Wütend

Bin ich. So wütend, dass ich schreien könnte. Jetzt. Ca. 20 Stunden später. Eine kraftstrotzende Radfahrt nach Wetzlar später. Bin wütend, trotzdem am Tag so wunderbar die Sonne geschienen hat. Wütend, trotz lieben Kontakt mit lieben Menschen, ein stundenlanges Telefonat später, ein tolles 3. Klavierkonzert von Beethoven im Stadttheater und ein paar Stunden in der Ruhe der Nacht später. Ich war schon draußen. Habe gerade NOCH einen Kontrollgang durch alle Mülleimer der Nähe gemacht. Und nun, morgens um 6 Uhr, bin ich noch immer wütend.

Man hat mir mein Portemonnaie geklaut. Während…

…dieser Verletzlichkeit.

Ich könnte…

…jetzt noch.

Ich richte meine Wut auf sie, meine Zimmerkollegin, die ihre Hände in Unschuld wäscht. Modell: „ich bin AN ALLEM völlig unschuldig“, alle missverstehen mich…

Sowas kommt mir natürlich gerade richtig.

Ich darf viel von ihr lernen: Nein, dieses universelle Unschuldigsein, das brauche ich nicht, will ich, weiß der Himmel, nicht haben. Aber sie bringt mir bei, meine Wut zu spüren, die ich habe auf mich und die Welt.

Ich spüre sie. Darf sie, meine Wut, sehen und spüren in neuer Deutlichkeit, voller Leben.

Wenn Gefühle im Kleinkindalter entstehen und immer wieder nach gleichen Mustern vom Hirn reproduziert werden, ist diese Wut die meiner Kleinen. MEINE Lebendigkeit.

SO habe ich sie schon ewig nicht mehr gespürt.

Nein, ich konnte nicht schreien wie mir die Kehle gewachsen ist. Konnte mich zurück nehmen trotz Aufmunterung der Plfegepersonen, meinem Instinkt doch zu folgen.

Und merke, wie sie gerade abfließt, denn in diesem Ausmaß gehört sie, die Wut, nicht hier her in den Flur der Station (zu emotional angeschlagenen Menschen), nicht zu ihr, sondern dort hin.

Es fühlt sich alles richtig so an: Wütend gewesen zu sein und nicht einfach hinausgeschrieen zu haben.

Ich darf weitergehen. Meine Schuld tragen, indem ich alle Karten nachbestelle, mir nun endlich die Mühe mache, meine Sachen einzuschließen und, trotz aller Gutgläubigkeit und in selbsttherapeutisch verlorener, geistiger Abwesenheit, versuche, meine im Alltag so notwendigen und schwer wiederzubeschaffenden Gegenstände mit Achtung zu behandeln.

Schon fluche ich irgendwie belustigt, selbstverhöhnepiepelnd mit der eigenen Dödeligkeit, die halt auch immer und überall mitspielen will, spaßend in mich rein.

Lernen! Und dankbar sein.

Und mein Gefühl wertschätzen: Zur Polizei gehen und anzeigen, dass mir von unbekannt Unrecht getan wurde.


…und ich habe gemerkt, dass man mir noch mehr weh getan hätte, wenn er oder sie statt des Geldes und aller Karten und Ausweise mir meine PCT Begleiter (also die zwei Halstücher, das kleine Fürallesguttuch, das Merinooberteil) oder das Häkelpferdchen meiner Schwester genommen hätte.

OK, weit weg ist sie nicht, die Wut.

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