Tag 8 – Puh

Ein Tag im Rausch. Spannungskurve ständig irgendwo über 50/60… zeitweise eindeutig über ’70‘. Hochspannung also.

Ich hatte aber die ’16:00 Uhr‘ im Hinterkopf…

Das Therapieangebot der Klinik gliedert sich in zwei Bausteine: Das stationäre Pflichtprogramm (und hier unterteilt in das für DBTler und Leute, die zur Krisenintervention kommen), sowie ein übergeordnetes Therapieangebot, das allen Patienten der Klinik offen steht. Dort besteht die Möglichkeit, 2x pro Woche ‚Gitarrenmusik zur Entspannung‘ wahrzunehmen.

Hr. King ist als Ergotherapeut angestellt. Als ‚eingedeutschter und integrierter Ami‘, – freiwillig‚ wie er noch hinzufügte, hat er sich aber dennoch den typischen amerikanischen Slang bewahren können. Und das passt „wie die Faust auf’s Auge“, denn er singt den Blues. Ganz leicht scheinen die Töne aus ihm hinaus zu fließen, egal ob beispielsweise Mc Cartney oder Cash die Stücke zuvor in die Welt gebracht hatten. Dazu zupft und streicht er die Gitarrensaiten in einer Art, die mich in meinem derzeitigen ‚Zustand‘ (nein, nicht schwanger… ) nicht nur in hingerissenes Staunen und dankbare Rührung, sondern auch in ein Gefühl von „hier bin ich momentan gerade mal richtig“ versetzt.

Und niemand der ca. zehn Konzertbesucher wollte durch irgendein zu lautes Atmen oder Rascheln die Stimmung verscheuchen, die heute noch den kleinen, dämmrigen, kühlen Raum füllte, als der letzte Ton schon lange verklungen war.

Endlich kam ich mal wieder irgendwie zu mir, zu Bewusstsein, soll heißen: Konnte mich einfach wahrnehmend sein lassen.

Die Pennykassiererin, der ich zu Gute halte, dass sie nicht für den Umgang mit psychisch angekratzten Persönlichkeiten bezahlt wird, brachte mich sodann blitzschnell wieder auf „180“…

…aber ihrer höheren Macht (Gott oder wer weiß ich) sei Dank, drückte die diensthabende Schwester ein Auge zu und verschonte mich von der Pflichtteilnahme am Abendessen.

Denn richtig tiefe Entspannung stellte sich dann endgültig nach gut 90 min pausenlosem, zügigem Schwimmen und anschließendem Wechselduschen ein.

Ich stand in der Kabine und fühlte diesen Tag in mir untergehen.

Therapiesatt. Patientensatt. Müde.

Die DBT werde ich durchhalten, glaube ich. Hoffe ich. Aber:

Halte ich dieses Therapiesetting in einer Langzeitreha auf Dauer weiter aus? Wenn überhaupt die Kosten übernommen werden? Wo finde ich einen Platz für mich? Einen, an dem ich im Hier und Jetzt sein lernen und üben kann…

Üben,..

Vielleicht sehe ich nach dem Programm besser.

Keine Entscheidung für einen neuen Weg heute.

Vorgelesenbekommen

Entscheidung für einen neuen Weg… am Tag 4 (Sa., 17.11.2018)

Klaus bot mir an, vorzulesen. Er war ja gerade aufgestanden, die Zeitung hatte ich aus der Klinik kommend mitgebracht. Vorgelesenbekommen – ja!

Das alleine aber hätte nicht gereicht, dass der Moment, mein in ihm wohl und Zuhausefühlenkönnen zum Einverständnis des inneren Chors hätte gelangen können. Es war Zeit für eine ‚Skillskette‘, eine kurz aufeinanderfolgenge Anreihung oder Anhäufung von Fertigkeiten zum Verändern der Handlungs- oder Urteilsfähigkeit im Hier und Jetzt… : Ich stellte Klaus‘ Sessel ans Licht und bereitete ihm einen Kaffee. Die Nachfolgerin der „Mitgefühlskerze“, einem Geschenk von Christoph, brannte auf der Standbox. Auch waren die großen Zeitungsblätter dort vor der Flamme gut geschützt und ich konnte sie immer sehen, bewusst oder unbewusst. „Die Trostspenderin“, eine reine, ätherische Duftölmischung füllte den Raum. Ich selbst durfte ins Bett kriechen, wo schon eine Wärmflasche wartete. Neben mir dampfte der mit Zimt und Kardamon gewürzte Kräutertee. Häkelnd waren Finger und Hirn beschäftigt.

