Wie es mir geht.
„Borderliner“ sollen angeblich Gefühle intensiver erleben. Und das Abklingen der entsprechenden Hirncocktails soll länger dauern.
Nun, wie man die Intensität von Gefühlen messen und vergleichen will, weiß ich nicht.
Ich empfinde mich noch oft Gefühlen ausgeliefert.
Was soll das heißen? Gefühlen „ausgeliefert“ sein?
Beispielsweise „verzweifelt sein“ nicht als gewiss vorübergehenden emotionalen Zustand erleben zu können, der in Kontakt ist mit „irgendwas“ – mit einem „ich bin verzweifelt, weil…“ oder mit einem „es wird besser, wenn…“.
Es fühlt sich manchmal so wahr, wirklich, ehrlich „schlimm“ und alles vereinnahmend an. Ich bin dann nicht verzweifelt oder „in Verzweiflung“. Verzweiflung ist dann vollkommen wahr und sonst nichts mehr greif- oder vorstellbar. Da ist nichts mehr, das der Verzweiflung stand hält. Ich bin nicht „auch“ verzweifelt, ich bin Verzweiflung.
Worum es vielleicht geht, ist das bewusste Sein und Bleibenkönnen, das wahrnehmen, urteilen und handeln im Hier und Jetzt, in der Realität des Erlebens des Moments.
Was dann eben völlig fehlt, ist Kontakt zum Vertrauen. Wenn im Erleben von Gefühlen der Kontakt zu vergangenen, stärkenden Erfahrungen und die Zuversicht fehlt, das Vertrauen und die Glaubhaftigkeit in „es wird wieder gut“ fehlt, was bleibt dann?
„Mensch, Karin, Du bist 42, Elektroingeneur….“ …ach, nee: „Mensch, Karin, Du hast 49 Jahre lang funktioniert, bist 51 Jahre alt geworden… erzähl‘ mir nicht, da ist nix mehr…“
Ich kann es nicht anders beschreiben.
Die Abstürze fühlen sich dann eben völlig haltlos an. Ich stürze z.B. tief in die Verzweiflung, die Hoffnungslosigkeit, die Leere des Verlorenseins. Angst als Puffer.
Darüber liegt die Traurigkeit. Sie ist auch schlimm, aber sanftmütig.
Spöttisch zornig bitterscharfe Selbstkritik (Aura von „I.“), Scham und Schuld kann ich in guten Momenten, wie jetzt, als Helfer, mich bewahren zu wollen, sehen: Sie werfen sich vor das vermutet schlimmere Erleben, schützen mich vor dem Absturz. Wirklich Willkommen heißen kann ich diese Truppe aber auch nicht, denn auch sie fühlen sich wahr an und ich bin dann mit ihnen, unterwerfe mich, fühle mich schuldig und „muss mich schämen“, verurteile mich zertretend, erwürgend, vernichtend als hysterisch, völlig unannehmbar, schmarotzend, der Existenz nicht berechtigt, bin „ein Leben schuldig“ – lasse mich also aus ihren Bewertungen heraus leiten bzw. leiden.
Ja, und gerade merke ich wieder: Es hat was mit Balancierkünsten zu tun, im Hier und Jetzt zu bleiben. Auch jetzt muss ich mich schützen mit „Du übertreibst, Du spinnst, Du nimmst Dich zu wichtig, Du hast sie nicht mehr alle, Wie kann man denn sowas schreiben und das dann auch noch seinen Mitmenschen zumuten?“
Es ist die Schutztruppe, die weiß, dass ich mich gerade wieder ins Wanken bringe mit diesen Zeilen.
Zurück zum Balancieren… : Das mag – vielleicht – ein Unterschied von ‚Borderlinern‘ zu der Überzahl der Mitmenschen sein: Dass diese Linie des „normalen Bewertens und Erlebens“ schmal ist. Und dass es sich fremd und unwirklich anfühlt, aufrecht zu stehen und klar zu sehen.
Zudem bedarf es einigen Balancierkünsten, dort oben zu bleiben. Stürze sind vorprogrammiert. Und es braucht nicht nur einige Übung, wieder hinaufzuklettern, sondern es auch Erfahrungswerte, dass es sich lohnt, den alten, wohlbekannten Sumpf der Selbsterniedrigung, der kuscheligen Wärme der kleinkindlichen Hilflosigkeit und der bequemen Verantwortungsabgabe wieder und wieder zu verlassen.
Dazu geht es ja nicht nur nach unten…
Manchmal schwebe ich ein bisschen über der schmerzhaften Linie in das versponnene Verträumtsein des kindlichen Insicherheitfühlens / Allesinordnungseins, des kindlichen „IchbininOrdnung/Richtigseins“ oder des Wohlmöglichwahrwerdenkönnens. Das Hoffen aus dem Gefühl der reinen Unschuld heraus auf eine heile oder heilende Welt.
Das unvermeidliche Zurückkommen auf der Linie der Klarheit ist nicht nur betrauernswert ernüchternd, sondern auch schwer auszubalancieren: Die Folge ist ein gefühlter Sturz vom ersten Stock direkt in den Keller….
_______________________
…und ich weiß, nur mein Hirn spielt verrückt. Da ist was aus der Bahn geworfen. Da ist was, was wieder heilen kann. Es ruckelt halt noch…
_______________________
…Fortsetzung folgt.
Danke fürs Lesen bis hier hin!
Ich werde mich wieder finden. Messers Schneide platt treten. Mein Erleben balancieren lernen. Und das geschwinde Hinaufklettern auch.
Jetzt brauch‘ ich ’ne Pause. Und es ist Samstag, Zeit für den Markt und den Kaffee in der Rösterei… im Hier und Jetzt.