So schön – aber anders geht’s auch

Der gestrige Tag wirkte noch nach. Der Camino San Salvador ist wirklich einsam. Trifft man auf Menschen, wird man mit sowas wie neugieriger, freudlicher Aufmerksamkeit begrüßt. Das tut mir gut. Meine mir peinlichen, aber nicht zu verleugnenden Bedürfnisse nach „persönlicher Zuwendung“ werden bedient. Und auf dem Weg alleine zu sein erlaubt mir, die ständigen Vergleiche ein bisschen loszulassen und mich dem zu öffnen, was da ist. Das fühlt sich so gut an! Als Krönung gab es in Buiza noch das Gefühl, angekommen und zudem willkommen zu sein. Ich bin einfach dankbar für diesen Moment.

Jeder Schritt lohnte sich. Ich fühlte mich einfach so richtig dort, der Pfad schlängelte sich in die Höhe und wieder hinab, die Siedlungen waren eine interessante Abwechslung und beim Frühstücken sah ich einer kleinen Pferdegruppe beim Grasen zu.

Ich musste ständig Bilder machen, weil ich immer wieder neue Entdeckungen festhalten wollte.

Vögel und Grillen gaben die Begleitmusik zu meinem Geschnaufe und die Mücken freuten sich ob meines Schweißes. Schmetterlinge blinzelten blau, gelb, orange und weiß. Grashüpfer taten das, was ihr Name verspricht. Immer wieder rief ein Greifvogel oder ein Rabe… das ging die ersten ca. 15 km so…

…aber bis km 18 hatte ich zwei Mal der Weg verloren, was immer steile Auf- oder Abstiege zur Folge hatte, mich über mich und fehlende GPS unterstützte Karten geärgert und dieses mehrfach mit herzhaftem, lautem Fluchen kund getan.

Und dann kam Santa Maria de Arbas del Puerto…

und damit die N 630, eine Art Bundesstrasse. Um die Autobahngebühren zu sparen, wird sie reichlich genutzt.

Sie ist eine wahensinnig schöne, kurvenreiche, gut ausgebaute Straße mit phantastischer Aussicht und führt nach Oviedo. Mit dem Motorrad ein Traum.

Aber irgendwelche Fehlplaner meinten, da müssten auch die Pilger entlang – ohne nennenswerten Seitenstreifen, auf dem man sich einigermaßen sicher fühlen könnte.

Und das, wie man mir im Café sagte, für 20km lang!?! Nein, da entschloss ich mich, zu trampen statt mich dem Verkehr und seinem Lärm auszusetzen.  Gleich der erste Vorbeikommende, Pablo, nahm mich, wie gewünscht, bis Campomanes mit. Zu dem Ärger über den Caminoplaner gesellte sich ein schlechtes Gewissen und das Gefühl, aus meiner schönen Welt herausgerissen worden und darüber verletzt, traurig und irgendwie auch beleidigt zu sein.

Ab Campomanes verläuft der Camino durch ein Tal, das neben der Straße und einer Bahnstrecke auch noch von einer Autobahn durchzogen wird, an der ich dann mit Ohrenstöpseln entlang gelaufen bin. Diese helfen aber kaum gegen den Lärm und gar nicht gegen die Desillusion nach einem solch schönen Tagesanfang.

Ab Pola De Lena nahm ich den Zug. Ich habe gelernt: Man muss im Spanien die Fahrkarte aufheben, sonst kommt man auch beim Verlassen nicht vom Bahnsteig. Ich durfte mir zu diesem Zwecke noch extra eine neue Fahrkarte kaufen.

Ovieto empfing mich mit dichter, trüber Bewölkung, schlechter Luft und Grosstadtlärm. Mit dem Taxi ging es in die Herberge.

Als ich am Morgen um 7:30 Uhr aufwachte, waren meine zwei Zimmerkolleginnen schon, von mir völlig umbemerkt, verschwunden. Ich vernahm Möwengeschrei, fühlte mich völlig fehl am Platz und wusste, ich muss weg. Zumal mein Reiseführer entgegen meiner Vorstellung keinerlei Informationen über den Camino Primitivo enthielt und die App fürs Mobiltelefon nur auf Spanisch existiert. Ich nahm den Bus, kam gegen 14:00 Uhr in León an, gönnte mir ein Taxi aus der Stadt hinaus und war gegen 15 Uhr ab Fresno wieder auf dem Camino Frances.

