Entscheidungen

Nach fast einer Woche breche ich morgen wieder auf aus Tehachapi. Ich tue mich so schwer damit. Und da ist die Schwere des Rucksacks (für 6-7 Tage Essen plus 3 – 4 l Wasser) nur eine nette bildliche Parallele.

Ich habe so viel Zeit hier verbracht, dass ich mich in der Gruppe der Wanderer noch fremder fühle, meine ‚Bekannten‘ sind weg.

Der Schnee in den High Sierras bringt die Menschen auf die verschiedendsten Ideen, was sie denn machen können oder wollen – und sie tun es.

Ich habe mich noch immer nicht entschieden. Nein, ich muss mich nicht gefährden oder quälen mit Kälte, nassen Füßen, Schnee – wo mir die Steigungen bei bestem Wetter alleine doch vermutlich schon Herausforderung genug wären. Aber was soll ich stattdessen tun?

Dass mir die Entscheidung so schwer fällt, hat viel mit meinem Gefühl der Einsamkeit zu tun. Ich kann es schlecht aushalten. Im Gefühl, als „Mensch Karin“ herzlich willkommen zu sein, ist eine ganz tiefe Sehnsucht verknüpft: Dass ich in Ordnung bin, willkommen auf der Welt. Dieses Gefühl, das sogenannte „Urvertrauen“, ist bei mir grundsätzlich nicht vorhanden. Ich versuche es im menschlichen Kontakt zu finden. Fühle ich mich einsam, verliere ich den Halt, die Angst vor dem „Verlorensein“ drängt sich in den Vordergrund. Kaum ein Mensch kann sich vorstellen, wie sich das anfühlt. Wenn ich auf mehr als einen mir unbekannten Menschen treffe, fühle ich mich fast automatisch überflüssig und neige zur aktiven Flucht: Lieber alleine sein, als zu viel. Zu viel sein bedeutet ‚Last‘ sein. Noch weiter entfernt zu sein von dem Gefühl „zu Hause“ zu sein und noch näher am Schmerz der unerfüllten Sehnsucht danach.

Ja, ich hoffe auf den Trost des Weges. Hoffe, er möge mich irgendwie dazu führen, Halt in mir selbst zu finden.

Die Situation, Entscheidungen treffen zu müssen, und damit Fehler zu machen, ist deshalb so schlimm, weil die kritischen inneren Stimmen zur allgemeinen Verunsicherung verstärkend hinzukommen. Das alles zusammen glaube ich, nicht aushalten zu können. Und hoffe, dem durch kluge Entscheidungen zu entgehen.

Dabei stellt sich meistens erst später heraus, ob und für was eine Entscheidung gut war, oder nicht. Und auch dann muss man sie akzeptieren, wie sie ist. Könnte ich ja auch schon vorher tun.

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Was soll dieses Bild hier?

Ich mag diese alten Autos. Ich freue mich, sie zu sehen. Irgendwann abgestellt warten sie auf viel Liebe, Know how oder die Blechpresse. Egal.

Jetzt sind sie da und erfreuen mich.

Ich sehe im Moment diesen Baum. Höre Kojoten heulen. Hunde dazu bellen. Grillen zirpen. Spüre die Kühle des Abends.

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Geht Zufriedenheit auch ohne das?

Ist diese Fähigkeit wirklich erstrebenswert?

Oder nur ein billiger Trost?

Ruhe

Ich lasse mir Ruhe. In diesem Moment. Sitze auf der Treppe, in der Sonne. Jetzt im Moment mag ich es, sie auf meiner Haut zu spüren, auch wenn sie sich in diese zu brennen scheint. Höre, ganz in der Ferne, diesen Zug durch Tehachapi hupen. Fühle mich richtig hier. Raus aus der Stadt. Keine Rolle, keine unerfüllten Ziele. Keine Zeitpläne. Keine Trägheit.

Ruhe.

Selten schöner Augenblick.

Partnermassage

Seit meiner letzten Partnermassage sind nunmehr fünf Tage vergangen. In der Langsamkeit der Fortbewegung und der Fülle des Erlebens kommt mir es vor wie eine Ewigkeit.

Er kam einfach auf mich zu und schon das alleine freute mich sehr. Sein Schritt wirkte dabei leicht, fast lässig aber auf jeden Fall selbstbewusst und zielsicher. Sein Ausdruck machte auf mich Eindruck und sein Auftritt wirkte deutlich mehr von Neugierde geprägt als von Erwartung. Es dauerte nicht lange bis wir wussten, was uns beiden gut tut: Ich empfand alleine seine freiwillige Anwesenheit als ein Geschenk des Augenblicks: Seelenmassage. Und ihm gefiehl offensichtlich meine Art, ihm den Nacken zu kraulen. Er schien es sehr zu genießen, streckte sich aus, machte sich lang, blieb und blieb.

