Zwanzigfünfzehn

20:15 Uhr. Bettfertig. Kontaktvorfreudig.

Die Beleuchtung im Zimmer ist schon gedämmt. Ich finde es angenehm warm. Ich kenne einige Menschen, denen es sicher zu warm wäre. Überheize ich? Verbrauche ich zu viele Ressourcen? Ich brauche die Wärme zum Ankommen, zum „Landen“ im Tagesende.

Später aber, in der Nacht, freue ich mich über den Schein des Mondes auf den Boden meines Zimmers und die frostige Luft, die sich hier verbreiten darf – genau so lange, bis es mir selbst unter der Decke zu kalt um die Nase wird.

Aber das liegt in der Zukunft.

Es ist 20 Uhr 15 und ich bin in Schlafklamotten. Muss ich mich schämen? Was soll diese Frage überhaupt? Naja, ich habe sie mir gestellt und beantworte sie mir mit einem „Nein“, möchte mir aber die Mühe geben, es mir nochmal genau zu verdeutlichen, dass ich mir Ruhe gönnen darf und froh darüber sein könnte, so ich sie mir zugehörig fühlen könnte.

Zwar wache ich nicht mehr automatisch um 4:30 Uhr auf, aber einen Wecker brauche ich hier nicht. Heute war es so gegen 6 Uhr und ich kann mir meine Zeit lassen, aus dem Bett zu kriechen. Ich brauchte eine gute Weile, bis die Wirkung des frisch gebrauten Instantkaffees und die gefühlt notwendigen Nachbereitungen der Nacht und Vorbereitungen für den Tag so weit gediegen waren, dass ich mich in den Fitnessraum verabschieden konnte. Jalousien runter, Musik an. Das WLAN war heute schwächelnd, so musste das Morgenmagazin als Orientierungshilfe mit Berieselungsfunktion herhalten, während ich mich in der verbleibenden halben Stunde ins Körperspüren brachte. Crosstrainer, Seilspringen, Rudergerät, Schwingstab, Hula Hoop Reifen zur „Belohnung“ :-). Alles nur ein paar Minuten… Aufrecht und bewusst gehen wird mir damit möglich.

Schnell unter die Dusche, Reisekaffee, Sachen packen, pünktlich um 8:30 Uhr war ich in der „Beruflichen Betreuung“ ein Stock tiefer.

Fr. S. frug mich mit dem Blick auf den Kopfhörer, ob meine gestrigen Methoden zur Erweiterung der Stresstoleranz gewinnbringend waren. Ja, schon. Und ich hatte mich auch schon weitestmöglich entfernt von der Mitrehabilitandin gesetzt, deren Körpergeruch mich ekelt, was widerum die innere Familie zu den immerselben Dramaserienfolgen inspiriert. Der Geruch war dennoch wahrnehmbar… ein  bewusster Schluck Kaffee. Und Minzöl habe ich notfalls auch dabei.

Eigentlich muss ich mich dringend um einen Praktikumsplatz in der Pflege bewerben, aber die Unklarheit sträubt mir das innere Klettpflanzenfell. Wenn ich nur wüsste, um welche Sorte es sich wirklich handelt! Ist es der Widerstand gegen mich im Beruf allgemein oder ist es der Widerstand gegen die Erinnerung an vergangenes Erleben, mit dem ich nun vielleicht besser klar kommen (lernen) könnte? Der Beruf an sich ist ein schöner Beruf. Vielleicht gibt es Nieschen für mich, wenn ich nur wüsste, ich dürfte sie auch für mich nutzen und könnte sie ausfüllen. Um mir darüber klarer zu werden, mache ich das Praktikum. Nicht, um mich zu etwas zu zwingen. Ob ich überhaupt zumutbar bin für die Menschen, die Betriebe? Zwei große Psychiatrien haben meine Anfrage dankend abgelehnt. Nun bleibt nicht mehr viel… „Buchenbach“, die anthroposophische Psychiatrie, treibt mir Ehrfurcht ins Erleben. Ich möchte zur Kontaktaufnahme gut vorbereitet sein.

Aber erstmal entschied ich mich an der Gruppe teilzunehmen, die sich heute mit dem Thema „Lernmethoden“ beschäftigte. Wir waren zu dritt. Ich stellte den anderen den „motorischen Lerntypen“ vor und spürte in der kurzen Vorbereitungszeit die Freude über meine Ideen, mit denen ich das vermitteln wollte. Die kindliche Aufregung bringt Verunsicherung in die Hülle der Alten bzw. die, an die Anforderungen, Erwartungen einer Erwachsenen gestellt werden. Im kleinen Rahmen konnte ich zufrieden mit mir sein.

Die Aufregung aber blieb… („Fr. Nies, Sie wissen, Sie brauchen manchmal etwas länger als die Mehrzahl der Menschen, um auf normale Stresslevel zurück zu kommen.“)

So fand ich in der Kaffeepause nur im Rückzug Sicherheit, zumal „natürlich“ der Kaffee leer war, der Nachschub unverständlicherweise unter Verschluss und die dafür Zuständigen entspannt in der Sonne sitzend. Ich wollte nicht stören und tue ich mich auch ’so‘ schon schwer genug mit selbstsicherer, angemessener Kritik. Ich hörte mir spöttisch verachtend zu.

