konstruiert und kostbar

Mein Nervensystem hat da eine Macke in der Platte: Beim Gefühl, dass es sein könnte, dass ich, einfach so und irgendwie selbstverständlich „in Ordung“ sein könnte, wie andere Menschen auch, hat es einen Kratzer.

Manchmal springt es zurück in irgendwas Altes. Und manchmal hüpft es einfach hinein in etwas, das es sich nicht recht erklären kann.

Unverständlich wie unglaubwürdig – aber gerade im Spiegel einfach freundlicher Menschen so erstaunlich schön – fühlt sich beispielsweise das Gefühl für mich an, ihnen wie selbstverständlich eine willkommene Gesellschaft zu sein. Immer wieder neu. Unvertraut, irgendwie bemerkwürdig wohlig aromatisch wie vielleicht ein seltenes Gewürz aus fernen Landen auf dem Gaumen zu schmecken vermag.


 

Ich weiß, dass die Klingeltaste manchmal klemmt. Diesmal aber hebt sie sich ohne mein Nachhelfen wieder aus ihrem Rahmen – und dann summt auch schon der Türöffner. Mittlerweile kann ich mir fast an einer Hand ausrechnen, wie oft ich noch über diese schönen, alten Muster im Boden des Altbaus zum Treppenhaus gehen werde. Diesem folge ich dann Stockwerk um Stockwerk hinauf, bis die Stufen nicht mehr steinern, sondern hölzern sind. Die Türe dort oben ist angelehnt. Von drinnen erklingt ein freundliches „Halloho“ von Andrea und ich freue mich auf sie.

Und da ist er: „Mein“ Platz.

Andrea hat viele Stühle und sie weiß, wer am liebsten auf welchem sitzt. Mir passt ihr Hocker am besten und sie stellt ihn mir immer schon an die Wand, an die ich mich manchmal so gerne ganz leicht anlehne, nur um Kontakt zu spüren. Ich fühle mich an diesem Platz sicher – und nie im Weg.

„Nimm‘ Dir.“


Eines dieser wunderbaren Geschenke, die mir hier in Freiburg zuteil wurden, sind Maria, Cornelia, Susanne und Andrea, deren Einladungen zur Selbsthilfegruppe ich oft und immer wieder gerne gefolgt bin. Sie machten ihre Tür weit auf, verschenkten Raum und ihr Vertrauen. Eine Kerze brannte. Dazu gab es einen Tee, oftmals eine kleine Leckerei und immer ein „Fühl Dich willkommen, Karin, -Gefühl“ zum Probieren – Mal um Mal kostbar.

Danke, Euch.


Ich habe gefühlt ewig gebraucht, diesen Blogbeitrag abzuschließen. Er wurde einfach nicht rund, so sehr ich mich bemühte…

„Konstruiert wirkt er“, nörgelt es in mir.

Ja.

Stimmt. Ist er ja auch. Recht hat er, der Nörgler.

Passt ja auch zum Inhalt…

Und es ist einfach schön, dass mich unter anderem auch diese Macke in der Platte und die Lust auf dieses Gefühl mit diesen lieben Menschen in Verbindung gebracht hat.

Sich völlig unverhohlen dankbar zu fühlen schmeckt übrigens auch sehr lecker.

 

 

Abschied aus Freiburg – Fülle

Und nun nehme ich Abschied von Freiburg.

Noch steht der Entlassungstermin nicht fest. Aber das Abschied – nehmen steht an.

Und es fällt mir schwer.

„Erstmal Ausmisten“… ist immer ein guter Anfang, weil ich weiß, wie sehr es mir gefällt, auf übersichtliche Ablagen und Schrankfächer schauen und zugreifen zu können. Damit es leichter werde…

…so habe ich also meine Kalender vom letzten Jahr gefunden.

Im Lichte des Abschiedes ergeht es mir bei diesem Blick zurück manchmal schlecht. Ich hätte so viel verpasst, miesepetert es in mir. Ich hätte so viel mehr machen müssen und habe meine Zeit nicht ausreichend genutzt…

Jetzt aber fühle ich mich wohl. Ich spüre Freude. Und ich bin einfach so richtig gründlich dankbar.

