Gemeinsam

Es ist nicht selbstverständlich, dass alle vier dazu eingeteilten Rehabilitanten zum wöchentlichen Küchendienst da sind, wann sie erscheinen und schon gar nicht, mit welchem Anspruch.

So war es mir eine Freude, mit Jan zusammen zu arbeiten, den ich schon aus der Holzwerkstatt kenne.

Die halbleinenen Geschirrtücher in unseren Händen sorgten für schnelle und gründliche Trocknung der letzten Aufbewahrungscontainer des Mittagessens. Entspannung stellte sich ein: Wir hatten es geschaffft, schnell, gründlich und reibungslos die gestellten Aufgaben zu erfüllen.

Ausatmen.

Durch das offene Milchglasfenster drang der Ruf eines unkenntlichen Mannes:

„Junge Frau!?!“

Lachend musste ich rekapitulieren: „Jetzt hab ich mich doch direkt angesprochen gefühlt…“

Worauf Jan meinte: „Macht nichts, ich auch!“

Dienst zu tun hat was von Arbeit. Wenn ich zu dem, was ich ggf. arbeitend geschaffen habe, stehen kann, ist das befriedigend. Daran gar Spaß zu haben, ist (ein) Glück.

Welcher Begriff benennt den Zustand, wenn solcherlei Glücksempfinden dann auch noch in Gemeinsamkeit geschieht?

Weiß nicht.

Aber er fühlt sich ziemlich gut an.

3 von Unzähligen

…heutigen Bemerkwürdigkeiten

Sonne suchen

Ich konnte vom Bett aus im offenen Fenster den sich dort spiegelnden, blauen Himmel sehen und erahnte die aufgehende Sonne. Genau: Vor Allem, was da komme, wollte ich heute, für einen bewussten Moment lang, an einem guten Platz direkt in ihrem Schein stehen.

Aber so einfach ist das hier gar nicht, wenn die Sonne nicht schnell genug aufgeht und die Bäume bzw Hochhäuser ihr den Weg versperren.

Zeit war aber noch – und sie kommt ja auch entgegen. Ich stellte mir also die Alarmfunktion des Telefons auf 25 min, um nach Rückweg plus 10 min Duschen pünktlich in der Holzwerkstatt erscheinen zu können. Freies Feld war zu Fuß nicht zu erreichen, also kam mir der Moosweiher, der nächstgelegene See, in den Sinn, um viel Sonne einfangen zu können. Dazu musste ich nur über die Straße und kurz durch das Mietskasernenwohngebiet laufen. Ein paar müde Gesellen standen gelangweilt an der Straßenbahnhaltestelle. Aneinandergeleinte Gassigeher in addiert sechsbeinigen Paaren querten den Weg. Von straßenbetretenden Fußgängern genervte PKW Fahrer übten grimmige Grimassen. Auffällig: Es war ‚Kinderfrei-Zeit‘, vermutlich aufgrund alleergreifender, ferienbedingter Großkampfbetthüterei.

Wo nur ist die Sonne?

Ich fand sie… z.B. hinter Hindernissen im Basketballnetz gefangen:

…Sonne suchen, dabei nasse Füße und Glitzertropfen im Gras finden: Welch ein Tagesbeginn!


„Und woran arbeiten Sie?“

frug mich die Vertretung des Holzwerkstattbetreuers.

„Ich mache Fehler.“

(um das Fehlermachenkönnen zu erlernen)


Nicht lassen können

Ich konnte es nicht lassen. Ich konnte es nicht. Ich half aus beim mittäglichen Küchendienst, weil wieder einmal irgendjemand der Diensthabenden nicht gekommen ist. Meine Teil der Aufgabe lautete: Tische abwischen, Buffet leer räumen, restliches Essen in den Kühlschrank. Den Restabfall – Mülleimerbeutel wechseln.

Ich konnte es nicht lassen, den Papiermülleimer zu entschimmeln. Ich konnte es nicht lassen, den zweiten Restabfall-Mülleimerbehälter von einer türkisklebrigen Flüssigkeit zu befreien. Ich konnte es nicht lassen, mich zu ärgern.

Hilfsbereit zu sein und sich dann gedemütigt fühlen, weil andere einfach ihren Dreck für die ihnen Nachfolgenden stehen lassen. Warum nur mache ich mich zum Deppen?

Karin, lass‘ jetzt mal das Lied vom „Zuwendungsschmarotzen“ und ewig „Liebkindseinwollen“ beiseite…

Weil ich eine andere Welt als die Ellenbogenwelt will muss ich sie leben.

Aber was mache ich mit meinem Ärger? Mit dem Gefühl, wie Dreck behandelt zu werden? Mit meinem verletzen Stolz? Das alles ist ja auch da. Da ist auch einfach ein Bedürfnis nach positiver Bestärkung, nach Zuwendung, danach, nicht „vergessen zu gehen“, nach „nicht verloren gehen“. Alle diese Bedürfnisse, ob ich sie haben will oder nicht, wollen Ausdruck finden, um Raum für innere Ruhe zu schaffen.