Beruhigungstee war auch passender als Kaffee…

Dann diese Email! Der Pflegedienst „Ich und Du“, der das für das deutsche Pflegemodell revolutionäre, aber dort erfolgreiche Prinzip von „Buurtzorg“, also praktisch organisierte Nachbarschaftshilfe, aus den Niederlanden versucht, in Freiburg zu integrieren, lud mich ein kostenlos, am eigentlich 295,-€ teuren Eintagesworkshop am kommenden Montag teilzunehmen. Wie soll ich dieses Gefühl beschreiben? Ich musste es sofort den Beraterinnen erzählen und die freuten sich einfach gründlich – wobei bei mir Staunen und Zweifel mitschwingen – aber die Freude behielt ich mir und sagte dankend zu, während mich die Gedanken daran bis jetzt nicht verlassen, ob es wohl angemessen ist, zumindest ein paar Pralinen oder sowas mitzubringen – einen selbstgebackenen Kuchen? – welchen? Ich rätsele.

Die Zeit bis 12:15 Uhr verflog. Schnell was essen und rauf aufs Rad. Ich kam pünktlich um 13 Uhr zur ASF, meinem ca. neunwöchigen „Arbeitgeber“ von Dezember bis Januar. Mittwochs haben wir hier immer Bürotag, aber ansonsten war ich täglich von 6 bis max. 12 Uhr dort und arbeitete in verschiedenen Bezirken bei der Straßenreinigung mit, so gut ich konnte. Ich erhielt dafür viel Anerkennung und ein wirklich schönes Zeugnis, über das ich mich, besonders als „Kleine“, innig freuen kann. Aber auch „die Große“ kann zufrieden mit sich sein. Man wolle sich aber nochmals – zusätzlich zum Abschlussgespräch – persönlich von mir verabschieden. Ich spürte meine Verunsicherung in der Vieraugensituation mit dem Personalchef. Was ist angemessen zu erzählen? Warum erzählt er mir Dinge aus seinem Leben? Was will er wirklich von mir hören? Es ging vorbei. Ich hielt eine handgeschriebene Dankeskarte, einen Einkaufsgutschein in der Hand und eine Flasche Wein mit Logo, die ich noch im Auto verstauen muss…

Aldi. Beloh-ruhigungsgebäck. Sonne. Sonne. Sonne. Blauer Himmel. Mein Fahrrad. Richtig temperierte Klamotten…

Die Wohngruppe war schon am Freitagsputz. Ich hatte mich entschuldigen lassen und darum gebeten, den „Selbstversorgerraum“ später selbständig reinigen zu dürfen.

Diese wöchentliche  Zimmerkontrolle regt mich auf. Es fühlt sich an, als dränge man in meine Privatssphäre. Als könne man mir nicht vertrauen. Das macht mich wütend – aber die Einsicht ist ja auch da. Das Dulden aber ist ein „Müssen“ und das macht es so schwierig. Und dann zückte auch noch diese kindliche Praktikantin in Krankenpflegeausbildung, die sich mir noch nicht mal vorgestellt hat, ihren Kuli und unterschrieb mir meinen Wochenplan als „korrekt erledigt“… was für mich schon was hat von menschlichem Wertigkeitsgefälle bzw. mangelndem Einfühlungsvermögen der Beteiligten… o.k. Augen zu und durch… ich muss doch nicht alles diskutieren und ansprechen….

Ich unterhielt mich mit zwei hier tätigen Krankenschwestern meines Alters, während ich den Selbstversorgerraum putzte. Das kommt extrem selten vor, dass sich sowas ergibt. Genauer gesagt: Es kam noch nie vor. Ein eigentlich entspanntes, freundliches, fast kollegiales Gespräch. Es ging um meine berufliche Zukunft und den Workshop am Montag. Ein komisches Gefühl aber bleibt… „was stellst Du Dich so an… geh‘ einfach wieder arbeiten… alles nur Getue… Du hast keinen Grund, es ist nicht schlimm, Du stellst Dich nur was an….“ sagt diese Stimme, die ich, so eine leise Hoffnung, immer besser von mir abgrenzen kann. So ein mieses, komisches Gefühl aber bleibt.
Die Idee zum und der kurze Ausflug in die Kühle des Radschuppens zwecks Laubentfernung tat mir gut.

Schnell ein paar Emails. Kaffeetrinken. Ich war am Kuchenbacken beteiligt und einfach neugierig auf das Produkt. Schön, ein Platz neben A. war frei. Darf ich? Nerve ich nicht? Bin ich zu anhänglich? Nur weil ich meinem Gefühl folge, dass ich mich dort wohl- und willkommen sein fühlen könnte? Wir albern oft. Diesmal traf sein Scherz das Umfeld meines Marks. Ich setzte mich trotzdem. Oh, wie schön, dass J. noch dazu kam. Der Kuchen schmeckte. A. schimpfte, dass wieder ich mich um das Aufräumen kümmerte, statt Tischtennis zu spielen. Motivationskonflikt. Ich ging raus, aber die Tischtennisplatte war besetzt und ich räumte weiter, bis mir einfiel, ich muss ja dringend los, wollte ich doch an der frühen Selbsthilfegruppe „ehrliches Mitteilen nach Gopal“ teilnehmen… Leider konnte ich A. nicht mehr Bescheid sagen, warum ich mich nicht mehr blicken ließ.

Die Sonne schien noch immer. Was für ein Tag! Ich kam pünktlich. Ich mag den Raum und die Menschen dort. Die Ruhe. Es erging mir ganz gut, was nicht immer der Fall ist.

Ich muss die Schaltung einstellen… aber die verbleibenden Gänge schnurren. Lidl. Glücklich über meine Auswahl, stellte ich an der Schlange stehend fest, meinen Geldbeutel nicht dabei zu haben. Also hin und her radeln… die Zeit verrann. Ich verschob das Telefonmeeting um 15 Minuten.