Ein Dörfchen weiter traf ich Peter wieder. Wir liefen eine ganze Weile gemeinsam und erzählten uns aus unseren Leben. Ich werde ihn bestimmt wieder treffen. Und mich darüber freuen.

Buiza

Es ist Mittwoch, der 6. September 2017, 20:56 Uhr. Die Steine, auf denen ich sitze, sind noch etwas warm vom Tag, die Nacht kündigt sich jedoch schon mit spürbarer Kühle und Dunkelheit an. Die Kinder auf dem vorgelagerten Spielplatz sind aber noch hellwach und scheinbar recht gut gelaunt. Sie werfen sich Wortfetzen auf englisch zu und lachen sich in ansteckender Weise kaputt dabei.

Sie sind noch zu dritt und repräsentieren somit etwa ein Siebtel der Gesamteinwohnerschaft Buizas.

Die Aubergue Municipal wurde extra für mich aufgeschlossen
Ich bin der einzige Gast von möglichen 12 heute Nacht. Die Übernachtung kostet 5,-€
Man solle sich nach Buiza Nahrungsmittel mitbringen, da es hier nichts gebe. Aber die Hostalieros haben Nudeln, Eier, Knoblauch, Olivenöl une Gewürze vorrätig. Es gibt Seife, Toilettenpapier, Einmalbettwäsche und Wäscheklammern. Dinge, die ich sonst schon vermisst habe. Albergue der Eigennote 1 und * für Freundlichkeit.

Die Entscheidung welchen Weg ich weitergehen würde, fiel heute Morgen im ca. 43 km entfernten León recht spontan auf den Camino San Salvador, der 125 km weit ins nördlich gelegene Ovieto führt und von dort nach Santiago auf dem Camino del Norte oder dem Camino Primitivo fortgesetzt werden kann. Er wird als einsam und schön beschrieben. Entsprechend meiner allgemeinen Befindlichkeit fühle ich mich zur Zeit am wohlsten, wenn ich ganz alleine auf dem Weg bin. So bin ich genau richtig hier: Außer mir habe ich drei andere Wanderer gesehen, die in einer ca. 16 km von hier entfernten Herberge abgestiegen sind.

Stellenweise erinnerte mich der Weg an den PCT
aber es gab auch anderes zu sehen
Und die letzten gelaufenen ca. 6 km würde ich lieber mit dem Motorrad erkundet haben 😉

Stationen auf dem Camino Frances

Sonntag, der 20. August 2017

10:00 Uhr – 21. August 2017 13:00 Uhr:

Wetzlar – St. Jean Pied de Port

Montag, 21. August 14:30 Uhr

St. Jean Pied de Port (775) bis km ca. 761: Campen in den Bergen

Dienstag, 22. August 2017

km 761 bis Zubiri, Albergue Avellano (727,9) = 33,1 km

Bis La Abbadia (724,4) = 3,5 km

23. – 25. August La Abbadia, Zelten im Garten, Baden im Fluss

Freitag, der 25.08.2017

km 724,4 bis Guenduláin (698,6), Campen im Feld, Baden im Tümpel (= 25,8 km)

Samstag, der 26.August 2017

698,6 bis Lorca (670,3) Albergue Monjardin = 28,3 km

Sonntag, der 27. August 2017

Lorca (670,3) bis Sansol (633,5) Albergue Codes = 36,8 km

Montag, der 28. August 2017

Sansol bis Sotés (ca. 596) Albergue Sotés San Martin = 37,5 km

Dienstag, der 29. August 2017

Sotés über Ventosa (2,4 km) zum Camino (ca. 1 km), dann bis Grañón (555,2), Albergue municipal nuestra señora de Carrasquedo =  ? km

Mittwoch, 30. August 2017

Grañón (555,2), Albergue municipal nuestra señora de Carrasquedo bis San Juan de la ortega (515,7) = 39,5 km

Donnerstag, 31.August 2017

San Juan de la Ortega (515,7) bis Burgos, Albergue Municipal Casa de los cubos (489) = 26,7 km