Wirklich neu war, dass ich 1. wahrnehmen, 2. wahrhaben und 3. sogar ausprechen konnte, das ich nicht wirklich in der Verfassung war, zuzuhören. Es ist leider viel zu oft so, dass ich bzw. meine Aufmerksamkeit ‚abdriftet‘, was natürlich und verständlicherweise zur Verärgerung führen kann: „Sag‘ mal, wozu lese ich eigentlich vor?“ Diesmal konnte ich es aussprechen, dass es mir heute nicht oder nur am Rande, als „Zugabe“ um die Informationsgewinnung ging, denn „Vorgelesenbekommen“ bedeutet mir weitaus mehr als das.

Vorgelesenbekommen ist etwas, dass meine Kanäle zu tiefen Bedürfnissen öffnet. Ein stilles Teilhabendürfen, ein Willkommensein der Art Lagerfeuer, Sonnenschein, auf der Erde liegen….

In der Sonne zu sitzen ist „Gesehenwerden, im Überfluss, unendlich üppig, Licht und Wärme geschenkt bekommen ohne Wert, Urteil und Leistung“. Lagerfeuer bedeutet „gemeinsam in Sicherheit sein“. Auf der Erde liegen ist „Getragenwerden ohne Last zu sein“. Vorgelesenbekommen berührt mich in ähnlicher Weise sehr. Die Regeln sind für alle klar. Es ist schwer, Fehler zu machen oder zu finden. Die Distanz stimmt: Das emotionale Verletzungsrisiko ist für beide Seiten gut steuerbar. Es ist ein Teilen, Geben und Nehmen gleichzeitig (und beim Rollentausch kann ich auch lernen, Vertrauen zu haben, dabei gut genug zu sein).

Es geht um Zuwendung.

Menschliche Zuwendung, die für meine inneren Kritiker und für meine innere Kleine, beide, aushaltbar ist.

Und gerade, weil ein Mensch Teil ist, ist dieses Vorgelesenbekommen – sicher nicht nur für mich – eine Möglichkeit, das Gefühl des Vertrauenhabenkönnens einzuladen, vorsichtig einzuatmen und am Ende vielleicht in klarem Dank zu verabschieden, auch wenn die kindliche Gewissheit, das alles nicht wahr ist, von den Kritikern zerstört wird und die Strafe sicher folgt, weil man doch wieder irgendwas falsch gemacht hat und der Mensch doch eigentlich lieber bei anderen vorgelesen hätte… usw.

(Ja, Ihr schier unermüdlichen, mich liebenden, mich beschützenwollenden inneren Kritiker: Ihr hattet Eure Vorlesepause redlich verdient. Seid nicht allzu streng mit der Kleinen. Sie hat die Ruhe vor Euch so sehr gebraucht.)

Habt Dank. Ihr Vorleserinnen und Gitarrenvirtuosen meines Lebens. Ich konnte Euch ein großes Geschenk machen. So groß wie Ihr mir eines gemacht habt. Es wirkt noch immer.

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PS (ein paar Stunden später):

Es kann natürlich sein, das diese, meine Wahrheit bei Euch ganz anders aussieht, obwohl wir diese Zeit gemeinsam verbracht haben.

Schade, aber durchaus möglich, dass ich mehr genommen habe, als Ihr geben wolltet.

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PPS:

Ja. Und Geschenke will auch nicht jeder.

Hickeln

(Entscheidung für einen neuen Weg am 7.Tag)

Ich musste darauf warten, bis mir jemand die Stationstüre öffnet zum Erledigen meines Stationsdienstes, dem täglichen Abholen der Zeitung. Und dann musste ich klingeln, damit ich wieder herein gelassen werden konnte.

Ich fordere Arbeit und ‚Zuwendung‘ im Außen und habe somit die ‚Arbeit‘ mit mir, mir diese Mühe innerlich zu gestatten (muss mich mir und meinem Erleben zuwenden…).

Ich hatte Spaß mit Nina und Seb, schon am Frühstückstisch.

(…auf Spaß folgt Strafe…)

Wenn die Spannungskurve steigt, sind ‚Skills‘ angesagt.

Ich nahm mir die Freiheit und ging an die Luft, um dort Kühle, Distanz, das und Gefühl zu finden, mir helfen zu können.

Ein Skill kann auch sein, etwas anders als gewohnt zu machen oder sich ‚anders‘ zu spüren. ‚Hickeln‘ kam mir spintan in den Sinn.