Wie wohl in jeder größeren Stadt gibt es auch hier verschiedene Zeitschriften, die über alle Arten von Veranstaltungen informieren. Diese hatte ich mir zu Beginn meiner Zeit in Freiburg regelmäßig vorgenommen und, damit mir möglichst wenig entgehe, alles notiert, was mein Interesse weckte.

Nahezu täglich hatte ich, zusätzlich zu meinem Rehaprogramm, irgendetwas vor: Vorträge, VHS Kurse, Konzerte, Selbsthilfegruppe, Museumsführung… Freiburg bietet eine derartige Fülle an Angeboten für die Sinne, die Neugierde und die Lust, dass ich auf Dauer die doppelte Kraft, die dreifache Zeit und die Extraportion finanzielle Mittel gebraucht hätte – wenn nicht… wir wissen, dass es anders kam: Ab Frühjahr letzten Jahres jedenfalls ging es mit meinen kulturellen Exkursen schlagartig bergab. Zudem fehlte mir neben den Praktika während der berufliche Reha einfach oft auch die Kraft, um abends nochmal mein Rad zu satteln und die Stadt zu erkunden.

Ich war mutig. Habe Dinge ausprobiert, die mir „früher“ niemals in den Sinn gekommen wären.

Zum Beispiel fällt mir da mein Kurs im „intuitiven Singen“ ein. Da durfte ich mich in dieser Wiehrevilla willkommen fühlen und mich mitmachend ausprobieren – trotz meiner Stimme und meinen Hemmungen, zu singen. Und dann war da noch der Kurs über die kreativen Annäherung an die inneren Anteile. Ganz verrückt war das Tagesseminar, in dem ich beim „Haka“ – Ritual mitgemacht habe. Beim entsprechenden Wochenendkennenlernkurs habe ich bei „Tamalpa“ reingeschnuppert… und so meine hiesige Logopädin kennengelernt. Das in Freiburg und Umgebung sehr bekannte, alljährliche „ZMF“ (Zelt-Musik-Festival), im Tierpark Mundenhof habe ich 2019 mehrere Male besucht. Will man sich die Eintrittspreise sparen, setzt man sich unter die anderen Menschen in die warme Sommernacht und hört dem Treiben in den Zelten einfach mit Sicht auf den Sternenhimmel zu. Im Konzerthaus war ich auch zwei Mal… habe die Matthäuspassion von Bach und den Messias von Händel gehört – wobei ich bei der Erinnerung daran schmunzeln muss…. kann sich jemand vorstellen, dass ich, fast zentral hinter dem Dirigenten sitzend, beim Höhepunkt der Veranstaltung, dem stimmgewaltigen „Halleluja“ – Chor, eingeschlafen bin…?! Sowas kann man nur mit Humor nehmen!

Ich bin den Veranstaltern ins Konzerthaus des Freiburger Barockorchesters gefolgt, ins Münster und in viele andere Gotteshäuser, wobei mir dabei die Christuskirche in besonders lieber Erinnerung ist. Nicht wegen ihrer Architektur. Auch kann ich die Akkustik nicht wirklich beurteilen. Aber das Angebot der kleinen Kirche lockte mich einfach und die Kosten waren erschwinglich. Zum dortigen Bach Cello Solo Konzert auf Spendenbasis konnte ich sogar einige Mitrehabilitanden motivieren – und eine von ihnen blieb sogar noch nach der Pause :-).

Und ich erinnere mich auch gerne an die Lieder Schuberts, die ich dort gehört habe, sowie an den ersten Teils des Weihnachtsoratoriums von Bach für eine kleine Besetzung. Das war damals mein Trost, weil ich mir die „großen“ Aufführungen im Konzerthaus nicht leisten wollte. Ja… und da war da noch Mozarts Requiem. Was war ich glücklich, eine Karte ergattert zu haben! Und ich erinnere mich an die Tränen, die mir während der Aufführung vor lauter Berührtsein ob der schönen Musik über die Wangen kullerten….

Ich denke auch gerade an die Rückfahrten… Meistens nahm ich den Radschnellweg entlang der Dreisam und oft erwischte ich mich beim Nachsummen oder -singen gehörter Melodien. Es hörte mich ja niemand… 🙂

Ich lächele. Jetzt. Geschenke Freiburgs…