Freitag, 1. September 2017

Tardajos (478,2) bis ca. 4 km hinter Castrojeriz (448,7) ca. 34 km, Schlafen im Zelt auf einen Stoppelfeld, windgeschützt vor einer kleinen Baumreihe

Samstag, 2. September 2017

ca. 4 km hinter Castrojeriz (448,7) bis ca. 3 km hinter Corrión de los Santos (404,8) = ?  km, Zelten in der Nähe uns einsichtig von der kaum befahrenen Straße und zugleich Camino auf einem Stoppelfeld

Sonntag, 3. September 2017

ca. 3 km hinter Corrión de los Santos (404,8) bis Sahagún (365,2), Albergue Municipal de Peregrinos Cluny = ca. 36,6 km

Montag, der 4. September 2017

Sahagún (365,2) bis Puente Villarente (322,1)  Albergue El Delphin Verde = ca. 43.1 km

Dienstag, der 5. September 2017

Puente Villarente (322,1)  bis Archajuaja (317,9) = ca. 4,2 km.

Übernachtung in Leon (310,3) Albergue Monasterio de Benedektinas.

Bisher gelaufene Strecke:

ca. 445 km (465 abzüglich der ca. gefahrenen km)

Flüchten mit Genuss

Ich bin in León. Ein Tag mit wenig Laufen, dafür mit Menschen.

Kathrin aus Canada, die mich so lieb getröstet hat.

Pilar, die mich im Café fragte, ob ich mit nach León wolle, obwohl sie weder Deutsch noch Englisch und ich weder Spanisch, Baskisch oder Französisch spreche. Sie stellte Telefonkontakt zu ihrer deutschsprechenden Freundin her und bot mir mit deren Übersetzungshilfe an, bei ihr zu schlafen, was ich aber ablehnte.

Fernando, ein freiwilliger Helfer in der Herberge in León, der mir ausführlich und mit Ruhe und Begeiterung den Camino San Salvador von León nach Ovieto erklärte, den ich vielleicht einschlagen werde, um wiedermal kleine, schmale Wege zu gehen und mich ein bisschen mehr als Person statt als Nummer zu fühlen.

Die Albergue Monasterio de Benedektinas wurde mir von einem Wanderer ganz am Anfang des Weges empfohlen, da man hier Informationen über den Camino San Salvador erhalte. Wie viele Betten so ein Schlafsaal hat, ist mittlerweile Nebensache 😉 Nur wünschte ich mir mittlerweile (es ist 2:30 Uhr nachts) etwas mehr Luft zum Atmen…

Die Herberge liegt in der Altstadt und somit nah am Zentrum.

Sechs Euro Eintritt in die Kathedrale habe ich mir gespart, zumal ich gespannt auf die Nonnengesänge der Messe war. Aber sowohl diese als auch die Pilgersegnung am Abend trieben mich umgehend wieder zur Flucht. Ich mag lieber draußen sein und üben, mich als Teil des Lebens zu fühlen, als in dicken Mauern brüchigen Stimmen zuzuhören oder um die Gnade zu flehen, mir meine „Sünden“ zu nehmen…

Nein, lieber ein bisschen Stadtleben atmen… faszinierend, wie lebendig und „leicht“ diese spanischen Städte am Abend sind.

Es war ein Genuss, ein bisschen Teil zu haben.

Auf dem Weg und in Burgos

Da hinten liegt Burgos
noch führt der Weg gefühlte Ewigkeiten an Strassen entlang

auch 150 Betten können ganz schnell voll sein

Jetzt liege ich hier, das Stimmengewirr der lebendigen Innenstadt dringt auch noch in den 6. Stock. Draußen findet das Leben statt, hier wird in den 30 belegten Betten des Raumes teilweise schon geschlafen.

Blick auf die eine Hälfte des Raumes…

Und morgen geht es weiter…

39,5 km in einen 18 Betten Schlafsaal

Mehr als noch das drohende Gewitter trieb mich die Vorstellung auf Essen zur Aubergue San Juan de la Ortega, hatte ich doch nur noch ein paar Nüsse im Rucksack. Ich kam kurz vor Küchenschluss an.