Du willst diese Menschen ändern, kontrollieren, manipulieren, konvertieren? Du willst es einfach einfach haben… sie sollten das gefälligst selbst kapieren, dass… wir alle in einem Boot sitzen…

Wie geht das? In Frieden zu leben und andere in ihrem Frieden leben zu lassen?

Lernen… probieren, überlegen, formulieren, ausdrücken,… Fehler machen…


 

Was bleibt

Kurz. Beeindruckend. Gut. Vorbei.

Damit ist dieses kurze Kapitel „Freizeitbekanntschaft für gemeinsame Aktivitäten“ vorbei, wenn auch noch nicht ganz abgeschlossen.

Zwei sehr unterschiedliche Planeten, deren Krater sich so bekannt vorkamen, haben sich gestreift.

Dem letzten Akt ging voraus:

Aus scheinbar tiefer Verletzung heraus wurde ich angeschrieen. Mit gepresster, zorniger Stimme angeschrieen.

In einem Moment, in dem ich nicht darauf vorbereitet war, also mir allenfalls einer freundlich gemeinten, auf den für mich objektiv gesehen nicht korrekten Wahrheitsgehalt der vorherigen Aussage hinweisenden, Provokation bewusst war.

Zuvor – so mir weitestmöglich – entspannt am Boden liegend wurde ich angeschrieen.

Mein Gegenüber konnte nicht wissen, dass so unerwartet damit innerhalb von Sekunden mein Vater vor mir stand. Und so kann ich mich nicht mehr anschreien lassen.

Mein unterbewusstes Nervensystem reagierte schnell.

Nach einem kurzen, erstarrten Moment des verwunderten Ertragens stürmte sie, meine Verteidigungsarmee, auf die Bühne.

Sie besteht aus einem Schwall wildem, kindlichen Trotz und Zorn in der Hülle der erwachsenen körperlichen und stimmlichen Kraft.

Ich richtete mich auf. Zwar war ich vollkommen nüchtern, aber dennoch: Wie mein Vater wurde ich laut, schroff und herablassend.

(Um im Araberbild zu bleiben: Ich stieg in Sekundenschnelle auf das wild steigende Pferd und fühlte mich mit diesem in diesem Moment stark genug – wenn auch nicht wirklich gut)

Und siehe da: Meine Grenzen wurden akzeptiert.

 

Papa, was hat man Dir nur angetan,
dass Du glaubtest, Dich so verteidigen zu müssen?

Gegen "es", aber vor uns, die wir uns nicht wehren konnten.

Du gabst sie einfach uns, die Schuld für Deinen Zorn, und ich nahm sie an.

Ich habe die Verantwortung für Dein Pferd übernommen.

Du hättest uns der sein sollen,
der uns die verantwortungsvolle Pferdehaltung nahe bringt.
Und hast uns aber nur das  zeigen können, was Du kannst...

Henne oder Ei: Du warst zu besoffen.
Egal. Es ist wie es ist:

Ich bin dran, Verantwortung zu übernehmen,
Verantwortung für ein emotionales Paket ("Typ Araber"),
das jetzt meines ist.


Dumm, wirklich dumm und schade auch, dass ich die Warnzeichen nicht vorab erkannt habe und sie, diese Grenzen, nicht anders verdeutlichen konnte.

Klar, vielleicht war der andere Planet auch zu selbstbezogen, scharfkantig, mit frischen und alten Kraterwunden beschäftigt, in einer verzweifelten situativen emotionalen Verfassung unfähig zu,… egal, es kommt auf dasselbe raus:

Nun ist er weg, der, der vielleicht ein guter Gesellschaftsplanet hätte werden können.

Und ich sitze hier auf meiner weiten Wiese und betrachte den scheinbar ruhig grasenden Vierbeiner:

Was mache ich nur mit diesem Pferd… ?

 

Wie äußert sich eine Störung der Emotionsregulation?

Menschen mit einer Borderline-Störung reagieren sensibler auf gefühlsmäßige Reize und lassen sich leichter von Gefühlen anstecken. Gefühle sind stärker ausgeprägt und werden intensiver erlebt. Gerade unangenehme Emotionen werden also häufig als unerträglich intensiv erlebt.
Die Emotionen halten länger an, d.h. Menschen mit einer Borderline-Störung brauchen mehr Zeit, um zu einer neutralen emotionalen Ausgangslage zurückzukehren.
(Bohus/Wolf-Arehult, Interaktives Skillstraining, 2.Auflage, S.48)


Also: Was mache ich nun mit diesem Pferd (also mit diesem Typ „Erleben, Vorurteil und automatisierter Reaktion“)?

Berechnen lernen. Standardformeln (z.B. der Begegnung mit anderen Rössern) eintrainieren. Immer besser kennenlernen.

Und lieb haben.

Komm‘, Schöner, wir gehen uns in den Fitnessraum bewegen. Da verstehen wir uns ein Weilchen immer ganz gut. Und danach kommst Du mit Motorrad fahren…

Gütenbach be- suchen. Den Platz, an dem sich unsere Freundin so wohlgefühlt hat. Dass es ihr dort so gefallen hat, macht ihn für uns zu einem Ort der Verbundenheit.

Und dann fahren wir kurvensuchend wieder „heim“ in diese vier Wände, die uns ein sicherer Fleck sind.