Es zusammen angehen / Alleine sein

Ich sehe Paare und höre von Partnerschaften, die sich für den Schnee bilden. Ich vermisse dem Spaß, den ich haben kann, Scherze, Lachen, über sich selbst lästern, sich motivieren, gemeinsam Entscheidungen treffen. Ausrüstungsfragen klären. Es angehen. Oder andere Wege suchen.

Sowas bildet sich manchmal in Kennedy Medows.

Ich bin davor geflohen, weil ich glaube, mich nicht zumuten zu können. Zu langsam, zu gestört, zu kompliziert.

Nun stehe ich da. Ich kann einfach nicht auf Dauer mit mir alleine sein. Ich brauche die Kontakte als Bestätigung, das ich o.k. bin. Kann man sowas annehmen lernen? Das man andere benutzt? Benutzen muss? Ich finde das widerlich.

Lake Arrowhead

Gestern ging es bei mir zwar nicht auf dem Weg, aber emotional bergab. Es fühlt sich so fremd an, hier zu sein, rausgerissen aus dem geographischen Zusammenhang wie aus den wenigen, etwas näheren menschlichen Kontakten, die ich gehabt hatte. Ich stelle meine oft spontan getroffenen Entscheidungen dann immer wieder in Frage und damit mich selbst. So erging es mir gestern. Die PCT Hiker, die ich unterwegs traf, erinnerten mich an die Leichtigkeit, dem Vertrauen ins Leben, von denen ich so gerne so viel mehr im Leben hätte. Vergleiche…. Das hatten wir schon, das Thema, oder?

Ein Sitzbad im traumhaft schönen Fluss tat zwischenzeitlich gut und ich schöpfte wieder Hoffnung, zumal Paul, ein Anwohner, vorbei kam, ein paar Worte mit mir wechselte und mir Wasser schenkte. Sowas tut mir einfach gut.

Aber kaum war ich wieder auf dem Weg, ging es wieder los. So entschloss ich mich umzukehren, um einfach nach Ablenkung zu suchen. Ich fand ein Touristennest namens Lake Arrowhead und bin in einer Lodge abgestiegen. Ist alles zu teuer hier, muss also weg. Genau gesagt in 29 Minuten. Mal sehen, wohin es mich heute verschlägt.

Emotionale Abstürze

Lest besser nicht weiter….  Ich will den Scheiß auch nicht mehr hören.

Gerade jetzt erinnere ich mich an dieses Kraftsatz, den ich in der Klinik in Uffenheim in einem spirituellen Ritual erarbeitet hatte: „Ich will den Scheiß nicht nehr hören!“

Viellecht hilft er mir weiter, was immer ich heute noch mache.

Ich liege im Bett der Saddleback Lodge in Arrowhead Lake. Ich musste gestern fliehen vor meiner Einsamkeit und den Kritikern, die in mir wüteten. Im Laufe des Nachmittags fühlte ich mich immer falscher in meiner Welt und auf den Weg, mit meinen Entscheidungen, dem Wegrennen vor dem einen in den anderen Schmerz. In der Hoffnung auf Menschen, Bier, was Gutes zu essen, wendete ich die Laufrichtung, versuchte zu trampen, wobei erst das dritte Auto aus der Einöde bereit war, mich mitzunehmen. Hier sollte es live Rockmusik geben, das hatte mir am Nachmittag Paul erzählt. Die war schon vorbei. Der Ort ist ein künstlicher Touristenort. Die Lodge ist schön, hat aber sonst ganz andere Gäste. Es ist noch teurer als sonst in Kalifornien. Hier kann ich nicht bleiben. Weiß nicht, wohin.

Moose Inn Menschen

Donnerstag, 1.Juni 2017
Mein Weg sollte mich heute nach Fawnskin führen. Fawnskin ist ein kleines, gemütliches Ferienörtchen auf der gegenüberliegenden Seeseite von Big Bear Lake. Von hier führt eine Dirt Road zu der Stelle des Trails, an dem ich ihn nach meinem Sturz verlassen hatte.

Aber etst mal zum Anfang:
Ich brauchte nur ca. 10 Min um zur Bushaltestelle in Lake Isabella zu kommen. Der Busfahrer kannte seine kurvige Strecke, so viel ist sicher. Er fuhr so geschmeidig, rasant, aber sicher nach Bakersfield, dass es eine wahre Freude war dabei zu sein – fast wie im Karussell. Ich als Ortsfremde hätte ihm wohl kaum mit dem Motorrad folgen können. Der Amtrak Bahnhof hatte nur ein paar Snacks zu bieten, so nahm ich die einzige Frühstücksgelegenheit wahr, die sich in der Gegend anbot: Ein Merriot Hotel. Es war ein echter Genuss. Selbst in meiner Wanderkleidung kam ich mir willkommen vor und es war rundrum lecker.

