Brief

Wetzlar, 7.7.2018

Liebe…

Der Markt findet gerade sein Ende. Sonne scheint auf die bunt gestreiften Stoffdächer der Stände, unter denen geübte Hände die Abbaurituale abspielen. Die Stimmung wirkt zufrieden. Was mag auf sie zu Hause warten?

Ich sitze in Wetzlars Kaffeerösterei mit Blick auf den „Dom“, der keiner ist. Ich gehe gerne auf den Markt und trinke überteuerten Kaffee, serviert mit selbstgebackenen Plätzchen in Herzform. So oft konnte ich hier schon das Sein üben. Das Seinlassen, das Daseinlassen, auch im Sinne des Aushaltens von Sehnsuchts- bzw. emotionalen Allergieauslösern.

Ja, im Moment könntest Du mich wohl mögen. Die freundliche, offen-herzliche Seite, die Du in Deinem letzten Brief gesondert angesprochen hast. Habe beim Lesen trotzig darauf reagiert, kannst Du Dir vermutlich denken. Denn ich bin ein Ganzes, trotz aller Zerrissenheit. Und ein Teil schreit „Hab‘ mich lieb – ich tue alles dafür!“ und ein anderer Teil wendet sich angewidert von sich selbst ab. Ein Teil weiß von den Spielchen, die alle spielen und erlaubt sie allen, nur nicht sich selbst. Dann ist die Milde im Raum („Die Milde, Mathilde“). Sie hat meistens die scheue Zuversicht dabei. Und Christoph, mein Mitgefühl hat fast überall Zugang, wenn ich ihn als Geschenk, eine fremde, aber angenommene Wertigkeit von außen betrachte. Adoptiert sozusagen.

Wind streicht über den Platz.

Ich hol‘ Dich ein bisschen näher.

Die „Alten“ haben es ein bisschen leichter mit mir, glaube ich. Die alten Freunde, die mich von früher kennen. Ein Ganzes sehen können, auch die alten Gemeinsam-Zeiten. Nicht nur das Karin der letzten zwei Jahre.

Ist es wie eine Geburt? Ein Trennen und Finden. Gleichzeitig. Ich tue mich schwer damit. Uffenheim war wohl eine Art Kaiserschnitt 😉

„Wasch‘ mich, aber mach‘ mich nicht nass.“

Es hilft nichts, das Ändern nur im Außen leben zu wollen. Ich muss ans Eingemachte. Irgendwie…

So viel zur Theorie 😉 (mal wieder…)

Es wird gerade Kaffee geröstet. Ich kenne den Geruch aus der Nähe, aber hier draußen ist er angenehm: Verbrannt und aromatisch zugleich. Streng und voller Reize… „Komm‘ näher, ich bin nicht zu durchschauen. Aber ich könnte schmecken. Du musst mich versuchen. Oder mir widerstehen.“

Was ist das Richtige für mich? Für Dich?

Das Suchen, die Verzweiflung, das geliebte Leiden lassen. Dasein oder von ihm ablassen? Das Warten auf Rettung, das Sehnen in der Fremde, bei Fremden (Menschen). Aber was dann? Leere. Ich mit mir? Alleine? Ach nee…

Hr. S., mein Therapeut meinte: „Das Schlimme ist nicht das …xyz… sondern der Widerstand dagegen. Kann man gegen Leere Widerstand haben? Schon wieder Widerstand. Erwischt.

Es wird schon gut sein. Es? Ja, jetzt, dieser Moment. Er wird schon gut sein. Er wird es schon gut mit mir meinen. Der „Jetzt“. Wieder und wieder.

Zuversicht, Du Scheue, ich danke Dir für’s Dasein. Jetzt. Mit Dir traue ich mich zu sein. Einseitig, versteckt, mutig, feige, scheu, zerrissen, unperfekt. Mit Dir traue ich mich

zuzumuten.

Karin

aber vielseitig ganz

Kolleginnen

Donnerstag, der 5.Juli 2018, 10:15 Uhr

Gerade sitze ich im Café. Ich habe es mir zur Gewohnheit gemacht, die Therapiestunde hier ein bisschen nachwirken zu lassen. Die inzwischen vierte Einheit (Verhaltenstherapie, genauer: Schematherapie) ist gerade vorüber. Ich glaube, ich bin in guten Händen.

