Der Atem stockt

Ich kann und will diese Arbeit nicht mehr tun.

Alles streubt sich. Der Atem stockt.

Aufgemacht hatte ich mich in diesem Jahr. Und offen treffe ich auf meinen Arbeitsplatz.

Es war ein Platz für mich, ein Willkommensein, mir so wichtig, dass ich mich all die Jahre über alle Signale hinweggesetzt und die Qualen in Kauf genommen habe. Fühlte ich mich doch auch gerade in dieser Qual als Teil meiner Kollegenschar.

Teilsein. Da sein dürfen.

Für dieses Gefühl nahm ich es auf mich, gegen die paar Werte zu arbeiten, die ich für mich schon gefunden habe. Ich unterstütze dieses System, so mit kranken Menschen umzugehen, indem ich mich meiner selbsternannten Machtlosigkeit unterwerfe und meinem derzeitigen Gefühl, das das nicht richtig ist, misstraue.

Auch wenn ich echte Schwierigkeiten damit habe, zu definieren, was genau:

Ich kann nicht mehr so viel geben und lassen. Ich spüre, ich kann diese Arbeit nicht mehr tun. Es mangelt mir an Konzentration, Geduld, Duldsamkeit, Flexibilität, Sanftmut. Und eben dem Gefühl, das Richtige zu tun. In mir und als Teil dieses Systems.

Infolgedessen quäle ich mich erneut.

Deutlich spürbar am Essverhalten.

Dieses dämpft die Schuld, die Sehnsucht nach Trost bei gleichzeitigem Gefühl der Untröstlichkeit.

Ich fühle mich zu klein für die folgenden Schritte.

Ich kann doch nicht mit 50 so eine Stelle aufgeben! Was soll ich tun? Was will ich tun? Wie weiter leben?

Es hat doch all die Jahre funktioniert… Klar. Aber zu welchem Preis?

Wie soll ich auf Körper, Seele und die neuen, fremden Gefühle und Gedanken hören können, wenn mir das so ungewohnt vorkommt?

Soll ich wirkliche all meine Sicherheiten in Frage stellen? Den Arbeitsplatz und am Ende noch die Wohnsituation?

Wie aber kann ich mich jemals „richtig“ fühlen, wenn ich tue, was sich falsch anfühlt?

Vertrauen lernen.

Indem ich es tue.

Das ist die Theorie.

Aktuell habe ich einfach nur Angst.

„Innehalten“!!!

schreit der Körper mit einer nicht zu überhörenden Erkältung: Auch ihm stockt der Atem.

„…nur noch eine Nacht durchhalten“ tröste ich ihn.

Ob das womöglich wahr wird?

Etappen Camino Francés ab León

Freitag, 8. September 2017

Fahrt mit dem Bus von Oviedo nach León, dann per Taxi nach Trobajo.

ca. 14 Uhr Start in Trobajo del Camino (306,4), gelaufen bis ca. 4 km vor Villavante (281,8) = ca. 20 km, übernachten im Zelt auf einer Wiese, sehr windig, kaum geschlafen. Schöner Sonnenuntergang

Samstag, 9. September 2017

ca. 4 km vor Villavante (281,8) bis Astorga (260,5), = ca. 25 km, übernachten in „Asociacion de Amigos del Camino de Santiago Astorga y su Comarca“ (Aubergue municipal)

Sonntag, 10. September 2017

Astorga (260,5) bis ca. 1 km hinter Riego de Ambros (219,7), schlafen im Zelt auf kleiner, dem Camino nahe gelegener Anhöhe = ca. 41 km

Montag, der 11. September 2017

ca. 1 km hinter Riego de Ambros (219,7) bis 2,5 km hinter Villafranca del Bierzo (183,2) = ca. 35,8 km, Zelten direkt auf einem Feldweg hinter dem Berg, windgeschützt

Dienstag, der 12. September 2017

2,5 km hinter Villafranca del Bierzo (183,2) bis O Cebreiro (übernachten in Aubergue Municipal) (154,8) = ca. 28,4 km (plus ca. 2,5 km um das verlorene Ladekabel wiederzufinden…)

Mittwoch, der 13. September 2017

O Cebreiro (154,8) bis ca. 1 km hinter San Mamede/Lugo (118,8) = ca. 36 km, Zelten auf einer gemähten Wiese. Regen am Morgen.