Der Bus nach Los Angeles kam glücklicherweise pünktlich an, so war es kaum ein Problem, den dortigen Anschlusszug nach San Bernadino zu bekommen. Die Fahrt dauerte über zeei Stunden, aber aus der Stadt kam man nicht wirklich raus, die Strecke war durchgehend mit Gebäuden umsäumt. Bis dahin hatte also alles wunderbar geklappt. Aber der Mensch, den ich in San Bernadino nach der Bushaltestation fragte, schickte mich zu einer falschen. Mir kam das Schild auch merkwürdig vor, so fragte ich beim Fahrer eines ankommenden Busses nochmal nach, der mich zwar auf die andere Straßenseite schickte, aber leider nicht zur richtigen Haltestelle. So durfte ich über fünf Stunden auf den nächsten Bus warten, die ich mit Einkaufen, Verschicken eines Paketes und der erfolglosen Suche nach einem Handygeschäft verbrachte.

Statt um 14:30 Uhr kam ich also um 19:30 Uhr in Fawnskin an. Ich war so müde! Zudem war mir unterwegs eingefallen, das ich vergessen hatte, mir eine neue Gaskartusche zu besorgen. Der kleine Laden hatte nur große, viel zu schwere Dosen. Was tun? Ramensuppen kalt essen? Es musste eine Entscheidung her, aber erstmal brauchte ich dringend eine Toilette. Die Verkäuferin schickte mich zu einem öffentlichen Parkplatz, aber unterwegs leuchtete mich ein Barschild ‚open‘ an.

Ich war in der Moose-Bar gelandet, die sofort einen so gemütlichen Eindruck machte, dass ich dachte, hier könnte ich mich auf Dauer wohlfühlen. Ich wurde auch gleich freundlich angesprochen und so offen, wie ich es hier in den USA bin, habe ich auch gleich von meiner Not erzählt, in der Hoffnung, irgendjemand habe eine Idee, wie ich vielleicht noch in die Stadt kommen könne. Das zwar nicht, aber alle dachten darüber nach, wer so etwas haben könnte und der wurde angerufen. Inzwischen war ich am Tisch von Janna, Mick, Dave und Patty aufgenommen worden, von irgendwo kam ein vegetarisches Essen, dazu ein Bier und ein großes Glas Wasser. Ich wurde eifrig befragt, erfuhr aber auch viel. So, nur z.B. dass Janna eigentlich Holländerin ist und morgen Geburtstag hat, Mick Engländer ist und am Morgen noch in Düsseldorf war, Dave alles über den PCT weiß und Ehemann von Lonie ist, die den Bardienst übernommen hat, und Patty schon viel über den Camino de Santiago in Erfahrung gebracht hat und darüber nachdenkt, ihn zu entdecken. Es war so ein netter Abend und es tat so gut, mich so willkommen zu fühlen. Mick setzte sich kurzerhand ins Auto und kam mit seiner Notfallausrüstung zurück: Instantsuppen, Wasser, Getorade und: Eine Gaskartusche! Welche Notfälle? „Schnee, Waldbrand,… Trump?! Man wisse ja nie!“ Schließlich wurde ich ungezwungen und freundlich eingeladen, die Nacht bei Dave, Lonie, Earl (freundlicher Hund) und Tiger (vorsichtige Katze)…zu verbringen. Habt Dank!!!

Liebe Menschen in der Moosebar: Ich kann Euch gar nicht sagen, wie viel Wohlwollen und Willkommensein ich hier bei Euch erlebt habe. Freunde und Gemeinschaften, die sich wohlfühlen, tragen einander und andere. Das habe ich hier deutlich gespürt. Ich danke Euch für diese Erfahrung und Danke für Eure Wertschätzung und Eure gute Wünsche, die mich jetzt auf meinem weiteren Weg begleiten. Big Bear und seine offenen, herzlichen, hilfsbereiten Menschen wird mir in besonderer, warmer Erinnerung bleiben!

Dieser unglaublich schöne Abend war die Folge eines unnötig verpassten Busses, einer eigentlich ärgerlichen Vergesslichkeit und eines dringenden menschlichen Bedürfnisses.

Das Leben hat so viel zu bieten.

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Nachtrag:

Am Morgen wurde ich von Dave und später von Lonie noch verabschiedet mit der Aufforderung, mich zu melden, wenn ich Hilfe brauche. Darauf musste ich dann auch leider gleich zurück kommen. Ich war schon unterwegs, als ich feststelle, dass mir mein Hut fehlte. Also zurück! Leider war er weder beim noch im Shop und die Bar war geschlossen. So musste ich Lonie um Hilfe bitten, um in der Bar danach zu suchen. Leider ohne Erfolg. So bekam ich einen Hut von Dave geschenkt, den er nicht mehr brauche und der meinem sehr ähnlich ist. Er gefällt mir sehr, sehr gut. Und meinen Dank für diese Menschen weiß ich echt nicht mehr in Worte zu fassen.