Wenn ich einen Menschen treffen würde, der so ist, wie ich, wollte ich nichts mit ihm zu tun haben. Es wundert mich auch heute nicht mehr, dass ich früher mit Menschen meiner Art auch auf Arbeit nicht umgehen konnte: Ich fand Menschen, die sich benehmen wie ich, immer befremdlich, unnahbar und anbiedernd zugleich. Kein Wunder: Sie spiegelten mir meine Eigenheiten, meine Unfähigkeit, meine Ratlosigkeit und meine Selbstablehnung.

Puh. Butter bei die Fische.

Ich bin manipulativ. Und wohl in diesem Moment auch schon wieder. So viele Herzen in meiner Brust…

Ich versuche mich mal selbst anzunähern, indem ich den Spiegel eines Menschen nutze, dem es gerade so ergeht, wie mir immer mal wieder.

Dieser Mensch kann nicht anders, fühlt sich tatsächlich so, wie er sich verhält. Zerrissen zwischen „Nein“ und „Muss“, „ja, endlich“, „stimmt“, „nicht“, „doch“, „aber“, „bleib‘ doch“, „nur nicht weggehen“ und „nur weg hier“, „aber wohin denn“ „niemand ist richtig“ „ich bin falsch“. Und er spürt es und findet sich gleichzeitig „aaah, endlich, endlich spürbar“ und „völlig unecht/übertrieben/aufgesetzt/krank“ und einfach „unerträglich“ für sich selbst und alle anderen wegen dieser gelebten „quälend erlebten faszinierenden Endlichspürbarkeit“.

Was kann eine psychiatrische Fachkrankenschwester für so einen Menschen tun? Was würde ich heute zu dieser getriebenen, hysterischen, hektischen, aufgelösten, nervigen, unbelehrbaren, erwachsenen Person sagen, die sich verhält wie ein kleines, so ängstliches wie trotziges Kind?

„Fr. N., ich sehe, wie verzweifelt sie sind.“ (und mir kommen gerade selbst die Tränen beim Schreiben dieser Worte) „Das darf sein. Das ist wahr und darf so sein, denn es ist gerade im Moment so und es ist nicht schlimm für mich. Für sie aber schon? Das sagt mir ihr verächtliches, spöttisches Schnauben. Ich bleib‘ einfach ein bisschen bei Ihnen. So lange, bis Sie sich selbst wieder genug Gesellschaft sein können oder sie woanders suchen wollen. Ich bleib bei Ihnen, so lange, bis „es“ wieder leichter ist. Und wenn wieder alles zusammenbricht, werde ich wieder da sein. Ich oder ein anderes Mitglied des Teams/Chors. Ich weiß, dass sie nicht anders können. Ihr Verhalten ist Spiegel ihrer inneren Welt. Zerrissen, zerfetzt. Mühsam versuchen sie, die Stücke wieder zusammenzusetzen: „Es“ muss doch irgendwie passen, wieder heilen, richtig werden. Dabei sehen sie nicht, dass alles passt, so wie es ist. Dass Sie sind. Richtig. Einfach. In diesem Moment. Sie selbst können sich vor lauter Fetzen nicht sehen. Sie können es einfach nicht. Punkt. Ich weiß das. Ihre Freunde aber können sie sehen. Deshalb tun Ihnen ihre Freunde bzw. zeitweise ihre Therapeuten so gut im Moment.

Fr. N., sie müssen zur Ruhe kommen (und sie schaut mich gerade brennend vor Wut an, spöttisch, mit besserwisserischem, herablassenden Zucken im Mundwinkel). Ob sie das hören wollen, oder nicht. Lassen sie die Fetzen los, die Hände sinken. Ich bleibe bei ihnen. Auch wenn sie die Fetzen wieder an sich reißen, weil es sich anfühlt, als verlören sie jeden Halt, als verböte man ihnen das Sein, als reiße man Ihnen eines ihrer Herzen schlagend aus der Brust.

Es muss sein. „Aus gesundheitlichen Gründen“ wie ihr Therapeut freundlich, aber nachdrücklich argumentierte. Ihr oberstes Ziel sei und ist „Ruhe“, wie sie selbst wissen. Ruhe. Damit ihr innerer Chor sich wieder mit ihnen zusammen finden kann.