Schon 12 km zuvor hätte ich ein Bett im Schlafsaal haben können, entschloss mich aber zur Flucht, wohl wissend, das die nächste Herberge recht weit entfernt ist.

Ich tue mich schwer mit dem Dasein. Hier wie überall. Aber ab Burgos, ca 26 km entfernt, muss man wenigstens nicht mehr an der Straße voller dröhnender LKWs entlang laufen.

Nun liege ich im 18 Doppelstockbetten Schlafsaal. Nur ein Platz ist frei. Das wird was…

Regen und so

Es regnet hier. Konnte ich mich gestern noch wegen des leergefegten Weges sogar darüber freuen, fühlte ich mich heute genötigt, mich drei Mal umziehen zu müssen, was auf Dauer einfach nervt. Zudem verlief die Strecke heute größtenteils auf Asphalt, mitten durch die große Stadt Logroño und an Straßen, sogar direkt an einer Autobahn entlang.

Als ich nach gut 33 km im gerade strömenden Regen in Navarrete ankam und in mehreren Herbergen entweder auf besetzte Betten oder muffige Vorzimmer und ebensolche Anbieter stieß, setzte ich meinen Weg fort. Sotés liegt abseits und oberhalb des Weges, bietet aber Herbergsplätze an, also bog ich ab. Ein Vorbeifahrender wies mich darauf hin, dass ich auf dem falschen Weg sei. Mutig wie erfolglos fragte ich, ob er mich mitnehme. Irgendwann traute ich mich zu trampen, wenngleich mit wenig Hoffnung, waren ich und mein Riesenrucksack doch nicht gerade attraktiv und zudem auch noch nass. Aber gleich beim ersten Versuch hielt Elena an und fuhr mich bis hoch in den Ort zur privaten Herberge, wo ich freundlich empfangen wurde.

Nein, zu essen habe sie nichts mehr, gab mir aber einen Teller voll Kerne und Kekse.

Ein gutes Bett mit richtigem Laken, sauberer Dusche, Handtuch – alles zusammen für 10,-€. Da muss man sich fast schähmen.

Schön, so einen warmen, trockenen Platz zu haben, gerade auch dann, wenn draußen ein Gewitter sein Unwesen treibt.

Und es gibt noch mehr Schönes von diesem Tag zu berichten.

Ich habe z.B. Andrea aus Wettenberg wiedergetroffen. Und ich habe meine ersten und zudem sehr leckeren Tapas hier gegessen.

Dann gab es noch die freundliche Frau in der Kirche in Vialles, die mir eine Kerze schenkte und auch das Vogelkonzert im Feigenbaum war wunderschön:

Eure Kommentare und Nachrichten, wohltuende Telefonate und ganz viele „bon -camino-Wünsche“ im Vorbeigeghen, über die ich mich immer freuen kann.

Ich könnte noch mehr aufzählen, aber einer meiner zwei Zimmerkollegen liegt schon im Bett…

Obanos

Ich bin noch nicht weit gekommen. Heute und überhaupt. Kilometer kann man sammeln, messen, zählen, bewerten, festhalten. Verbundensein und Vertrauen mit und in sich und der Welt nicht.

Gestern war es da. Heute nicht.

Und dann komme ich durch Obanos, einem kleinen Ort kurz vor Puente la Reina.

Ich sehe diese Blüten und komme aus dem Staunen nicht mehr raus. Ein alter Mann kommt vorbei und erklärt mir wortreich (wobei ich nur ein einziges verstehe ;-)), dass es sich dabei um die Passionsblüte handele.

Ich gehe in die Kirche. Und da ist diese kleine Frau mit bunt glitzerndem Strassteinschmuck. Sie ist für die Pilgerstempel zuständig. Wir sprechen miteinander, ich in Deutsch und Englisch, sie auf Spanisch. Sie könne auch slowenisch, aber deutsch nicht. Ich spreche kein Wort spanisch. Es ist nicht wichtig. In diesem Moment ist sie einfach nur für mich da, spricht mit mir, sieht mich. Und sie wünscht mir von Herzen einen guten Weg.

Ich laufe weinend raus.

Weil ich sie heute nicht für mich aufbringe, macht mich diese Freundlichkeit fertig.

Fertig?