Übungen

Es ist Freitag, der 19. Januar 2018, kurz nach 7 Uhr morgens. Leonhard Cohen säuselt mein Zimmer voll und lädt mich ein zur Hingabe, zur Sanftheit, zum Sein und Lassen, zum ruhigen, tiefen Atmen, zum Wahrnehmen und -haben, – zum Innehalten eben.

Habe als Übungsmittel eine Flasche Sekt im Eisfach.

Passt das zu diesem dampfenden Getränk in der Tasse? Brennesseltee steht für mich für „Loslassen“. Er hat einen herben, erdigen Geschmack. Aber auch für „Verinnerlichen von Unberührbarem“.

Jetzt gerade im Moment sollte ich eigentlich auf der Arbeit sein und „Patienten“ „fertig machen“.

Es gibt einige unter Euch, die genau wissen, was ich damit meine. Und ich lasse es trotzdem bewusst so stehen.

Nach meiner letzten Nachtschicht hatte ich fünf Tage frei und gestern den ersten von acht aufeinanderfolgenden Diensten.

Ich habe es geschafft bis 10:45 Uhr und ich habe es geschafft und bin gegangen.

Es passiert in mir und um mich rum, was ich gerade tue.

Ich kann es nicht besser beschreiben: Ich bin es, ich weiß, es stimmt, aber ich fasse es nicht und glauben kann ich es und daran, dass es wirklich stimmt, auch noch nicht. Dieser Satz ist nicht zu lesen. Passt zu dem Gefühl…

Ich kann diese Arbeit nicht mehr tun.

Vermutlich schon ganz lange nicht mehr.

Ich werde diese Arbeit nicht mehr tun.

Nicht mehr widerstrebend, jammernd, mich selbst bemitleidend, auf die letzte Minute losziehen um gehetzt, aber rechtzeitig anzukommen. Die Station aufschließen, lauschen, vorsichtig riechen, was mich erwartet. Im Vorbeigehen ein flüchtiger Blick auf den Pflegewagen: Alles da oder muss ich nachher an was denken? Kaffeegeruch – guten Morgen… alle da? Wer wohin?

Ich werde diese Arbeit nicht mehr tun. Meinen Platz haben, ein für fast alle angenehmer, weil immer bei sich selbst die Schuld suchender, umsichtiger, mitfühlender, mitdenkender, insgesamt eher mehr als weniger geschätzter Teil des Teams sein.

Es kann reizvoll sein, etwas zu tun, das man sowieso niemals gut genug machen kann. Es passt zu mir und meinem Grundgefühl, nicht gut genug zu sein.

Und es ist so schön, gerade von diesen Menschen ein Lächeln als Dank zu bekommen. Auch wenn sie gerade an ganz jemand anderen denken, glauben woanders zu sein – ich bin Teil, vielleicht sogar Geburtshelfer dieses Lächelns in diesem Gesicht voller Zeichen eines langen Lebens.

Und ich werde nicht mehr respektvolle Blicke oder Worte voller Achtung und Mitleid bekommen, wenn ich sage: „Ich bin Krankenschwester auf einer psychiatrischen Demenzstation“.

Vielleicht fühlt sich das bei anderen richtig an, wenn ich das tue.

Aber es fühlt sich bei mir nicht mehr richtig an. Und um mich „richtig“ im Sinne von „in Ordnung“ zu fühlen, muss ich aufhören das zu tun, was sich nicht richtig anfühlt.

Übung 4995:

Denke: „Ich bin nicht mehr Krankenschwester auf einer psychiatrischen Demenzstation“ und spüre dem Reiz nach, den das verursacht.

Mmmmh…..

Übung 4996:

Trete vor den Spiegel und sage voller Achtung, Respekt und Mitgefühl:

„Ich bin nicht mehr Krankenschwester auf einer psychiatrischen Demenzstation“

Fühle Dich saumäßig wohl dabei.

 

Ok. Zeit für den Sekt 😉

 

 

 

2 Gedanken zu „Übungen“

  1. Genau. Genug ist genug. –

    Habe lange nicht mehr in deinen Blog geschaut und brauchte ein wenig, um den Anschluss zu finden. Und es erinnert mich an lang vergangene Zeiten.

    Und – wenn nicht jetzt, wann dann? Gell.

  2. Ja, Zeit für den Sekt…

    Und Zeit dafür, nicht nur aufzuhören Patienen fertig zu machen, sondern auch (vielleicht) damit aufzuhören Dich selbst fertig zu machen.

    Wortspiel 😉

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert