Nach Whrightwood 1

Mein Weg

Ich habe mich entschieden. Ich fahre mit dem Bus und überspringe die Meilen zwischen Big Bear und Whrightwood.

Ich sitze also im Bus. Casimo sitzt vor mir. Bin schon ein bisschen froh, ihn getroffen zu haben: Er ist auch auf dem PCT und nimmt heute denselben Weg wie ich, so kann ich mich an ihm orientieren. Andererseits hätte ich mein persönliches Busreisenabenteuer auch gerne selbst in die Hände genommen.

Casimo hat mir gerade aus dem Bus heraus den Verlauf des Trails erklärt, der unseren Highway kreuzt, ich sehe in die Berge und ich bin traurig. Hätte ich mich doch anders entscheiden sollen?

Wo so oft zweifle ich an meinen Entscheidungen.

Lernen:
Ja sagen.
Zu mir stehen.
Karin das ziehen wir jetzt durch.

Langeweile

Draußen ist es eklig kalt und diesig. Wir liegen schon seit Stunden hier rum, pflegen unsere Blogs, essen frische Erdbeeren zu ‚Tuna Jerky‘, getrockneten Thunfisch. Es ist langweilig. Und die spanische Familie von nebenan mit ständig heulenden Kleinkindern und laut schimpfend klingenden Eltern wirkt auch nicht gerade belustigend.

Eigentlich fühle ich mich fit und könnte morgen wieder auf den Trail. Aber diese Wettervorhersage will einfach nicht besser werden:

Matthias will morgen wieder los. Ich bin weich…. traue meiner Ausrüstung nicht, weiß nicht, ob ich nicht frieren werde. Andererseits ist es hier langweilig. Alles ist eingekauft, was benötigt wird. Und jeder „Zeroday“ ist teuer.

Wenn man erst mal auf dem Trail ist, gibt es eigentlich kein Zurück. Die spärlichen Dirtroads sind kaum befahren und wo sie hinführen ist nicht klar.

Es fährt ein Bus nach Whrightwood, der nächsten, rund 100 PCT Meilen entfernten Stadt, wo auch mein neues Zelt auf mich wartet.

Fünf Mal umsteigen, sieben Stunden Fahrtzeit. Und mir würden 100 Meilen PCT einfach fehlen.

Andererseits würde ich meine Wanderkollegen vielleicht wieder treffen.

Andererseits widerum diejenigen nicht treffen, die ich jetzt vielleicht kennenlernen könnte.

Ich will also nicht:

  • Mehr hier rumhängen
  • Frieren
  • Meine Kontakte verlieren
  • 20 Meilen laufen, die ich schon kenne
  • Den warmen, bequemen Raum verlassen
  • Meilen überspringen
  • Den für 6 Tage schwer bepackten Rucksack schleppen…
  • Sieben Stunden Bus fahren
  • Mich bei schlechtem Wetter auf mein Zelt verlassen müssen… (siehe nächster Beitrag)

Weiß irgendjemand, was ich will?

Wenn ich ja wüsste, dass alles gar nicht so schlimm ist…. Würde ich mich auf das Abenteuer „schlechtes Wetter“ vielleicht einlassen. Es verletzt die ‚Truehikerehre‘, so viele Meilen einfach zu überspringen. Aber Busfahren ist ja auch wieder so eine Art Abenteuer…..

Wie gut das tut

Gestern habe ich erst mal ein Bad genommen. Ich glaube, kein Mensch, der nicht schon mal Ähnliches erlebt hat, kann sich vorstellen, wie dreckig man nach nur 1,5 Tagen auf dem Trail sein kann. Aber es war nicht nur der Staub, den ich mir da von Körper gewaschen habe: Ich habe immer wieder den Eindruck, ein Teil der erlebten Anstrengung der vergangenen Tage fließt mit einer schönen Körperwäsche von mir ab.

Einfach und wunderbar.

Aber nicht nur das. Gutes Essen tut gut. So war ich frühstücken und habe im Teddy Bear Restaurant Pancakes bestellt und mit Butter und Sirup gegessen.