Donnerstag, der 14. September 2017

Ca. 1 km hinter San Mamede/Lugo (118,8) bis Ventas de Narón (79,7) = ca. 39,1 km, Übernachtung in Auberge Casa Molar

Freitag, 15. September 2017

Ventas de Narón (79,7) bis Ribadiso da Beixo (42,2) = ca. 37,5 km, Schlafen in Auberge Municipal für 6,- €

Samstag, 16. September 2017

Ribadiso da Beixo (42,2) bis A Lavacolla (10,5) = 31,7 km, EZ in Pension, Dusche und WC nebenan, 25,-€

Sonntag, 17. September 

A Lavacolla (10,5) bis Santiago de Compostela = 10,5 km, EZ in Pension in der Rúa do Hospitaliño Nr 5, Dusche und WC ein Stock tiefer, 30,-€

15. September 2017

So ruhig.

Sonnig, aber kühl.

Kleine, sanfte Schauer malen Regenbogen.

schon 2 km

Streben
Kühe holen. Wie jedem Tag.
noch 2 km…
…wer zu spät kommt, muss halt oben schlafen – und hoffentlich nicht auf’s Klo nachts… 😉
16. September. Doch, es war gut, mich gegen das Zelt entschieden zu haben. Der Herbst kündigt sich mit kühlem Nebel an – auch in Spanien.

O Cebreiro (154,8) – San Xil – Aguiada (120,1)

Ich habe das Gefühl, ich bin auf Abschiedstour. Nur noch wenige Tage bis Santiago. Nur noch ein Tag bis zur 100 km Grenze, da wo viele weitere Pilger in den Jakobsweg einsteigen, um ihre Urkunde zu erhalten.

So kam mir die heutige Etappe gerade recht. Die Herberge in O Cebreiro fasst 104 Menschen. Ich hatte das Gefühl, alle sind gleichzeitig losgegangen. Die Aussicht aber war beruhigend schön und die Sonne setzte sich durch…

Ab Triacastela (133,7) wählte ich die kürzere, aber steilere und einsamere Streckenvariante über San Xil (129,8). Kleine, schmale, alte Wege im Wald führten zu winzigen Orten. Hier gibt es nur Landwirtschaft und alles riecht danach. Es war einfach nur passend und schön.

Zwischenzeitlich kam ich echt in Stimmung, hörte erstmals auf dem Camino Musik (die Beatles) und sang lautstark mit, so einsam war es.

Und gerade sitze ich in einer Bar in Aguiada (120,1), lade das Handy und beende den Tag. Ich möchte heute nochmal Zelten. Alleine und draußen sein, Ruhe haben. Der Tag war sonnig, so hoffe ich auf einigermaßen trockene Böden und einen guten Platz, an dem ich mich sicher fühlen kann und der Wind nicht so sehr weht. In Gallicien ist das Wetter rauer, vielleicht ist das die letzte Nacht, in der ich draußen sein kann und will für dieses Jahr…

Habe mir Bogadillos und Wein für den Abend eingepackt… das Handy ist fast voll, die Sonne wartet nicht auf mich, ich will sie gehen sehen… drückt mir die Daumen für einen guten Platz!

29. August – bis Grañón

 

Ich bin noch in der Region Rioja und werde den hier angebauten Wein nun mit dem Gefühl von Weite und Wärme trinken.

Das Regenwetter schwänzte seinen Termin, so hatten wir sonnige Begleitung.

Der erste größere Ort, durch den mich der Weg heute führte, war Najera.

Es gab Tapas und Obst zum zweiten Frühstück und zum Nachtisch „Landschaft“.