20:15 Uhr. Kontaktvorfreudig und bettfertig.


 

Nein, ruhig schlafen konnte ich nicht wirklich. Auch die Bedarfspille half nicht wirklich. Nachts musste ich mehrfach raus.

Und zwei Mal freute ich mich über meinen Nasenfrost – bevor ich das Fenster wieder schloss.

Zwei Wolken

Auf dem Rückweg vom Praktikum präsentierte sich neulich eine Wolke über der Stadt Freiburg – und somit auch mir. Ihre Form und Ausdehnung im Verhältnis zu meinem Blickwinkel gaben wohl den Ausschlag, mich spontan und sehr konkret an eine andere Wolkenbegegung zu erinnern…

„Egal!“

Meine Beine traten unbeeirrt weiter in die Pedale  – ein genervtes „nimm’s nicht so wichtig“, „ja, hab’s ja gesehen“ oder eher fliehkräftiges „genug davon“„nur weg“ im Sinn…?

Nein, dieses Mal nicht:

Ich hielt an und machte ein Bild dieser Wolke über Freiburg zur Mittagszeit am Montag, 27. Januar 2020:

Und dies ist das Spiegelbild meiner Erinnerung:

Eine Wolke, deren Erscheinung ich am, 16. Mai 2017 zugegen war. Meine Recherche sagt, es sei ein Dienstag gewesen. Ich war „unterwegs nach Hikertown“ (Link) auf dem PCT.


Es ist eine Art Schmerz, der noch heute oft dabei entsteht, wenn ich mich an meine Zeit auf dem PCT erinnere.

Es ist nicht so, dass ich mich nicht an ihn, den Weg, erinnern möchte. Im Gegenteil. Es zieht mich immer wieder dort hin. Ich habe ihn bei all der Intensität meines dortigen Erlebens so sehr verpasst. Ich glaube, alles vergessen, gar nichts wirklich wahrgenommen zu haben. Ein „ich hätte sollen, müssen, besser, anders sein…“ schwebt in der Luft. Ein „ich mag gar nicht daran denken“…

Oh, an die Wärme und all das mag ich denken. An die tollen Menschen dort. An die Chance, die ich wagte zu ergreifen.

Und: Ich mag auch nicht daran denken. Denn der Schmerz sitzt überall. Dort beim Selbstvorwurf beispielsweise, nicht hart genug mit mir gewesen zu sein. Oder bei den Gedanken an die verpasste Chance. Auch vermeide ich es lieber, mich bewusst an die Verzweiflung zu erinnern, die ich dort zeitweise durchlebt habe. Sie könnte womöglich wiederkommen? Wäre ich nun gewachsen, sie zu versorgen? Könnte ich jetzt mir gegenüber genug Vertrauen aufbringen, mir gewachsen zu sein?

Und dann noch dieses Sammelsurium von Wut auf mich selbst…

Ich „muss“ mir verzeihen. Mir vergeben. Es betrauern.

Selbst, wenn ich es könnte: Und dann? Hinter den Tränen liegt ja doch nur wieder Sehnsucht mit ihrem…

 

Vielleicht muss ich diesen Traum begraben, mir zu vergeben sei möglich.

Und der doch tatsächlich immer wieder, zu allen möglichen Geschichtenbasteleien, Begegnungen, Erlebnissen oder gar Phantasien aufkeimenden Hoffnung mit aller Macht ihren Lebenssaft entziehen, der sie ständig mit dem Irrsinn nährt, die alten Wunden seien womöglich doch heilbar.


Ich brauche sie, die Hoffnung, im Heute, im Hier und Jetzt. Ich brauche sie, damit es sich irgendeine Idee, ein Plan, womöglich ein Ziel richtig anfühlen kann.


Komm, Hoffnung, lass‘ sie ruhen in Frieden, die „Alten“ (Wunden)… Wir leben schon so lange mit ihnen.

Und, was ist nun mit dem miesen Gefühl bei den Gedanken an den PCT?

Würdigen. Es war emotional so schwer. Die ungestillte und nicht verschließbare Sehnsucht nach Geborgenheit, Nichtfalschseinimlebengefühl, nach Vertrauenkönnen aus meiner Kindheit brach (mir) aus… Ich konnte sie deutlich spüren. Und die Entwertung war zügellos.

Den PCT habe ich verlassen, aber den Weg, den ich nach der Gabelung in Uffenheim nahm, setze ich fort.

Ich bin auf dem Weg.

Und diese beitragsveranlassende Wolke über Freiburg hilft mir vielleicht, „meinen“ PCT und all dem dort mit mir Erlebten mit Respekt und weitmöglicher, liebevoller Anerkennung in die Augen zu sehen.

Ich fange mit einem respektvollen, festen Blick an. Sekundenlang.

Baum und Knüpfer

Baumgefühl

K. lud mich ein, mich hineinzufühlen. Bilder zu beschreiben, die mir in den Sinn kommen. Und schließlich dem allen einen körperlichen Ausdruck zu geben.

Ich stand fest, wenn auch nicht sicher. Ich stand schwer. Ein alter Baumstamm ohne sichere Wurzeln auf kalkigem, kargen Boden.

Aber ich wusste mich in guter Gesellschaft, auch wenn ich sie nicht sehen konnte. Ich wusste mich in guter Baumgesellschaft – die da ist in einiger Entfernung, aber guter, wohliger Gesinnung sowie gesund und sicher. Wie sich Bäume über Pilze Botschaften senden, war ich mir dessen bewusst.