Dabei habe ich noch Jens getroffen, mit dem ich vor 22 Tagen in Campo gestartet bin. Er gehört zu den Menschen, in deren Nähe ich mich wohl fühlen kann.

Ich habe Wäsche gewaschen. Auch saubere, von Staub, Schweiß und Blut gereinigte Wäsche am Körper zu tragen, ist eine Wohltat.

Und dann kam Matthias hier an, als wenn alles so sein sollte, um mein Erholungsprogramm perfekt zu machen.

Wie lange ich noch bleiben werde, weiß ich nicht. Es ist ein Sturm angekündigt, Schnee und Regen. Dem will ich mich nicht aussetzen.

Habe mich noch nicht entschieden.

Stopp!

Den Weg verloren.
Ärger.
Wut.
Selbst Schuld.
Steinig bergauf.

So kraftlos.
Ärger.
So kraftlos.
An Trialangel Kent gedacht:
Mut geschöpft, Lolli gelutscht.
Weiter, Schritt für Schritt.
Lollistab… wohin?

Stolpern.
Sturz.
Auffangen unmöglich.

Einfach liegen geblieben. Geweint.

Warum? Das? Auch noch?

Blut überall.

Notdürftige Selbstversorgung.

Nur zurück auf den Trail.

Der Trail schützt.

Sofort Hilfe bekommen. Wundversorgung von Matt und Tom. Fachmännisch und beruhigend.

Und „mein“ Schutzengel Ludo kommt auch noch um die Ecke!

So viel Glück gehabt!!!

Jetzt.

Völlig ausgebremst. Kraftlos.

Lernen. Auf mich soll ich hören. An mich soll ich denken. Mich akzeptieren, wie ich bin. Hier sein, mich nicht in Meilenangaben oder Emails suchen.

Auf den Bauch hören, nicht auf den Kopf, sagt Ludo.

Ich höre aber nicht, was der sagt. Oder ich kann es nicht annehmen. Will es nicht haben.

Das lernst Du hier, sagt Ludo.

Ich mag mich ‚langsam‘ nicht.

Will lieber ‚erstaunlich schnell‘ sein.

Stopp.

Und die 8 Meilen bis zum Wasser?

Stopp.

Abschiedsstimmung

Mittwoch, der 3. Mai. 11:30 Uhr.

Ich habe mein Zimmer verlassen und alles gepackt. Der Rucksack ist schwer, für sechs Tage gefüllt.

Tine, Susi und Roland bleiben noch einen weiteren Tag.

Ich verlasse: Sie, mit denen ich gestern beim Biertrinken so viel Spaß hatte und mit denen ich die letzten Tage gewandert bin. Und ich verlasse die gute, stabile Internetverbindung.

Das klingt vielleicht nach einem emotionalen Ungleichgewicht, aber beides stimmt mich traurig. Denn die Möglichkeit, z. B. durch meine Beiträge, Emails oder das ein oder andere Telefonat, Kontakt mit meinen Lieblingsmenschen zu halten, ist mir sehr wichtig.

Es gibt viele dieser Momente, in denen mir es nicht so leicht fällt, mich und die Konsequenzen meines Planens, Denkens und Handelns anzunehmen. Z.B. gestern, als ich feststellen musste, dass ich statt des Zeltes mit dem Namen „Hubba“ ein „Hubba Hubba“ und somit ein zu schweres Zweipersonenzelt, bestellt und geliefert bekommen habe. Ich kann es manchmal immer noch nicht fassen, was ich für einen Quatsch baue – dabei kenne ich mich doch schon soooo lange!

Aber dann sind wieder die wunderbaren Gänsehautmomente, die dagegen halten: Die Menschen. Diese schlichte, entspannte Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft. Die Bereitschaft, zuzuhören und langsam zu sprechen, um Kommunikation auch mit mir zu ermöglichen. Ich bekomme Anerkennung und Zuspruch von wildfremden Menschen in einer Art und Intensität, die ich mir selbst nicht zugestehen kann. So habe ich schon das Wort „goosebomb“ in meinen Wortschatz aufgenommen, die ich so oft im Kontakt mit den Menschen hier bekomme. Und Tränen in die Augen, die bekomme ich auch.

