Gehirnpuzzle

Ich weiß es wirklich nicht wirklich.

Ich weiß nicht mehr, wo dieser Baum genau stand oder welcher Gattung er angehört. Ich erinnere mich weder daran, was für ein Tag es war, noch welche Witterung vorherrschte. Wie es mir ging, weiß ich auch nicht mehr.
Aber ganz genau erinnere ich mich daran, warum ich dieses Bild gemacht habe. Denn dieser Baumstamm hat mich ganz spontan, aber eindeutig und unweigerlich an etwas erinnert, was mich berührt und berührt hat – und das in doppelter Weise und immer wieder, noch immer.

Es könnte die Farbe sein, die Verwundungen, schlicht die vertikale Ausrichtung.

Aber es war ganz sicher mehr als das. Ein merkwürdiger Eintopf aus aktuellen und vergangenen Gefühlen, Gedanken und Erfahrungen, erfüllten und unerfüllten Bedürfnissen. Nicht wirklich sortierbar, nicht wirklich zu erklären: Und doch hat mein Hirn zwei für es passende Puzzlestücke daraus gemacht.

 

Ich nenne sie „meine PCT Hose“.

Und mittlerweile habe ich wirklich sowas wie ein zärtliches Gefühl sogar, wenn ich, wie jetzt, nur an sie denke.

Es war damals auch keine Liebe auf den zweiten Blick. Sie war ein Kompromiss, weil ich einfach in keine andere Hose hinein gepasst habe. Ich war schon froh, sie gefunden zu haben, aber nicht glücklich. Ich mochte noch nicht mal die Farbe. Und weder habe ich der Strapazierfähigkeit des Materials getraut, noch habe ich es gerne gehört: Eine bei jedem Schritt laut raschelnde, dünne Kunstfaser. Und „Maier Sports“ ist nun wirklich auch nicht bekannt dafür, Weitwanderer auszurüsten, sondern bedient eher das „Kurzurlaubsmittelgebirgserkunderklientel“. Aber egal, sie hat gepasst. Und die großen, mit geschmeidig reißverschließbaren Taschen, der eingenähte Ersatzknopf, sowie der leichte, stufenlos zu kürzende Gürtel waren auch schöne Details, die mir schon bei der Anprobe gefallen haben. Aus Zweifeln an der Haltbarkeit habe ich zwei Exemplare verschiedener Größe gekauft und eine in die „Bouncebox“ gelegt, also das Paket, das auf dem PCT voraus geschickt wurde. Diese Zweithose aber kam bei mir nie zum Einsatz, sondern landete irgendwann ungenutzt als Spende in einer „Hikerbox“ und wenn sie den Finder so überzeugt hat, wie mich die Meinige, dann gibt es mindestens zwei restlos begeisterte Meier Sports Arolla Fans auf Erden!

Ich habe sie täglich auf dem PCT und auf dem Camino Frances getragen. Ich schätze mal, sie begleitete mich rund 2000 Kilometer Wanderweges. Wir haben viel geteilt. Sie war dabei. Das sieht und fühlt man ihr inzwischen an. Sie ist ausgeblichen und abgegriffen, abgewetzt und geflickt. Und auch rascheln tut sie schon lange nicht mehr.

Aber sie hält noch immer zusammen – und irgendwie ein bisschen auch mich.
Und gerade in den ersten Tagen des „Michwiederaufdenwegmachens“ nach meinem letzten Sturz und seinen Folgen habe ich mich weit mehr als bequem gekleidet gefühlt, wenn ich sie getragen habe.

Vermag eine Hose Trost zu spenden?

Ja.

Und das kann ein Baum ja auch.

 

Alex Meier Fußballgott

Gestern spielte die Eintracht in Frankfurt gegen den HSV. Gegen Ende der zweiten Halbzeit forderten die Fans im ausverkauften Stadion lautstark die Einwechslung von „Alex Meier Fußballgott“.

