Ungehaltensein zu leben träumen

 

Was wir lernen zu sein (Orginal: ‚tun‘)

Lernen wir, indem wir es tun.

benutzt von einem Zitat Aristoteles‘

 

„Und ich gebe dem Arbeitsbeginn auch fast gerne ein bisschen meiner Freiheit ab.“ (Zitat aus meinem Beitrag „Fremdarbeit“)

Nein. Stimmt nicht.

Ich würde sie sehr gerne behalten. Und zwar ganz.

Durch Tun mein äußerliches wie innerliches Ungehaltensein leben und dadurch vielleicht auch anzunehmen lernen.

 

Die Vorstellung ist so reizvoll

 

wie naiv.

 

Und ich bin ja gar nicht haltlos, sondern fühle mich durch Vernunft gebändigt und durch Angst gefesselt.

So schade.

 

Und dann dieses Zettelchen am Teebeutel heute Morgen:

 

 

Was soll ich dazu sagen?

Ich denke nämlich nicht gründlich über meinen Arbeitsbeginn, der Wohn- und Arbeitssituation, dem weiteren Lebensweg nach. Oder Dinge wie Autopflege, Ebayverkäufe und Krebsvorsorge.

 

Meine Gedanken sind viel lieber auf dem PCT.

 

Der Sehnsucht, dort zu sein und mich richtig zu fühlen. Ganz lange das Richtige tun. Im Weitergehen immer besser bei mir zu bleiben lernen. Mit all meinen Ängsten.

Mit dieser phantastischen Natur belohnt werden. Draußensein.

Da ist sie wieder, die idealisierende Sehnsucht des Frühjahrs… erschreckend und belustigend zugleich.

Weiß ich doch genau, wie schwer ich es dort mit mir hatte.

Aber andererseits weiß ich doch jetzt viel besser, was auf mich zukommt. Wo meine Schwierigkeiten liegen. Ich könnte es wieder von Neuem üben. Mich an Treffpunkten immer öfter gezielt zumuten üben statt die Einsamkeit suchen… Vertrauen üben in meine Entscheidungen bei Einkäufen und der Streckenplanung. Das Gepäck reduzieren. Mich einfach nochmal ins Wagnis stürzen.

Erwische ich mich während des ausschweifenden Tagträumens oder ist es etwa schon ein verspielter, jetzt nicht mehr ganz verschwiegener Planungsbeginn? Der Tag der Antragstellung für den Long-Distance-Permit naht…

Aber sind Naivität, Lust, Verträumt- und Verrücktsein, nicht die Vorboten von Vertrauen? Das Salz in der Suppe?

Nein. Wohl eher nur der unbeholfene Versuch vor dem alltäglichen Leben zu fliehen.

Immer wieder dieselben Fragen.

Ach, und wenn schon.

In Uffenheim habe ich den für mich sehr stimmigen Satz gefunden: „Ich will nicht mehr (zwanghaft) essen, ich will was anderes“ (Trost, mich annehmen und in mir ruhen können, das Gefühl, sicher angekommen zu sein, mit mir zufrieden sein, Nähe und Vertrauen, usw…).

Ich will meinen früheren Alltag nicht mehr. Ich will irgendetwas anderes. Und so lange ich nichts ähnlich phantastisch Schmeckendes mit mir anzufangen weiß oder anfangen will, träume ich eben ein bisschen vom Ganzsein auf dem PCT…

…und unterlasse es vorsichtshalber, mir Bilder anzusehen 😉

Herbstreise und Danke: Ja, Dir.

Ich musste wieder weg.

Es war am Donnerstag, den 11. Oktober. Die Reise führte mich zunächst in den Norden zu Brigitte, Clara und Arthur, Frau Mauz und Bruno nach Weitendorf.

„Weitendorf“ ist ein so schöner Name für diesen Platz. Ich bin noch jetzt fasziniert von… wie soll ich es beschreiben?