Und er schaute mir lang nach, als ich ihn verließ.

Wir taten uns – einfach – gegenseitig gut. Ungeplant, im richtigen Moment, das Richtige tun: Ein unbezahlbares Geschenk.

Euch ist sicher schon klar, das es kein Mensch war… und ich weiß noch nicht mal, ob es ein „er“ war – aber Eure Neugierde habe ich damit sicher geweckt.

Es war eines der Pferde in Agua Dulce, das mir dieses schöne Erlebnis geschenkt hat. Ein brauner Araber.

Leichte Langsamkeit

Was für ein toller Tag!

Eigentlich war ich nach einer erstaunlich gut durchschlafenen Nacht im Hikerheaven um 6 Uhr schon komplett fertig und hatte den Rucksack auf dem Rücken.

Aber mir gingen so viele Möglichkeiten durch den Kopf, was ich nun machen könnte. Mich zurück nach Whrightwood fahren lassen, um einige der verpassten Strecken nachzuholen, rückwärts laufen oder vorwärts?

So verging die Zeit, die ich unter anderem in einem intensiven Gespräch über den PCT mit Trialangel „Spirit“ verbrachte. Auf meinen Hinweis, das mein Weg sich für mich nicht „ganz“ anfühlt, weil ich so oft gesprungen bin, meinte sie: „But it is a complete experience“. Und damit hat sie Recht.

Irgendjemand schlug vor, frühstücken zu gehen. Gute Idee!!! Pancakes und Kaffee.

Gegen 10:30 Uhr war auch das erledigt und ich bin nach links gegangen.

Links bedeutet, ich habe mich dafür entschieden, weiter voran zu gehen.

Die anderen sind noch nicht so weit, sie machen sich später oder morgen auf den Weg.

8,7 Meilen bis zum Wasser. Meist bergauf.

Ich habe mir viiiiiiel Zeit gelassen. Unglaublich, wie langsam ich sein kann. So viele waren es nicht, die mir begegnet sind, aber mit jedem, der wollte, habe ich mich unterhalten.

So z.B. mit den Helfern eines Berglaufs, die mir Wasser anboten und das letzte Stück selbstgemachten Bananenkuchen schenkten.

Ich war herrlich einsam und habe es so sehr genossen. In der Mittagshitze geht eigentlich niemand gerne und schon gar nicht von Hikerheaven weg. So hatte ich den Weg nahezu für mich alleine. Niemand, mit dem ich mich vergleichen und an den ich mich abwerten konnte.

So habe ich mit Euch Kontakt gehalten, die Aussicht bestaunt und die Pflanzen und Tiere am Wegesrand wahrgenommen.

Da war z.B. ein Moment, in dem beim Vorbeilaufen ein intensiver, würziger Duft meine Nase weckte und ich herausfinden wollte, wer denn der Verursacher war. Es handelte sich bei einer Handvoll möglicher Täter um dieses Kraut hier:

Und ich habe sogar eine richtige Mittagspause gemacht!

Die Quelle erreichte ich um ca. 16:30 Uhr und es dauert ein Weilchen, bis man Wasser für den Sofortdurst und die nächsten 15 Meilen gefiltert hat. Ich war also echt spät dran. Mit nur 8,7 Meilen konnte ich mich bei diesem herrlichen Wetter und den ausgesprochen entspannten, laufwilligen Beinen aber nicht zufrieden geben.

So hatte ich die Gelegenheit, noch weitere Trialanwohner zu fotografieren:

Gegen 19 Uhr habe ich dann nach ca. 13,2 Meilen (ca. 21 km) diesen Platz zum Zelten gefunden:

Wie für mich gemacht. Und die Sonne hat mich noch bis zum letzten Bissen begleitet: Ich habe mir zum Nachtisch mit Freude, Zufriedenheit und Dankbarkeit das Stück Bananenkuchen auf der Zunge zergehen lassen.

Jetzt.

Im Moment ist morgens meine beste Zeit.

So kann ich im Moment so gut „Ja“ sagen zu meinen Entscheidungen oder der großen Unentschlossenheit, die ihnen vorausgeht oder ihnen folgt.

Ich gehe langsam, sehr langsam, komme kaum voran.

Die Sonne droht mir schon jetzt an, welche Konsequenzen das für mich haben kann oder wird.

Im Moment stehe ich an meiner Seite.

Jetzt.

Was brauchst Du?

