Los

Sie holt mich immer wieder ein.

Die Hoffnung, hier irgendetwas los werden zu können.

Aber vielleicht werde ich ja

die Hoffnung

los.

 

 

29. August – bis Grañón

 

Ich bin noch in der Region Rioja und werde den hier angebauten Wein nun mit dem Gefühl von Weite und Wärme trinken.

Das Regenwetter schwänzte seinen Termin, so hatten wir sonnige Begleitung.

Der erste größere Ort, durch den mich der Weg heute führte, war Najera.

Es gab Tapas und Obst zum zweiten Frühstück und zum Nachtisch „Landschaft“.

Mein eigentlich ins Auge gefasste Ziel war die Kleinstadt Santo Domingo de la Calzada, aber das hatten sich auch andere gedacht. Letztendlich trieb mich die Fülle von Pilgern, aber auch meine Unruhe weiter. Die nächste Station, 6,8 km entfernt, hieß Grañón. Ich zwang mich zur Eile, denn es braute sich ein Gewitter zusammen.

Auf dem ganzen Weg traf ich keinen anderen Pilger. Sie waren alle geblieben.

Die Abkürzung direkt auf das Örtchen zu offenbarte sich als Umweg, denn die einzige Herberge mit Waschmaschine versteckte sich außerhalb im ehemaligen Hospital und heutigen Jugendherberge „Albergue municipal Ermita de Carrasquedo“.

Ob ich ein Einzelzimmer wolle? Statt 8,-€ nur 18,-€. Nein, danke. Nun liegen ich alleine im Vierbettzimmer und ich bin der einzige Mensch auf Wanderschaft hier in diesen Mauern.

Wobei: Alleine bin ich nicht. Es sind einige Familien zu Gast und das hört sich so an:

Das Gewitter kam dann auch noch an, packte aber nur leises Grollen und ein bisschen Regen aus. Ich hoffe, morgen macht es sich dann ganz von dünne.

 

Regen und so

Es regnet hier. Konnte ich mich gestern noch wegen des leergefegten Weges sogar darüber freuen, fühlte ich mich heute genötigt, mich drei Mal umziehen zu müssen, was auf Dauer einfach nervt. Zudem verlief die Strecke heute größtenteils auf Asphalt, mitten durch die große Stadt Logroño und an Straßen, sogar direkt an einer Autobahn entlang.

Als ich nach gut 33 km im gerade strömenden Regen in Navarrete ankam und in mehreren Herbergen entweder auf besetzte Betten oder muffige Vorzimmer und ebensolche Anbieter stieß, setzte ich meinen Weg fort. Sotés liegt abseits und oberhalb des Weges, bietet aber Herbergsplätze an, also bog ich ab. Ein Vorbeifahrender wies mich darauf hin, dass ich auf dem falschen Weg sei. Mutig wie erfolglos fragte ich, ob er mich mitnehme. Irgendwann traute ich mich zu trampen, wenngleich mit wenig Hoffnung, waren ich und mein Riesenrucksack doch nicht gerade attraktiv und zudem auch noch nass. Aber gleich beim ersten Versuch hielt Elena an und fuhr mich bis hoch in den Ort zur privaten Herberge, wo ich freundlich empfangen wurde.

Nein, zu essen habe sie nichts mehr, gab mir aber einen Teller voll Kerne und Kekse.

Ein gutes Bett mit richtigem Laken, sauberer Dusche, Handtuch – alles zusammen für 10,-€. Da muss man sich fast schähmen.

Schön, so einen warmen, trockenen Platz zu haben, gerade auch dann, wenn draußen ein Gewitter sein Unwesen treibt.

Und es gibt noch mehr Schönes von diesem Tag zu berichten.

Ich habe z.B. Andrea aus Wettenberg wiedergetroffen. Und ich habe meine ersten und zudem sehr leckeren Tapas hier gegessen.

Dann gab es noch die freundliche Frau in der Kirche in Vialles, die mir eine Kerze schenkte und auch das Vogelkonzert im Feigenbaum war wunderschön:

Eure Kommentare und Nachrichten, wohltuende Telefonate und ganz viele „bon -camino-Wünsche“ im Vorbeigeghen, über die ich mich immer freuen kann.

Ich könnte noch mehr aufzählen, aber einer meiner zwei Zimmerkollegen liegt schon im Bett…

Obanos

Ich bin noch nicht weit gekommen. Heute und überhaupt. Kilometer kann man sammeln, messen, zählen, bewerten, festhalten. Verbundensein und Vertrauen mit und in sich und der Welt nicht.

Gestern war es da. Heute nicht.

Und dann komme ich durch Obanos, einem kleinen Ort kurz vor Puente la Reina.

Ich sehe diese Blüten und komme aus dem Staunen nicht mehr raus. Ein alter Mann kommt vorbei und erklärt mir wortreich (wobei ich nur ein einziges verstehe ;-)), dass es sich dabei um die Passionsblüte handele.

Ich gehe in die Kirche. Und da ist diese kleine Frau mit bunt glitzerndem Strassteinschmuck. Sie ist für die Pilgerstempel zuständig. Wir sprechen miteinander, ich in Deutsch und Englisch, sie auf Spanisch. Sie könne auch slowenisch, aber deutsch nicht. Ich spreche kein Wort spanisch. Es ist nicht wichtig. In diesem Moment ist sie einfach nur für mich da, spricht mit mir, sieht mich. Und sie wünscht mir von Herzen einen guten Weg.

Ich laufe weinend raus.

Weil ich sie heute nicht für mich aufbringe, macht mich diese Freundlichkeit fertig.

Fertig?

 

 

La Abadia St. Lucia

Die Kleine Kirche liegt zwischen den Dörfern Illaratz und Ezkirotz bei ca. km 724.4 (Entfernung bis Santiago, also ca. 50 km hinter St. Jean Pied de Port).

Die Einweihung St. Lucias wird ins 17. Jahrhundert datiert, Der jetzige Besitzer Neill fand aber Münzen aus dem 13.

Der Altar vereint christliche wie heidnische Symbole.

Der Boden im Eingangsbereich war betoniert. Neill hat ihn freigelegt.

Eingearbeitet in das siebenstrahlige Muster sind kleine Rosetten angeblich dort, wo bei der Einweihung das Weihwasser den Boden berührt hat.

Durch die alleinstehende Lage und bestimmte Hinweise im und am Gebäude vermutet er, dass die Kirche ursprünglich als Schutz der Pilger von den Tempelrittern errichtet worden war. Erst später wurde es von der Kirche und ztw. von Benedektinermönchen genutzt.

Vom ersten Eingang ist nur noch der Türbogen zu erkennen, der Rest ist von Erde bedeckt:.

Tanja legt einen alten Bodenbelag frei. Im Hintergrund der alte Türbogen.

Vielleicht erzählt die Kirche igendwann noch ganz andere Geschichten als Neill jetzt schon.

Fundstück Moskitokugel… oder so :-))

GPS Daten: 42.909951,-1.521198 Pluscode 8CJWWF5H+XG, unter „safe the abbey“ findet man bestimmt auch etwas dazu im Internet bzw bei Facebook.

Intensivkurs

Titel: „Alte Muster, neu erlebt“:

Fühlen: Nützlich, Teil, Hilfe und willkommen sein.

Gebraucht werden.

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Können: Das Passende, nicht immer das Schwere wählen. Die eigenen Grenzen erkennen, aufhören, bei der Arbeit zusehen, Nein sagen. Sich verzeihen.

Dankbar und mitfühlend mit sich statt verärgert zu sein, zu beobachten, dass andere sich das selbstverständlich wert sind, einfach zu tun.

Wiederholung: Abhauen. Fliehen?

Nein: Ich habe erstmal genug erfahren.

Ich habe einen guten Platz gefunden.

Ich gehe weiter.

Vergehen lassen

Helfer

Verrückt. Morgens warf ich noch schnell einen Blick in den Wanderführer, ohne den ich vielleicht an der kleinen Abtei St. Lucia vorbei gelaufen wäre, war ich doch in ein Interview von Siju aus Japan vertieft, die in Lion Französisch studiert und auch auf den Camino unterwegs ist. Aber ich hatte von einem interessanten Projekt eines Ehepaars gelesen, die diese verlassene Kirche wieder mit Leben füllen zu wollen und kehrte deshalb ein.

Aufmerksam wurde der aus Südafrika stammende Neill auf das kleine Kirchlein im Alter von 52 Jahren auf seinem eigenen Pilgerweg. Seine Frau Kathrin ist Engländerin, ihre Tochter Evelyn ist ca. 1 Jahr alt. Seit fünf Jahren ist das Gebäude nun in ihrem Besitz, welches durch den angrenzenden Straßenbau wassergeschädigt und auf lange Sicht einsturzgefährdet ist. Neill hat sich die Rettung zur Aufgabe gemacht. Es gibt Strom von Generator und fließendes Wasser aus der Quelle. Kanalisation bzw. Toilettenspülung? Fehlanzeige. In das kleine Bad trägt man das Spül- oder Badewasser in Eimern nach oben. Die kleine Familie lebt, vor allem im Winter, im ca. 18 km entfernten Pamplona.

Über die Geschichte der Kirche versuche ich später noch etwas von dem zusammenzuschreiben, was ich so aufgeschnappt habe.

Neill und Cornelia aus Deutschland, die seit 3 Wochen hier aushilft, erzählten uns vorbeikommenden Wanderern unentwegt von dem Projekt. Auch davon, dass jede Hilfe gebraucht werde. Irgendwann machte ich mich wieder auf den Weg, auf dem Siju schon eine Weile verschwunden war, aber meine Gedanken blieben dort. Alle möglichen Zweifel beiseite legend drehte ich um. Es fühlte sich richtig an.