Ich habe so eine Geste im Sinn: Kennt Ihr diesen freundlichen, aufwärts nickenden Blick über die Schultern, der, kaum sichtbar zwinkernd, aufmuntert, einfach mal mitzukommen? Genau das machte diese völlig unaufgeregte Gelassenheit, mit der ich mich dort bei Euch willkommen fühlte. Ich mich und mit mir meine Dauerbegleiter „Zweifel und Angst“. Zugegeben: Die beiden waren echt beeindruckt und schauten sich irritiert um: Könnte es wirklich einen Platz zum Loslassen und Beinebaumeln geben?

Noch immer irgendwie ungläubig staunend sage ich:

„Danke“.

Wir kommen wieder.

Ein Termin führte mich am Montag, den 16. Oktober nach Goslar. Ich blieb anschließend zwei Nächte in Braunlage.

Wir saßen auf den Bänken am Torfhaus, in Duderstadt und mehrere hundert, oft kurvige Kilometer auf denen der Motorräder – an diesem sonnigen Dienstag im Harz.

Ja, schön war’s mit Dir, Matthias! Hab‘ Dank. Gerne wieder… (von guten Dingen kann ich so schlecht genug bekommen 😉 ).

Nein, zurück nach Wetzlar wollte und konnte ich noch immer nicht.

Ich fürchte, bei mir wollen Gehör, Verstand und Gefühl oft einfach nichts miteinander zu tun haben. Aber irgendwie hast Du’s geschafft, Christoph, und so oft „Du bist willkommen“ gesagt, dass ich mich gerne zu Dir auf den Weg nach Nürnberg gemacht habe. Ich bin durch Deine weit geöffnete Türe gegangen und durfte und konnte ganz lange (bis zum Do., 26.10.) bleiben. Du hast mich und ich es bei Dir mit mir (aus-) gehalten.

Und das war, gerade zum Abschluss dieses, meines Jahres des realen, aber mehr noch des emotionalen „Aufgemachtseins“, nicht immer einfach.

Ich atme ein und spüre sie, die tiefe Dankbarkeit.

Ich danke Euch allen, die Ihr mich begleitet habt. Euch, zu denen ich Vertrauen haben, leben oder es mit Eurer Hilfe immer wieder üben kann.

Es ist ein Spiegel. Wie ich Euch, so ich irgendwie auch mir:

Ich nenne es „mein Herz öffnen können“.

In diesem klitzekleinen Moment.

 

Fremdarbeit

Es ist der 1. November 2017.

Ich nehme zwei Schlüssel aus dem Kasten. Einer hängt seit einem halben Jahr ununterbrochen oben links in der Ecke. Manchmal habe ich ihn gesehen. Es ist wohl nicht möglich, gleichzeitig zu seufzen und selbstermutigend tief einzuatmen. Sonst täte ich es in diesem Moment wohl.

Ich lasse sie leise klimpernd in meine Jackentasche fallen.

Türe auf, Licht aus, Türe zu, Treppe runter. Die Haustüre fällt ins Schloss.

Es ist dunkel.

Der Zeigefinger macht diese kleine Bewegung und ein gefühlt viel zu lautes fünfstimmiges Klacken öffnet die Türen des Dacias. Ich steige ein, suche auch nach sieben Jahren noch das Zündschloss und finde es spätestens mithilfe eines genervten Blickes. Der Motor springt an und los geht’s. Die Strecke wird mir gleichzeitig merkwürdig fremd und vertraut vorkommen. Nach ca. fünfunddreißig bis vierzig Minuten bin ich an der Arbeit.

Wie wird die Antwort meines winkenden Abendgrußes ins Pförtnerhaus ausfallen? Gleichgültig, irrtiert oder gar erfreut? Ich bin schon jetzt neugierig.

Und vielleicht blinzelt mir ja der blaue Golf schon erwartend zu, wenn ich ganz langsam zum Parkplatz hoch fahre?

Ach, ich freu‘ mich auf Dich, Irene!

