Taubheit
Ekelerregendes wird nun nicht mehr nur von meinem Hirn produziert, sondern auch durch die Wunde am Gesäß. Und ihr dumpfer Schmerz wechselt sich mit einem Gefühl ab, das an eine – je nach dem – zunehmende oder abschwellende Lokalanästhesie erinnert.
Sensibilität ist mir auch in anderer Beziehung abhanden gekommen. Kommt man in ein Krankenhaus, gibt man noch mehr ab als die engen Grenzen des Erträglichen und einen Teil der Selbstbestimmung. Ich beispielsweise habe den Kontakt zu meinem Chor abgegeben. Er ist zerfallen. Die Stimmen sind verstreut. Ich bin taub.
Müsste ich ein Antidepressivum nehmen, gäbe ich ganz sicher ihm die Schuld für diese Entferntheit von dem, was ich in den letzten Monaten an mir entdeckt habe. Es hat mich in Bewegung, Erstaunen und Mut versetzt, aber auch in zielloses Suchen, immer wieder eingebremst von Denkblockaden aus Verunsicherung und Angst. Mein altes Leben war weg und das neue für mich nicht wirklich vorstell-, form- oder gar greifbar.
Zermürbt, zermahlen, aber in diesem höhnischem Spott über mich selbst war ich noch zu einem Entschluss in der Lage:
„Jetzt reicht es“.
Und dann machte ich mich auf den Weg, meinen langgehegten Plan, mit meinem Leben wieder verbunden zu sein, indem ich es mir nehme, in die Tat umzusetzen.
Es war eigentlich ein ganz guter Plan, aber eine dilettantische Durchführung. Verloren oder gewonnen?
Ich habe gelernt.
Und bin am Leben. Halte mich an Regeln, übe flüchtigen Kontakt und alles irgendwie richtig sein zu lassen, hülle mich in das Zeitvergehenlassen ohne wirkliches Vertrauen. Dumpf annehmen, hinnehmen, noch nicht mal warten, einfach abgeben, irgendwie zu sein versuchen, nur nicht fühlen.
Ist das Genesung?
Mein Essdruck sagt eindeutig „Nein“.
Watte anfressen.