Dieser Beiname wird ihm schon sein Jahren zuteil und sowas fällt einem nicht einfach zu.

Alex Meier spielt seit 2004 als Stürmer bei der Eintracht. Das ist im Bundesligafußball eine sehr lange Zeit. Er stieg mit auf und ab und auf und ab und auf und war lange Zeit ein Garant für die jeweils nötigen Tore. Obwohl man sich oft des Eindrucks nicht verwehren konnte, dass die Eintracht nur mit ihm auf dem Platz gewinnen konnte, zeigte er sich in den Interviews immer bescheiden, unkompliziert, hob sich nicht hervor und reihte seine Leistung immer in die der Mannschaft ein. Sowas merken sich die Fans.

In der laufenden, fast abgelaufenen Saison hat er verletzungsbedingt nicht gespielt. Und als Fünfunddreißigjähriger wird er wohl auch nicht mehr damit rechnen, dass sein Vertrag nochmals verlängert wird. Aber gestern war er seit langem mal wieder im Kader und dann war es so weit: Alex Meier wurde in der 86. Minute beim Stand von 2:0 für die Eintracht eingewechselt. Das alleine war schon ein irgendwie ergreifender Moment.

Es war diese Freude, die ich teilen und fühlen konnte und mich zu Gänsehautschauern, ja, sogar feuchten Augen rührte. Anerkennung des Trainers für seine Arbeit und Geste für die Fans, die mit ihrem stadionbeschallenden, anhaltenden Feiergesang ihre Freude und Dankbarkeit zum Ausdruck brachten.

Und dann schoss der Kerl doch tatsächlich in der 90. Minute noch das 3:0!

Ich konnte mich – ganz einfach – mit ihm und Tausenden anderen freuen. Einfache, geteilete Rührung, Anerkennung, Freude.

Und das war – einfach – schön.

Hier sein

Gestern bin ich mit dem Zug nach Wetzlar gefahren.

Ich fahre ja nicht so oft mit dem Zug…

…und wieder war eine Erinnerung mehr da, eine von so vielen in der letzten Zeit.

Vor einem Jahr….

10. April 2017, Klaus hat mich an den Bahnhof gebracht

 

 

saftig grüne Dillaue

Wehrrauschen in Wetzlar
Was für ein phantastisches Geräusch auf dem PCT. Ich werde es hoffentlich nie vergessen.

…ich habe so viele Bilder gemacht…

…und viel zu wenig…

Es ist nur ein Jahr her. Es ist wirklich wahr. Und eine meine Sehnsüchte zieht mich wieder genau dort hin – in die trockene Wärme, das fast endlose Weitergehenkönnen. Vertrauen in den Weg, die Schilder, die Menschen.

Die Idee von Vertrauen lernen können in mich und meine Ausrüstung.

Wehmut. Und Dankbarkeit.

 

Splitter xy – Runden drehen

Gerade beim Lesen meiner letzten Beiträge kann ich mich des Gedankens nicht verwehren, das mir deren Inhalt sehr bekannt vorkommt. Mal Milde, mal vage Hoffnungsglimmer ohne Ankerplatz im Hafen Zukunft, dicht gefolgt von derben Abstürzen. Mal benutze ich dieses, mal jenes Bild zur Umschreibung, aber es bleibt sich gleich.

Wie viele Runden muss ich noch drehen?

Ich traue keiner Abfahrt.

Ich traue mich nicht.

 

Weiterkreisen.

 

Splitter 64 – Milde

Milde

Es ist ein ruhiger Morgen. Seit langer Zeit verbrachte ich die Nachtstunden mal wieder in Wetzlar, also da, wo ich meinen ersten Wohnsitz habe. Habe die Fenster weit auf gemacht. Aufgewacht bin ich milde gestimmt. Habe so viele Menschen, zu denen ich mich auf eine ganz eigene, wertschätzende Weise verbunden fühle. Von jedem von Euch fühle ich mich ein bisschen getragen. Und gerade jetzt, in diesem Moment, kann ich mir diese Passivität verzeihen, Vertrauen und Gehaltenwerden spüren und es einfach da sein lassen.