Hickeln??! Wie kommst Du denn bloß darauf??? Spinnst Du jetzt komplett? …kannst Du doch nicht machen. Auch noch im Sichtbereich des Raucherbalkons

Und ich entschied mich, und hickelte… (Wo sonst, wenn nicht in der Klapse?) Nahm neben meiner Schwerfälligkeit (als Kind war’s irgendwie leichter?!? 😉 ) ein scheues, verschmilztes Lächeln wahr – und hatte damit von allem genug (!). Ich verzieh meinen Kritikern und bat meine Kleine um Verzeihung. Und es war gut so.

Nicht zufriedenstellend (woher auch? Von mir???), aber sehr gut gemacht.

Neuer Weg Tag 3

Diese Station nimmt außer den Menschen, die zur Krisenintervention hier her kommen, gleichzeitig und geplant bis zu acht Patienten auf, die gemeinsam das insgesamt achtwöchige DBT Programm durchlaufen und somit zusammen an den daran gebundenen Therapiestunden teilnehmen.

Wie es der Zufall so will, haben wir – ich nenne sie hier einfach mal ‚Nina‘ und ich – aber nur zu zweit begonnen (und sind gespannt auf nächste Woche, in der weitere GenossInnen zu uns stoßen sollen), weshalb die Gruppe „Körperskills“ zugegebenermaßen in einem recht kleinen Rahmen stattfand.

Ich nehme mich trotzdem mutig wahr. Machte die Übungen mit, stellte Fragen, auch danach, ob mein Eindruck stimmt, dass ich zu viel Raum einnehme. Konnte stehen lassen, dass ich den Antworten kaum Glauben schenken konnte, ohne mich dafür allzu sehr zu verurteilen.

Ich denke oft an Uffenheim. Bin froh, dass ich nicht so lange wie dort brauche, um meine Barrikaden fallen zu lassen. Dennoch fehlt mir die Entspannung. Auch das „Hören sanft gespielter Instrumentalmusik zum Wochenende“ in einer mir unbekannten, zusammengewürfelten Teilnehmergruppe hat eher Gegenteiliges bewirkt. Aber das ist ja eigentlich gerade die Therapie – gesehen als Angebot zur Selbstwahrnehmung und Möglichkeit zur Umentscheidung in Urteil und Handlung.

Ich blieb trotz Wut und Unruhe. Und konnte meiner Aufmerksamkeit immer wieder empfehlen, den Tönen der Instrumente zu folgen statt den alten Geschichten.

Müde bin ich dennoch nach den vier Therapieeinheiten heute. Denke, ich werde gut schlafen.

Später dann.

Neuer Weg Tag 2

Gestern noch flüchtete ich wie ein getroffener Hund mit eingezogenem Schwanz aus der Cafeteria der nahegelegenen Universität. Man könne da keinen Kaffee trinken, wenn man weder im Besitz eines Studentenausweises noch einer Mensakarte sei. Dabei war die Feierabendstimmung dort so einladend jugendlich leicht locker und die Kaffeemaschine vielversprechend.

Heute nahm ich mir vor, den Mut aufzubringen und jemanden zu bitten, für mich mit meinem Geld einen Kaffee zu erwerben.

Und es gelang!

Zudem ein relativ kurzes, aber bemerkenswert offenes Gespräch über meinen derzeitigen Aufenthaltsort, die DBT Therapie und den Suizid der damals 56jährigen Tante meines freundlichen Kaffeeerwerbers.

Ja, und durch dessen Information bin ich nun auch im Besitz einer…

…die man dort gegen Pfand einfach so erwerben kann.

Gute Entscheidung!

Klinik als Dienstfahrzeug

Es ist noch dunkel draußen. Die Temperaturen sind erstaunlich mild für Mitte November, aber der Nebel passt in den Monat. Das Rauschen auf dem Karl Kellner Ring nimmt langsam zu, aber momentan sind die Fahrzeuge noch einzeln auszumachen.

Es sind Konstruktionen, die erfunden wurden, Menschen dazu zu verhelfen, sich in einer Art fortbewegen zu können, die über das Maß ihrer ursprünglichen Möglichkeiten hinaus geht. Diensttuend hinterlassen sie Raum – sowie dieses typische Rauschen in meinen Ohren.

Ich werde heute ein leeres, abgezogenes Bett zurücklassen, dazu etwas Platz in Regalen, sowie ein verklingendes Geräusch, das entsteht, wenn ein Mensch eine hölzerne Treppenstufe verlässt, also ebenfalls eine Form, die dazu dient, von A nach B zu kommen.