Wir werden uns herzen und gemeinsam die vielleicht 367. und gleichzeitig erste Nacht verbringen.

Ich werde mich fremd fühlen.

Und keine Angst davor haben.

Ich werde mich an Laage erinnern: Mich fremd zu fühlen ist ein, ja, so gesehen auch willkommener Teil von mir. Ich habe ihn sehen gelernt. Und komme mit dem Schmerz schon ein bisschen besser klar. Jetzt im Moment habe ich verstanden: Ich kann aufhören, dort geliebt werden zu wollen und anfangen, zu arbeiten.

Ja, ich habe Angst vor dem Versagen meiner Fähigkeit und dem Verlust meines Willens, meine Grenzen zu erkennen und sie zu respektieren. Dem infolgedessen haltlosen Inmichzusammenfallen oder dem Rückfall in alte, dämpfende Muster.

Aber nur die Zukunft weiß, was wirklich wird.

Und ich gebe dem Arbeitsbeginn auch fast gerne ein bisschen meiner Freiheit ab. Ich habe die vage Hoffnung, mein auch kräftezehrendes, fast grenzenloses Getriebensein durch die festen Termine ein wenig einzudämmen. Um vielleicht, passend zur Jahreszeit, ein wenig zur Ruhe zu finden.

So viel zur Theorie.

Es gibt sie also, die Früchte des Jahres. Manche kann ich vielleicht schon erahnen und ich bin gespannt, wie sie duften und aussehen und hoffe, sie ehrlich und innig zu lieben.

Und ich freue mich schon auf das Erntedankfest mit Euch!!!

Irgendwann…


Gleichzeitig

Ich bin hier in Nürnberg bei Christoph von Herzen und fast bedingungslos willkommen, der Himmel lacht blau, und die BMW wartet unten am Gingkobaum. Ich freue mich, mit ihr die kleinen Strässchen der fränkischen Schweiz zu erkunden.

Ich bin gesund.

Sehe Früchte und Freunde.

So viel Glück!

Aber trotzdem drängt sich die Traurigkeit vor, lässt ihre Tränen frei.

Die Argumente der Vernunft sind machtlos.

 

Woanders

Ich musste wieder weg.

Ich habe Brigitte seit Jahren nicht besucht. Als Ausrede diente neben dem Faktor „Zeit“ doch immer die Entfernung. Diesmal aber hatten diese beiden gegen das Gefühl des völlig entspannten Willkommenseins einfach keine Chance. Ein kurzer Anruf genügte.

Schon einen Tag später saß ich in einem Straßencafé des Städtchens Laage im Landkreis Rostock und übte mich im simplen Dasein.

Passanten kamen vorbei und schnackten Plattdütsch. Geklinkerte Fußgängerwege. Auf einem Stand des Wochenmarktes wurden „polnische Spezialitäten“ feil geboten. Und in der Bäckerei nebenan gab es heute „Wrunkeneintopf“.

(Wo-) Anders sein.

Ich bin fremd hier.

Fühle mich als Beobachter der Szenerie, nicht als Teil.

Mehr noch: Unwichtig und überflüssig. Passe nicht recht hinein, ohne damit bei den Akteuren nennenswerte Aufmerksamkeit zu erregen.

Was mir vertraut vorkommt…

Fliehe ich aus meinem Leben um mein Fühlen zu leben? Das, was ich glaube zu sein?

Fremd, anders, irgendwie „falsch“ zu sein fühlt sich „woanders“ einfach ein bisschen richtiger an.

 

 

Aufatmen

Das Erdbeben in meinem Leben macht gerade Pause.

Gestern war ein guter Tag. Kein Weglaufen, weder nach Draußen, noch ins Bett. Ich habe Dinge anpacken können, die einfach dran waren und das fühlt sich gut an.

Ja zu mir.

In meiner kleinen Welt.

…und dann nochmal raus in die Abendsonne

…so, nun kann’s mit dem Geschüttel eigentlich wieder losgehen :-))