Baumgefühl
K. lud mich ein, mich hineinzufühlen. Bilder zu beschreiben, die mir in den Sinn kommen. Und schließlich dem allen einen körperlichen Ausdruck zu geben.
Ich stand fest, wenn auch nicht sicher. Ich stand schwer. Ein alter Baumstamm ohne sichere Wurzeln auf kalkigem, kargen Boden.
Aber ich wusste mich in guter Gesellschaft, auch wenn ich sie nicht sehen konnte. Ich wusste mich in guter Baumgesellschaft – die da ist in einiger Entfernung, aber guter, wohliger Gesinnung sowie gesund und sicher. Wie sich Bäume über Pilze Botschaften senden, war ich mir dessen bewusst.
Verkrüppelte, kurze Äste ragen waagrecht aus mir heraus. Sie wissen um den kommenden Akt wieder auszutreiben. Wissen um die Kraft, die es kostet. Wissen, dass sie müssen. Wissen, wie wenig sie sind. Wissen um die Erstarrung ihrer Lebensadern, die spröden Wände und um deren kleingläubiges Fassungsvermögen.
Sie wissen, was auf sie zukommt. Nein, auf diesen zähen, mühsamen Kraftakt haben die Äste keine Lust.
Aber da gibt es diesen Gedanken, der Leichtigkeit und Hoffnung weckt. Eine Phantasie, wie schön es sein könnte – oder vielleicht eine Erinnerung daran, wie es damals schonmal gewesen war…? Ein lächelnder Gedanke wie der Traum von einer guten Fee.
Ja, das wäre so schön – dabei zusehen zu können… und es könnte doch vielleicht wahr werden, dass ein Vogelpaar ihr Nest auf den verkrüppelten Ästen baut. Er könnte ein Zuhause sein – einfach so, weil genau dieser Ast den Fremdlingen gefällt…
Der Baum stellt sich vor, wie es ist, einfach, in Vertrauen, auserwählt zu sein. Wie es wohl sein mag, einfach dabei zuzusehen, wie es wächst, dieses Vertrauen in Form eines Nestes. Er muss und kann auch gar nichts tun, als er zu sein, als er zu leben, beim Leben anderer zuzusehen und sich daran zu erfreuen.
Der Baum denkt und schaut auf das frei phantasierte Nest in der Zukunft. Ihm wird ganz aufgeregt, er traut sich kaum zu blinzeln ob dieses vorsichtig wahrhabenden, ja, zärtlich prickelnden Glückes…
das in Schauern, aber ganz leicht über meine Oberarme tanzt.
Jetzt.
Knüpfergefühl
Nach langer Zeit habe ich wieder das Bedürfnis, etwas festhalten zu können. Ein Gefühl der vorsichtigen Öffnung. Ich mag es halten, wenn ich auch nicht recht vermag, es zu greifen.
Ja, ich wollte dem Gefühl einen Halt geben. Dieses Gefühl, das ein Baumbild bekommen hat, einladen, sich in einem weiteren Symbol auszubreiten, einzuleben, sich zu verweben…
…und so kam mir mein rotes Merinounterhemd in den Sinn. Mein Lieblingsunterhemd (ja, sowas kann man haben… ;-)).
Während meiner Zeit in der Tagesklinik im Frühjahr / Sommer 2018 hatte ich begonnen, es wieder zusammenzuflicken. Bunte Nähte und Stopfflicken entstanden. Später flossen irgendwelche Phantasiemuster in Form von Stickereien hinzu. Und zur Besänftigung meiner kritischen Selbstkommentatoren ein Symbol für mein Mitgefühl.
Viele Monate trug ich es nur, bis es nun an der Zeit war, weiterzumachen.
Habt Ihr schonmal mit vier Nadeln gleichzeitig gestickt? Es wollte genau so – aus dem Moment heraus – werden und es wuchs. Fäden trafen sich, gingen ein Stück zusammen, bildeten Knoten, trennten sich. Sind zusammen eins und jeder für sich.
Nicht schön, aber da. Wie der Baum.