Weilmussja

Vorgestern war es. Ich bin mit diesem Bild aufgewacht, das mich über die letzten Tage begleitet. Manches aus der Gefühlswelt lässt sich so schlecht in Worte fassen. Bilder helfen.

Und doch stimmen mehrere Dinge und etwas sehr, sehr wichtiges an diesem Bild nicht. Aber dazu später…


Das Bild war im Kern wie folgend:

Die steile, rostige Stahlwand eines Riesentankers zieht an mir vorbei und ich bleibe zurück.

Er zieht an mir vorbei und ich bin zurück gelassen worden.


Der Tanker Weilmussja

Ich war selbst lange, lange Zeit auf diesem Tanker. Und ich weiß, wie gut es tut, dort sein zu können. Der Tanker ist so sicher, hat dicke Stahlwände und vom Wellengang merkt man nicht so viel – wenn man sich nur genug anstrengt und anpassen kann an die eckigen Kanten – um so tiefer man sich in dem Tanker vergräbt, desto sicherer fühlt es sich an. Überall hat es Wände, Gänge, Richtungspfeile, Wegweiser, denen man folgen und sich unter all denen, die es genau so machen „müssen“, „richtig“ fühlen kann. Und ständig dumpft ein Nebel des beschwichtenden Mussjasoseingefühls durch die Ritze der Wände und benebelt die Sinne.

Der Tanker ist gefüllt mit sehr, sehr beschäftigten Menschen. Ihre Blicke sind gesenkt oder sie tragen Scheuklappen. Sie haben, selbst eingespannt in Kutschen, Peitschen in der Hand, die unentwegt durch die Luft zischen und mit einem schneidenden Geräusch ziellos – mal sich selbst und mal andere – treffen. Ihre Körper sind gezeichnet von der Last, die sie auf dem Tanker hin und her ziehen und nur selten finden sie einen Moment Ruhe. Dann blicken sie mit einem sehnsüchtigen Blick nach draußen. Aber ihre Sehnsucht zielt auf den stillen Horizont, nicht das Meer.

Ich war selbst auf diesem Tanker – habe den Schmerz gemerkt, den es bereitet, dort eingespannt zu sein – und ich war sehr, sehr gerne dort. Ich blieb beständig auf „Weilmussja“, weil es lange für mich gestimmt hat. Ich hatte meinen rechtmäßigen Platz – eingespannt peitschend wegweiserseiend – und füllte ihn aus. Ich durfte auf dem Tanker mitleiden – und tat es sehr gerne für das mir andernorts so schwer erlebbare „Ichgehöredazu-“ „Teilsein-“ Gefühl. All das Eingesponnensein auf „Weilmussja“ bringt so viel Sicherheit und Halt… Die Vorstellung, nicht mehr dazu zu gehören, macht gespenstische, fremde Angst – und die war größer als all die altbekannten Leiden, die das Leben auf dem Dampfer mit sich bringt.

Ein Teil sehnt sich schrecklich nach der Sicherheit auf „Weilmussja“ und spinnt sich zusammen, dort wieder irgendeine Nische ausfüllen zu können, nur um dabei sein zu können.

Aber ich bin abgerutscht. Ich weiß immer noch nicht genau, wie es dazu kam, aber die Stahlwand zieht an mir vorbei und ich bleibe zurück.

Ich gehöre nicht mehr dazu.

„Sie wollen da nicht hoch, Frau Nies. Da oben herrscht Krieg“, sagte Hr. Sch., mein Therapeut. Ja, ich weiß.

„Weilmussja“, Tanker, ich sehne mich nach Dir.

 


Und was stimmt nicht an diesem Bild?

  • 1. Ich trage – der deutschen Tankerflotte sei Dank – einen Schwimmreifen namens „Sozialstaat“ um den Bauch. Ich gehe nicht unter. Ich kann lernen, zurecht zu kommen im Meer.

Aber dieses „ich gehöre dort nicht mehr dazu“ Gefühl weckt dummerweise immer wieder die alte, kindliche Todesangst namens „ich werde als Last erkannt und zurück gelassen“ auf. Sie verstehen sich gut und paaren sich zu einem Scheinriesen.

Und den muss ich eben immer wieder als solchen entlarven – und erlösen von seinem so, so schmerzlichen Gefühl der Einsamkeit. Denn

  • 2. Ich bin zwar nicht mehr auf dem Dampfer. Aber ich bin nicht von allen guten Geistern verlassen :-).
  • 3. Es gibt mehr als nur Schwarz und Weiß. Es gibt viel Grau, das verbindet. So habe ich das „Weilmussja-Gefühl“ z.B. in diversen Praktika genießen können, ohne das Gefühl zu haben, daran zu Grunde zu gehen. Und das wünsche ich allen von Herzen, die da oben wuseln.

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