In ihrem Leid sind sie nicht immer zu ertragen. Sie wissen das selbst nur zu gut. Sie werfen Rätsel auf, die nicht zu lösen sind („Wasch mich, aber mach‘ mich nicht nass“ – „Hilf mir, aber helfen kann mir ja doch keiner. Und ich muss es selbst schaffen. Aber ich kann doch nicht!!!“ – „komm, aber ich halte Dich nicht aus, ich bin nicht auszuhalten, halt mich“). Aus gesundheitlichen Gründen brauchen nicht nur sie Pausen, sondern auch ihre Freunde. Auch die können manchmal nur noch die Fetzen sehen (und nicht mehr das Mensch, das Herz, die Seele, die Ruhe, das Ganze, das Wesen, das Liebende, das schlichte, schöne, einfache Seindürfen, das Vertrauen, das reine, verlässliche Blau… blablabla). Ihr oberstes Ziel ist Ruhe, nicht das Produzieren von Fetzen und nicht das hektische Versuchen, diese zusammenzusetzen. Lassen sie die Hände sinken, die Fetzen zu Boden rieseln, sie sich ihren Platz suchen und sie selbst „Sichselbstsein“ üben.

Sie erinnern sich an das Gitterstäbebild? Das Gefangensein in alten Glaubenssätzen, Zwängen, Muss-Vorstellungen, der Selbstentwertung? Es könnte sein, dass sie Flexen, Schleifen, Hämmern. Funken sprühen und sie meinen, das sei der einzig richtige Weg. Und sie verwechseln die Funken mit bezaubernden Glühwürmchen und vielversprechenden Sternschnuppen. Dabei könnte es sein, dass es einen ganz einfachen Weg aus den Gitterstäben gibt. Vielleicht öffnen sich dann auch ihre Augen und die Schweißerbrille rutscht von der Nase – wenn sie ihn gehen. Ein Schritt nach dem anderen. Winzige Schritte. Ja, ist manchmal langweilig. Und wenn schon. Sie führen hinaus.

Der Chor. Der wartet doch nur auf ihren herzlichen Sachverstand. Auf die führende Hand, das Gesehenwerden, die passende Ausrichtung, den Einsatz, die Pausen. Wenn Sie sich vertrauen lernen, ist die schmerzlich vermisste, tragende Stimme des Urvertrauens zu verschmerzen. Dann ist es letztendlich egal, dass der Bühnenbau eine Dauerbaustelle ist und es ist dann auch nicht wichtig, ob das Publikum ihre Interpretation von Leben versteht oder nicht.“

Eine Fachkrankenschwester versucht, die gerade fehlende Stimme zu suchen und herauszulocken. Vielleicht ist es das Mitgefühl. Vielleicht die Gefährtin, der Ermutiger, die Geduld, die Zuversicht. Eine Fachkrankenschwester ist eine Art Joker. Eine Krücke für den Dirigenten, eine Sehhilfe, ein Mischpult oder eine, die ihm die Flüstertüte reicht, um den magischen Satz herauszudonnern:

Ich will den Scheiß‘ nicht mehr hören!

Ruhe

Nebenspielplätze vermeiden. Herausfinden, was ansteht. Es sich so leicht wie möglich machen. Im Hier und Jetzt bleiben. Üben. Ja, Fr. N. Es muss sein.

Damals waren es Vokabeln, heute sind es… Vain-Aha, ABC, TRE, Meditation. Sich selbst aushalten, sich selbst begrenzen, die goldene Mitte suchen und leben, Abstinenz vom „etwas Besonderes sein wollen“ (das Kind hatte das Gefühl es zu müssen, um geduldet zu werden), dem Perfektionismus, dem zwanghaften Essen und der Sucht, „die liebe Karin“ zu sein und so das Gefühl zu bekommen, daseinsberechtigt zu sein. Nein, nicht aufgeben, weil man es eh nicht schafft. Kleine Schritte, beständig wie kleine Wassertropfen. Gehen. Nicht nur Kilometer.

Was machen sie heute noch? Einen ehrlichen Blogbeitrag verfassen.

Festhalten, was sich gut anfühlt.

Einladen, zu bleiben.

Ein Satz für die Partitur.

Eine Stimme für den Chor.

Die Fachkrankenschwester.

Sei anders…

Vielleicht zeigt sich „Sei anders!“ für mich auch besonders gut im Spiegel.

Die Unerträglichkeit der eigenen Gefühle, des eigenen Selbst, zeigt sich nämlich auch in der Intoleranz bzw. Beschränktheit von Handlungsmöglichkeiten gegenüber bestimmten Mitmenschen oder Gegebenheiten.

Sei anders…

Ich hab‘ noch viel zu lernen.

Sei Anders!

 

Es war wieder so ein verzweifelter Moment am Telefon. Sie spürte das und wünschte mir, ich möge doch…

Ist es schlimm, dass ich vergessen habe, was? Nein.

Meine Freundin hatte einen lieben Wunsch für mich – und sie dachte wohl es sei „nur“ das.

Sie sprach Worte aus, aber ich bekam eine Entdeckung dazu – also ein ganz großartiges Geschenk ganz anderer Art.

Ich glaube, es gehört einiges dazu, dass ich es auspacken konnte. Was hat mir geholfen?

Zum einen fühle mich ja schon seit einiger Zeit und – noch – oft wie eine Nussschale in fremden Lebensgewässern. „Emotional gelockert“ könnte man vielleicht sagen. Dazu bin ich in Therapie, also angeleiteter Suche, sozusagen einer freundlichen Ermutigung zum Offensein.

Aber ohne die Beziehung zu ihr, meiner Freundin, wäre es mir wohl trotz allem nicht möglich gewesen. Das Vertrauen wirkt manchmal, wie in diesem besonderen Moment, wie eine emotionale Zeitlupe, ein Innehalten vor den sonst üblichen Automatismen.

Gegeben hat sie mir einen Wunsch, voller Güte, Milde und Warmherzigkeit.
In Empfang genommen habe ich aber eine dreckige Flutwelle aus Wut, Schmerz und Verzweiflung.

Anderes Bild: Vorgesummt hat sie mir eine schöne Melodie. Gehört habe ich schrecklichen Krach, durchdringenden Lärm.

Und anstatt mich innerlich gegen diese dröhnende, aus Kindertagen unerlaubte, untersagte, Gefühlsflutwelle abzuschirmen, mich mit Selbst- und Wunschentwertung abzugrenzen, konnte ich (und das ist das wunderbare Geschenk) ein klein wenig zuhören.

„Sei anders!“

Ich habe ihn entdeckt, ihn erstmalig ausmachen können. „Sei Anders!“ singt in einer Tour seinen Namen in herrischem Befehlston. Variationen wie „Du bist falsch“, „Du bist nicht richtig“, „Mit Dir stimmt was nicht“ kennt er aber auch. Er drängt sich vor, meint, er habe das Recht dazu.

Nein, nützlich ist er nicht mehr, aber ein alter, zäher Kämpfer. Er war wohl schon in den Generationen vor mir tätig und er nimmt mich, die Dirigentin, nicht wirklich ernst. Vielleicht ist er blind und taub oder er hat einfach einen Kratzer in der Platte und beginnt deshalb immer wieder von vorne?

Sei Anders.

Ich habe Dich entdeckt. Es ist Zeit für mich, Dich wahrzunehmen. Zeit für mich, die Momente Deines Luftholens zu erfassen. Mich zu fragen, warum Du singst. Für wen Du zu singen glauben musst.

Auch Du machst Pausen.

 

 

Dankbarkeit

„Oh, sieht die gut aus!“

Die Wunde weckt Freude und Zufriedenheit bei den Pflegern.

Die Aussicht, bald wieder Duschen, Baden, Schwimmen gehen zu können, stimmt mich zuversichtlich.

Aber es stimmt noch so viel mehr…

Mein Körper steht mir bei.

Als ich das für mich wahrhabenwollend in der Morgenrunde aussprach, schuf ich in meiner Wahrnehmung Platz für das Gefühl. Und so „offen“, wie ich momentan bin, setzte ich mich in den Ruheraum und die Finger auf das Tastaturfeld…

 


 

Tiefe Dankbarkeit ist mir spürbar, hat sich zart niedergelassen im Bauch. Wie fühlt es sich an?

Es ist wie der kurze Besuch eines freundlichen, freien Wesens:

Ein Geschenk.

Ein Durchatmen auf langer Reise, ein Vertrauen so leicht wie das Willkommensein.

Katzenschnurren.

Der Abschied gewiss

Nicht schlimm

Schön dass Du da bist.