Und als solche möchte ich gerade die Einrichtung begreifen, in die ich mich heute begebe – eine Psychotherapeutische Klinik als eine Konstruktion, die dazu dient, Menschen eine Fortbewegung zu ermöglichen.

„Ich muss mich umbringen oder mein Leben“ klingt arg theatralisch, entspricht aber prinzipiell meiner Beurteilung. Und wenn ich „mich“ im Hier und Jetzt getrennt erlebe, also Erleben als Produkt meines Gehirnes neben mir als körperlich existierendes Wesen, würde der Satz auch mit einem „und“ verbunden werden können.

Produkt meines Gehirns ist ein „Ego“, das mir das Erleben erschwert, verkompliziert, in Unruhe, Getriebensein, Verunsicherung versetzt – sich also in ständiger Gefahr wähnt. Egal, ob „ICH“ das so (wahr-) haben will oder nicht: Dieses Ego als Produkt meines Gehirns ist zum einen unschuldig (ich MUSS nicht so sein, denken, fühlen!), kann also frei gesprochen werden. Zudem ist es ‚überlebt‘, nicht mehr aktuell.

Da dieses Egoerleben aber nur ein Konstrukt meines Gehirnes ist – also nicht „ich“ ist, darf ich sagen, dass ich ES umbringen will und darf – getrennt von mir als Körperwesen:

Ich habe also das Ziel, mich von meinem Ego-Erleben fortzubewegen.

Dazu soll mir der heute beginnende Klinikaufenthalt dienen. Klinik und Therapie als Konstruktion, meinen Handlungsmöglichkeiten mehr Raum zu schaffen.

Therapiemethoden zu erkennen als hilfreiche Vorschläge, wie ich aus den zwingenden Urteilen meines Egos hinaustreten und mich von ihm distanzieren könnte. Rückschläge als Hinweis, nicht als Scheitern beurteilen lernen. Freude erkennen, berechtigen und erleben. Das Kommen und Gehen von Gefühlen an sich – vielleicht mit zunehmender Gelassenheit – beobachten und erfahren, vielleicht sogar lernen, also Werkzeuge zu be- und ergreifen, darin nicht mehr zu vergehen oder vom Ego hineingeworfen zu werden.

Das ist zu abstrakt, Karin.

„Ich“ weiß. Darin liegt Gefahr.

Menschen sollen mir als Ermutiger dienen, das Konstrukt „Klinik“ als Fabrik, die Methode DBT als Werkzeug, gleichgesinntes Sein, Denken, Fühlen, Tun, Teilen und Trennen mit Menschen ist der Werkstoff aus dem mein neues Erleben entstehen soll.

Das ist immernoch zu abstrakt, Karin.

Wenn Du ehrlich bist: Du hast in Begegnungen eigentlich grundsätzlich Angst. Du bist ständig gestresst, unter Anspannung und im Kontakt mit Deinen Kritikern. Du vergehst in ihrem Urteil, versuchst ihnen, statt Deinem Wohlergehen, selbstaufopfernd Dienst zu tun. Das ist wohl so, auch wenn Du dieser Tatsache davonläufst, Distanz schaffst mit Essen, Laufen, Telefonieren, Räumen, Grübeln, Verleugnen, Verschieben, Dich Kleinmachen…. etc… Du bist fern vom Hier und Jetzt, bist grundsätzlich wohl fast ununterbrochen in der Existenzbedrohung Deiner Kindheit, den Kritikern und den Gefühlen des Dichs als Kleinkind ausgeliefert. Du willst und musst weg vom Erleben Deiner Vergangenheit, willst Dich öffnen können lernen für das, was hier ist, jetzt im Hier und Jetzt. Darum geht es: Sicherheit erleben. Vertrauen erleben, auch ein Gefühl des Getrenntseins aushalten zu können. Aber auch: Gefühle des Insicherheitseins und Vertrauenhabens haben, aushalten, vergehen lassen lernen im Vertrauen auf die Wiederkehr. Dem alten Ego mit Würdigung Macht und Einfluss entziehen, dem neuen „Hier und Jetzt“ mit Offenheit, Zuversicht und Freude begegnen. Lernen. Nicht können.

…wird schon besser, Karin. Wohl geling’s 😉 Geht noch ein Schritt weiter?

O.K.

Die täglich auszufüllende Diary Card im DBT Programm beinhaltet den Punkt „Entscheidung für einen neuen Weg“

Ich habe gerade die sehr konkrete Idee, diesen Punkt hier in meinem Blog täglich zu veröffentlichen.

Butter bei die Fische.

So: 8:29 Uhr. Raus aus den Federn und der Komfortzone… – per Dienstfahrzeug.