Woanders.

Nun ist es passiert. Wie im Tunnel habe ich den Rückflug organisiert und gebucht. Starte morgen früh um 6 Uhr mit dem Bus und komme am 16. in Frankfurt an.

Habe mir keine Chance mehr gegeben, mich wieder einzufühlen ins Laufen auf dem PCT.

Die Gewohnheit ist weg. Die Vorstellung fremd.

Ich bin traurig.

Und, wie gewohnt, fühlt sich auch diese Entscheidung wieder so falsch an.

Aber ich brauche mehr Hilfe, als ich von den Menschen hier zu nehmen bereit bin.

Ich werde das Draußensein so sehr vermissen. Und das Draußenschlafen.

Aber ich konnte mich eben meiner Angst nicht stellen.

Es geht woanders weiter.

Genesung verschoben.

Oder eben: Ortswechsel verordnet.

Morgens…

…ist einfach meine beste Zeit.

Nach der deutlichen Abkühlung und dem Sturm in den Bergen gestern (hoffentlich war es für die Wanderer da oben nicht so schlimm, wie ich es mir vorstelle) ist die Luft heute angenehm frisch.

Genauso ergeht es mir mit dem Denken und Fühlen: Ich habe frische Ideen und die Angst ist wie die Dunkelheit – sicher da, aber woanders.

Es wäre gut, mit dieser Stimmung laufen zu können.

Bald vielleicht wieder!

Zum Verständnis: Schneeverhältnisse

Wir sind hier in Bishop ca. in Höhe von PCT Meile 850.  Hier geht es bis über 11000 Fuß hoch.

Zwischen Meile 1400 und 1500 gibt es ein Stück unter 6000 Fuß Höhe. Oregon ab Meile ca. 1700 wäre auch meist bei ca. 6000 Fuß, ist aber weiter nördlich.

Der Treffpunkt mit Susi und Tine wäre bei Meile 2100, Grenze zwischen Oregon und Washington.

Zurzeit gilt noch: Ab 5000 Fuß: Schneefelder,  ab 6000 Fuß Schneedecke. Es schmilzt aber.

So versteht Ihr besser, dass es so schwer ist, zu entscheiden, wohin

Warten ist teuer und macht rammdösig. Mache ich schon viel zu lange.

Mein Handy

Ich hatte damals kurz nach meinem Sturz schon darüber nachgedacht, wie es wäre, die Internetverbindung aus zu stellen. Zu oft hahe ich danals schon auf das Verbindungssymbol geschaut und ob ich vielleicht eine Nachricht bekommen oder einen Anruf verpasst habe.

Mittlerweile habe ich das Gefühl, ich kann nicht mehr ohne Handy sein. Ständig ist es in Benutzung. Ich google nach Verbindungen, gehe shoppen, halte mit Euch Kontakt, schaue nach der Trailapp und versuche, Informationen zu bekommen, wie es denen ergeht, die unterwegs sind in der steilen, verschneiten Sierra, für die ich zu feige bin.

Das Handy muss 2x täglich geladen werden. Gut, es hat ein großes Display und einen schnellen Prozessor, aber trotzdem zeigt das doch, wie oft es in Benutzung ist.

Und ich habe schon ein bisschen Grummeln im Bauch, wenn ich an die Wanderung nach Kennedy Meadows denke. Da werde ich kein Internet haben. Keine Möglichkeit, mich meiner Freunde zu versichern. Keine Möglichkeit, mich mitzuteilen.

Was bedeutet dieses Ding also wirklich für mich?

Ist es eine Art Freundesersatz?

Nein. Wäre das Handy kaputt, könnte schnell ein Neues da sein und es ersetzen.

Bei meinen Freunden ist das definitiv nicht so :-))

Aber es hilft mir. Nicht nur bei der Informationsbeschaffung. Es hilft mir, indem es mich ablenkt. Es hilft mir, indem es mir bestätigt, dass ich Kontakt habe.

Mit Euch.

Bishop

Ich bin gestern Morgen dort am Rande des PCT aufgewacht und wusste, dass ich nicht nach Kennedy Meadows wollte. Ich wollte umkehren und tat das auch.

Meine Idee war, mit Matthias zu reden, der einen Teil der High Sierra durchquert hat und sich nach diesen Erfahrungen dort auch mit Abbruchgedanken trug. Er hatte nichts dagegen, also habe ich mich auf den Weg gemacht. SEHR viel Glück beim Trampen ermöglichten es mir, die ca. 160 (!) Meilen nördlich entfernte Stadt um ca. 10 Uhr erreicht zu haben.

Bishop ist ein Touristenziel. Was genau hier diese Stadt den Reisenden bietet, ist unklar, aber es könnte mit der Lage zu tun haben:

Nun bin ich also hier und habe ein bisschen Abstand von der Schwere der zu treffenden Entscheidungen.