Wortschatzerweiterung „wheelbarrow“, in diesem Fall gefüllt, auf dem Weg zum Lagerplatz am Ende des Grundstücks

Inzwischen waren fünf weitere Helfer am Werk. Wir begannen, mit Hacke und Pickel die Grasnarbe neben dem Gebäude zu entfernen mit dem Plan, irgendwann den ursprünglichen Camino freizulegen. Matthew aus Frankreich half einige Stunden und zog es dann weiter. Rose und Rawen, sowie Dorothea und Tanja stammen aus Colorado bzw. Texas und ihnen erging es gestern so, wie mir heute. Sie alle wurden vom Film „The Way“ inspiriert, auf den Camino zu gehen. Interessant ist es, wer da mit wem zusammengeht: Bei Rawen (19) und Rose (69) handelt es sich um Enkelin und Oma, bei Tanja (60) und Dorothea um Mutter und Tochter, wobei die Tochter selbst schon Großmutter ist. Dorothea ist 93 Jahre alt.

Cornelia, Rawen, Tonja, Rose, Dorothea und ich

Cornelia unterbrach letztes Jahr ihren Camino, um hier spontan eine Woche zu helfen. Nun ist sie schon seit drei Wochen hier und berichtet in einer liebevoll begeisterten und begeisternden Weise von dem Projekt. Ihre Sprachkenntnisse sind dabei besonders hilfreich: Sie stammt aus Deutschland, lebt in Engand und spricht neben fließenden Englisch auch noch holländisch. Und eine schöne Frau ist sie zudem auch noch, was sie aber gar nicht hören mag.

Am Abend eines schön anstrengenden Tages empfahl mir Neill ein Bad im Fluss: Wie Recht er hatte!

Links auf der kleinen Straße oberhalb verläuft der Camino

Ich bleibe mindestens noch einen Tag. Dorothea und  Tanja kommen auch wieder und zwei weitere spontane Helferinnen zelten auch schon hier.

Tag 1

Der Tag hat eigentlich gestern (20. August) schon angefangen. Mit Jannis von Bla bla car bin ich nach Frankfurt und von dort aus mit Flixbus ab 13 Uhr über Paris nach Bayonne gefahren, wo ich heute um ca. 8:30 Uhr angekommen bin.

Die Wartezeit bis zur Abfahrt des Zuges nach Saint Jean Pied de Port habe ich mir mit Bummeln durch die noch leere Altstadt und gemütlichem Sitzen im Strassencafe vertrieben. Und in der Kathedrale habe ich mir eine Kerze angezündet. Die erste auf dem Weg, es werden wohl noch ein paar folgen.

Schon im Zug kam ich lebhaft mit Andrea aus Wettenberg und Michael aus Schweden ins Gespräch. Da die beiden aber eine Nacht bleiben, ich aber dem Touristenrummel lieber sofort entfliehen wollte, trennten sich unsere Wege doch recht schnell wieder. Noch schnell den ersten Stempel für den Pilgerausweis holen und auf geht’s…

Jetzt liege ich hier bei ca 1300 m Höhe in meinem Zelt und es fühlt sich gut an, obwohl wildes Campen ja nicht erlaubt ist. Der Wind rüttelt am Zelt und die Erinnerungen an den PCT wach. Schon heute Mittag, als ich so um ca. 14:30 Uhr den Aufstieg begann, war es so, wie es sein sollte: Der Schweiß rann in Strömen, die Sonne brannte und alle paar Meter brauchte ich eine Verschnaufpause – also alles wie früher!

Und gut so. Da ich so spät gestartet war, traf ich kaum einen Menschen, vor allem nicht mehr nach der letzten Herberge bei ca. km 5, denn das war die letzte bis km 15. Meine Mitwanderer hatten sich einfach vorher niedergelassen. Mir gefällt es so gut hier auf der Höhe, einsam und schön. Bis auf den Wind sind nur ein paar Schafglocken zu hören. Das wird eine gute Nacht.

Aufgabe

Sonntag, 20. August 2017, 7:42 a.m.

Es gibt eine ganze Menge Urteile, Einstellungen und Gefühlsknäule, die mir bisweilen das Leben schwer machen. Dabei öffnet schon alleine die Vorstellung von mehr Leichtigkeit und Vertrauen im Leben das Herz, die Augen und den Mund, befreit die Arme und setzt die Füße in Bewegung.

Das ist die Aufgabe, die es zu meistern gilt – mit kleinen Schritten. Viele Schritte werden zum Weg.

Ich stelle mir eine Aufgabe: Die Aufgabe ist es, mich aufzugeben. Hingabe, Loslösung, nicht um mich zu finden, sondern um mich finden zu lassen.

So viel zur Theorie, die mir im Moment nur eine Ahnung ist, aber eine vollmundige, öffnende, ermunternde.

Auf geht’s.