Sie sind selten, diese Momente der Milde.

Mir ihrer scheuen Flüchtigkeit sehr bewusst, will ich ihnen zumindest in diesen Zeilen haltende, liebevolle, dankbare Aufmerksamkeit schenken. Ich will diesem Moment der Milde wach, wertschätzend, respektvoll aber auch zärtlich begegnen. Innehalten und atmen.

Passenderweise ist heute ein Feiertag, der erste Mai.

Splitter 49 – Ein Plan

Ein Plan

Ich war die erste im Raum und unerwartet. Der Therapeut der Holzwerkgruppe konnte nach meiner kurzen Vorstellung seine Unkenntnis über seinen Gruppenzuwachs zwar nicht verbergen, sammelte seine erschlafften Gesichtszüge aber sehr schnell wieder ein und frug mich sogleich:

„Ja, und was wollen sie machen?“

Und dieses Gefühl, das er mit dieser harmlosen Frage in mir auslöste, kenne ich gut. Zuletzt begegnete ich ihm neulich in der Ergotherapie in sehr ähnlicher Situation.

Ich weiß es nicht.

Völlig übertriebene, abgrundtiefe Ratlosigkeit und Angst überschwemmen mich, Ärger und Weglaufenwollen, die pure Unfähigkeit, darauf eine Antwort zu finden. Alles ist nicht gut genug oder fühlt sich nicht richtig an, weder das Angebot, noch ich, weder der Therapeut, noch die Beschaffenheit des Fußbodens. Die Fülle der Möglichkeiten erschlägt mich und gleichzeitig fühle ich mich für alles zu klein, unfähig, nicht in der Lage.

Es ist eben das selbe Gefühl, das sich einstellt, wenn ich an meine bisherige und die zukünftige Lebensgestaltung denke – und eben und nur deshalb so bedrohlich.

Ich stammelte herum. Ich brauche nichts. Und ich will auch nichts verschenken, was andere vermutlich weder benötigen noch haben wollen. Produktion für den Mülleimer kommt auch nicht in Frage.

Ob er etwas brauche, was er auf einem Basar gut verkaufen könne? Nein, auf einen Basar gehe er nicht.

Ich sagte ihm, dass es mir eher darum ginge, mit Holz umzugehen, als irgend etwas herzustellen. Das Material kennenlernen. Schleifen, hobeln,…

Er drückte mir ein paar Vorlagen in die Hand und zeigte mir einen recht groben Bausatz zur Herstellung eines apfelhaltenden Vogelhauses. Das machte mich neugierig: Die Teile wollten zersägt, geschliffen, zusammengefügt und mit persönlicher Note gestaltet werden… aus rechten Winkeln Rundungen machen. Aus Schnittkanten glatte Flächen.

Ein Vogelhaus? Naja, das unsrige macht keinen so stabilen Eindruck mehr. Aber Äpfel sind nicht gerade die Leibspeise unserer immerhungrigen, fliegfertigen Besucher. Mein Ergotherapeut aus dem Nachbarraum kam vorbei und zeigte mir das von Kleibern umgarnte Vogelhaus vor der Türe.

Drei Möglichkeiten und zwei Gespräche mit Menschen, die mich ein Stück weit begleiten und unterstützen werden, reichten aus: Ich gab mir die Erlaubnis, „Ja“ zu sagen und „einfach“ zu beginnen. Ich nahm Maße, bekam Ideen, machte eine Skizze, notierte den Materialbedarf, mache mir Gedanken über das Vorgehen.

Ich habe einen Plan. Vertraue auf Hilfe. Und werde sie annehmen.

Vielleicht: Üben für’s Leben.

 


Nachtrag vom 2. Juni: