Klamüsern

„Wir wissen, sie haben einen sehr schweren Weg vor sich.“

Reaktion in Sekundenbruchteilen (empfunden gleichzeitig):

Wahrnehmungspaket Nr.1:

vorranging: Gedanke: „Das sagt die doch zu allen.“

(und nebenbei: Warum redet „die“ von „wir“, wenn sie alleine ist?)

Gefühl: Wut, Ärger

Körper: taub… dumpf

Gedanken: „Die“ meint das nicht ernst, die sagt das nur so,…

Wertung: Abwertend, herablassend

(was wieder Schuld auslöst, denn so will ich nicht über andere denken!!!)

Alte, aktivierte Glaubenssätze: Du kannst den Menschen nicht trauen. Du kannst Dich nicht verlassen.

Handlungsimpuls: Grinse, schau durch sie durch, sag irgendwas und denke dir deinen Teil (=> Verlogensein)

Wahrnehmungspaket Nr.2:

Vorrangig: Körper: Feuchte Augen, Gänsehaut

Gefühl: Rührung

=> Körpergefühl: Da stimmt was, da ist ein Bedürfnis berührt, ein Bedürfnis nach Verständnis, „Nicht-Alleinesein“ bzw. „Soseindürfen“ (also: Sicherheit = Grundbedürfnis)

Gedanken: Da ist was berührt. Da ist was in Bewegung gekommen. Mein Körper lügt nicht. Sie hat mein Bedürfnis getroffen und ich konnte es spüren.

Außerdem mag ich die Frau und habe sie in den vergangenen Wochen als DBT vermittelnde therapeutische Mitarbeiterin sehr zu schätzen gelernt.

Wertung: Sie meint es ehrlich!

Handlungsimpuls: Schau‘ hin, fühl‘ hin, koste es – hier gibt es ein Stück von dem, was Du brauchst, wonach du dich sehnst. Sei Du: Berührt, bedürftig, dankbar und sage und zeige es.

…und was dann noch geschah:

Gedanken: Sie meint es ehrlich? Kann sie doch gar nicht wissen… (Wut) und: Ich will es aber gar nicht schwer haben!!! (Trotz) 

Wertung: Ich schaff’es eh nicht… Wenn es schwer wird verlassen mich Hoffnung, Zuversicht, Mut und Lust immer so schnell… (Unzulänglichkeit, Ohnmacht, Angst).

=> Bedürfnis nach Schutz und Hilfe (Sicherheit, Geborgenheit)

Gefühl: Scham

Gedanken: alte, tiefe Einstellungssätze:

„Du darfst keine Bedürfnisse (- außer „planmäßigen“ Hunger – ) haben, Du musst dich zusammenreißen, Du musst dich um dich selbst kümmern, Du bist Last, zu viel, nicht richtig im Wesen sein – falsch…)

Bewertung: Selbst-herablassend

Gefühl: Schuld (schützt vor der alten Angst)

Gedanke: Du wirst es nie kapieren.

Gefühl: Ärger, Wut… (auf mich – ist besser als die Angst)


Handlungsimpuls nach dem auslösenden Satz der Sozialarbeiterin:

=> Raus aus der Situation!!! (das wird mir zu viel…)


Ich folgte dem Handlungsimpulses des Körpergefühls, also des Wahrnehmungspaketes 2 und:

Schön war’s.

Wenn auch noch ein bisschen fremd…

So verabschiedete ich mich „anwesend“, aber schnell und ging in Ruhe in die Cafeteria. War unterwegs und klamüserte…

„Sie verzetteln sich“

Ja. Um zu finden.

Mich? oder

Etwas, das ich behalten will.


Die Wahrheit liegt dazwischen.

UND

Ich bin anders.


Natürlich sagt sie das zu allen. Weil es vermutlich für alle Patienten einer solchen Station stimmt. Zumindest empfindet sie es so. Dass sie es ehrlich meint, habe ich-Körper gefühlt.

Ein Weg ist genau so schwer oder leicht, wie man ihn gerade empfindet. Das Gefühl ist Teil des Weges, gehört dazu wie ein Baum am Rand, wie die Steigung oder die Aussicht, die Begleitung oder das Wetter.

Was also auch stimmt ist mein Gefühl, dass irgendwas nicht stimmt. Denn sie kann nicht wirklich wissen, dass mein Weg schwer wird. Und: Sie meint nicht nur mich, sie schert mich über den Kamm ihrer Erfahrungswerte.

Nicht stimmig sind auch diese Einstellungssätze. Sie sind nicht wahr, mein Hirn lügt mich an! Zudem haben sie fiese Gefühle im Gepäck. Höre ich sie, diese Sätze, ist das wie ein Schlag vor die Stirn, der alles dumpf erstarren lassen muss. Die Wut ist ein Ausweg aus diesem Erstarrtsein. Wütend zu sein, stimmt. Wegen der Stärke ihrer über so viele Jahre angewachsenen Ladung muss sie aber eine andere Richtung (als in Verbotensein und Unterdrückung, gegen mich selbst oder gegen die heutigen Auslöser) finden, eine Richtung, die „dazwischen“ liegt.

Alle Gefühle dürfen also da sein. Sie stimmen. Ich muss „nur“ aufpassen, was ich dazu denke und zu welchem Bild ich mich aus dieser Menge an „Zetteln“ entscheide.

Wunderbar war der scheue Auftritt meiner Bedürfnisse auf der Bühne.

Was macht es mir so schwer, sie in meiner Landschaft auszumachen?

Sie sind wohl eine mit kindlicher Angst gut getarnte Pilzart, die ich mit Übung in meiner Landschaft des Erlebens immer leichter finden werde…

Ich werde sie in ihrer Fremdsprache einladen,…

…ermutigen, lauter zu singen…

…ihre Umrisse in den Seiten voller Buchstaben und Bilder erkennen lernen?

 

die Wahrheit liegt dazwischen?

 

Vielleicht sind Bedürfnisse nicht Stimme des Chors sondern Klang? Nicht Zettel, Unterlage oder Kleber der Collage, sondern der Griff? Nicht Wesen der Landschaft, sondern mein Blick? Nicht der Weg hindurch, sondern die Richtung?

(Zettel, Zettel, Zettel..)

 

Herausklamüsert:

Vorstufe, mir Bedürfnisse (so kleinkindlich sie auch sind) erlauben und erfüllen zu lernen, ist es, sie zu erkennen.

Das ist bei aller angstbedingter Ungeübtheit, Einzwängung, Gewohnheit, innerer Abwehr und Widerwillen zur Veränderung gar nicht so leicht.

Will ich dennoch ein Bedürfnis erkennen, muss und darf ich mich an den Standortmerkmalen „Gefühle und Gedanken“ orientieren, aber auch an ihren automatisieren „Zertramplern“, den Einstellungssätzen.

Ein von mir ziemlich vergessener, aber deutlicher Hinweisgeber scheint der Körper zu sein. Aber ich lerne…

Und: Es fühlt sich einfach saumäßig gut an, dem Körpergefühl entsprechend zu handeln.

 

(*saumäßig gut nenne ich das Gefühl, das ich empfinde, mir vorzustellen, an einem heißen Tag einem wohlig grunzenden Schwein beim gründlichen Suhlen im Schlamm zusehen zu dürfen)