Aber ich weiß, die holt mich schnell wieder ein.

heyhouwayougoin?

„1,9 miles behind Walker-Pass“, sagt die App. So weit bin ich gekommen. Auf einem Stein hier an kleinen Bergkamm mit überwältigender Aussicht saß ‚Double‘ und frug mich das übliche „heyhouwayougoin?“. Es klang so gar nicht desinteressiert wie üblich, also sagte ich ihm, dass ich mich gerade vom PCT verabschiede. Nach paar Sätzen bekam ich eine warme Umarmung geschenkt. Ich ging weiter, fühlte aber deutlich, eigentlich nicht alleine sein zu wollen, und kehrte um. Ob ich bleiben dürfe? Klar! So schauten wir gemeinsam den Sonnenuntergang an und teilten uns Musik über einen Splitter am Kopfhörer. Nun liegen wir ca. 5 Meter voneinander entfernt, machen Cowboycamping bei Vollmond und sternenklarem Himmel. Der Wind bläst. Es ist kühl. „All right…“ sagt John, 27 Jahre alt, und wünscht mir auch eine gute Nacht. Und dass ich einen Weg finden möge, mit meiner Einsamkeit klar zu kommen.

Danke.

…und ich hör‘ noch ein bisschen Musik vom Wind in den Bäumen.

Auf Wiedersehen?

Es ist ca. 15 Uhr Ortszeit. Meine beiden Freunde haben sich noch nicht mal verabschiedet. Ich bin alleine unter Vielen.

Bei der Entscheidung zum PCT spielte eine Rolle, dass ich dachte, hier sei ich nie so richtig alleine. Das stimmt zwar, leider fühle ich mich hier so schrecklich einsam, das es trotz dieses wunderbaren Weges mehr und mehr zur Qual für mich ausartet. Ich bin alleine und das ist hier, kurz vor Kennedy Meadows, wo alle in Paaren oder Gruppen ankommen und gehen, besonders schmerzvoll für mich. Will nicht ‚Hiker‘ sein, sondern ‚Karin‘. Will willkommen sein, nicht geduldet. Ich will all diese Entscheidungen, die jetzt getroffen werden müssen, nicht alleine treffen. Wohin springen, in welche Richtung gehen, was mitnehmen, was kaufen, was wohin schicken? Ich habe mich und meine Ratlosigkeit satt, halte es nur mit Telefonaten nach Hause noch mit mir aus.

Ich werde wohl heute wieder auf den Trail gehen. Um ihn nochmal zu spüren. Um mich zu bedanken. Um mir vielleicht noch eine Chance zu geben. Wahrscheinlich, um mich zu verabschieden.

Damit die Qual ein Ende hat.

Und mich die Leichtigkeit wieder besuchen will.

Guter Tag – Donnerstag, der 8. Juni

Es ist 21:52 Uhr. Ich liege im Cowboycampingbett, die Grillen zirpen.

Ein guter Tag liegt hinter mir.

Schon morgens fühlte ich mich besser beieinander. Ich hatte Lust auf Kaffee und bin früh losgezogen. Das Frühstückslokal war mit Wanderern überfüllt, sodass sie sich irgendwann sogar an meinen Tisch setzen mussten und ich zu einer kleinen Unterhaltung kam. Richtig gut war es, Hunger zu spüren: Nachdem die Lust auf ’süß‘ gestillt war, gab es noch Rührei mit Bratkartoffeln und Ketchup.

Ich war morgens ein bisschen einkaufen und dann wieder am Campingplatz, habe mittags dem leckeren Burrito genossen und bin nachmittags dann alleine mexikanisch essen gegangen. Da habe ich den Vogelkundler wiedergetroffen, der mich neulich beim Trampen mitgenommen hatte und wir haben uns eine ganze Weile lang nett unterhalten – soweit das mit meinem mangelnden Englisch möglich war.

Dann habe ich noch richtig viel Geld für meine Ernährung ausgegeben: Es gab Protein- und Ekektrolytepulver, sowie Mandelmus.

Zwischenzeitlich ein Telefonat mit zu Hause und liebe Emails…: Wellness für die Seele!

Zurück auf dem Campingplatz gab es ein völlig überraschendes Wiedersehen mit Rene und Randy: Was für eine Freude! Den Texaner Randy habe ich ganz am Anfang mit seiner Schwester in San Diego getroffen. Und Rene aus Deutschland begleitet ihn, nachdem diese Schwester verletzungsbedingt eine Pause machen musste. Habe die beiden vor einer ganzen Weile mal in Hikertown und Big Bear getroffen und mich so richtig gefreut, sie wiederzusehen. Abends sind wir noch ein Bier trinken gegangen und ich werde nicht morgen früh den Bus zum Walker Pass nehmen, sondern erst mit ihnen frühstücken gehen.

Man muss die Feste feiern, wie sie fallen!