Mein eigentlich ins Auge gefasste Ziel war die Kleinstadt Santo Domingo de la Calzada, aber das hatten sich auch andere gedacht. Letztendlich trieb mich die Fülle von Pilgern, aber auch meine Unruhe weiter. Die nächste Station, 6,8 km entfernt, hieß Grañón. Ich zwang mich zur Eile, denn es braute sich ein Gewitter zusammen.

Auf dem ganzen Weg traf ich keinen anderen Pilger. Sie waren alle geblieben.

Die Abkürzung direkt auf das Örtchen zu offenbarte sich als Umweg, denn die einzige Herberge mit Waschmaschine versteckte sich außerhalb im ehemaligen Hospital und heutigen Jugendherberge „Albergue municipal Ermita de Carrasquedo“.

Ob ich ein Einzelzimmer wolle? Statt 8,-€ nur 18,-€. Nein, danke. Nun liegen ich alleine im Vierbettzimmer und ich bin der einzige Mensch auf Wanderschaft hier in diesen Mauern.

Wobei: Alleine bin ich nicht. Es sind einige Familien zu Gast und das hört sich so an:

Das Gewitter kam dann auch noch an, packte aber nur leises Grollen und ein bisschen Regen aus. Ich hoffe, morgen macht es sich dann ganz von dünne.

 

Intensivkurs

Titel: „Alte Muster, neu erlebt“:

Fühlen: Nützlich, Teil, Hilfe und willkommen sein.

Gebraucht werden.

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Können: Das Passende, nicht immer das Schwere wählen. Die eigenen Grenzen erkennen, aufhören, bei der Arbeit zusehen, Nein sagen. Sich verzeihen.

Dankbar und mitfühlend mit sich statt verärgert zu sein, zu beobachten, dass andere sich das selbstverständlich wert sind, einfach zu tun.

Wiederholung: Abhauen. Fliehen?

Nein: Ich habe erstmal genug erfahren.

Ich habe einen guten Platz gefunden.

Ich gehe weiter.

Vergehen lassen

Helfer

Verrückt. Morgens warf ich noch schnell einen Blick in den Wanderführer, ohne den ich vielleicht an der kleinen Abtei St. Lucia vorbei gelaufen wäre, war ich doch in ein Interview von Siju aus Japan vertieft, die in Lion Französisch studiert und auch auf den Camino unterwegs ist. Aber ich hatte von einem interessanten Projekt eines Ehepaars gelesen, die diese verlassene Kirche wieder mit Leben füllen zu wollen und kehrte deshalb ein.

Aufmerksam wurde der aus Südafrika stammende Neill auf das kleine Kirchlein im Alter von 52 Jahren auf seinem eigenen Pilgerweg. Seine Frau Kathrin ist Engländerin, ihre Tochter Evelyn ist ca. 1 Jahr alt. Seit fünf Jahren ist das Gebäude nun in ihrem Besitz, welches durch den angrenzenden Straßenbau wassergeschädigt und auf lange Sicht einsturzgefährdet ist. Neill hat sich die Rettung zur Aufgabe gemacht. Es gibt Strom von Generator und fließendes Wasser aus der Quelle. Kanalisation bzw. Toilettenspülung? Fehlanzeige. In das kleine Bad trägt man das Spül- oder Badewasser in Eimern nach oben. Die kleine Familie lebt, vor allem im Winter, im ca. 18 km entfernten Pamplona.

Über die Geschichte der Kirche versuche ich später noch etwas von dem zusammenzuschreiben, was ich so aufgeschnappt habe.

Neill und Cornelia aus Deutschland, die seit 3 Wochen hier aushilft, erzählten uns vorbeikommenden Wanderern unentwegt von dem Projekt. Auch davon, dass jede Hilfe gebraucht werde. Irgendwann machte ich mich wieder auf den Weg, auf dem Siju schon eine Weile verschwunden war, aber meine Gedanken blieben dort. Alle möglichen Zweifel beiseite legend drehte ich um. Es fühlte sich richtig an.