Mittlerweile bin ich wieder am mindestens 20km entfernten Trail angekommen. Gefahren hat mich Damon, ein Angestellter der Lodge – ’natürlich‘ für umsonst. Ich erzählte ihm einfach von meiner Traurigkeit. Es war eine so schöne, warmherzige Unterhaltung, dass wir uns zum Abschied umarmt haben. Seine guten Wünsche begleiten mich nun wie Eure Gedanken, wenn ich mich jetzt, um ca. 13:15 Uhr ab Meile 266 wieder auf den Weg mache.

Bis zur nächsten Stadt Wrightwood habe ich sechs Tage eingeplant. In der Zwischenzeit erwartet mich ein aktiver Waldbrand, der den Trail jedoch nicht direkt berührt, solange der Wind nicht dreht. Und es sind Schnee und Regen vorhergesagt. Dann wird es wohl mit dem Cowboycampen sehr ungemütlich….

Aber zu lernen und er-leben erwartet mich eine Menge!

Auf mich hören und „Ja“ sagen können

Manchmal kommt es vor, das ich sehe, höre, rieche, fühle, was gerade im Moment ist: Knirschen der Schritte, Klappern der Stöcke, Geruch der Nadelhölzer, Kräuter, Schmerzen oder Schmerzfreiheit, den Wind, die Sonne, das unbeschreiblich schöne, intensive Blau des Himmels. Spüren. Auch die Lust spüren, langsam zu sein, alleine, mit mir und meiner Kleinen. Die traut sich dann aus ihrem Versteck, traut mir zu, auf sie aufzupassen. Das sind herrlich schöne Momente ohne Hetze und Gemeinheiten der anderen Chormitglieder, die dann auch schweigen – können. Dieses Schweigen kann ich noch nicht einordnen, nicht dirigieren bzw. selbst hervorrufen. Es ist dieser freundliche, aber bestimmte Grundton: Heiter, beschwingt, vertrauensvoll, herzlich, offen für das, was gerade ist, der die Stimmen verharren und aufeinander hören lässt. Mal sehen, wann ich ihn das nächste Mal treffe.

Verzeihen

Ich liege mal wieder wach. Ich habe sowohl die Sonnen- als auch die Lesebrille verloren und das geht mir nicht aus dem Kopf.

Ich habe schon so Vieles auf dem Trail durch Nachlässigkeit verloren oder kaputt gemacht. Ich scheine nicht zu lernen.

Die Brillen sind vielleicht am Waschplatz. Aber auf einem Bild konnte ich sehen, dass die Brillentasche schon dort offen war. Vielleicht waren sie dort schon weg, gingen unterwegs verloren. Der Rückweg von 10 Meilen einfache Strecke mit reichlich Steigung und schwieriger Flussbettüberquerung wäre vielleicht völlig sinnlos.

Ich bestrafe mich eigentlich gerne und zurück zu gehen wäre eine gerechte Strafe. Strafe ist auch, schon wieder Geld ausgeben zu müssen für Dinge, die ich mir hätte so leicht sparen können.

Ich kann mir einfach nicht verzeihen, bin resigniert, hoffnungslos hinsichtlich meiner Fahrigkeit.

Hier und jetzt gerade

Es ist Mittwoch, der 26. April 7:50 Uhr. Bin in Idyllwild, in einer Lodge und Tine, mit der ich ein Bett teile, schläft noch. Eigentlich würde ich gerne aufstehen. Tine, Trish und Chelsea machen heute noch Pause, ich werde wohl aufbrechen. Es geht jetzt in verschneite Ecken. Wie wird das werden? Alleine…

Die drei haben mich bisher noch immer eingeholt. Das hat seine guten Seiten. Trish ist extrem gut organisiert und hat Trekkingerfahrung. Zudem ist Englisch ihre Muttersprache und sie hat mir nicht nur bem Kauf meines neuen Rucksacks geholfen.