Verkrüppelte, kurze Äste ragen waagrecht aus mir heraus. Sie wissen um den kommenden Akt wieder auszutreiben. Wissen um die Kraft, die es kostet. Wissen, dass sie müssen. Wissen, wie wenig sie sind. Wissen um die Erstarrung ihrer Lebensadern, die spröden Wände und um deren kleingläubiges Fassungsvermögen.

Sie wissen, was auf sie zukommt. Nein, auf diesen zähen, mühsamen Kraftakt haben die Äste keine Lust.

Aber da gibt es diesen Gedanken, der Leichtigkeit und Hoffnung weckt. Eine Phantasie, wie schön es sein könnte – oder vielleicht eine Erinnerung daran, wie es damals schonmal gewesen war…? Ein lächelnder Gedanke wie der Traum von einer guten Fee.

Ja, das wäre so schön – dabei zusehen zu können… und es könnte doch vielleicht wahr werden, dass ein Vogelpaar ihr Nest auf den verkrüppelten Ästen baut. Er könnte ein Zuhause sein – einfach so, weil genau dieser Ast den Fremdlingen gefällt…

Der Baum stellt sich vor, wie es ist, einfach, in Vertrauen, auserwählt zu sein. Wie es wohl sein mag, einfach dabei zuzusehen, wie es wächst, dieses Vertrauen in Form eines Nestes. Er muss und kann auch gar nichts tun, als er zu sein, als er zu leben, beim Leben anderer zuzusehen und sich daran zu erfreuen.

Der Baum denkt und schaut auf das frei phantasierte Nest in der Zukunft. Ihm wird ganz aufgeregt, er traut sich kaum zu blinzeln ob dieses vorsichtig wahrhabenden, ja, zärtlich prickelnden Glückes…

das in Schauern, aber ganz leicht über meine Oberarme tanzt.

Jetzt.

 

 

Knüpfergefühl

Nach langer Zeit habe ich wieder das Bedürfnis, etwas festhalten zu können. Ein Gefühl der vorsichtigen Öffnung. Ich mag es halten, wenn ich auch nicht recht vermag, es zu greifen.

 

Ja, ich wollte dem Gefühl einen Halt geben. Dieses Gefühl, das ein Baumbild bekommen hat, einladen, sich in einem weiteren Symbol auszubreiten, einzuleben, sich zu verweben…

…und so kam mir mein rotes Merinounterhemd in den Sinn. Mein Lieblingsunterhemd (ja, sowas kann man haben… ;-)).

Während meiner Zeit in der Tagesklinik im Frühjahr / Sommer 2018 hatte ich begonnen, es wieder zusammenzuflicken. Bunte Nähte und Stopfflicken entstanden. Später flossen irgendwelche Phantasiemuster in Form von Stickereien hinzu. Und zur Besänftigung meiner kritischen Selbstkommentatoren ein Symbol für mein Mitgefühl.

Viele Monate trug ich es nur, bis es nun an der Zeit war, weiterzumachen.

Habt Ihr schonmal mit vier Nadeln gleichzeitig gestickt? Es wollte genau so – aus dem Moment heraus – werden und es wuchs. Fäden trafen sich, gingen ein Stück zusammen, bildeten Knoten, trennten sich. Sind zusammen eins und jeder für sich.

Nicht schön, aber da. Wie der Baum.

Baumarkt

Neulich 1

Getriebensein in Unzufriedenheit brachte mich dazu, mich zu ermutigen, ein Ding zurückgeben zu wollen, das ich vor Wochen zwar mit der Idee von Sinnhaftigkeit und Verstand gekauft, aber nie wirklich gebraucht hatte. Es handelte sich um einen Sicherungskleber für Schrauben, auf die man nicht noch einmal verzichten möchte…

Ich rechnete bei dieser kleinmutigen „Ware gegen Geld Rücktauschaktion“ zwar nicht wirklich mit Erfolg, hatte aber Hoffnung, diesen vielleicht dann aber doch als solchen verbuchen zu können.

Und so geschah es! Ich freute mich einfach – über den gelungenen Versuch.

Ich war wirklich ein bisschen in meiner Glückseligkeit wattiert. So stand ich da an der vom Laden vorgesehenden Einpackstation und ließ mich von all den dort angebotenen Hilfsmitteln, Werkzeugen und dem Service des Unternehmens zum Verschnüren und Transportieren des Baumarktes (Kordel, Klebeband, Werkzeuge, hölzerne Haltegriffe, kostenloses Leih-Lastenrad…) begeistern, während ich die rückerworbenen gut sieben Euro in meinem Portemonnai verschwinden ließ und mich wieder mit wärmenden Klamotten für die Rückfahrt ausstaffierte.

Sonne!

Genüsslich schlenderte ich hinaus – denn mit dieser hätte an diesem trüben Tag wohl niemand rechnen können. Ich schloss die Augen, wandte mich ihr zu, suchte nach ihrer Wärme und bildete mir sie tatsächlich zu spüren wohl nur ein – aber egal: Ich nahm die Freude des gegenwärtigen Momentes wahr, bewusst, wie elend ich mich noch etwa eine Stunde zuvor gefühlt hatte. Nur „raus aus der Situation“, etwa 20 min Radfahrt, Umtausch in kulantem Laden und die Sonne waren dazu notwendig. Es erstaunt mich immer wieder, in welchen Ausmaßen ich mich emotional beeinflussbar erlebe. Und welcher minimale Auslöser zur Richtungsänderung ausschalggebend sein kann.