Wortschatzerweiterung „wheelbarrow“, in diesem Fall gefüllt, auf dem Weg zum Lagerplatz am Ende des Grundstücks

Inzwischen waren fünf weitere Helfer am Werk. Wir begannen, mit Hacke und Pickel die Grasnarbe neben dem Gebäude zu entfernen mit dem Plan, irgendwann den ursprünglichen Camino freizulegen. Matthew aus Frankreich half einige Stunden und zog es dann weiter. Rose und Rawen, sowie Dorothea und Tanja stammen aus Colorado bzw. Texas und ihnen erging es gestern so, wie mir heute. Sie alle wurden vom Film „The Way“ inspiriert, auf den Camino zu gehen. Interessant ist es, wer da mit wem zusammengeht: Bei Rawen (19) und Rose (69) handelt es sich um Enkelin und Oma, bei Tanja (60) und Dorothea um Mutter und Tochter, wobei die Tochter selbst schon Großmutter ist. Dorothea ist 93 Jahre alt.

Cornelia, Rawen, Tonja, Rose, Dorothea und ich

Cornelia unterbrach letztes Jahr ihren Camino, um hier spontan eine Woche zu helfen. Nun ist sie schon seit drei Wochen hier und berichtet in einer liebevoll begeisterten und begeisternden Weise von dem Projekt. Ihre Sprachkenntnisse sind dabei besonders hilfreich: Sie stammt aus Deutschland, lebt in Engand und spricht neben fließenden Englisch auch noch holländisch. Und eine schöne Frau ist sie zudem auch noch, was sie aber gar nicht hören mag.

Am Abend eines schön anstrengenden Tages empfahl mir Neill ein Bad im Fluss: Wie Recht er hatte!

Links auf der kleinen Straße oberhalb verläuft der Camino

Ich bleibe mindestens noch einen Tag. Dorothea und  Tanja kommen auch wieder und zwei weitere spontane Helferinnen zelten auch schon hier.

Tag 1

Der Tag hat eigentlich gestern (20. August) schon angefangen. Mit Jannis von Bla bla car bin ich nach Frankfurt und von dort aus mit Flixbus ab 13 Uhr über Paris nach Bayonne gefahren, wo ich heute um ca. 8:30 Uhr angekommen bin.

Die Wartezeit bis zur Abfahrt des Zuges nach Saint Jean Pied de Port habe ich mir mit Bummeln durch die noch leere Altstadt und gemütlichem Sitzen im Strassencafe vertrieben. Und in der Kathedrale habe ich mir eine Kerze angezündet. Die erste auf dem Weg, es werden wohl noch ein paar folgen.

Schon im Zug kam ich lebhaft mit Andrea aus Wettenberg und Michael aus Schweden ins Gespräch. Da die beiden aber eine Nacht bleiben, ich aber dem Touristenrummel lieber sofort entfliehen wollte, trennten sich unsere Wege doch recht schnell wieder. Noch schnell den ersten Stempel für den Pilgerausweis holen und auf geht’s…

Jetzt liege ich hier bei ca 1300 m Höhe in meinem Zelt und es fühlt sich gut an, obwohl wildes Campen ja nicht erlaubt ist. Der Wind rüttelt am Zelt und die Erinnerungen an den PCT wach. Schon heute Mittag, als ich so um ca. 14:30 Uhr den Aufstieg begann, war es so, wie es sein sollte: Der Schweiß rann in Strömen, die Sonne brannte und alle paar Meter brauchte ich eine Verschnaufpause – also alles wie früher!

Und gut so. Da ich so spät gestartet war, traf ich kaum einen Menschen, vor allem nicht mehr nach der letzten Herberge bei ca. km 5, denn das war die letzte bis km 15. Meine Mitwanderer hatten sich einfach vorher niedergelassen. Mir gefällt es so gut hier auf der Höhe, einsam und schön. Bis auf den Wind sind nur ein paar Schafglocken zu hören. Das wird eine gute Nacht.