Gerade bin ich wieder mal so traurig. Die Sonne strahlt mich von der Seite an, es ist ein guter Weg, Vögel zwitschern und ich heule.

Traurigkeit was brauchst du?

Trost und Sicherheit.

Jemand anders soll das machen.

Karin, weil Du es nicht kannst, weil Du selbst Dich nicht wert genug dafür fühlst. Dein Trost zählt nicht, Sicherheit kannst Du Dir selbst nicht geben.

Einsamkeit, was brauchst du?

Liebe, Trost und Mitgefühl.

Liebe

Mich?

Einsame Abendgedanken

Es ist ungefähr 23 Uhr abends.
lch liege in meinem neuen Zelt. Es ist kalt, vielleicht zu kalt.

Ich kann nicht richtig schlafen, immer wieder wache ich auf und grüble. Über was, kann ich gar nicht sagen. Meine Kleine sucht nach Halt und Sicherheit, hat Angst. Angst vor mir und meinen Gedanken. Angst vor morgen. Angst davor, unterversorgt zu sein an allem, was eine Kleine braucht: Liebe, Nahrung, Sicherheit, Geborgenheit, körperliches Wohlbefinden. Ich, die Große, will sich nicht kümmern. Irgendwie fühlt die sich gerade so klein an, dass sie es selbst nicht kann.

Morgen geht es erstmal runter auf 6600 Fuß, also ca. 2200m. Dann innerhalb von vier Meilen wieder rauf auf 2866m zum Mount Baden-Powell. Da es ja in den letzten Tagen geschneit hat, können das sehr anstrengende Meilen werden. Ich weiß nicht, was mich erwartet und wie es mir ergehen wird. Das nächste Wasser ist in ca. 3 Meilen. Da muss ich mich für die nächsten acht Meilen und den Berg versorgen.

Agua Dulce, die nächste Versorgungsstation ist nur 70 Meilen entfernt. Unter normalen Bedingungen sind das ca. vier Tage, aber ich traue mir selbst nicht. Meine Nahrung wird hoffentlich ausreichen, wenn meine nächtliche Beschäftigung bei Schlaflosigkeit, nämlich essen, nicht noch weitere Ausmaße annimmt.

Ich schäme mich für mich.

10. Mai 2017 – Teil 2

Wie es weiterging….

Ich habe „Detour“, dem einen der freundlichen Feuerengel, zum Abschied zugewunken, der noch im Eingang seines Zeltes rumlümmelte, und habe mich gegen 7:00 Uhr auf den abfallenden Weg zum Highway 2 gemacht. Mein Körper hat eindeutig zu mir gesprochen: Die kommende Steigung von steilen rund 400 Höhenmetern wollte er nicht schonwieder leisten, zumal der PCT den Highway im Verlauf mehrfach kreuzen würde. Da dieser aber kaum befahren ist, ist ein Hitchhiken nicht erfolgsversprechend, weshalb ich mich zu Fuß auf den Weg machte.

Nach rund 500m hatte ich aber mal wieder Glück:

Ich habe inzwischen echt viele Höhenmeter und PCT km ausgelassen, ich könnte mich schon jetzt nicht mehr als „Thruehiker“ bezeichnen, selbst wenn ich die High Sierra überqueren könnte… egal.

Beine und Füße waren in guter Stimmung, zumal die Strecke prima zu laufen war und sich die 480 Höhenmeter prima im Verlauf und im Wegverlauf versteckten.

Nachmittags erfuhr ich, das Ludo erneut gestürzt war und den PCT beenden würde. Zu ihm hatte ich großes Vertrauen, er sprach mir oft Mut zu und hat mich, z.B. nach dem Sturz, tröstend in den Arm genommen. Seine Heimreise tut mir somit doppelt leid – für ihn und für mich.

So kam ich auf die spontane Idee, ihn zum Abschied im Krankenlager zu besuchen. Keine Ahnung habend, wo ‚Palmdale‘ liegt, nahm ich nach 15 Meilen den erstbesten Hitchhike mit zwei Mexikanern in einem echt heruntergekommenen Pickup. Die Entfernung stellte sich als unerwartet weit heraus, wir fuhren bestimmt eine Stunde, zumal die zwei auch noch halten und nach dem Weg fragen mussten. Zum Abschied warnten sie mich noch, ich solle auf mich aufpassen, nicht alle Menschen seien gute Menschen. Geld nahmen sie natürlich auch nicht… „God bless you“ riefen sie mir noch zu…

Ludo hat sich echt gefreut! Ich durfte erstmal duschen, dann sind wir schön essen gegangen. Das halbe Bett hat mich nichts außer Mut und Vertrauen gekostet und ich werde diesen Ausflug ins Leben hoffentlich niemals vergessen.