Wie lange stand ich da? Zwei Minuten oder drei? Egal. Nur das bewusste Wahrhaben des Momentes ließ mich innehalten, sonst wäre ich längst weg gewesen, als ich meinen Namen in der Geschäftsdurchsage hörte: Diese solle sich doch bitte an der Information melden…

Ich hatte mein Portemonnai mit Bargeld und allen möglichen Ausweiskarten beim Einpacken liegen lassen – und jemand hatte es an der Information abgegeben. Was für ein Glück! Und meine Freude nahm es bewundernd auf in den geselligen Kreis, den sie gar nicht zu fassen brauchte, weil sich die Familie Glück einfach, eines zum anderen, purzelnd zusammenhäufte.

Neulich 2

Meine Radlampe verabschiedete sich gen Boden. Und mit ihr die befestigendende Schraube ihrer Halterung. Unwillig öffnete ich die verschweißte Verpackung der baugleichen Zweitlampe und ersetzte das verlustige mit dem dort enthaltenen Stück.

Ich mag den kleinen Fahrradschuppen, der den Mitarbeitern und, weil beleuchtet, den Rehabilitandinnen vorbehalten ist. Er vermochte es in der wärmeren Jahreszeit, besonders wochentags, kaum, alle Räder zu beherbergen. Nun aber, in den Zeiten des kühlen Schmuddelwetters, gibt er mehr Raum und Boden frei, auch für das Laub der umgebenden Bäume.

Die verlorene Schraube brachte mich dazu, im Schuppen aufzuräumen. Sie brachte mich auch dazu, mit einem extra für diesen Zweck erworbenen Magneten unter den Radhaltern zu suchen. Aber sie ließ sich einfach nicht auffinden.

Schließlich hatte ich glückliche Momente, als ich in der Holzwerkstatt um Hilfe fragte und, neben einer gleichwertigen Schraube, auch Freundlichkeit, ein Gefühl von gemeinschaftlicher Verbundenheit und selbstverständliche Unterstützung geschenkt bekam. Was für ein Gewinn durch einen vorangegangenen „Verlust“!

Ist schmunzelige, übertrieben huldvolle Großzügigkeit Folge von Glückserleben? Egal. Das gierige Schaubenverschlucken jedenfalls habe ich dem Schuppen im Zuge all dieser Erkenntnisse ganz einfach, fast wie nebenbei, verzeihen können 😉

Heute

…radelte ich mal wieder in den Baumarkt. Ich hatte die Nase voll von den viel zu großen Arbeitshandschuhen, die ich vom „Arbeitgeber“ ausgehändigt bekommen hatte mit dem Hinweis, ich müsse diese aus arbeitsschutzrechtlichen Gründen immer tragen. Heute hatte ich die Muße und das Wetter, quer durch die Stadt zu radeln. Und wieder besserte sich in vorfreudiger Hoffnung die Stimmung.

Freundlich und hilfreich war die Auskunft des Mitarbeiters an der überfüllten Information. Und in bedachter Sorgfalt wählte ich ein günstiges, aber passendes Paar. 

An der Einpackstation dachte ich irgendwie zufrieden an die schönen Begebenheiten neulich, als mir dieser Ort erneut ein Erlebnisgeschenk der besonderen Art machte:

Ein Werbeluftballon zerplatzte unvorhersehbar und, natürlich, laut. Zwei gerade daran vorbeilaufende, kleine Mädchen schrien verschreckt laut auf und begannen, für meine Ohren vielleicht eine Nuance zu hysterisch zwar, aber doch herzzerreißend zu weinen.

Ich nahm meinen Impuls wahr, mich abzuwenden. Ich spürte Scham wegen dem vermutetem Intimitätsbedürfnis der Kinder.

Sie waren in Not, aber nicht hilflos: Ihre Eltern waren bei ihnen. Sie waren ganz bei ihnen und wirkten völlig entspannt. Genau diese Entspannung und vollkommen wirkende Sicherheit, mit der sie sich ganz ihren Kindern zuwandten, bewirkte, dass ich dabei bleiben konnte.

Es war eine Szene, vor der ich mich sonst ganz sicher abgewandt hätte.

Ich hätte eine Abscheu bemerkt, vielleicht sogar Spott. Ein Genervtsein, das ich damals dem Schreien der Kinder zugeordnet hätte. Welch ein Geplärre!!! Ganz sicher hätte ich den Impuls gehabt, mich hektisch und in getriebener Unruhe entfernen zu wollen.

Nun aber, durch den sich selbst und ihrem Tun vertrauend wirkenden Eltern aber, durften Scham und Genervtsein beiseite treten.

Und da war sie, die traurige Schwere, und machte mir bewusst: Viel schlimmer als die Töne der Kinder ist mein eigenes, unerhörtes Bedürfnis nach Trost und Zuwendung, nach dem Gefühl der geborgenen Sicherheit. Vor diesem bohrenden, emotionalen Schmerz des unstillbaren Verlustes hätte ich mich sonst abgewandt, und zwar mithilfe, und nicht in Spott, Unruhe, Genervtsein…

Denn Dank des wohligen Augenblickes konnte ich einfach nur zusehen und mich freuen über das Glück dieser unglücklichen Mädchen, so große, ruhespendenden Arme und Körper und Stimmen und Eltern zu haben, die ihnen in ihrem Schock beistanden. Jedes Kind hatte ein Elternteil für sich. Kein Wort, kein einziges, winziges Körpersignal zeugte von mir altbekannten, erwarteten Bitterkeiten meiner, in meinen geglaubt erlebten „Wahrheiten“ zeigten sich:

„Psscht!!!!!“

Finger vor dem Mund. Schreckverzerrte, aufgerissene Augen. Schamvoll, peinlich berührtes Umherblicken.

