schrauben, auf die man nicht noch einmal verzichten möchte…

Ich rechnete bei dieser kleinmutigen „Ware gegen Geld Rücktauschaktion“ zwar nicht wirklich mit Erfolg, hatte aber Hoffnung, diesen vielleicht dann aber doch als solchen verbuchen zu können.

Und so geschah es! Ich freute mich einfach – über den gelungenen Versuch.

Ich war wirklich ein bisschen in meiner Glückseligkeit wattiert. So stand ich da an der vom Laden vorgesehenden Einpackstation und ließ mich von all den dort angebotenen Hilfsmitteln, Werkzeugen und dem Service des Unternehmens zum Verschnüren und Transportieren des Baumarktes (Kordel, Klebeband, Werkzeuge, hölzerne Haltegriffe, kostenloses Leih-Lastenrad…) begeistern, während ich die rückerworbenen gut sieben Euro in meinem Portemonnai verschwinden ließ und mich wieder mit wärmenden Klamotten für die Rückfahrt ausstaffierte.

Sonne!

Genüsslich schlenderte ich hinaus – denn mit dieser hätte an diesem trüben Tag wohl niemand rechnen können. Ich schloss die Augen, wandte mich ihr zu, suchte nach ihrer Wärme und bildete mir sie tatsächlich zu spüren wohl nur ein – aber egal: Ich nahm die Freude des gegenwärtigen Momentes wahr, bewusst, wie elend ich mich noch etwa eine Stunde zuvor gefühlt hatte. Nur „raus aus der Situation“, etwa 20 min Radfahrt, Umtausch in kulantem Laden und die Sonne waren dazu notwendig. Es erstaunt mich immer wieder, in welchen Ausmaßen ich mich emotional beeinflussbar erlebe. Und welcher minimale Auslöser zur Richtungsänderung ausschalggebend sein kann.

Wie lange stand ich da? Zwei Minuten oder drei? Egal. Nur das bewusste Wahrhaben des Momentes ließ mich innehalten, sonst wäre ich längst weg gewesen, als ich meinen Namen in der Geschäftsdurchsage hörte: Diese solle sich doch bitte an der Information melden…

Ich hatte mein Portemonnai mit Bargeld und allen möglichen Ausweiskarten beim Einpacken liegen lassen – und jemand hatte es an der Information abgegeben. Was für ein Glück! Und meine Freude nahm es bewundernd auf in den geselligen Kreis, den sie gar nicht zu fassen brauchte, weil sich die Familie Glück einfach, eines zum anderen, purzelnd zusammenhäufte.

Neulich 2

Meine Radlampe verabschiedete sich gen Boden. Und mit ihr die befestigendende Schraube ihrer Halterung. Unwillig öffnete ich die verschweißte Verpackung der baugleichen Zweitlampe und ersetzte das verlustige mit dem dort enthaltenen Stück.

Ich mag den kleinen Fahrradschuppen, der den Mitarbeitern und, weil beleuchtet, den Rehabilitandinnen vorbehalten ist. Er vermochte es in der wärmeren Jahreszeit, besonders wochentags, kaum, alle Räder zu beherbergen. Nun aber, in den Zeiten des kühlen Schmuddelwetters, gibt er mehr Raum und Boden frei, auch für das Laub der umgebenden Bäume.

Die verlorene Schraube brachte mich dazu, im Schuppen aufzuräumen. Sie brachte mich auch dazu, mit einem extra für diesen Zweck erworbenen Magneten unter den Radhaltern zu suchen. Aber sie ließ sich einfach nicht auffinden.

Schließlich hatte ich glückliche Momente, als ich in der Holzwerkstatt um Hilfe fragte und, neben einer gleichwertigen Schraube, auch Freundlichkeit, ein Gefühl von gemeinschaftlicher Verbundenheit und selbstverständliche Unterstützung geschenkt bekam. Was für ein Gewinn durch einen vorangegangenen „Verlust“!

Ist schmunzelige, übertrieben huldvolle Großzügigkeit Folge von Glückserleben? Egal. Das gierige Schaubenverschlucken jedenfalls habe ich dem Schuppen im Zuge all dieser Erkenntnisse ganz einfach, fast wie nebenbei, verzeihen können 😉

Heute

…radelte ich mal wieder in den Baumarkt. Ich hatte die Nase voll von den viel zu großen Arbeitshandschuhen, die ich vom „Arbeitgeber“ ausgehändigt bekommen hatte mit dem Hinweis, ich müsse diese aus arbeitsschutzrechtlichen Gründen immer tragen. Heute hatte ich die Muße und das Wetter, quer durch die Stadt zu radeln. Und wieder besserte sich in vorfreudiger Hoffnung die Stimmung.