 


 

Ok, die Scham guckt mir jetzt gerade zweifelnd ins Gesicht. Aber es ist mein Blog und hier kann ich machen, was ich will. Austoben. Mich wahr sein lassen versuchen. Wayne interessierts?! Egal. Das Gefühl hat in diesem Moment in genau diese Worte gepasst.

Und ein kleines, lebensfrohes Chormitglied, das ich noch nicht aus seinem Versteck gelockt habe, spüre ich unsichtbar Dasein, ein klein bisschen frechstolz verschüchtert zwar, kaum wahrzunehmen, aber ja, doch,…

grinsend.

 

 

Ein Gedanke

 

Es tun. Einfach tun.

Was sich richtig anfühlt.

Jetzt.

Mehr ist nicht zu tun.

Jetzt.

Ein Gedanke

Ja zum Ja sagen suchen.

Du weißt nicht, was sich richtig anfühlt?

 

Ja.

 


Praktisches Beispiel…

Ich nehme meine innere Unruhe wahr. Spüre den Druck der unterdrückten Angst.

Nein,

ich weiß ( – noch immer – ) nicht, wo ich sein und was ich tun werde. Nein, ich weiß noch immer nicht, was ich will. Und was ich nicht will.

Ich höre Scham und Schuld, Zorn und Wut, Angst und Zweifel.

Ich höre.

Ja,

ich lasse die Petersilie aus den Ohren… ich lasse und höre zu, bleibe und lasse sein, was da ist.

Jetzt.

Zulassen. Mich freuen, dass ich hören kann. Auch wenn ich ihnen nicht helfen kann, ich lasse sie singen.

…und habe jetzt „einfach“ diesen Antrag ausgefüllt, gefaxt, eingetütet, frankiert. Dann noch zwei Weitere solcher liegengebliebener Art.

Habe mich nicht versteckt, sondern Maja angerufen und abgesagt. Wegen des blöden Gefühls, das jetzt deutlich besser ist. Habe mich mit ihr zum Aglio Olio kochen heute Abend verabredet. Und ich darf wahrnehmen und ich darf sagen, wenn es mir zu viel wird. Sie versteht das.

Jetzt.

..kann ich mich sogar darauf – und auf sie (Dich, Maja) – freuen!

 

Brava, maestra!

 

Petersilie verrücken

Um sie besser einschätzen zu können, mich von ihnen distanzieren zu können, auf dem Weg mit mir besser umgehen zu lernen, habe ich bestimmten meiner Gefühls-. Verhaltens- bzw. Denkmustern Namen gegeben und umschreibe sie als Persönlichkeiten, als „Stimmen in meinem Chor“. Und ich bin ihr Dirigent, ob ich will, oder nicht.

Manchmal habe ich Lust, mich dieser Aufgabe zu stellen. Möchte lernen, die Stimmen zu ermutigen, das zu tun, was dem Chor dient, statt das zu tun, was sie schon immer getan haben und was sich oft schlimm angelebt hat.

Sie alle wollen mir dienen oder haben das in vergangen Zeiten getan. Alle haben wundervolle Eigenschaften, die ich für mich nutzen könnte. Nur singen sie alle durcheinander, drängen sich vor oder sind zu träge, halten sich für zu wichtig oder gerade nicht, stören oder schweigen. Sind eigensinnig oder verschüchtert, singen zu laut oder sind heiser. Manche verstecken sich. Andere sollten ich besser zum Schweigen und Zuhören (einfach auf andere Stimmen vertrauen, loslassen) oder zum Instrumentenwechsel (z.B. Musiktheorie, Raumpflege, Summen) ermutigen.

Aber ich verstecke mich noch oft im Zuschauerraum. Habe mir Petersilie in die Ohren gesteckt und halte mich für schwerhörig. Denke, ich sei unmusikalisch, gebe auf, statt meine Lieblingsmeldodie zu finden und mich trauen, sie zu benennen und zu ihr zu stehen.

Klingt das alles verrückt? Ja, ist es vielleicht.

Wenn man Verrücktsein als eine Abweichung dessen sieht, was unverrückbar richtig oder falsch scheint.

Somit tue ich, was ich kann, um verrückt zu sein. Auch wenn es wenig ist. Denn ich glaube, das, was unverückbar war oder manchmal noch zu sein scheint, bringt mich früher oder später um ein natürliches Sterben und/oder um einen friedlichen Tod.