„Pssst, sei still“, „ist doch gar nicht schlimm“ oder gar „stell Dich nicht so an“, „schäm‘ Dich!!!“, „was sollen denn die Leute denken“

–  sondern diese, sich sicheren Eltern lebten einfach nur: „Ich bin ja da. Komm und bleib. Ich bin da, so lange, bis es wieder besser ist.“ Summen. Zustimmen zum Leid – ohne Überwertung. Eines der Mädchen hatte den Impuls zum anderen Elternteil zu gehen. Auch dort war es willkommen. Und dann wurden heulend die Eltern getauscht, so dass sich jedes der Mädchen bei beiden Körpern versichern konnte, dass mit ihrem Unglück alles in Ordnung ist. Dass sie, trotz und mit allem, völlig in Ordnung sind. Sie hatten Grund, verängstigt zu sein und sie durften es so lange sein, wie sie es wollten.

Diese Szene war so schön, dass ich es doch nicht schaffte, sie bis zu Ende anzusehen. In einem Moment, in dem sich das Maß der Berührung richtig anfühlte, konnte ich gehen. Nicht hektisch, nicht geduckt, nicht genervt. Aufrecht. Wach. Nach innen schmunzelnd.

Kann ich verdeutlichen, was für ein schönes Geschenk das war?

Bewundert radelte ich zurück. Stellte mein Rad in den Schuppen. Dachte zu Boden blickend daran, dass ich ihn ja mal wieder entlauben könnte – und…

entdeckte die Schraube.

Freiburg, 29.12.2019

gefälligst

4:30 Uhr. In der Dusche war natürlich das Fenster nicht geschlossen, die Heizung nicht aufgedreht.

In der Küche lagen überall Krümel, Zuckerreste, die Spüllappen geknäult und auf dem Boden verbrannte Backpapierreste. Geschirr auf, nicht in der Spülmaschine. Warum bloß?

Natürlich war, trotz vorheriger gegenteiliger Beschwichtungen, auf dem Bauhof die Zugangstüre zur Damenumkleide noch nicht offen und ich musste nochmal zurück, um einen Schlüssel zu besorgen.

Mal sagt M. „issschoh guhd soh“ (und ich muss Dreck liegen lassen), mal weist er mich auf ein Blättlein Laubes hin, das ich versäumt habe, zu entfernen.

Mal werde ich aufgefordert, langsam zu machen. Mal macht man mich auf Wasauchimmer (übertriebene Gründlichkeit, Ungeschicklichkeit, Tempo?) aufmerksam mit dem Satz „woischd, wiear müsse au weidah“ (wobei ich die planmäßige Freitags’arbeit‘ sehr wohl schon abschätzen kann… *grrr*)

Sylvesterdreck an Straßenecken. Haben die nicht gelernt, ihren Mist wegzuräumen? Zündschnurkäpplein für Zündschnurkäpplein. Kronkorken, Scherben, Knallerpapier. Raketenhölzer (kann man so schlecht auffegen…).

Gegenwind macht mir die Heimfahrt kraftverzehrend.

Blöd geparkte Fahrräder im Schuppen.

Kaffeeflecken im Treppenhaus. Warum machen die ihren Dreck nicht weg?

Reste vom 10 Uhr Kaffeetrinken. Ich erinnere mich (natürlich nur) daran, wie gemütlich das sein kann (nicht daran, wie oft ich diesen Rahmen verlassen musste, weil… ). Rehabilitanden versitzen in der „Beruflichen“ gesellig ihre Zeit. Abschlussrunde in der Textil- und Holzgruppe. Die ersten schwatzen schon in der Raucherecke. „DIE haben’s gut“

Brieffach: Leer.

Küche: Wie gehabt.

Speiseplan: Schlonziger Großküchenfraß wie üblich.

An der stinkenden Mitrehabilitandin muss ich auch schon wieder vorbei.

Und natürlich kann ich mein Fenster nicht aufmachen, wird doch die „Musik“ auf dem Raucherhof rücksichtslos aufgerissen…

Kurz:

Ich bin so sauer. Wütend. Grolle mit… Gottundderwelt (die genau so ist wie immer).

Und ich will mich nicht drum kümmern. Ich will nichts mit dieser Wut zu tun haben. Die sollen gefälligst anders sein damit ich diese Wut nicht haben muss.

Auf dem Weg zur Waschmaschine passiere ich die Duschen und ich weiß 100%ig, dass „die“ ganz sicher wieder nicht…

… aber nein. „Die“ haben daran gedacht und das Fenster in der Dusche geschlossen, die Heizung auf „5“ gedreht.

Dann wüte ich eben über meinen Pessimismus, über meinen kleinherzigen Groll, mein kleinfurziges Allesbesserwissertum. Über diese Enge im Erleben, diese Verschlossenheit, diese Unliebe, diese Entwertungen,… Zähneknirschend. Ja, um Zahnarzt, Bewerbungen, Bankenzugänge, Terminplanungen, etc. müsste ich mich ja auch noch kümmern.

Wäre ich nicht so grollig.

Oder einfach: Erschöpft. Ruhe- oder – schlimmer noch: – zuwendungsbedürftig…? Bedürftig nach dem Gefühl in Sicherheit, geborgen, richtig zu sein…

Und: Um was man sich, wenn man sich selbst so schön verärgern kann, noch nicht alles nicht kümmern muss – oder glaubt, nicht kümmern zu können…

Danke, Ihr Arschengel.