Freundlich und hilfreich war die Auskunft des Mitarbeiters an der überfüllten Information. Und in bedachter Sorgfalt wählte ich ein günstiges, aber passendes Paar. 

An der Einpackstation dachte ich irgendwie zufrieden an die schönen Begebenheiten neulich, als mir dieser Ort erneut ein Erlebnisgeschenk der besonderen Art machte:

Ein Werbeluftballon zerplatzte unvorhersehbar und, natürlich, laut. Zwei gerade daran vorbeilaufende, kleine Mädchen schrien verschreckt laut auf und begannen, für meine Ohren vielleicht eine Nuance zu hysterisch zwar, aber doch herzzerreißend zu weinen.

Ich nahm meinen Impuls wahr, mich abzuwenden. Ich spürte Scham wegen dem vermutetem Intimitätsbedürfnis der Kinder.

Sie waren in Not, aber nicht hilflos: Ihre Eltern waren bei ihnen. Sie waren ganz bei ihnen und wirkten völlig entspannt. Genau diese Entspannung und vollkommen wirkende Sicherheit, mit der sie sich ganz ihren Kindern zuwandten, bewirkte, dass ich dabei bleiben konnte.

Es war eine Szene, vor der ich mich sonst ganz sicher abgewandt hätte.

Ich hätte eine Abscheu bemerkt, vielleicht sogar Spott. Ein Genervtsein, das ich damals dem Schreien der Kinder zugeordnet hätte. Welch ein Geplärre!!! Ganz sicher hätte ich den Impuls gehabt, mich hektisch und in getriebener Unruhe entfernen zu wollen.

Nun aber, durch den sich selbst und ihrem Tun vertrauend wirkenden Eltern aber, durften Scham und Genervtsein beiseite treten.

Und da war sie, die traurige Schwere, und machte mir bewusst: Viel schlimmer als die Töne der Kinder ist mein eigenes, unerhörtes Bedürfnis nach Trost und Zuwendung, nach dem Gefühl der geborgenen Sicherheit. Vor diesem bohrenden, emotionalen Schmerz des unstillbaren Verlustes hätte ich mich sonst abgewandt, und zwar mithilfe, und nicht in Spott, Unruhe, Genervtsein…

Denn Dank des wohligen Augenblickes konnte ich einfach nur zusehen und mich freuen über das Glück dieser unglücklichen Mädchen, so große, ruhespendenden Arme und Körper und Stimmen und Eltern zu haben, die ihnen in ihrem Schock beistanden. Jedes Kind hatte ein Elternteil für sich. Kein Wort, kein einziges, winziges Körpersignal zeugte von mir altbekannten, erwarteten Bitterkeiten meiner, in meinen geglaubt erlebten „Wahrheiten“ zeigten sich:

„Psscht!!!!!“

Finger vor dem Mund. Schreckverzerrte, aufgerissene Augen. Schamvoll, peinlich berührtes Umherblicken.

„Pssst, sei still“, „ist doch gar nicht schlimm“ oder gar „stell Dich nicht so an“, „schäm‘ Dich!!!“, „was sollen denn die Leute denken“

–  sondern diese, sich sicheren Eltern lebten einfach nur: „Ich bin ja da. Komm und bleib. Ich bin da, so lange, bis es wieder besser ist.“ Summen. Zustimmen zum Leid – ohne Überwertung. Eines der Mädchen hatte den Impuls zum anderen Elternteil zu gehen. Auch dort war es willkommen. Und dann wurden heulend die Eltern getauscht, so dass sich jedes der Mädchen bei beiden Körpern versichern konnte, dass mit ihrem Unglück alles in Ordnung ist. Dass sie, trotz und mit allem, völlig in Ordnung sind. Sie hatten Grund, verängstigt zu sein und sie durften es so lange sein, wie sie es wollten.

Diese Szene war so schön, dass ich es doch nicht schaffte, sie bis zu Ende anzusehen. In einem Moment, in dem sich das Maß der Berührung richtig anfühlte, konnte ich gehen. Nicht hektisch, nicht geduckt, nicht genervt. Aufrecht. Wach. Nach innen schmunzelnd.

Kann ich verdeutlichen, was für ein schönes Geschenk das war?

Bewundert radelte ich zurück. Stellte mein Rad in den Schuppen. Dachte zu Boden blickend daran, dass ich ihn ja mal wieder entlauben könnte – und…

entdeckte die Schraube.

Freiburg, 29.12.2019

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