Es ist mein Weg. Auf den ich manchmal sogar ein bisschen stolz bin.

Auf ihm kann ich es vielleicht versuchen, zu gehen. Andere Wege sind von meinem Nichtvertrauenkönnen – oder ist es Hochmut? – verseucht, versiegelt, verschüttet gegangen.

Und warum gerade diese Namen? Ganz sicher haben sie so gut wie oder gar nichts mit Menschen zu tun, die denselben Namen tragen. Das will ich gar nicht: Mein Gehirn spielt Puzzle.

So ist Charlotte meine Scham, Friedrich mein Ermutiger. Es gibt bisher noch zwei weitere Namensträger:


Stefan kenne ich schon sehr, sehr lange. Er ist mir ein vertrauter Begleiter und spendet mir mit Treue und Verlässlichkeit Trost.

Er sagt sowas wie: „Ich weiß, wie es Dir geht. Ich weiß, wie Du leidest. Und Du weißt, ich bin immer für dich da.“

Er ist sanftmütig, obwohl er der Selbstmordgedanke ist.

Und obwohl es vielleicht danach klingt – mit „I.“ hat er gar nicht so viel zu tun.


„I.“

Ihr wird kein Name gerecht. Und ihr ist das auch sowas von egal. Sie braucht keinen Namen. Sie ist.

Wie soll ich das in Worte fassen?

Was geschieht, wenn sie…

Erscheint? Lächerlicher Ausdruck. Sie kommt nicht einfach an, dringt nicht ein, taucht nicht auf, tritt nicht be.

Sie ist eine Diva, eine Furie, ein Hurrican.

Sie nimmt ein.

Sie ist berauschend, faszinierend, schön. Fern von jeder Gewöhnlichkeit.

Wild. Unzähmbar. Voller Kraft. Strahlend vor Energie. Und gleichzeitig eiskalt.

Sie ermächtigt sich meiner nicht. Sie ist Macht.

Sie fesselt nicht. Ich erliege ihr.

Alles erstarrt an ihrem Wesen, zerfällt zu feinem Staub, wird im Druck ihres Seins zur Flucht verweht.

Nichts anderes mehr hat Bestand, nur sie ist da.

Ich höre und sehe Leben, bewege mich, finde für andere statt. Nehme alles wahr, sehe und höre aber nur noch sie.

Meine Wahrheit ist in ihrem Besitz.

Sie ist Gesetz. Und ich glaube ihr jedes Wort.

Sie besteht aus purer Verachtung und ihr Urteil ist vernichtend.

In ihrer Wahrheit kann es für mich nur eine Lösung geben.

Und der bin ich gefolgt.


„I.“ ist in meiner Wahrnehmung recht neu. Sie hatte geschlafen und ich habe sie geweckt. Ich kann mich noch an die enge, links am Hang verlaufende Kurve des PCT’S erinnern. Die Einsamkeit, die ich spürte, war die aus meiner Kindheit. Untröstlich, unlösbar. Die Kleine hatte Angst, brauchte verdammt nötig dringend Halt und Vertrauen und ich dachte, da muss doch irgendwo in meinem Chor eine Stimme sein, die stark genug ist, sie zu sichern. Ja, I. ist stark, aber…

Vielleicht hat sie einfach weiter schlafen wollen? Wähnte sich im sicheren Fürimmerwinterschlaf? Egal: Ich bin der Dirigent und ich glaube, es war an der Zeit. Ich brauche ihre Kraft.

Nun aber ist sie wach, die Wilde, und richtet ihre Wut auf mich.

Ja, sie kommt mit jedem Mal näher. Aber das ist vielleicht auch notwendig.

Um sie zu spüren zu lernen. Um sie einzuladen….

Denn ihre Kraft, ihre Energie, ihre Entschlossenheit und vor allem die Faszination, den Zauber, den sie in mir auslöst, könnte ich wahrlich für etwas anderes im Leben gebrauchen als für die Selbsterniedrigung.

So will ich Freundschaft schließen mit dieser wilden Wut. Zähmen kann und will ich sie gar nicht, sie soll so bleiben. Denn sie ist auch schön und ihre Stimme wird gebraucht. Nur soll sie für den Chor singen lernen, statt ihn zu verhöhnen, zerstampfen, in Angst zerstreuen.