Also kümmer Dich. Fang‘ an. Erstmal knurren. Heulen oder Jammern. Weiteratmen. Und dann. Kümmer Dich. Eine Kleinigkeit erledigen. Etwas der Welt geben statt von ihr verlangen, fordern, vermissen.

Womit fange ich an? Na klar…

Schlonzfraß.

Mittagsschlaf?

Einer von „denen“ wird mich schon stören 🙂

Gefälligst.


18:06 Uhr:

Das Essen schmeckte natürlich ‚irgendwie’und war gar nicht so schlecht. Nein, keine Mittagsschlaf. Arbeitsklamotten waschen.

Das Gemeinschaftsputzen überlebte ich knapp. Und meine Mitmenschen mich auch.

Irgendetwas brachte ein paar meiner Tränen zum Laufen, während wir telefonierten. Danach ging es meiner Wut auch schon ein bisschen besser.

Ich ging in den Fahrradschuppen, machte Ordnung, befreite ihn vom Laub und meine Fahrradkette von schabgeräuschenverusachendem Schmutz. Ich weiß, wie sehr ich mich darüber freuen kann, wenn sie geschmiert läuft. Und darüber, Platz zu haben, wenn ich in den Schuppen komme. Und dann stelle ich mir einfach noch vor, Hr. S., der Hausmeister, den ich sehr mag, freut sich über meine dortige freiwillige und hoffentlich auch für ihn willkommene Betätigung.

Ich verschaffte mir also ein bisschen Wohlgefühl.

Und beim Kaffeetrinken saßen zu meiner Freude schon A. und J. da. Die zwei Mitrehabilitanden, bei denen ich mich momentan am sichersten fühlen kann.

A. ließ sich von mir auch noch mit Häkelzeug und einer groben Anleitung helfen.

Ich bin dankbar.

Gleich ist auch noch die Selbsthilfegruppe. Ich kann es für möglich halten, willkommen zu sein. Sie hat mich zumindest nicht ausgeladen…

Ich freue mich auf sie, ihren Raum, die anderen Willkommenen, den sicheren Rahmen der Regeln.

Und ich freue mich auf das leise, aber satt klickernde Geräusch der Fahrradkette –

mir gefälligst

Freudeln

Freude fühlt sich so schön an, das ich glaube, Distanz zu brauchen, um mich damit vor dem (darauf) Hineinfallen schützen zu können.

Ich nenne die Freude des gegenwärtigen Momentes deshalb „bemerkwürdig fremdschön“, fühle sie staunend an und übe mich im Glücklichfühlen.

Wähle Buchstaben, lasse sie sich zu Worten finden und lade die Erinnerung ein, sich in den Räumen darin und dazwischen niederzulassen.

Es gibt das Wort ‚fremdeln‘.

Ich freudel gerade.

Wunscherfüllung

.

Der Wunsch, der Dir entstammte, traf mich.

Mehr und mehr Nähe zu…

dem „Ausderseeleleben

wünschtest Du mir.

?!?
.

Aus der Seele leben!? Wie soll das gehen?

„Theoriegelaber…“

wallte Wut in mir auf.

——————–

Dem Erleben, dem Urteil, dem Wollen.

Dem Sein (schlicht) sein Sein lassen.

——————–

Ich denke gerade an Dich. Und wünsche mich Dir nah…

?

Nein. Passt nicht ganz.

Stimmiger: Ich wünsche mir mein Gefühl der stillen Verbundenheit, der Möglichkeit des Vertrauenkönnens nah

(indem ich jetzt an Dich denke…)

.

Somit ist der Wunsch im schlichten Wunschsein erfüllt.
.

In vielerlei Licht
.

Schwirrenlassen

Meine innere Stimme sagt:

Lass ‚es‘ liegen.

Es, was den Kopf beschwirrt.

Lass es schwirren.

Aber noch nicht mal ‚bei der Arbeit‘ kann ich das… : Etwas liegen lassen. Ich suche auch da. Mache kaum Halt, greife in fremde Gefilde (Grünanlagen der Bahn z.B.)… spüre das Hadern mit Grenzen.

Ich könnte ja das Michrichtigfühlen finden?

Oder mit Humor durchtriebene Scherzkekse?!

Und bleibt mir bloß weg mit „light“!!!

Landung

„Trostbedarf“

…hatte ich bei YT eingegeben.

Weil mir sonst jetzt nur das Verinnerlichen von Zuckerhaltigem einfiel, womit ich diesem von mir so beurteilten Befinden begegnen könnte. Und das ‚bringt’s‘ irgendwie auch nicht mehr…

Ja, ich schäme mich.

Trostbedarf kommt also in Begleitung von „Charlotte“. Und natürlich…

Schlimm. Ja, ich seh‘ Dich auch.

Aber YT schlug mir was vor: 1Y1N6fqoASc

Einfach so.

Einfach so vernahmen meine Ohren die Klänge und knüpften freundliche Bänder mit Gefühl, Gedanken und Bildern. Nahmen so die Verbindung auf zu den Menschen, mit denen ich so gerne dieses Gefühl teile, das sich, lautlos wie ein Schatten, mit den Gedanken in den Raum der Wahrnehmung schlich. Und da war es wieder… Mit ihm schaffte ich den Weg hinaus – ins Freie.

Mein Rad, von all der erlebten Schwere völlig unbeeindruckt, brachte mich zuverlässig und genau dorthierherhin.