Ich bin auf die neue Etappe noch nicht vorbereitet, weiß nicht, wo und wann es Wasser gibt oder einen Zeltplatz. Auch muss Tine noch ihr Päckchen abholen, in dem auch meine Minispikes für die eisigen Etappen sind. Gestern erzählten sie mir von einem einige alten YouTube Kanal, in dem davon berichtet wurde, das der Trail unter dem Eis nicht sichtbar und somit schlecht zu finden sei.

Andererseits fühle ich mich alleine wohler. Ich sehe, höre, rieche mehr, die inneren Stimmen sind freundlicher. Noch einen Tag einfach hier rumhängen?

Aber auch die Angst, Kontakt zu verlieren, ist da.

Immer wieder Zwiespälte. Wie werde ich mich entscheiden?

Trennung bedeutet auch Offenheit für Neues, Lernen, Erfahrungen, Leben.

Die Kleine

Eine meiner inneren Chorstimmen stammt von meiner ‚Kleinen‘.

Sie ist ca. 3 – 4 Jahre alt. Ihre große Schwester und sie sollten eigentlich schlafen, aber ihre Eltern streiten sich wieder so laut. Beide Kinder haben Angst. Die Schwester sagt: „Wenn die Eltern sich scheiden lassen, gehe ich zur Mutti“. Meiner Kleinen war zwar nicht klar, was eine „Scheidung“ ist, aber sofort bewusst, dass sie nicht auch zur Mutti kann, sondern „zu viel“ ist und übrig bleibt. Zum Vater will sie auch nicht, da fühlt sie sich nicht sicher. Meine „Kleine“ ist seit dem sehr bemüht, ja niemandem zur Last zu fallen und alles ganz richtig zu machen. Ihre Fehler könnten sie verraten, könnten Aufmerksamkeit auf sie lenken. Sie hat große Angst vor dem „Erkanntwerden“ oder „Gesehenwerden“, denn damit könnte man ihren Unwert entdecken, sie könnte als „zu viel“, als „Last“ beurteilt und ausgeschlossen, weggeschickt werden.

Damals hätte das den Tod bedeutet. Sie ist somit extrem ängstlich, scheu und irritierbar.

Die Kleine begleitet mich noch heute. Ihre damaligen Gefühle kommen noch immer in mir hoch und bestimmen mein Handeln.

Diese als die Ihren aus ihrer damaligen, längst vergangenen, Situation zu erkennen, ist meine Aufgabe. Mich am Heute zu orientieren, meinen Handlungsspielraum zu erkennen und respektvoll, möglichst liebevoll und bedacht mit mir und ihr umzugehen – das bedarf noch einiger Übung.

Positiv

So, liebe Karin, jetzt reicht’s!

Du hast Angst, grämst Dich, weißt bei den meisten Dingen nicht, was Du machen sollst – und wenn, dann haderst Du abschließend mit der Entscheidung rum. So ist es nun mal. Du hast Dich da für etwas entschieden, vom dem Du keine Ahnung hast – Du machst Deine Erfahrungen. Das hat etwas mit ‚Leben‘ zu tun. Wolltest Du das nicht? Mensch, jetzt raff Dich mal auf, schau, wo Du hier bist, und wenn Du Dich nicht in der Menschenmenge und der Hitze wohlfühlst, dann such‘ Dir einen ruhigen Schattenplatz! Spätestens morgen geht es wieder los und Du lässt Dich überraschen von dem, was hinter der nächsten Kurve auf Dich wartet.

Du darfst Fehler machen und lernen. Und wenn Du immer wieder dieselben Fehler machst, dann darfst Du Dir verzeihen lernen.

Ja, Fehler kosten unter Umständen viel, viel Geld. Noch nagst Du lange nicht am Hungertuch…

Hör‘ auf Dich mit Selbstvorwürfen zu bestrafen. Guck‘ mal, was Du sonst noch machen könntest.

Sitzen. Schauen. Auf die Karte für morgen sehen. Für Dich sorgen,  damit Du auch morgen ‚wieder kraftvoll zubeißen kannst‘ in das, was Leben heißt!

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Danke, Ihr Lieben, für’s Lesen und die lieben Gedanken! Das wird schon!

Ich schlafe seit San Diego schlecht und viel zu wenig, kein Wunder, das fehlt mir eben. Wird sich einpendeln.