Wie kann ich mich ihr nähern?


Vor ein paar Tagen hatte sie wieder Besitz von mir genommen und ich versuchte die erlebte Ehr-Furcht mithilfe von Worten zu fassen.

Atemraubend.

Das Wort ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Weil es so ist. Mir stockt der Atem, wenn ich in dieser, ihrer Wahrheit stecke. Ich fühle den tief empfundenen Wunsch, aber auch den Sinn und die Logik, mit dem Atmen endlich aufhören zu wollen und zu können.

Aber der Atemreflex siegt. Der Körper siegt, siegt über ihren Einfluss. So kann mein Verstand sie nicht wirklich erreichen, aber vielleicht mein Körper Vermittler sein. Denn der Atem fließt immer weiter, ist blind und taub, lässt sich – ohne Gewalteinwirkung – nicht beirren, so sehr sie auch wütet.

Und vielleicht kann er mir helfen, uns – meine Selbstverachtung und mich – gemeinsam und gleichzeitig da sein zu lassen. Denn das ist notwenig, damit sie mich und meine anderen Anteile neben sich ertragen lernt.

Auf meinen Körper hören. Weiteratmen. Ausatmen, eineinatmen. Sie da sein lassen. Mich da sein lassen.

So glaube ich auch, er, mein Körper, nimmt sie wahr, lange bevor sie sich hinter dem Vorhang der Bühne nähert. Er kann sie erahnen, versucht, mich zu warnen. Aber alles, was ich verstehe, ist „diffuse Anspannung“ und die habe ich ja so oft…

Ich mache mir einfach nicht die Mühe, genauer hinzuhören.

So könnte ich sie in Würde und Respekt erwarten, den nötigen Abstand wahren um den wahren Grund ihres Zorns zu erfahren. Lernen, wann und warum sie begonnen hat, so zu singen. Was sie antreibt, es heute noch zu tun. Aufrechte, mutige Zuwendung, statt tatenloses Zusehen und automatisiertes Erliegen.

Lauscher schärfen, Fr. Nies!

Petersilie verrücken!!!

 


Petersilie in die Ohren? Da war doch was…?  Ja, vielleicht erinnert sich der eine oder die andere an „Asterix als Gladiator“: In diesem Comic-Klassiker schafft bei den Anwesenden gegen das unbeschreibliche Tönen des unbeirrbar selbstüberzeugt singenden Barden Troubadix nur → das zeitweise Linderung.

Und noch ein Gedankenbonbon findet sich im → Asterix-Lexikon zu Troubadix:

„Sein Name stammt vom französischen Wort Troubadour (provenzalischer Minnesänger des 12.-14.Jahrhunderts) ab. Im französischen Original trägt er den Namen Assurancetourix, was dem Ausdruck „assurance tous risque“, also einer Vollkaskoversicherung entspricht. Und tatsächlich rettet er die Gallier aus schier ausweglosen Geschichten, zum Beispiel als er im Band „Asterix und die Normannen“ Grautvornix mit seinem Gesang das Leben rettet oder in „Asterix im Morgenland“ den Kopf der Prinzessin Orandschade eine Sekunde vor der Stunde Null vor dem Henker rettet…“

Selbst der schrecklichste Ton kann zu seiner Zeit nützlich (gewesen) sein.

Friedrich

Er hat am 27. März 2018 Geburtstag.

Er reiht sich ein bei Charlotte, I. und Stefan. Mein innerer Chor, der sich mir langsam persönlich vorstellt. Mal sehen, wie viele es noch werden 😉

Jetzt ist sie völlig abgedreht? Ja. So ist es wohl.

Aber Friedrich meint: „Lass‘ nur. Es ist Dein Weg. Und er ist gut für Dich. Wirst schon sehen. Du machst das schon. Trau‘ Dich, Kleine. Ist schon in Ordnung.“

Friedrich ist nicht aus der Ruhe zu kriegen. Hat Nerven wie Drahtseile. Ein Kerl wie ein Baum. Ruht in sich und „er ist“. Einfach. Tief verwurzelt in Mutter Erde. Hat Zugang zur Quelle alter Weisheit. Er hat ein tiefes Verständnis und kann weit in die Ferne sehen. Zudem hat er einen einfach netten Humor. Er zwinkert mir vielsagend zu. Er glaubt an mich.