Zurück gekommen bin ich mit einem Trialangel. Sie hat mich zu einem Campingplatz gebracht, auf dem ich schon wieder den ganzen Tag relaxe… und der nur 10 Meilen von Auga Dulce, der nächsten Resupply Station entfernt ist. Ich habe also erneut Meilen und Höhenmeter ausgelassen…. schäme mich zwar, frage mich, was ich alles verpasst habe, was ich hier eigentlich tue und ob ich nicht strenger mit mir sein sollte…. Aber jetzt, in diesem Moment, fühle ich mich ganz gut.

Geht es nicht darum?

10. Mai 2017 Teil 1 – das Original

Es ist die Nacht zum Mittwoch, 10. Mai, 1:30 Uhr

Nach nur 10 Meilen habe ich gestern hier Rast gemacht, weil es angedroht war zu regnen und auch schon einige Tropfen runter gekommen waren. Es ist ein Campingplatz mit Sitzbänken und Feuerstellen und Plumsklo. Hatte mich abseits gestellt, damit ich bei Schlaflosigkeit oder seniler Bettflucht nicht so viele andere störe, aber es kamen mehr und mehr und ich habe recht enge Nachbarn bekommen.

Ich war gut in den Tag gestartet. Hatte wieder das Gefühl, neugierig in ein Abenteuer zu starten. Die Steigung bis zum Schnee ging auch ganz gut zu laufen, auch hatte ich mir beim Wasserholen einen Kaffee gemacht, mir also etwas gegönnt.

Im Verlauf konnte ich dann aber das wachsene Gefühl der Kraftlosigkeit so schlecht annehmen. Habe nur lächerliche 10 Meilen geschafft, obwohl ich praktisch 10 Stunden unterwegs war. Ja, klar, ich habe doch keinen Zeitplan, aber einerseits bin ich von mir so enttäuscht, und andererseits muss das Futter ja ausreichen…. Der Mut für die nächsten Etappen schwindet dann auch, sowie die Hoffnung, die anderen (Tine, Trish, Roland, Susi, Ludo, Chealsy) jemals wieder einzuholen.

Ich habe meine Traurigkeit und meine Hilflosigkeit meinen entwertenden Gedanken gegenüber mit auf meine Reise genommen. Das ist ja auch gut so, wie soll ich denn sonst lernen, irgendwie damit klar zu kommen, aber momentan leide ich eher wie üblich darunter, statt zu lernen. Die Etappe empfand ich als eklig anstrengend. Auf dem Höhenprofil sieht man nur die Linien und Zahlen; die Schneemengen, den zugeschneiten Weg mit abenteuerlichen, steilen Umwegen, die nassen Füße, die ständige Konzentration auf fast jeden Schritt und die häufige schlichte Atemlosigkeit sieht man nicht. Auch nicht die Enttäuschung, wenn man leichtfüßig überholt wird. Ja, ich weiß, Vergleiche soll man lassen. Haha.

Was man aber auch nicht in der App sieht, sind die phantastischen Ausblicke. Der PCT verläuft oft an Gratlinien, so auch heute: Man sieht rechts und links in zwei verschiedene Abhänge. Unvorstellbar beeindruckend.

Bergab haben sich dann die Knie gemeldet und auf das Tempo gedrückt. Und das drohende Wetter, von unten heraufziehende Wolken, konnte ich als Flachlandindianer auch nicht einschätzen. So habe ich mich zur frühen Rast entschieden.

Ich bin zur Zeit traurig und fühle mich einsam. Aber das gehört zu meinem PCT halt dazu.

Es hat nicht geholfen, mich zum Essen zuzumuten und mich zu einen Päärchen an den Tisch zu setzen, das sich als deutsch herausstellte. Ihre Zweisamkeit fütterte meine Einsamkeit.

Geholfen hat dann mein Platzwechsel zu den zwei Sectionhiker, die ich heute oft gesehen hatte und die ähnlich langsam waren wie ich. Sie hatten ein Feuer angemacht und ich konnte meine Schuhe trocknen. Ein bisschen konnte ich mich auch unterhalten, auch wenn es mir leid tut, nicht besser englisch sprechen zu können.

Ich habe mich also zugemutet. Geht doch. Und morgen ist ein neuer Tag. An dem ich meinen Gefühlen vielleicht etwas mutiger entgegentreten kann. Damit auch die positiven ihren Raum haben, im Chor präsent zu sein, dort Angenommensein und Wertigkeit, Kraft und Leichtigkeit zu leben.

Gute Nacht, Karin.