Bonbon gegen die Angst

In Uffenheim wurde ich zu Beginn gefragt, in welche ein Mal wöchentlich stattfindende Indikationsgruppe ich denn gehen wolle? „Depression und Lebensfreude“ oder „Angst und Mut“? Ich erinnere mich noch gut daran, dass ich mehr als erstaunt über diese Frage war: Was habe ich denn mit „Angst“ zu tun?

Heute bin ich erstaunt darüber, wie tief dieses Gefühl verbuddelt war unter der Fassade aus Essen, Fernsehen, Arbeit, Alltag – Funktionieren.

Klar, ohne Grund bin ich nicht in eine Psychosomatische Klinik gegangen. Da brodelte was und war irgendwann auch für mich nicht mehr vor mir selbst zu verstecken. Ich kann heute noch nicht mal sagen, was ich mir denn erhofft hatte, los zu werden außer ein paar Kilos. Vielleicht wollte ich gar nichts los werden, sondern es nur einfach leichter haben im Leben.

„Bevor es leichter wird, ist es schwer“

Ich habe es ziemlich schwer zur Zeit. Und ich merke, dass ich nicht weiß, was ich will. Deshalb müsste ich mich auf die Suche machen nach dem, was sich für mich besser anfühlt. Und mich dann trauen, zu diesem Gefühl zu stehen. Offen zu bleiben. Lernen, auch damit klar zu kommen, wenn es sich plötzlich nicht mehr richtig anfühlt. Nicht mich selbst deshalb zu kritisieren, sondern erneut für mich den besseren Platz suchen.

Zur Zeit zweifele ich noch erbärmlich an mir. Zwar stelle ich immer wieder aufs Neue fest, dass es mir nicht gut geht. Und ich stelle die Frage nach dem Grund und kann sie nicht beantworten. Hänge fest, komme nicht weiter, traue mich nicht wirklich, mich mutig auf die Suche zu machen.

Ich habe Angst, so viel steht fest. Irreale Ängste, die mir, einer Frau von fünfzig Jahren nicht wirklich angemessen sind. Ängste, die ins Kinderbett gehören. Dort kommen sie her. Dort habe ich sie erlebt, dort hätten sie erkannt und gesehen, beweint und getröstet werden müssen. Angst vor dem Verlassenwerden, vor dem Übrigbleiben, vor dem „nicht die Richtige“ bzw. „irgendwie  nicht richtig“ und vor dem einfach „zu viel“ bzw. einfach nur „Last“ zu sein. Und heute gesellt sich noch die Angst vor der Angst hinzu, diese Gefühle wie tiefe Trauer und Sehnsucht nun ständig, wieder und wieder durchleben zu müssen und, wie ein kleines Kind, ihnen machtlos ausgeliefert zu sein.

Vor ein paar Tagen habe ich mit Klaus im Dom (der eigentlich keiner ist 😉 ) die Johannespassion von Johann Sebastian Bach gehört. Viele kennen den Schlusschoral, nehme ich mal an. Und ich höre ihn heute wieder und wieder…

Ruhet wohl, ihr heiligen Gebeine,
die ich nun weiter nicht beweine,
ruhet wohl und bringt auch mich zur Ruh.
Das Grab, so euch bestimmet ist,
und ferner keine Not umschließt,
macht mir den Himmel auf und schließt die Hölle zu.

…weil ich ihn noch nie so gehört habe: Ich höre diese Musik, wie als ob ich einen Gefühlsgedankenbonbon mit Geschmacksrichtung „Erlösend“ in den Mund genommen hätte.

Die alten Sehnsüchte und Schmerzen ruhen lassen. Abgeben in die mitfühlenden Hände der Vergangenheit. Dort hin, wohin sie gehören. Mitfühlende, willkommenheißende Hände an offenen, weiten Armen voller Leichtigkeit und Halt, die damals für mich so wenig ins Leben gehörten wie heute diese alleslähmende Angst und die vorauseilende, ihr die Türe öffnende Selbstentwertung.

Ja, so könnte Erlösung schmecken. Es könnte auch ein Hauch Hoffnung und Trost dabei sein.

Jedenfalls: Möglicher Proviant für kommende Wege.