Araber

„Stellen Sie sich vor, Fr. Nies, sie besäßen ein schönes, wildes Pferd. Einen nervösen Araber – irritierbar, tempramentvoll, geht auch gerne mal bei Anlässen durch, die jeder Mensch als ungefährlich bewerten würde. Und es ist gar nicht mal so einfach, ihn wieder zur Ruhe und entspanntem Grasen zu bringen. Es braucht Mühe und Geschick. Geduld und Zeit. Viele Andere sitzen auf einem ruhigeren Pferd, können es mehr oder weniger unbeschwert reiten und kommen damit vielleicht auch gelassener an. Sie aber haben da ein Pulverfass… klar fliegt man da viel öfter und im hohen Bogen runter und das Aufsteigen ist immer wieder neu eine Aufgabe, zu der man sich überwinden muss.

Man kann sich sein Pferd zwar nicht aussuchen, aber so ein Araber ist bei aller Angst schon auch ein feines Tier. Und, ja, es ist möglich, es sogar reiten zu lernen. Stellen Sie sich das nur mal vor, dass es gelingen könnte, ihm als Freund zur Seite zu stehen…“

Ich fühle mich gerne ein und spiele mit diesem Bild, das mir einer meiner Therapeuten mit auf den Weg gab. Es gefällt mir. Und gerade ist mein Vierbeiner (emotionales Erleben) mal wieder in Wallungen.

Er steht in einem fremden Stall und ich lasse mich irritieren, denke mal wieder, ich sei Dompteur, kein Freund, und mein Araber sei doch ein kaltblütiger, nervenstarker Haflinger und ich müsse nur genug davon überzeugt sein, dass ich schon alles weiß und kann, um ihn dazu zu bringen, mir zu vertrauen und brav das alles zu tun, was richtig und gut sein könnte.

Ich versuche sie mechanisch immer wieder, die Rolle des Dompteurs, der an seine Wahrheit glaubt, dass Pressen, Zwingen, Brechen, Beugen doch irgendwie funktionieren wird. Man muss sich nur genug anstrengen…

Ständig trennen sich unsere Wege, er bricht mir immer wieder aus, reagiert übernervös, unruhig, gehetzt… sondert sich ab, sucht nach Nähe und hält sie doch gar nicht aus.

In einer Gesellschaft aus weiteren exotischen Pferderassen, neu eingestellten Stallbetreuern und fern der Heimatsteppe ist mein Araber zittrig, und, unter uns DBT’lern gesprochen, ständig vor dem oder knapp im Hochspannungsbereich.

Wir müssen da durch, Pferd, und wir schaffen das.

Wir schaffen das mit Pausen. Mit Ruhe. Mit Wut, Trauer und Getriebensein und mit all der Angst, die sich so viele Anlässe sucht.

Wir schaffen das, indem wir uns anvertrauen und weiter versuchen, sicheren Stand zu gewinnen und die Angst wie einen Wind vorüber ziehen lassen.

Ich will den Araber achtsam kennenlernen. Ihm Anlass geben, mir trauen zu können. Er muss schon viel mitgemacht haben, ist voller Angst. Er braucht seine Zeit… und er ist und bleibt ein Tier (alte Hirnregionen sind in Alarmbereitschaft). Ich werde ihn nie dazu bringen, eine Maschine zu sein.

Wie soll ich wissen, ob ich am richtigen Ort bin? Hier gibt es Wasser und Weiden. Ob hier aber das rechte Gras wächst für meine Art Araber? Ob ich in die Herde passe? Wie soll ich das jetzt schon wissen?

Es wird sich zeigen.

Brechen lässt er sich nicht, er ist mächtiger. Ich will ihm auch keine Kandare (Psychopharmaka) anlegen, war er doch so lange eingesperrt und im schweren Geschirr eines viel größeren Ackergauls wund und lahm geworden.

Ich darf nicht aufgeben, ihm / mir die Hand hin zu halten.

Auch wenn er manchmal kaum einen auf ihn gerichteten Blick standhält.