Pflastersteine luden mich ein, mit ihnen das Bad zu teilen. Ihnen einfach, beim stillen Sitzen in der Novembersonne, Gesellschaft zu leisten. Ich nahm dankbar an. Und sie strahlte.

Überflüssig, unwichtig, unnötig fühlte ich mich schon, aber alles in allem doch dabeiseindürfend. Genau richtig also: Passiv zwar, aber somit erträglich distanziert teilseiend. Nutznießend ohne das Gefühl zu haben, irgendjemanden damit zu belästigen oder zu viel Raum einzunehmen, übte ich die Landung im Mittelmüßiggang. Dorthin also, wo auch die Erinnerung an das Gefühl getröstet zu sein Raum hat.

Und sie gelang.

Zwei Kekse

Wie kann ich mich trösten? Mit dieser speziellen Art inneren Drucks umgehen? Wenn ich mich nicht zur Bewegung entscheiden kann, oft zwischen zwei Terminen oder bei einem Erleben, das sich eigentlich so anstrengend anfühlt, so auslaugend – wobei ich mir dieses bzw. die darunterliegenden Bedürfnisse aber nicht zugestehen kann?

Ich gehe in die Cafeteria des benachbarten Krankenhauses.

Ich nehme mir ein Tablett, ziehe mir einen Cappuccino und nehme mir währenddessen eine Untertasse, ein Tütchen Zucker und Kekse.

Zwei Kekse.

Anfangs frug ich noch. Die Antworten bei den verschiedenen Mitarbeitern gaben meinem Tun Erlaubnis.

Dennnoch fühlt es sich nicht gehörig an. Nicht allgemeingültig.

Einer wäre erlaubt, aber zu wenig. Drei zu viel.

Trost mit Essen? Zudem die ungehörige, unnötige Plastikmüllfabrikation? Und diese sinnlose Geldausgeberei? In diesem lärmgefüllten, schepperreichen Raum und all diesen, mit ‚Krankenhaus‘ berührten Menschen?

Ich nehme mir sie, die Kekse, und es mir raus: Ungehörigsein, dass sich richtig für mich anfühlt, in diesem krummen Moment. Mutig. Kämpferisch. Trotzig. Ich fühle mich falsch? Dann tue ich es auch!

So kann ich „es“ für dieses kleine Stück annehmen. So kann ich etwas für mich tun.

So ist es richtig – im Falschseingefühl.

Richtigseingefühl.

Das ich mir in meine Welt zu sein kreiiere.

Genau dieser Schritt ins Verbot ist der einzige, mit dem ich mir Trost geben kann: Mir etwas geben, das ich mit dem Gefühl verbinde, es stünde mir nicht zu.

Trost ist mir nicht annehmbar, weil die vorangegangenen Gefühle (Wut, Überforderung, Verzweiflung, Traurigsein, Angst) nicht erlaubt waren, hätten von mir unterdrückt werden müssen. So fühle ich mich bei Trostbedarf schuldig.

Schuld und Falschseingefühl gehören also zum Trost? Sind dessen Begleiter?

Das Gefühl des Getröstetseins stand mir nicht zu. Ich musste es mir erschummeln. Nur dann ist Trost mir und meinem Bewerten und Erleben in annehmbarer Dosierung verdaulich, nur dann kommt Getröstetsein irgendwie an.

Wenn in meinem System Trost mit Falschsein verknüpft ist – wie soll ich mich da vom Falschseingefühl lösen können?

Mein Nervensystem glaubt neben all seinen Wahrheiten, die zum Lebenserhalt nötig schienen (ich sei hineinbetrogener Schmarotzer im Theater des Lebens, voller Angst entlarvt, der herablassenden Lächerlichkeit preis gegeben und hinausgeworfen zu werden), dass Trost falsch sein muss. Sich falsch anschmecken muss, um annehmbar, verdaulich sein zu können. Es ist infolgedessen kein Wunder, dass es sich vom „Krummsein“, den Grübeleien, dem Alleskompliziertmachen, dem Agieren mit Essen und schlimmer noch… nicht trennen will.

Und doch hat es mich bis hier her gebracht – hier her mit all Euch Menschen, die ich so gerne habe. Die mich wundern lassen, staunen, Unfassbarkeit begreifen lernen in Eurem immerwährenden dableibenden Beistand.

Es, dieses Bewertungssystem meines Nervensystems, stammt aus einer alten, längst vergangenen Zeit. All diese, seine Wahrheiten und Automatismen sind die Echos meines Erlebens in der Kindheit, meine mir damals verknüpften Wahrheiten, Erkenntnisse, Lerninhalte, Haltegeländer meines Lebensweges. Zu oft noch glaube ich, mich daran halten zu müssen. Zu oft noch tue ich es „einfach“, lasse esmich geschehen, mache / kreiiere ich es mir einfach, lasse ich es geschehen: Das Richtigsein im Falschseingefühl.

Wie wäre es, mich auf die andere Seite schummeln zu können? Und dort heimlich zu stibitzen, naschen? Dortbleiben, dableiben, vertrauen üben?

Die Seite, auf der sich das Nichtrichtigsein falsch anfühlt?

Die im Hier und Jetzt?

Die, auf der sich – mal aus der Theorie gegriffen – das Sein richtig anfühlen könnte? Das Leben einfach?

Unkompliziert geht es nicht. Und trotzbei dem einfach“ wäre ein schönes Ziel 🙂

(und verdauungsförderlicherweise nicht ganz unfrei von „krumm“ 😉 )