Ein Jahr

Dieses Jahr fing für mich am 14. Dezember 2016 mit dem Linksabbiegen aus dem Parkplatz vor der Klinik Uffenheim an.

Es war genau vor einem Jahr. Wir waren noch eine Abschlussrunde gelaufen. Ich wollte nicht wirklich los in diese Unvorstellbarkeit des „Lebens danach“.

Ich wollte kein zwanghaftes Essen mehr. Kein Wegmachen durch TV und kein krampfartiges Aushalten der Arbeit mehr. Ich wollte etwas anderes.

Uffenheim war ein Aufbruch. Körperlich sichtbar durch 17 kg Gewichtsabnahme nach 10 Wochen, körperlich spürbar durch einen enormen Bewegungsdrang als Ausdruck des emotionalen Aufgewühltseins, der Ziel- und Haltlosigkeit, der Desorientierung, die ich nun fühlen konnte.

Ich habe begonnen zu laufen.

Ich wusste, dass sich etwas ändern muss. Aber was?

Der Rahmen meiner Vorstellungskraft beschränkte sich zum einen darauf, dass ich zukünftig „meinen“ Urlaub machen wollte. Ich hatte mir eine Wanderung zu Brigitte nach Weitendorf vorgenommen und mit groben Planungen begonnen. Zum anderen wollte ich mir eine Musikanlage für mein Zimmer kaufen, meinen Besitz reduzieren, meine Zimmer gründlich renovieren und anschließend umgestalten, um dort „meinen Platz“ zu finden und einen für Gäste zu haben, an dem ein Willkommensein zumindest räumlich zu spüren möglich ist.

Ich bin nicht nach Weitendorf gelaufen – aber gefahren. Ich sitze in meinem Zimmer auf einem Platz, der sich jetzt, für diesen Moment, gut, aber nicht wirklich wie meiner anfühlt. Ich höre Musik aus meiner Anlage. Vertrauen zu haben, dass Gäste nicht meine Wohnung, sondern mich besuchen wollen, ist noch immer nicht leicht, aber leichter geworden. So wie mein Besitz. Teilweise ultralight… 😉

Ich bin gelaufen.

Und ich habe erfahren: Auch wenn ich ein Ziel wie Santiago de Compostela erreiche, komme ich noch lange nicht an. Aber auch wenn ich nicht wirklich ein Ziel habe, erreiche ich doch auf meinem Weg meine Grenzen.

Diese nicht als mein Ende, sondern sie in diesem Moment als Notwendigkeit, Anlass und Beginn der Richtungsänderung anzunehmen ist die Aufgabe, an der ich glaube, mich noch zu beißen zu haben (ist das nicht ein so passend wie schöner Verschreiber?).

Ich habe eine Loslösung erfahren und spüre manchmal, wie sehr mich das ängstigt. So bin ich noch auf der Suche nach Halt und Ziel, statt den Fall, die Angst, die Verunsicherung, die Unvorstellbarkeit als das zu sehen, was sie sind:

Meine Begleiter.

 

 

Noch

…ist es ruhig. Klaus duscht, bevor er sich auf den Weg macht um die letzten Kleinigkeiten zu besorgen.

Heute ist der erste Freitag nach seinem Geburtstag und, wie in jedem der mindestens letzten 10 Jahren, werden seine Freunde der Einladung folgen und mit ihm feiern.

Im Büro sind die Tische für das Essen vorbereitet. Ein kleiner Tisch lädt zum Verweilen ein. Hocker, Klappsessel, Campingstühle warten auf die Gäste. Alle Kühlschränke laufen. Es wird viele, viele brennende Kerzen geben und auch ein paar Lichterketten. Für die Schachfreunde stehen in der Küche die klassischen Figuren aus Holz bereit, die sie, gedankenversunken wirkend, lautlos über das schöne, große Brett ziehen werden. Ihre Kommentare klingen in meinen Ohren wie eine Sprache aus einer anderen Welt. Ich muss schon jetzt lächeln, wenn ich daran denke, sie eine Weile heimlich zu beobachten.

Gerade bin ich noch in meinem Bett, höre die Ruhe und freue mich trotzdem auf den Klang, der später aus Klaus‘ Anlage strömen wird.

10 Jahre lang – im Prinzip immer dasselbe: Schach, Schwätzen, Kommen, Verabschieden, Essen und viel Trinken. Und dann, irgendwann, macht Klaus Platz vor seinen großen Boxen und wir trauen uns im Kerzenschein unsere Lust uns zu bewegen zu leben, sind vom vielen Sekt betrunken genug, um unsere Hemmungen freundlich zum Ausruhen zu bitten. Freuen uns einfach über die gute Musik. Schwelgen, lauschen oder tanzen sogar. Sehen, teilen, berühren uns vielleicht.

Und doch ist in diesem Jahr etwas für mich anders.

Ich spüre meine Lust schon jetzt. Da ist sogar eine Vorfreude, eine vorsichtig freudige, hoffnungsvolle Erwartung. Auf so ungewohnte wie selten schöne Begegnungen, auf das Wiedersehen und das gemeinsame Zeitverbringen. Das Willkommenheißen und Teilen.

Schade, dass…

ja, ich vermisse Euch.

Aber mal sehen, wer kommt, was er mitbringt und was er hier lässt. Aber auch was er mit sich nimmt, möge leicht sein und die kleinen Fältchen an Augen, Ohren, Mundwinkel oder haarlosem Haupt zum schmunzeln bringen.