Er weiß.

Und ich kann ihm vertrauen.

Er ist nicht der schnellste. Ein bisschen eingerostet. Aber wir trainieren.

Warum?

Es ist der 17. August 2017, 22:49 Uhr. Ich bin in Wetzlar.

Kaum war mein Beitrag von heute fertig getippt, musste ich los. Weg, nur weg.

Ich entschied mich für den Rhein. Meine Schwester hatte uns 2015 zu einer kulinarischen Stadtführung in Fulda eingeladen. Auf dieser probierte ich einen Wein aus Rheinhessen, der mir so gut schmeckte, dass ich eine Flasche mit nach Hause nahm. Sie enthielt nicht nur ihre eigenen, sondern auch die Aromen des schönen, entspannten, sonnigen Tages mit allerlei Freuden des Gaumens und des vertrauensvollen Beisammenseins. Ich hob die Flasche all die Jahre auf.

Heute verriet mir mein Motorradnavigationsgerät den Weg zum Winzer dieses Weins nach Lorch am Rhein. Völlig unkompliziert öffnete man mir nach einem kurzen Telefonat die eigentlich geschlossene Tür des Ausschankraumes. Ich probierte drei ihrer Weine und entschloss mich schnell, aber sicher, dass mir der auf Grauschiefer gewachsene Riesling erneut am besten schmeckte, und nahm eine Kiste mit.

Ich freute mich darüber, ein Ziel für meine Reise gehabt zu haben, also eben nicht ziellos herumgefahren zu sein – wenn auch auf vielen kurvige Umwegen :-). Irgendwann hatte ich mein Ziel erreicht.

Und jetzt?

Der Weg machte mir Freude. Nicht (nur) das Ziel.

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Der Camino.

Ähnlich unvorbereitet wie auf den PCT werde ich anreisen.

Warum? Habe ich ein Ziel? Ist es nur ein Weglaufen? Ein hastiges Füllen der Zeit, die mir noch bleibt? Was will ich da?

Gerade jetzt im Moment fühle ich mich stumpf ob dieser Fragen, vielleicht auch der mittennächtlichen Zeit geschuldet (Freitag, 18. August, 02:51 Uhr). Auch meine Kritiker wenden sich gelangweilt ab, wiegen sich in Sicherheit: „Das wird doch sowieso wieder nichts“.

Aber was soll es denn auch werden?

Mein Wunsch heißt: Nicht werden, sondern sein.

Wahrnehmen, was ist. Offen sein für das, was ich spüre, sehe, für das, was oder wer mir begegnet. Offen sein und Mitgefühl haben für mich, aber auch für die Wesen am Weg. Mir ein guter Begleiter sein, auch an schlechten Tagen.

Wo stehe ich im Moment?

Ich weiß nun, dass mein innerer Chor sich eine tragende Stimme in ihren, inneren Reihen wünscht. Eine, die die Melodie kennt und dem Chor das Vertrauen vermittelt, das er braucht, um dem Üben, also dem Leben, zu vertrauen. In meinem Gefühl ist es eine männliche Stimme. Er singt manchmal ohne deutlich hörbar zu sein, summt bisweilen, ermutigt die leisen, freundlichen Stimmen und beruhigt die Ausreißer. Er drängt sich nicht vor, ist aber immer da. Er vermittelt Ruhe und Sicherheit, hat Geduld und Zuversicht. Der Chor braucht das Gefühl, dass diese tragende Stimme bei ihnen bleibt, auch wenn ihre Stimmen brüchig, eintönig, furchtsam, unanhörlich oder noch völlig tonlos sind. Verlässlichkeit.

In meiner Phantasie versuche ich dieser „inneren Vaterstimme“ mehr und mehr Gestalt zu geben.

Es geht also um das Vertrauen.

Welches ich auch brauche, um real auf diesen, neuen Weg zu gehen.

Von dem ich so wenig weiß.

Für den ich nicht vorbereitet bin. Weiß ich doch jetzt im Moment noch nicht mal, welches Ziel der Bus hat, in den ich steigen werde. Und wann er wo abfährt.

Ich werde gehen.

Und mit dem ersten Schritt, so wie mit allen weiteren, Vertrauen üben – also leben.

Was ich erreichen werde ist offen.

Möge es dann mein Ziel sein.